Ist es nicht wie in Dachau und Mauthausen?
Zu den Wehrmachtserfahrungen des österreichischen Publizisten Nikolaus Hovorka




"Als ich heute Früh zum Gefängnis kam, sah ich schon von weitem ein gewisses Lastauto vor der Tür stehen. Polizisten und Soldaten mit Karabinern dabei, etwa ein halbes Dutzend Mann. Als ich hinkam, fragte mich mein SS-Unterscharführer scherzhaft: ‚Sie kommen wahrscheinlich, um Verbände anzulegen.' Und dann weiter: ‚Sie müssen etwas warten.' Drinnen im Wagen waren schon einige verfrachtet und lagen lautlos und still wie Leichen. Ich sah nur ihre Schuhsohlen. Gerade wurde einer hinuntergetragen, ein langer, hübscher Kerl, der schrie und weinte. Er wurde hineingebracht und die SS-Männer bemühten sich, ihn zum Schweigen zu bringen, was aber trotz allem nur teilweise gelang. Es war nicht so leicht, alle Gefangenen, die auf der Liste standen, herauszufinden, weil sie sich beim Namensaufruf nicht meldeten und ihre Namen nicht sagten. ‚Der Kerl macht uns noch alle übrigen unruhig', hörte ich. Die Soldaten murrten, weil es so lange dauerte. Der Unterscharführer fragte mich, ob ich mitfahren wolle. Ich: ‚Warum führt ihr sie nicht zu Fuß hin?' - ‚Es ist viel schneller erledigt'. Zum Schluss kamen drei Frauen, unter ihnen Marussja Omeltschenko. Sie wandte sich an den Hauptscharführer. Offenbar sagte sie, wie ich ihren Gesten entnahm, sie arbeite doch dort drüben im Lazarett. Er schwankte einen Augenblick, vielleicht würde sie zurückkehren. Nein, heute würde sie woanders arbeiten. Sie stieg als erste Frau hinauf, musste sich über die anderen legen. Ich sah nur noch ihre armseligen Schuhe und die ausgewaschenen Wollstrümpfe. Ich war zur Seite getreten. Sie hatte mich glücklicherweise nicht gesehen. ‚Sind es jetzt alle?' Die Rückwand wurde hochgeklappt. Die Bewaffneten stiegen auf und setzten sich auf den Rand und das Lastauto fuhr los."

An Marussja Omeltschenko gäbe es wohl keine Erinnerung, hätte der Sanitätsobergefreite Nikolaus Hovorka nicht über sie geschrieben. Marussja war 25 Jahre alt, als sie mit anderen am 17. November 1943 in Gaissin erschossen wurde, einzig deshalb, weil sie für den SD als politisch verdächtig galt. Wie so oft in seiner Zeit bei der Wehrmacht wurde Hovorka auch hier von seiner eigenen Geschichte eingeholt, war er doch selbst lange Gefangener, selbst davon bedroht, etwa "auf der Flucht" erschossen zu werden.

Nur wenige Tage nach dem "Anschluss" wurde Hovorka, er war Herausgeber der im Reinhold-Verlag erschienenen Schriftenreihe BERICHTE, verhaftet. Zum Verhängnis wurde ihm nicht zuletzt das Buch "Zwischenspiel Hitler" aus dem Jahr 1932, welches wie andere Schriften der Reihe einen politischen Katholizismus vertrat und den Nationalsozialismus vehement ablehnte. Nach der "Machtergreifung" 1933 wurden die BERICHTE in Deutschland verboten, was den Verlag in finanzielle Schwierigkeiten brachte. In der Folge arbeitete Hovorka als innenpolitischer Redakteur für die den Christlichsozialen nahestehende REICHSPOST, wurde Chefredakteur des vom Ständestaat beschlagnahmten, ehemals sozialdemokratischen KLEINEN BLATTES. Nach seiner Verhaftung kam er in das KZ Dachau. Im Herbst 1939 wurde er in das KZ Mauthausen überstellt und dort im Juli 1942 in die Wehrmacht entlassen. Von einer Entlassung im eigentlichen Sinn, mochte er diese auch herbeigesehnt haben, konnte freilich keine Rede sein, wechselte er doch bruchlos von einem Gewaltsystem ins nächste: "Du weißt, man braucht Menschenmaterial, Menschenmaterial, Menschenmaterial. [...] Wieder in die Niedrigkeit."

Hovorka war zunächst in der Ukraine, dann in Frankreich stationiert. Während dieser Zeit schrieb er mehr als dreihundert zumeist sehr lange Briefe an seine Frau Maria. Er war nicht nur ein guter Beobachter, seine Feldpostbriefe fallen allein schon deshalb aus dem Rahmen, weil sich in ihnen die Konflikte von KZ-Häftlingen, die aus "politischen" Gründen inhaftiert waren und später für das Deutsche Reich kämpfen sollten, spiegeln.

Bei der Wehrmacht erlebte Hovorka vieles, was ihm aus Dachau und Mauthausen bekannt war, allerdings in seltsam verkehrten Rollen. So hatte der ehemalige Häftling plötzlich selbst Gefangene zu bewachen: "Ich habe den Schlüssel zum Schuppen bei mir, wo Schaufeln gefasst werden. Bei mir melden sie sich, ich übernehme sie, teile ihnen die Arbeit zu, halte sie zur Arbeit an, bin für ihre Leistung verantwortlich, verantwortlich auch dafür, dass nichts gestohlen wird, dass sie ihre Arbeit bis zu Ende verrichten, dass sie nicht auf und davon laufen. Und genau wie in Mauthausen hören sie zu arbeiten auf, sobald man nicht hinschaut. […] Es ist so wie in Dachau und Mauthausen. Nur, dass ich jetzt Gefangene bewache und zur Arbeit antreiben muss. Die Parole ist: ‚Bewegung, Bewegung!', genau wie dort und mag es auch noch so sinnlos sein: Bewegung, Bewegung." An einer Stelle schreibt er, ihn interessiere alles, was Gefangene betreffe. Auffallenderweise erwähnt er Gefangene oft mit ihrem Namen, und zwar nicht nur mit ihrem Vornamen. Er muss sich oft mit ihnen unterhalten haben, so auch mit Marussja Omeltschenko.

In seinen Briefen erwähnt er sie fünf Wochen vor ihrem Tod das erste Mal: "Ich hole aus dem Gefangenenlager drei zivilgefangene Frauen ab. Ich habe einen Schein, auf dem steht ihr Name: Omeltschenko Maria, Pazuk Kathrina, Tekotschuk Helene, das geladene Gewehr geschultert." Beiläufig notiert er: "Vorgestern sind acht Frauen und sechs Männer erschossen worden. Wahrscheinlich auch solche darunter, die bei uns Lasten getragen haben." In den folgenden Wochen erwähnt er Marussja oft, einmal schreibt er, sie tue ihm so leid, habe sie doch aus irgendeinem Anlass zwanzig auf den Hintern bekommen. Er kenne das aus eigener Erfahrung. Am Tag vor ihrem Tod notiert er: "Man muss ihr nichts anschaffen: die Zimmer sind immer sauber aufgeräumt, gekehrt, aufgewaschen, geheizt; das ‚Kochgeschirr' gewaschen, die Karbidlampen geputzt, die Schuhe gebürstet, die Wäsche gewaschen. Das muss eine vorbildliche Hausfrau gewesen sein. Ihr Mann ist seit Jahren in der russischen Armee und sie hat keine Nachricht von ihm. Zu Hause sind ihre beiden Kinder bei der Großmutter. Sie ist als politisch Verdächtige im Gefängnis. Sie hat eine gute Figur, ein sympathisches, immer freundliches, aber doch schmerzlich lächelndes Gesicht mit schönen Zügen."

