Andrea Sodomka: Brainwave Synchronization

Zärtlich tasten Elefanten mit den Spitzen ihrer Rüssel die Gesichter ab.




... Another side effect is that of a wandering mind. When you use frequencies under 8hz, you may find yourself thinking of the strangest things. You may find that you are not thinking of anything in particular, and your thoughts become very interesting. The feeling is also "warm" and "happy" for some people. Others start recalling their favorite memories as a child, even some they thought they had forgotten forever! ...
David Johnston

„... auf weichem Gras, das die Ufer säumt, wiegen eine Million Elefanten ihre Köpfe ....“ Das Hörfeld des menschlichen Ohrs reicht im Alter von 2 bis 5 Jahren von etwa 16 Hertz bis maximal 20.000 Hertz. Mit zunehmendem Alter nimmt das Hörvermögen ab. Elefanten können noch tiefere Frequenzen als wir wahrnehmen, den so genannten Infraschall, während eine Reihe von Tieren, zum Beispiel Hunde, Delfine und Fledermäuse, noch wesentlich höhere Frequenzen, den Ultraschall, hören können. Uns sollen hier nur ganz tiefe Frequenzen interessieren, Töne, die Elefanten zu vernehmen vermögen.

Als ich mir die Sprecheraufnahme zum „See des Schlafs“ anhörte, war klar, dass es eines akustischen Eingriffes bedarf, um die nötige Wirkung zu erzielen. Ich dachte an Andrea Sodomka, und zwar nicht nur deshalb, weil ich ihre Arbeit seit langem schätze. Sie hat sich wiederholt, oft genug handelt es sich um Gemeinschaftsarbeiten von alien productions, mit Körpergeräuschen, etwa dem Herzschlag beschäftigt, so etwa in ihrer computergestützten Biofeedback-Performance „Broken Heart Suite“ (2009), in der der Rhythmus ihres Herzschlages als Impulsgeber für vielschichtige Klangereignisse diente: Texte wie Maschinen wurden von diesem Rhythmus gesteuert. Reale Stimmen und virtual voices, reale und virtuelle Instrumente reagierten auf den Takt des Herzschlags, vereinigten sich zu einem einzigen Klangkörper - bis zum abrupten, geräuschhaften Ende. Verena Franke in der WZ: „Das Blut beginnt schneller zu fließen, das Herz schneller zu schlagen. Erst schlägt es verletzlich sanft und vielleicht zögerlich, dann gewinnt es an Kraft. Bis es schließlich laut und mit starkem Beat in einem ohrenbetäubenden Geräusch gipfelt. Visuell pocht ein überdimensionales Herz auf einem großen Bildschirm über den Köpfen der Tanzinteressierten.“

Ich dachte an einen akustischen Klangteppich, der die Sterberede rhythmisch strukturieren sollte, an Herzgeräusche, die langsamer werden, zunehmend stolpern, schließlich ganz aussetzen sollten. In der Filmgeschichte finden sich viele Beispiele für die Verwendung des Herzschlages. Man denke etwa an Rouben Mamoulians Film „Dr. Jekyll und Mr. Hyde“ (1931). Während der Verwandlung ist das Dröhnen eines Gongs, dem Herzschlaggeräusche unterlegt sind, zu hören. Ich erinnere mich an einen Film aus den 1950er Jahren, dessen Titel mir jetzt nicht einfallen will. Junge Burschen dringen in einer ländlichen Gegend der USA in ein Haus ein und ermorden die Bewohner. Am Ende des Films ist dem Gang eines Delinquenten zum Galgen ein lauter Herzschlag unterlegt. Unweigerlich beginnt man sich mit dem Täter zu identifizieren. Mit vergleichbarer Wirkung bediente sich Chris Marker in seinem Film „La Jetée“ (1962) des Herzschlags, um den Zuschauer akustisch und emotional mit dem Protagonisten zu verbinden, an dem in kellerartigen Räumen Experimente durchgeführt werden. Man hört Flüstern, Geräusche. Der Herzschlag beschleunigt sich und lässt an marschierende Soldaten denken.