Nach Marussjas Erschießung kehrte Hovorka ins Lazarett zurück. Dort organisierte er für die Gefangenen, die er zu beaufsichtigen hatte, übriggebliebene Erbsensuppe, auch einen Sack mit Brotresten. Er kümmerte sich allgemein um die Gefangenen, verhalf ihnen etwa zu Schuhen oder Strümpfen. Gleichzeitig verhandelte er mit der SS bezüglich der Überlassung von Gefangenen, und das im Wissen, dass eben diese Männer oder Frauen, die Bretter oder Steine schleppten, Putzarbeiten oder anderes verrichteten, bereits am nächsten Tag erschossen werden konnten: "Um mir weiterhin die Gefangenen zu sichern, die mich so sehr interessieren und deren Verwaltung mir eine gewisse Bewegungsfreiheit sichert, bemühe ich mich beim SD um Zivilgefangene. Ich fand dort im Büro die mir so vertrauten SS-Uniformen. Zwei der SS-Dienstgrade sind sogar Österreicher. Mit großem Entgegenkommen wurden mir zu den bereits bei mir arbeitenden sieben weitere siebzehn Männer und Frauen zur Verfügung gestellt. Dies war Sonntag. Heute Dienstag ergab sich eine Schwierigkeit, weil eine Anzahl der Zivilgefangenen erschossen werden sollte."

Als Hovorka im Spätherbst 1942 in die Ukraine kam, waren die meisten Juden bereits ermordet worden. Seine Einheit war schon ein Jahr zuvor in derselben Gegend und damals maßgeblich an der "Ausrottung" der Juden beteiligt. Er ließ sich die "Judenerschießung" von Kameraden erzählen. Mit angelegter Waffe habe man die Juden aus ihren Schlupfwinkeln geholt. Wieder ein Jahr später schreibt er an Maria: "Ich hätte Dir so viel zu erzählen. Ich sagte Dir schon, dass unsere Einheit schon vor zwei Jahren einmal hier am selben Ort war. Gerade zur Zeit, als die Juden ausgerottet wurden, mit einer Gründlichkeit, die an Mauthausen erinnert, aber wieder andere, sozusagen farbigere Methoden. Aber es würde zu weit führen. Ich begnüge mich damit, den Spuren nachzugehen." Ausführlich beschreibt er ein Lager, in dem Juden zusammengepfercht waren und Zwangsarbeit zu verrichten hatten. Er denkt an Dachau und Mauthausen, nur dass er hier hinzufügt: "Ist es nicht wie in Ägypten und Babylonien?"

Hovorka befand sich in einem unlösbaren Konflikt. Einmal schreibt er, es wäre überaus unangenehm, würde ihm einer der Gefangenen entfliehen, dann wiederum bedauert er es, Marussja und wohl auch anderen diese Chance nicht gegeben zu haben. Eines Tages gelang einer Zivilgefangenen die Flucht. Hovorka hätte es verhindern können. Er sah sie unbewacht herumstehen und unterhielt sich sogar mit ihr. Aber wäre er an diesem Tag für die Bewachung der Gefangenen verantwortlich gewesen, zweifellos hätte er ihre Flucht zu verhindern gewusst: mehr als vier Jahre Dachau und Mauthausen - die Erfahrungen dieser Zeit hatten sich tief in ihn eingegraben. Dort hatte er die SS als allmächtige Instanz erlebt, deren Entscheidungen man hinzunehmen hatte. Und in ähnlicher Weise erlebte er die SS auch während seiner Wehrmachtszeit.

Die Ukraine muss Hovorka als besonders bedrückend erlebt haben. Während der Zeit, die er dort verbrachte, schreibt er öfters, er habe Heimweh nach Mauthausen. Würde er vor die Wahl gestellt, ob er bei seiner Kompanie bleiben oder für die gleiche Zeit nach Mauthausen zurückkehren wolle, so würde er sich ohne Bedenken für letzteres entscheiden: "Und wenn es sein müsste, die doppelte Zeit." Das erstaunt, schreibt er doch an anderen Stellen wiederholt, während der ersten Monate seiner Internierung in Mauthausen hätten alle gehofft, vielleicht doch noch einmal nach Dachau zurückzukommen: "In Dachau herrschte über uns eine satanische Ordnung, aber es war immerhin noch irgendeine Ordnung. Hier aber herrschte das Nichts, das alles Leben und alle Menschlichkeit sinnlos in den Abgrund des Todes hinabriss."

Ende Juni 1943 wurde Hovorka ein Urlaub genehmigt. Und wo dachte er seinen Urlaub mit seiner Frau zu verbringen? In der Gegend von Mauthausen! Gewiss, "ein merkwürdiger Wunsch ist es, der mich schon zur Zeit beschäftigte vor einem Jahr, als ich wusste, dass meine Zeit dort ihrem Ende entgegengeht: mit Dir diese Gegend zu besuchen, Dir diese Stätte zu zeigen. Wenn meine Vorgesetzten von damals noch dort sind, würden sie meinen Besuch gerne entgegennehmen und mich auch mit Dir näher an das Lager heran lassen. [...] Verzeih mir diesen Traum. Ich vergesse nicht, dass es Träume sind und dass Deine Pflichten als Mutter meinem Recht als Gatte vorgehen." Später schreibt er, an die Zeit, da er das "Ehrenkleid des Deutschtums" getragen habe, wolle er gar nicht erinnert werden: "Sie war die bisher hässlichste meines ganzen Lebens."

Sicher, seine Situation in Mauthausen hatte sich verbessert. Ganz am Anfang habe man ihn zu Bauarbeiten, zum Verladen von Brettern und ähnlichen Verrichtungen herangezogen, kurze Zeit habe er auch im Steinbruch arbeiten müssen. Mit seinem Wechsel ins Krankenrevier war Hovorka in der Häftlingshierarchie aufgestiegen und zählte fortan zu den "Prominenten". Mochte er auch weiterhin vor der Willkür des Wachpersonals nicht völlig geschützt sein, so konnte er sich doch besser kleiden, besser ernähren. Er war besser untergebracht und musste nicht länger schwere körperliche Arbeit verrichten. Nicht zuletzt waren ihm andere Häftlinge dienstbar: "Da hatte ich meine Leute, die mir die Schuhe putzten, das Essen holten, das Geschirr und die Wäsche wuschen, das Bett machten."

Bei der Wehrmacht stand er an unterster Stelle, hatte Vorgesetzten zu gehorchen, die zumeist wesentlich schlechter gebildet waren als er selbst, die ihre Stellung womöglich dem Umstand verdankten, zu den Illegalen gezählt zu haben: "Es ist hier wie in Dachau und Mauthausen: Da ist einer ganz arm und elend herumgekrochen, gerade froh, dass er noch nicht verhungert und erschlagen ist. Wenn er aber ein ganz kleines Pöstchen erhielt, das ihm eine Überlegenheit und sei es auch nur über einen einzigen Kameraden verschaffte, so begann er sich schon aufzuspielen: Leute aber, die als Capo Dutzende, ja hundert Schicksalsgenossen unter sich hatten, oder als Blockältester, Schreiber, Schneider, Schuster, Krankenpfleger, Machtmittel in die Hände bekamen, die wurden ganz große Herren. Ihr Übermut, ihr Stolz, ihre Brutalität gegen Schwächere, ihre Genusssucht und Gewissenlosigkeit steigerte sich immer mehr, bis sie eines Tages über irgendein kleines Hindernis stolperten und dann in einen tieferen Abgrund fielen, als das Loch war, in das sie sich früher verkrochen hatten. Jetzt kam für sie die Zeit des Kriechens und Bettelns und sich Demütigens, bis es ihnen nach einiger Zeit wieder gelungen war, sich irgendwie eine Stufe zu heben. Und dann begann das Spiel von Neuem." Besonders verhasst war ihm das Appellstehen. Das erinnerte ihn zu sehr an Dachau und Mauthausen. Aber als er dort seine "Stellung" erreicht habe, da habe er nicht mehr antreten müssen. Vor allem habe er in seiner Arbeit einen Sinn gesehen. Nun, bei der Wehrmacht, erscheine ihm alles sinnlos.