In Artavazd Pelechians Kurzfilm „Leben“ (1993) ist während langer Minuten das Gesicht einer Gebärenden zu sehen. Während des Films ist das rhythmische Schlagen eines Herzens zu hören. In einer kurzen Sequenz schwillt das „Quam olim Abrahae“ aus Giuseppe Verdis „Requiem“ an. Der Herzschlag macht hier Sinn. Eine Geburt hat etwas Treibendes. Das Kind, die Frucht wird buchstäblich ausgetrieben, ins Leben hinein. Eine Art Herzschlag ist auch in Pelechians Kurzfilm „Ende“ (1992) zu hören, nur dass er sich dem Schlagen von Waggonrädern auf Eisenbahnschienen verdankt. Während einer Zugfahrt von Moskau nach Jerewan filmte Pelechian, die Kamera auf der Schulter, Männer und Frauen verschiedenen Alters und unterschiedlicher Herkunft. Unruhige, beunruhigende Bilder. Landschaftsbilder aus dem vorbeifahrenden Zug. Düstere Landschaften. Eine Tunnelfahrt in vollkommener Dunkelheit, aus der bestenfalls einzelne Lichtpunkte, die vorbei fliegen, auftauchen. Das Schwarz geht über in gleißendes Licht am Ende des Tunnels, ein Chor ist zu hören, der die einleitenden Worte aus Johann Sebastian Bachs „Johannespassion“ singt: „Herr, unser Herrscher, dessen Ruhm / In allen Landen herrlich ist!“ Am Ende des Films wiederum das rhythmische Schlagen des fahrenden Zuges. Eine tröstliche Bilderfolge, die Pelechian seinem Geburtsfilm „Leben“ entgegengesetzt hat, das Rattern der Räder als Antwort auf das Pochen des Herzschlags.

Mit einer Tunnelfahrt beginnt auch Allen Barons Film „Blast of Silence“ (1962). Im Schwarz der Kinoleinwand ist ein kleiner Lichtpunkt zu sehen, der allmählich größer wird. Eisenbahngeräusche, Wehengeschrei, der Schrei eines eben geborenen Kindes, die Stimme des Ich-Erzählers aus dem Off: „Denk dran, aus dem Dunkel kamst du, aus dem Nichts. Reg dich nicht auf, kleine Mutter. Dem Vater passiert nichts. Irgendwo lebt er. Es geht ihm gut. Na siehst du, du hast deine Arbeit getan. Ein für allemal. Ja, mit Hass und Wut wurdest du geboren. Einen Schlag auf den Rücken brauchtest du. Dann hast du deinen ersten Schrei herausgeschleudert. Keiner konnte überhören, dass du lebst. Sieben Pfund, fünfzig Gramm und einen Namen gibt es auch für dich, kleines Kerlchen: Frank Bono. Wieso? Ach so, deinen Vater. Geht ihm gut, vermutlich. Beherrsch dich! Später lerntest du deine Schreie zu unterdrücken, deinen Hass und deine Wut auf andere Art abzureagieren. Sonderbar, welche Tageszeit auch sein mag, man kommt immer im Dunkel nach Manhattan ...“

In Lars von Triers Spielfilm „Europa“ (1991) ist Max von Sydows hypnotisierende Stimme aus dem Off zu hören, während Zuggeleise und Bahnschwellen dem unteren Bildrand zurasen: „You will now listen to my voice. My voice will help you and guide you still deeper into Europa. Every time you hear my voice, with every word and every number, you will enter into a still deeper layer, open, relaxed and receptive. I shall now count from one to ten. On the count of ten, you will be in Europa. I say: one. And as your focus and attention are entirely on my voice, you will slowly begin to relax. Two, your hands and your fingers are getting warmer and heavier. Three, the warmth is spreading through your arms, to your shoulders and your neck. Four, your feet and your legs get heavier. Five, the warmth is spreading to the whole of your body. On six, I want you to go deeper. I say: six. And the whole of your relaxed body is slowly beginning to sink. Seven, you go deeper and deeper and deeper. Eight, on every breath you take, you go deeper. Nine, you are floating. On the mental count of ten, you will be in Europa. Be there at ten. I say: ten.“ Am Ende des Films schließt sich der Kreis. Max von Sydows Stimme kündigt aus dem Off den Tod durch Ertrinken an. Auf einer Brücke sprengt Leopold einen Zug in die Luft. Der Zug stürzt in einen Fluss. Das Abteil, in dem sich Leopold befindet, füllt sich mit Wasser. Tage später wird seine Leiche ins Meer geschwemmt. Als ich die Sequenz mit Max von Sydows beeindruckender Stimme (Soundtrack: Joachim Holbeck) zum ersten Mal hörte, kannte ich Lars von Triers Film noch nicht. Ich dachte an Bootsflüchtlinge, die auf der Überfahrt von Nordafrika nach Europa ertrinken.