In Mauthausen habe ihm eine innere Rechtfertigung Haltung verliehen. Er habe darin einen tieferen Sinn gesehen. Trotz aller Misshandlungen, Leiden, Entbehrungen und Beschimpfungen sei in Dachau und Mauthausen die moralische Lage klarer, eindeutiger und die Zeit daher leichter zu ertragen gewesen. Im Lager sei er geblieben, was er war. Jetzt als "Waffenträger des deutschen Volkes", als "Soldat Hitlers" müsse er für eine schlechte und verlorene Sache kämpfen, "für den Räuber-Staat", dessen Opfer er in den schweren Jahren zuvor gewesen war. Er trage jetzt das Kleid derjenigen, die Verfolgung ausübten.

Schon während seiner Grundausbildung setzte Hovorka alles daran, als Sanitäter eingesetzt zu werden. Das erschien ihm als einzige Möglichkeit, den Krieg moralisch zu überstehen. Nach vielen Bemühungen wurde er tatsächlich zur Sanität abgestellt. Das verschonte ihn allerdings nicht davor, zu einem Mitakteur in einem schmutzigen Krieg zu werden. Die Einheit, der Hovorka angehörte, lässt sich anhand des vorhandenen Textmaterials nur grob skizzieren. An keiner Stelle erwähnt er die Struktur, die Zusammensetzung oder die Größe der Einheit, nie ihre Bezeichnung. Namentlich werden nur Personen in untergeordneter Stellung genannt. Aber einige wesentliche Einzelheiten lassen sich dennoch den Briefen entnehmen. Die Einheit war nie an der Front eingesetzt, operierte sowohl in der Ukraine als auch in Frankreich im Hinterland, war, wie es euphemistisch lautete, mit "polizeilichen" Aufgaben betraut, sie diente also der Partisanenbekämpfung, wobei es sich beim Begriff "Partisanen" um einen höchst dehnbaren handelte. In dieses Bild fügen sich die "Hiwis", ukrainische Hilfswillige, die sich der Wehrmacht oder der SS angeschlossen hatten. Es handelte sich um berittene Kosakenverbände, die sich durch ihre Beweglichkeit in unwegsamem Gelände bestens für die Partisanenbekämpfung eigneten. Weiters müssen die Grenzziehungen zwischen Wehrmacht und SS bzw. SD sehr unscharf gewesen sein. Immer wieder werden Strafaktionen oder Erschießungen erwähnt. Einmal notiert er: "Wir sind mehr ein kämpfender Haufen als ein Lazarett. Ich kann es Dir nur kurz andeuten."

In Feldpostbriefen ließ sich vieles nicht schreiben. Manches lässt sich aber doch zwischen den Zeilen herauslesen, so etwa all die Konflikte, in denen sich Hovorka befand, auch die Strategien zu ihrer Bewältigung. Das Überleben in einem absolut totalitären System wie Mauthausen hatte unterschiedlichste Anpassungs- und Verarbeitungsleistungen zur Voraussetzung. Eines der Beispiele findet sich dort, wo die unmenschliche Welt als absurd, als unwirklich erlebt wird, gleichsam als Theater, in dem man Zuschauer oder Mitspieler ist, mag die zugedachte Rolle auch den eigenen Tod zur Folge haben.

"Wenn es mir unerträglich wird, diesen widerlichen militärischen Drill mitzumachen, dann versuche ich, mir mit der Vorstellung, ich sei auf dem Theater und hätte verschiedene Rollen zu spielen, das Ganze erträglich und sogar interessant zu machen. Dann gehen mir die Kommandos besser von den Lippen und ich freue mich, dass alles so gut klappt, wie ein Regisseur bei der Theaterprobe. So sehr denke und fühle ich als Zivilist. Und ebenso ist es, wenn ich die Kommandos anderer ausführen muss. Ich bewege mich wie ein Schauspieler auf der Bühne und habe dasselbe Interesse daran wie ein Schauspieler." Hovorka, der in jungen Jahren eine Schauspielschule besucht hatte und in erster Ehe mit der Burgschauspielerin Friederike Datz verheiratet gewesen war, befand sich nicht im Theater. Er bewegte sich in einer grausamen Wirklichkeit. Die Gefangenen spielten ihre Rollen nicht. Sie waren Gefangene.

Hovorka war sich dessen nur allzu bewusst. Da brauchte er nur an allerorts angeschlagene Plakate zu denken, auf denen Ukrainer im wehrfähigen Alter aufgefordert wurden, in deutsche Polizei-Bataillone einzutreten: "Der Führer ruft euch, weil er euch für würdig hält, mitzuarbeiten an dem großen Aufbauwerk." An dieses Aufbauwerk glaube Hovorka keinesfalls. Diesem Plakat stellt er ein anderes entgegen, das den Ukrainern das Betreten der Straße nach sechs Uhr abends verbot. Und beiläufig fügt er hinzu: "In einem schönen Aufruf des Gauleiters der Ukraine an die Deutschen in der Ukraine wurde hervorgehoben, dass 750.000 Ukrainer jetzt in den Arbeitsprozess im Reich eingegliedert seien und dass der, ich weiß nicht wie viel tausendste Zug mit Lebensmitteln aus der Ukraine ins Reich gerollt sei." Hovorka sah den Raubzug, er wusste nur zu gut, was es bedeutete, mit falschen Versprechungen "ins Reich" gelockt oder einfach verschleppt zu werden, was es bedeutete, auf diese Weise in den "Arbeitsprozess" eingegliedert zu werden.

Selbst als sein Platz im Lazarett sicher schien, wurde er zu Partisaneneinsätzen abkommandiert: "Bald hingen rote Feuerfahnen über einigen Häusern. Geschossen wurde sehr viel. Wir hatten einige Verwundete, auch schwere, hier ging es noch glimpflich zu. Das nächste Dorf wurde etwa zu einen Drittel eingeäschert. Im dritten Dorf übernachteten wir und zündeten es erst am nächsten Morgen an, jene Häuser, wo keine Männer zu Hause waren. Die nächsten zwei Dörfer wurden zur Gänze restlos den Flammen übergeben. Ein Hauptsturmführer der SS leitete das Unternehmen dieses Flügels. Ich will Ihnen die schaurig schönen Einzelheiten dieser Tage nicht erzählen, wenigstens nicht bei dieser Gelegenheit. [...] Ich denke an die Frau, die vor ihrem brennenden Haus reglos kniend unablässig betete. [...] Ich muss an die Frau denken, die Dienstag so entsetzlich schrie, als sie, gerade als ich vorüberfuhr, an ihr brennendes Haus kam, das sie beim Weggehen verschlossen hatte und jetzt waren drinnen ihre drei Kinder und man konnte nicht mehr an das Haus heran. Und dort steht ein junges Mädchen, das Haus wird gleich angezündet werden."

Und als Hovorka auf seinem Schlitten durch die Dörfer fuhr, die Haus für Haus in Brand gesteckt wurden, erlebte er sich wie eine "Figur aus Pappe, die reglos vorn auf der Grottenbahn im Prater durch die Merkwürdigkeiten fährt, die dem erstaunten Auge gezeigt werden." Es ging nur noch um Raum und Zerstörung: "Manche trieben uns ihr Vieh zu. Teilweise wirklich schöne Tiere. Unsere Abteilung allein brachte gegen 150 Stück mit. Nicht gerechnet die sozusagen privaten Requirierungen." Schafspelzmäntel, die den aus ihren brennenden Häusern Geflüchteten abgenommen wurden. Mitten im Winter. Auch Hovorka kam in den Besitz eines solchen. Ein volksdeutscher Reiter habe ihn ihm zugeworfen. Kurze Zeit später überrollte die Rote Armee diese Gegend.