Es ist ein großer Unterschied, ob man in einem Kinosessel sitzt und sich aufgehoben unter anderen Zuschauern einen Film anschaut oder ob man allein auf einer Liege liegt, um in den Tod gesprochen zu werden. Canetti sieht im Liegen eine Entwaffnung und eine Entblößung des Menschen: „Eine Unmenge von Handlungen, Haltungen und Allüren, die einen in aufrechtem Zustand ganz bestimmen, werden abgelegt wie Kleider, als ob sie, um die er sich sonst so bemüht, gar nicht wirklich zu ihm gehörten. Dieser äußere Prozess läuft parallel zu dem inneren des Einschlafens, da auch vieles abgestreift und beiseite geschoben wird, das sonst unentbehrlich scheint, bestimmte schützende Bahnen und Zwänge des Denkens, die Kleider des Geistes. Der Liegende entwaffnet sich so sehr, dass man überhaupt nicht begreift, wie die Menschheit es fertiggebracht hat, den Schlaf zu überleben.” Im Liegen gibt der Mensch seine Haltung auf. Wer liegt, verliert die Kontrolle nicht nur weitgehend über die Situation, sondern auch über sich selbst. Da sich unsere Identität vor allem dem Tun verdankt, ist der Liegende von einem Identitätsverlust bedroht. Da in der Klanginstallation „See des Schlafs“ die Bildebene des Films fehlt, musste freilich anders gearbeitet werden als dies im Kino möglich ist. Ich dachte an Soundarbeiten aus längst vergangenen Jahren, einer Zeit, in der sich Loops noch dem Zusammenkleben von Tonbandschnipseln verdankten. Als Beispiel sei Ilitchs „10 suicides“ aus dem Jahr 1980 genannt, nicht zufällig, geht es doch um den Tod.

Das Projekt sollte sich allerdings ganz anders entwickeln. Andrea Sodomka: „nachdem ich mich mit dem text beschäftigt und mir mehrmals pelechian's ‚the end’ an-gehört (-geschaut) habe, war mir klar, dass es für mich eine weitere wahrnehmungsebene braucht, um die komposition zu beginnen. eine jenseits des hör-, sicht- und fühlbaren, eine ‚reale’, ‚physikalische’ ebene, um an der unausweichlich brutalen situation dieses letzten einschlafens anzudocken. zum herzschlag: NEIN der menschliche herzschlag, akustisch, ist was unwahrscheinlich brutales, maschinell klingendes, schwer zu ertragendes. alles, was so schön klingt ist eine illusion, künstlich erzeugt und nur die vorstellung unseres herzens! ich hab mich schon lange mit dieser körperklangwelt beschäftigt und ich habe 2 projekte gemacht mit herzklängen (mein eigener und fremde), und einige andere, bei denen ich meinen herzschlag als trigger verwendet habe, modifiziert um einen (lebens)takt hörbar zu machen oder instrumente damit zu steuern. den herzschlag nehmen wir in erster linie durch den takt wahr (und der ist gar nicht regelmäßig und beruhigend), den rhythmus des lebens, wenn du so möchtest. wenn man also den eindruck des stehenbleibens erwecken will, dann ist das ein metrisches problem. und ich glaube nicht, dass der akustische eindruck am herzschlag festzumachen ist, eher am ATEM.“ Erstaunlich, dass ich nicht an den Atem gedacht habe. Im Gegensatz zum Herzschlag lässt sich mit dem Atmen viel eher das Gefühl von Schwere vermitteln. Und dann lässt sich der Atem in der Aufnahmesituation bewusst steuern. Ich erinnere mich an eine Arbeit eines verstorbenen Freundes, der vor vielen Jahren mit den Atemgeräuschen seines sterbenden Vaters gearbeitet hat. Dann fallen mir eine Reihe von Filmen ein, etwa Stanley Kubricks „2001. Odyssee im Weltraum“ (1968). Kubrick spielt schön mit Atmengeräuschen. Herzgeräusche ersetzt er dagegen durch Maschinengeräusche, akustische Warnsignale, etwa in jener Sequenz, in der HAL die lebenserhaltenden Funktionen der drei in einen künstlichen Tiefschlaf versetzten Astronauten abschaltet. Atemgeräusche wurden schließlich auch verworfen. Was für ein Glück!