Während dieser Zeit war Hovorka auffallend häufig unpässlich. Er litt unter Appetitlosigkeit und einer geradezu unüberwindlichen Müdigkeit. Er fühlte sich abgeschlagen. Dazu kamen Anfälle von Benommenheit und Schwindelgefühl. Er musste sich an Wänden anhalten, glaubte, sich sofort niederlegen zu müssen. Und solche Zustände besserten sich stets nur kurz und kehrten bald wieder: "Ich glaube, ich bin seelisch krank. Versteh mich recht. Nicht, dass mein Denken und Fühlen irgendwie abnormal wäre und ungesund. Vielleicht ist ‚seelisch' auch nicht das richtige Wort. Was ich in jenen 4 ½ Jahren gesehen, gehört, selbst erlebt habe, das hat seine tiefe Spur, das hat seine tiefen Narben hinterlassen. Ich komme darüber nicht hinweg. Ich habe den Glauben an die Menschen verloren. So groß und grenzenlos früher mein Vertrauen zu den Menschen war, so sehr bin ich heute von der Verdorbenheit, Bosheit und Dummheit überzeugt. Sie stehen alle unter dem Gesetz Satans. Schon Jaspers, immer etwas zur Schwermut neigend, drückte natürlich meinem Wesen seinen Stempel auf."

In diesen Monaten verletzte sich Hovorka im Labor mit Salpetersäure: "Das Gemisch explodierte und spritzte mir ins Gesicht und floss über die Hände. Glücklicherweise stand ich neben einem Wasserhahn und hatte die Geistesgegenwart, in der gleichen Sekunde das Gesicht unter den Wasserstrahl zu halten, so dass die Augen und das Gesicht verschont blieben." Außer dem scheußlichen Anblick, der wohl noch einige Wochen dauern werde, ein wenig Schmerzen und der Behinderung durch die starke Anschwellung des Handrückens habe dieser Unfall keine weiteren Folgen. Zwei Wochen später: Gesundheitlich gehe es ihm wieder gut, auch wenn eine gewisse Müdigkeit noch an die kranken Tage erinnere. Er trage die Hand noch im Verband, aber die Wunden seien schon fast ganz ausgeheilt und es würden kaum Narben bleiben. Wieder zwei Wochen später erwähnt Hovorka eine Phlegmone, diesmal an der rechten Hand. Sie stehe am Handrücken noch in schönster Blüte, er trage seine Hand verbunden. Gleichzeitig erwies er sich als besonders diensteifrig, schleppte Bretter und anderes, schonte sich nicht. Gut denkbar, dass Hovorka selbst die Phlegmone zum Blühen gebracht hat. Mit Phlegmonen war er durch seine Erfahrungen in den Krankenrevieren in Dachau und Mauthausen bestens vertraut. Ohne jeden Zweifel hat er sich in die entsprechende Literatur eingelesen. Wenn, dann haben wir es mit einer Selbstverstümmelung zu tun, um bestimmten Einsätzen zu entkommen. Dass absichtlich erzeugte, selbst gesetzte Phlegmonen zum Repertoire der Selbstverstümmelungen zählten, legt allein der Umstand nahe, dass die Wehrmacht, um Simulanten zu erkennen, eine diesbezügliche Studie in Auftrag gab. Die Versuche wurden an Häftlingen im KZ Auschwitz durchgeführt.

Wenige Wochen nach der Erschießung Marussja Omeltschenkos beschäftigte sich Hovorka mit der Frage nach dem Sinn des Krieges. Diese Frage drängte sich ihm immer wieder auf. Er beantwortet sie mit einem bemerkenswerten Bild: Der Krieg "ist wie ein Naturereignis über die Menschen hereingebrochen. Man könnte es mit der Schwangerschaft einer Frau vergleichen. Wenn einmal die Frau empfangen hat, ist das, was sie zu tragen hat, was sie erwartet, der menschlichen Willenskraft entzogen. Wir können nichts machen, als tragen, was uns zu tragen auferlegt ist und warten, bis die Zeit reif ist. Alle Berechnungen, alle Hoffnungen und Zweifel, alles Klagen und Anklagen, alles Sich-Aufbäumen, alles Nachgrübeln nützt uns nicht."

Eine Schwangerschaft hat in der Regel Leben zur Folge, Krieg dagegen zerstört Leben. Statt die Kriegstreiber, die Verantwortlichen zu benennen, was Hovorka an anderer Stelle sehr wohl tut, sieht er ein Strafgericht Gottes am Werk: "Dieser Krieg ist eine Gottesgeisel, die über die Menschheit hernieder gefahren ist. Wir müssen ihn hinnehmen. Keiner von uns weiß, ob er die Seinen wiedersehen wird, wann er sie wiedersehen wird, ob er in die Heimat zurückkommt und ob er die Heimat überhaupt wiederfindet. Die Menschheit ist von Gott abgefallen und Gott lässt nicht mit sich spielen. Wir haben ein Ereignis über uns heraufbeschworen, über das wir keine Macht mehr haben. Das Einzige, was wir tun können, ist, dass wir es hinnehmen, wie es uns auferlegt ist und dass ein jeder von uns an seinem Platz das Beste tut und gibt, was er tun und geben kann. So ist es besser, nicht nach dem Ende zu fragen, sondern immer nur nach dem Heute und seiner Aufgabe."

Das heißt in letzter Konsequenz, alles hinzunehmen, was auferlegt ist. Hovorka betrachtete bereits seine Internierung in Dachau und Mauthausen als Strafe Gottes für früher begangene Sünden, seinen Abfall vom Glauben. Ganz abgesehen davon, dass ein solcher Gott rachsüchtig und grausam sein müsste, werden bei solcher Betrachtung die übelsten Schergen zu Werkzeugen Gottes. In den Lagern und bei der Wehrmacht wandelte sich der politische zu einem fatalistischen Katholizismus, zur Umdeutung der grausamen Wirklichkeit zum Weltengericht, zum Kampf zwischen Gut und Böse: "Ich glaube an den Sieg des Lichts, der Gerechtigkeit, der Wahrheit, der Schönheit. Gott ist stark. Jetzt treibt er den Teufel vor sich her." Hovorka hat für Marussja und andere gebetet, vertraute darauf, dass auch sie, die ständig von der Liquidierung bedroht waren, beten würden.

Das schützte ihn freilich nicht davor, dass in ihm immer wieder eine unbändige Wut oder ein unsäglicher Hass hochkochte, er vom Gedanken nach Rache und Vergeltung beseelt war: "Bilder tauchen vor mir auf und die Wut steigt in mir auf: Männer und Frauen, junge und alte, hohe und niedrige, werden gequält, gefoltert, grausam zu Tode gebracht." Sein Hass sei zuweilen unerträglich. Vielleicht sei das die einzig mögliche Haltung. Manchmal sei es ihm, als könne er sich in den Rahmen, in den er gezwungen sei, innerlich fügen, als habe er ein tragbares Verhältnis gefunden: "Aber im Grund bleibt doch nur der Hass übrig gegen diese ganze Lebensform, körperlicher Ekel, Abscheu, Verachtung und Verneinung und das allein macht mir vieles noch erträglich. Nur, dass dann manchmal Augenblicke kommen, wo ich etwas zerschlagen möchte, einen gläsernen Kolben, den ich in der Hand halte, zwischen den Fingern zerdrücken, dass mir das Blut hinuntertropft, oder den Erstbesten, der mir in den Weg kommt, auf den Boden schmettern und mit den Füßen seinen Kopf einschlagen." Aber kaum hat er dies notiert, vermeint er "das Sündhafte, das schwer Sündhafte" solcher Gedanken zu erkennen. Nicht an Blut denken! Nicht an Hass. Aber: "Darf man Mit-Leid, Liebe selbst für den Teufel empfinden? Gegen den Teufel und seine Söhne? Ich weiß es nicht und will es nicht untersuchen, ob dies nicht schon eine Regung ist, die in die Nähe der Sünde kommt." All das hatte ihn bereits in Mauthausen beschäftigt, wo sich seine privilegierte Stellung nicht zuletzt dem Umstand verdankte, dass er im SS-Revier "höhere SS-Führer" massierte: "Habe ich nicht die gepflegt, die mich und meine Kameraden quälten? Habe ich nicht alles Nachdenken, alle Erfinderkraft aufgewendet und immer neue Behandlungsmethoden erfunden, um denen zu helfen, um die zu heilen, an deren Händen Blut klebte? Habe ich nicht alle Liebe, die in meinem Herzen war, ausgeschöpft und sie denen dargeboten, von denen ich täglich sah, dass sie Werkzeuge des Teufels waren?"

Die viereinhalb Jahre, die er in Dachau und Mauthausen verbrachte, sollten nicht verloren, nicht vergebens durchlitten sein. Das könnten andere mit ihrem kleinbürgerlichen Hirn nicht verstehen. Sie meinten wohl, am besten sei es, das alles aus dem Gedächtnis zu löschen und sich damit zufrieden zu geben, dass man für sich und die seinen gerade knapp zu essen hat. Er wolle nicht vergessen, denn das müsste er als Verrat an den Leidenden betrachten. Was sich im Herzen Europas zutrage oder zugetragen habe, das dürfe man nicht aus seinem Gedächtnis drängen. Er glaube an den Tag der Vergeltung. Darüber nachzudenken sei jetzt nicht die Zeit: "Aber dass die Gerechtigkeit wieder hergestellt werden muss, das muss Tag für Tag unser Bewusstsein erfüllen. Es muss erst wieder der Boden hergestellt, der Boden erkämpft werden, auf dem Menschen menschlich leben können."

Dabei kommt er wiederholt auf seine Erfahrungen als Sanitäter zu sprechen: "Da liegt z.B. ein Neunzehnjähriger: beide Arme und ein Bein amputiert, Tag und Nacht vor Schmerzen stöhnend. Ein Kind von neunzehn Jahren! Und das ist kein einzelner. [...] Manche wimmern wie Kinder, manche schreien vor Schmerz. Wenn doch all dieses Stöhnen, dieser Schmerz, dieses Blut und dieser Eiter den Verbrechern ununterbrochen vor die Augen träte, die diesen Krieg angezettelt haben. Aber die sind ja gut geschult im Anblick von Schmerzen und Menschenjammer, ich habe das in Dachau und Mauthausen selbst gesehen."

Wenige Wochen nach einem Partisaneneinsatz erhielt er einen Brief einer Angehörigen, die fürchtete, Wien könnte von den Alliierten, diesen "Mordbuben", ähnlich bombardiert werden wie viele deutsche Städte. Hovorka reagierte gereizt. Freilich könne man nicht wissen, "wie weit diese Mordbuben in ihrem Vernichtungsdrang" gehen würden, zumal wichtige Rüstungsbetriebe nach Wien verlegt worden seien. Warum sollten sie gerade diese ruhig weiterarbeiten lassen? "Ja, ja, wir sind in die Hand von ‚Mordbuben' geraten, kein Jahrhundert der Weltgeschichte hat noch so Grauenvolles verbrochen, erlebt und erlitten, wie das unsere. Noch nie hat der Vernichtungsdrang solche Orgien gefeiert, die Verachtung von Menschenglück, Menschenfreiheit, Menschenwürde, von Recht und Gerechtigkeit." Ein halbes Jahr später reagiert er auf die "Empörung" einer guten Bekannten in Wien noch deutlicher: "Ich erinnere mich noch an die Brandschatzungen und Plünderungen, die ich im April sah. An Gott geweihter Stätte. Und an die langsam zu Tode Gequälten in Dachau und Mauthausen und der Ukraine und die ‚Welt' ging darüber zur Tagesordnung über. Und wollte nichts wissen davon."

In den Briefen findet sich eine längere Episode, in der Hovorka seine Bemühungen beschreibt, einen jungen Franzosen, der sich freiwillig zur SS gemeldet hatte, von seinem Entschluss abzubringen. Beim Lesen fragt man sich zwangsläufig, warum er nicht übergelaufen ist. Das konnte er nicht. Er fühlte sich den Bedingungen, denen er seine Entlassung verdankte, verpflichtet, obwohl er weder die Ziele der Wehrmacht und schon gar nicht jene des Hitler-Regimes teilte. Um das zu verstehen, muss man sich in den Häftling des Frühjahrs 1942 hineindenken. Hovorka wollte unbedingt aus Mauthausen freikommen. Wie einem seiner damaligen Briefe zu entnehmen ist, sah er sich unmittelbar gefährdet. Seine Entlassung aus dem "Totenreich" feierte er fortan als zweiten Geburtstag. Dieses zweite Leben verdankte er der SS. Wie in Mauthausen hatte er auch bei der Wehrmacht mit der SS zu tun, da wie dort war sein Leben von seiner Loyalität abhängig. In seinen Briefen erwähnt Hovorka eine Reihe von Mithäftlingen, die wie er in die Wehrmacht entlassen worden waren. Sie alle scheinen sich bei der Wehrmacht als loyal erwiesen zu haben, unter ihnen fromme Leute, auch Priester, manche, die sich vor dem "Anschluss" mutig den Nationalsozialisten entgegengestellt hatten. Aber ihre Loyalität hatten sie bereits in Dachau oder Mauthausen unter Beweis gestellt, waren sie dort doch alle zu Funktionshäftlingen aufgestiegen, was von vornherein eine Kooperation mit der SS zur Voraussetzung hatte.

Vor diesem Hintergrund ist es verständlich, dass Hovorka auf Desertionen ablehnend reagierte, so auch auf die eines "jungen Österreichers", den er als "eidvergessenen Abenteurer" bezeichnet. Wenige Tage später, Ende August 1944, wäre der Krieg für Hovorka beinahe zu Ende gewesen, ausgerechnet bei einem Angriff der Résistance, der er durchaus Sympathie entgegenbrachte, kurz bevor sich seine Einheit fluchtartig aus Lons-le-Saunier zurückzog. Auffallend sein Verhalten während des Angriffs: "Ich legte mich unter das Bett, um nicht gleich entdeckt und niedergeschossen zu werden. Denn die Schüsse fielen so nahe, dass mindestens schon beim Tor des Verwaltungsgebäudes hereingeschossen werden musste. Ich warf die Waffe weit von mir ins Zimmer, denn Widerstand schien ausgeschlossen zu sein. - So lag ich auf dem Bauch unter dem Bett. Die Tür wurde aufgerissen und nach mir gerufen. Ich meldete mich nicht. Auch nicht, als ein zweites Mal mit einer roten Taschenlampe hereingeleuchtet wurde." Als sich die Partisanen, ihr Angriff war wohl schlecht vorbereitet, zurückzogen, kroch Hovorka unter dem Bett hervor, nahm seine Waffe, setzte sich den Stahlhelm auf, verließ vorsichtig das Zimmer und kehrte zum Truppenverbandsplatz zurück, um sich wieder in die ihm zugewiesene Rolle zu fügen. Die erlebte Zerrissenheit macht etwa folgende Eintragung deutlich: "Heute war wieder einmal Waffenzähl-Appell. Wir standen in Reih und Glied. Ich stellte mir vor, wie es wäre, wenn ich jetzt plötzlich jemand niederschießen würde. Mit Macht kam mir dieser Gedanke und ganz lebhaft. Und dann wieder stand ich da, wie einer, der erschossen werden sollte. Es war keine Angst mehr in mir. Nur ein süßes, schmerzliches Gefühl, jetzt alles überwunden zu haben, über alles hinausgewachsen zu sein, Abschied zu nehmen."