„Zärtlich tasten Elefanten mit den Spitzen ihrer Rüssel die Gesichter ab ...“ Monatelang vernahm ich nichts mehr, dann eine Arbeit, die mich zutiefst beglückt und überzeugt hat. Feinen akustischen Eingriffen hat Andrea Sodomka auf einer zweiten Ebene eine Komposition unterlegt, deren Frequenzbereiche außerhalb unseres Hörfeldes liegen. Die Elefantentöne sind nicht zu hören, wirken aber auf uns, beeinflussen den Blutdruck, die Atmung, den Serotoninspiegel wie anderes. Eine brainwave-Synchronisation. Verschiebungen im Stereoklangfeld in einen nicht hörbaren Bereich. Eine mit den Ohren nicht wahrnehmbare Trägerwelle mit dem gemischt, was sich hören lässt. Den hörbaren Klängen kommt nur eine unterstützende Funktion zu. Zustand der Aufmerksamkeit, Zustand des Schlafes, Zustand der Aufmerksamkeit. Letzteres ist durchaus nötig, will doch der Sterberedner, dem, den er in den Tod spricht, kurz bevor dessen Bewusstsein endgültig erlischt, noch zurufen: „In wenigen Augenblicken werden Sie tot sein! Aber nehmen Sie den Gedanken mit, dass wir Sie nur bewirtschaftet haben, dass es mir gar nicht gefällt, Sie mit meiner Stimme in den Schlaf zu wiegen. Wachen sie auf, wenigstens einen Augenblick. Denken Sie an die Sortier- und Gefrierabteilung ...“ Das Computerprogramm verdankt sich David Johnston. WARNING: “Sounds generated by the brainwave function may not be suitable for epileptics or persons undergoing psychiatric treatment.“

Am Ende von „Blast of Silence“ die Stimme des von seinen Auftraggebern erschossenen Auftragkillers, seine Leiche liegt im Wasser, aus dem Off: „Gott handelt auf vielfältige und undurchschaubare Weise. Vielleicht ist das eine große Hilfe, dass er dir so viel erspart. Erinnere dich an frühere Weihnachten. Was hast du dir gewünscht damals? Kein Spielzeug, etwas Größeres, Wichtigeres, etwas ganz Besonderes. Jetzt ist es in Erfüllung gegangen. Jetzt bist du wirklich allein. Alles vollendet sich. Dein Schrei ist verstummt. Und wie wunderbar, auch keine Schmerzen mehr. Du gehst wieder zurück in das Dunkel, aus dem du gekommen bist ...“

Bernhard Kathan, Mai 2013

Zur Arbeit von Andrea Sodomka siehe unter:
http://alien.mur.at
Intimate Space
http://alien.mur.at/archive/work/216/de
http://alien.mur.at/sound/detail.html?t=intimatespace
Autoregulative Räume
http://alien.mur.at/autoregu/
Der Gedankenprojektor
http://alien.mur.at/gedankenprojektor
Sounds
http://alien.mur.at/sound/
work in progress:
metamusic
http://musikprotokoll.orf.at/de/metamusic/intro
http://alien.mur.at/sound/detail.html?t=intimatespace

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