Wer wie Hovorka so lange in Konzentrationslagern interniert war, hatte einen diabolischen Lehrplan durchlaufen, Verhaltensformen entwickelt, die auch nach der Entlassung wirksam waren, und dies umso mehr, als ja die Wehrmacht in vielerlei Hinsicht Lagererfahrungen ins Gedächtnis rief. Das macht nicht zuletzt Hovorkas Umgang mit Kameraden oder Vorgesetzten deutlich. Um seine Situation zu verbessern, investierte er systematisch in Kontakte. Das begann bei kleinen Geschenken und Gefälligkeiten und reichte hin bis zur Befriedigung narzisstischer Wünsche. Dabei kam ihm seine Erfahrung als Masseur zustatten. Auch konnte er dank seiner Privatapotheke, in der er etwa Mitigal, Pervitin oder Opium gegen Durchfallerkrankungen bei sich führte, diese oder jene Beschwerden behandeln. Das Vertrauen anderer erwarb er sich nicht zuletzt durch seine Begabung, anderen zuzuhören, von anderen ins Vertrauen gezogen zu werden. Durch "Beweise erhöhter Dienstbereitschaft" suchte er sich die Unterstützung seiner Vorgesetzten zu sichern. So hatte er sich in Mauthausen nicht nur das Wohlwollen des Lagerapothekers erworben. Wie in Dachau und Mauthausen erlebte er sich auch bei der Wehrmacht in einem permanenten Zustand höchster Unsicherheit und Gefährdung. Gelang es ihm, eine bevorzugte Stellung einzunehmen, die ihn vor bestimmten Einsätzen verschonte oder ihm kleine Privilegien gewährte, etwa nicht in einem Massenquartier schlafen zu müssen, dann fürchtete er die Missgunst seiner Kameraden. Höchst sensibel registrierte Hovorka auf kleinste Veränderungen, die seine Position, letztlich seine Sicherheit gefährden konnten. All das hatte er in Mauthausen trainiert. Und wie dort sah er sich bei der Wehrmacht in einer Zwangsgemeinschaft: "Oh, wie ich diese Masse Männer, in der ich das fünfte Jahr schon zu leben gezwungen bin, verabscheue … kein einziger, mit welchem man ohne Maske reden könnte. Sonst alles gute Kerle, aber roh, primitiv, fremd, fremd, fremd." Wiederholt schreibt er, dieser oder jener sei ihm ein "bester Freund". Aber keinem von ihnen erzählte er von seiner Internierung.

Sein Verhältnis zu Vorgesetzten, deren Unterstützung er nicht zuletzt durch "Beweise erhöhter Dienstbereitschaft" zu gewinnen suchte, blieb dabei stets ambivalent. Den "väterlichen Freund" erlebte er schnell als jemanden, der ihn ins Verderben zu stürzen drohte. Seinen "Chef", "ein Fall für Gugging, aber allen Ernstes", muss er sehr gefürchtet haben. Saß dieser im Offizierskasino, so mied Hovorka die Küche, um nicht von ihm überrascht zu werden. Wurde er zum "Chef" zitiert, hatte dies Panikgefühle zur Folge. Dabei dachte dieser vielleicht nur an einen "weltanschaulichen" Vortrag. Es entbehrt nicht einer gewissen Ironie, dass Hovorka, der wegen des von ihm herausgegebenen Buches "Zwischenspiel Hitler" interniert worden war, weltanschauliche Vorträge vor Offizieren, unter ihnen auch SS-Angehörige, zu halten hatte: "Wofür kämpfen wir?" oder "Weltanschauung des Nationalsozialismus". Sich dieser Absurdität nur zu bewusst, übte er sich in Doppeldeutigkeiten oder Übertreibungen. Gleichzeitig, und das ist nur auf den ersten Blick ein Widerspruch, fühlte er sich geehrt, lobte der Chef seinen Vortrag: "Er, der nie lobt, immer nur auszusetzen, zu nörgeln und zu tadeln versteht: aus NS-Grundsätzen, um damit die Leute anzuspornen." An anderer Stelle schreibt er, er fühle sich zu ihm hingezogen, auch bilde er sich ein, dass der so Gefürchtete ihm nicht übel gesinnt sei. Der "Chef", Hovorka erwähnt nie seinen Namen, auch nicht seine SS-Zugehörigkeit, konnte mittlerweile identifiziert werden. Es handelte sich um den SS-Oberführer Dr. Walter Lichtschlag.

In Dachau und Mauthausen konnte Hovorka mit manchen Mithäftlingen offen sprechen. Trotz der extremen Konkurrenz erlebte er in den Lagern so etwas wie Kameradschaft: "Nun, ich will nicht leugnen, dass ich in Mauthausen einige Male in unmittelbarer Lebensgefahr war. Das eine Mal, als eine Alkoholsache hoch ging, bei der ich, der ich damals in völlig ausgehungertem Zustand ins Revier kam, Alkohol gegen Wurst, Brot und Suppe eintauschte. Wenn damals der Wiesbauer Ederl, als er gemartert wurde, meinen Namen als Bezugsquelle genannt hätte, wäre ich wahrscheinlich mit dem Leben nicht davongekommen. Schlimmer war es bei einer anderen gleichen Angelegenheit, bei der es zwei Tote gab; auch damals haben die Kameraden geschwiegen, insbesondere jener Hamburger Zimmerälteste mit dem dicken Kopf, der die Sache überlebte, und der Blockschreiber, bei dessen Obduktion ich Protokoll führte! Am schlimmsten aber war es, als die Sache mit der Häftlingskammer hochging. Ich war auch irgendwie damit verwickelt, weil ich mir durch die Vermittlung von Paur wissenschaftliche medizinische Bücher angeschafft und auf dessen illegales Konto von Maria für diesen Zweck Geld einzahlen gelassen hatte. Paur ist vor meinen Augen im elektrischen Draht gehangen und hat schließlich sein Leben gelassen. Ich habe von Viertelstunde zu Viertelstunde einen grausamen Tod erwartet und tagelang um mein Leben gebangt. Ein Wunder hat mich gerettet."

Sieben lange, schwere Jahre habe er darauf gewartet, in den verzweifeltsten Lagen niemals daran zweifelnd, dass er sicher kommen würde, "dieser Tag, auf den all meine Hoffnungen aufgebaut waren, um dessen Heraufkommen ich betete, nicht nur meinetwillen, sondern um der Heimat willen, um der ganzen Menschheit willen, um der ganzen Menschlichkeit willen - in das Geschehen doch auch wieder, innerlich und äußerlich, verstrickt, da das Schicksal der Menschheit mir als mein Schicksal erschien und mein persönliches Schicksal als das der gesamten Humanität, dieser große Tag, alle die unzählbaren und doch einzeln durchlittenen Stunden herbeigesehnt, damit die erdrückende Last endloser Jahre aufgewogen würde." Die Nachricht von Hitlers Tod hörte Hovorka im englischen Nachrichtendienst. Er hörte Dönitz sagen: "Unser Führer Adolf Hitler ist gefallen." Und nun das Erstaunliche: Er nahm die Nachricht ohne jede Erregung, ohne innere Rührung zur Kenntnis.

In amerikanischer Kriegsgefangenschaft registrierte er die bessere Verpflegung, einen anderen Umgang mit Gefangenen: "Alles sauber in Dosen verpackt, z.B. etwas mehr als ein Esslöffel Frühstücksmarmelade in einer winzigen Blechdose. So der fette Schinken, Speck, Schinken mit Ei, gut gewürztes Konservenfleisch, Schokolade, Milchkaffee, nur in Wasser aufzulösen, Zucker, Erfrischungsgetränke, Kaugummi, verschiedene Kekse usw. Aber nur ein Drittel der Tagesration für den amerikanischen Soldaten. [...] Auf der Wiese wurde Fußball gespielt; Amerikaner schauten interessiert zu. Sie benahmen sich überhaupt überaus gesittet und ich musste lächelnd denken an die SS in Dachau und Mauthausen, wie die sich den Gefangenen gegenüber benommen hatten." Wie früher hörte er sich Ehe- und Liebesprobleme seiner Kameraden an, während sich diese, nun Mitgefangene, seine KZ-Erlebnisse erzählen ließen: "Und ich tue es gern, um zu sehen, wie ich das alles erzählen und darstellen kann, ob es Interesse weckt und wie ich eine solche Darstellung gestalten müsste." Damals dachte Hovorka daran, ein Buch über Mauthausen zu schreiben, aber er verwarf diesen Gedanken gleich, hätte dies doch bedeutet, sich mit dem zu beschäftigen, was der Mensch an "Satanischem" in sich herumträgt. Die "moralische Lage" in Mauthausen war eben nicht so klar, verdankte sich das eigene Überleben doch entscheidend der Kooperation mit der SS.

Offiziere und Ärzte des Lazaretts, unter ihnen SS- oder Parteimitglieder, kamen, um sich von ihm zu verabschieden. Der Krieg war vorbei, sie hatten nun andere Nöte, suchten Kontakte. Hovorka gab ihnen Adressen in Wien und anderen Städten. Ärzte dachten an die Praxis, die sie da oder dort eröffnen wollten, an Bestände des Lazaretts für deren Einrichtung. Die Laboratoriumskiste mit dem Mikroskop, die Hovorka aufgebaut und in all den Jahren mit sich herumgeschleppt hatte, wurde ihm von zwei Feldunterärzten weggenommen: "Ich war aber schließlich trotz meines großen Ärgers froh darüber: ich habe damit von der Deutschen Wehrmacht, einem integrierenden Bestandteil des dritten Reiches, nichts geschenkt erhalten, nichts, nicht das Geringste. Das Dritte Reich hat mir nur Schaden zugefügt!"

Ende Juni 1945, inzwischen aus der amerikanischen Kriegsgefangenschaft entlassen, befand sich Hovorka in Traunkirchen im Haus eines Freundes. Er machte sich Gedanken über das Verhältnis zu den Siegermächten und schrieb eine kluge demokratiepolitische Abhandlung. Er rechnete mit den österreichischen politischen Eliten der 1930er Jahre ab, ging hart ins Gericht mit den Christlichsozialen, denen er damals nahegestanden hatte. Er fragte sich nach seiner Mitschuld. Ja, er habe gegen den Nationalsozialismus gekämpft, aber wohl nicht mit den richtigen Mitteln, nicht mit der Aufbietung der letzten Kräfte und Reserven. Er habe nichts gesagt gegen den Vertrag vom 11. Juli 1936, also das Juliabkommen, welcher der nationalsozialistischen Propaganda Tür und Tor geöffnet habe, da er von einer Regierung abgeschlossen worden war, der er sich verpflichtet gefühlt habe. Er habe auch nichts Wirksames getan gegen die Zerstörung der Demokratie in Österreich, was es unmöglich gemacht habe, gerade mit jenen Staaten zu kooperieren, mit denen gemeinsam auch einem kriegerischen Überfall die Stirn geboten werden hätte können. Wie hätte es zu einem Bündnis mit der Tschechoslowakei, mit Frankreich kommen können, wo doch Österreich immer faschistischer geworden sei. So habe er das Abschlachten der kleineren mitteleuropäischen Staaten mitverschuldet. Nein, er könne und wolle sich nicht von Schuld freisprechen. Als katholischer Publizist hätte er es ohne weiteres riskieren können, sich von einer katholischen Regierung in ein Anhaltelager stecken zu lassen.

Hovorka unterhielt sich mit Leuten, die noch vor kurzem vom "deutschen Sieg" überzeugt gewesen waren, nun aber nicht mehr an die Vergangenheit erinnert werden wollten: "Auch das ist typisch für diese Menschen. Dieses zerhackte Denken, dieses unvollständige Gedächtnis, dieses sowohl als auch. [...] Dass sie mit mir sprechen wollen, hat wohl sicherlich auch seinen guten Grund. Es war schon spät geworden, ein Uhr vorüber; ich hatte mich leider verführen lassen, auch vom Lager einiges zu erzählen. Mit merklicher Erleichterung nahmen sie meine Weigerung zur Kenntnis, mich von ihnen zum Nachtmahl einladen zu lassen. Ich schützte die späte Stunde vor; die normale Abendbrotzeit war natürlich lange vorüber. Beim Abschied sagten sie mir: ‚Es war sehr interessant, so viel von der Vergangenheit zu sprechen. Wir müssen noch einmal zusammenkommen, um uns über die Zukunft zu unterhalten.' - Was will man mit solchen Leuten von der Zukunft sprechen!"

In Traunkirchen wurde er Zeuge einer für ihn bemerkenswerten Szene. Von amerikanischen Soldaten eskortiert, marschierte an ihm ein Zug Uniformierter vorbei: "Schon ihr Gesichtsausdruck zeigt es - oh wie wohlbekannt sind sie mir, wie charakteristisch erscheinen doch diese Gesichter - und bei einzelnen bestätigen es die Abzeichen auf den Spiegeln. Ich schaue genau hin, die meisten haben es abgetrennt, aber man merkt es auch am Schnitte des Kragens: es ist das der SS. Es sind SS-Angehörige, Männer, Unterführer und Führer, hoher und niederer Dienstgrad. Wohin werden sie geführt? Nach Ebensee, 4 km von Traunkirchen entfernt, wo ein großes Zweiglager von Mauthausen bestand; am Schluss sollen über 20.000 Häftlinge dort untergebracht gewesen sein. Ich suche nach bekannten Gesichtern; aber ich erkenne niemand. Nur bei den meisten dieser typische Gesichtsschnitt, der das Gesicht prägt, ob es dick oder dünn, rund oder länglich ist."

Hovorka suchte den Übergang in das zivile Leben. Er schrieb Briefe, besuchte Bekannte. All diese Begegnungen endeten für ihn enttäuschend. Er traf sich mit einem Pfarrer, einem ehemaligen Mithäftling in Mauthausen. Die beiden tauschten Erinnerungen aus, Nachrichten von ehemaligen KZlern: "Er wird ein braver Beamter sein, pünktlich seine Messe lesen, sein Brevier beten und seine pfarramtlichen Funktionen ausüben. Im Übrigen wird er sich an seiner Hauswirtschaft erfreuen, gut essen und trinken und in wenigen Jahren ein dickes rundliches Pfäfflein sein, das den Herrgott einen guten Mann sein lässt. Jetzt ist er in sein Format und seine Pfarre noch nicht ganz hineingewachsen, aber er wird es bald geschafft haben. Warum die Nationalsozialisten solche Leute mit Gewalt zu Märtyrern machen wollten, die doch gar kein Zeug dazu hatten?"

Ausgerechnet bei einem Mithäftling, mit dem er in Dachau sehr befreundet gewesen war, musste er die Erfahrung machen, dass sich solche Freundschaften nur bedingt in das zivile Leben übertragen ließen, trotz der Herzlichkeit, mit der er aufgenommen wurde. Hovorka, der den Kameraden aus Dachau als übervorsichtigen, überängstlichen, von allen Hunden gehetzten, nach allen Seiten ausspähenden, nervösen, sich duckenden, dünnen kleinen Kerl in Erinnerung hatte, erlebte ihn nun als Haustyrannen, der herrisch, unerbittlich und scharf agierte und keinen Einwand duldete. Dachau lag lange zurück. Die beiden waren sich fremd geworden: "So ausgezeichnet wir uns sprechen und verstehen, von mir aus ist es kein Verkehr von Herz zu Herz, sondern eine genaue Beobachtung des anderen, ein genaues Berechnen seines Charakters, eine kalte und beinahe boshafte Belauerung. Mein Herz ist von ihm nicht angesprochen. Ich bewahre ihm gegenüber Haltung, ich öffne mich ihm nicht."

Hovorka musste an sich eine merkwürdige Reizbarkeit feststellen. Er betrachtete diese als Folge einer Fehlentwicklung seiner Gedankenwelt wie auch seines Charakters, einer falschen Einstellung der Umwelt gegenüber. All das würde ihm den Umgang mit Menschen erschweren, ihn belasten und ihm hinderlich sein bei der Durchsetzung seiner Absichten. Diese falsche innere Haltung sei wohl aus all den Erlebnissen zu erklären, die er in den vergangenen sieben Jahren zu bestehen gehabt hätte. Es sei eine Krise des Übergangs zum normalen, gesunden persönlichen und sozialen Leben. Um dieser Reizbarkeit Herr zu werden und wieder zu einer ausgeglichenen Haltung zu finden, suchte er die Begegnung mit Menschen, nahm selbst beschwerliche Reisen auf sich, ging auf Ämter, auch um Anliegen anderer zu vertreten.

"Also, es kommt vor, dass ich einen völlig fremden Menschen vor mir habe, einen Mann, den ich gar nicht kenne. Er geht vor mir, er beachtet mich nicht, er kümmert sich nicht um mich, er hat nichts mit dem zu tun, er geht einfach seines Weges wie ich des meinen. Und doch ist etwas in seinem Gang, das mich stört. Etwas irritiert mich an seinem Gang. Sein Gang hat etwas Beleidigendes für mich. Ich ärgere mich über seinen Gang und ich möchte am liebsten, dass er von der Erde verschlungen würde. Aber solche Einfälle sind verhältnismäßig selten, sie dringen auch nicht tief und sind so schnell vergessen, wie sie kommen. Ernst zu nehmen ist es schon, wenn jemand ein ungehöriges oder ungezogenes Benehmen an den Tag legt. Was geht mich dieser Mensch an, der da in der Nase bohrt; öffentlich gähnt, als würde er sofort die Maulsperre bekommen; auf der Straße so unvernünftig spaziert, dass die Autos ihre Fahrt verlangsamen müssen, um ihn nicht niederzuführen? Was geht er mich an? Und doch ärgere ich mich über ihn. Es ist beinahe noch etwas mehr als Ärger. Denn nicht wahr, man freut sich, wenn man einen Reiter elegant auf seinem Pferd über das Gelände dahinfliegen sieht; alles Schöne freut einen, ein schönes Mädchen, ein liebliches Kind, der weltentrückte Schimmer auf einem Greisen-Antlitz, das Mondlicht, das über sie rieselt, eine gut modellierte heilige Figur auf einem Altar, die Wucht eines Gebirgsstockes. Aber man freut sich nicht über den Staub auf der Landstraße, über den Gestank einer Jauchengrube. Da ärgert man sich schon eher, wenn man seine Gefühlsreaktionen nicht in der Hand hat, und schaut davonzukommen. Aber alles das ist normal. Aber bei mir kommt etwas noch hinzu. Wenn irgendwo ein Unterrock nachlässig hervorschaut, wenn einer laut rülpst, wenn einer gar seinem Nachbarn blödsinniges Zeug vorschwätzt, dann fühle ich mich geradezu persönlich verletzt.
Schlimmer ist es, wenn ich selbst daran beteiligt bin. - Da stehe ich z.B. vor einem Schalter in irgendeiner gleichgültigen Angelegenheit. Vor mir warten einige Leute auf ihre Abfertigung. Wenn alles glatt geht, komme ich dann und dann dran. Es geht aber viel langsamer, als es sein müsste. Die Beraterin ist noch nicht gut eingearbeitet, die Leute sind furchtbar ungeduldig, es kostet viel mehr Worte und Zeit, als nötig wäre. Und ich muss warten. Wie komme ich dazu, meine kostbare Zeit zu verlieren, weil diese Leute so ungeschickt sind! Jetzt läutet gar das Telefon, vom Dienstlichen gleitet das Gespräch ins Persönliche, da wird geschwätzt und geschwätzt: ich aber muss warten und warten. Ist es nicht schon viel, wenn ich bereit bin, Geduld zu üben, bis alle vor mir abgefertigt sind? Was für eine Zumutung, das endlose Privatgespräch abzuwarten! Eigentlich sollte ich ja überhaupt sofort vorgenommen werden, ich, der ich das und das hinter mir habe! Wenn ich dann endlich an die Reihe komme, dann bin ich vor Ärger geradezu schüchtern und befangen. Und ärgere mich jetzt erst recht, über mich, über die Leute, über den Lauf der Welt."

Wie er sich während seiner Wehrmachtszeit über die Sinnlosigkeit und das Grauen hinweghalf, indem er das Reale gleichsam als unwirklich, als Theater wahrnahm, so erlebte er sich auch jetzt wieder gleichsam in einem Theater: "Das ständige Zusammensein mit fremden Menschen, auch wenn mich die kleinkarierten Eitelkeiten ebenso belustigen und amüsieren wie die im Grunde lächerliche Komödie auf dem Welttheater, die von den gleichen unzulänglichen Menschen aufgeführt wird, dieses ständige Zusammensein mit fremden Menschen, die mir völlig gleichgültig sind und mir vorkommen wie die Puppen eines Marionettentheaters, deren Drähte etwas zu sichtbar sind: das alles habe ich satt. Mein Herz möchte sprechen und muss doch stumm bleiben."

Wenige Tage später schreibt er: "Ach, manchmal denke ich mir, es wäre das Beste, bald zu sterben und zu Gott einzugehen. Ich habe eine junge Frau und bin ein alter Mann geworden." Hovorka fühlte sich krank. Schwer lasteten die sieben Jahre auf ihm. Nachts wachte er mit heftigen Schmerzen über der linken Brustseite auf. Es war ihm, als würde er erdrückt. Dabei habe er noch nie ernsthaft mit der Lunge oder mit dem Herz etwas zu tun gehabt. Er musste an das Herzasthma seines Vaters denken, an Beklemmungs-, Angst- und Vernichtungsgefühle, an dessen Tod: "Es gilt Abschied zu nehmen. [...] Du tust mir leid, Maria. So lange hast Du auf mich gewartet und dann bekommst Du einen Mann zurück, der vom Tod gezeichnet ist. Wie kann ich das an Dir gut machen? Ich hätte mir doch so sehr gewünscht, Dich ganz froh und glücklich zu sehen."

Wieder in Wien, trat Hovorka der KPÖ bei, obwohl er es als Widerspruch betrachtete, "als Christ eine Politik aus dem Glauben ausgerechnet auf dem Boden der kommunistischen Partei" zu betreiben. Ausschlaggebend für diese Entscheidung war wohl der Umstand, dass ehemalige Nationalsozialisten in der ÖVP wieder willkommen waren. Den Kommunisten rechnete er es sehr hoch an, dass sie als einzige den "Anschluss" stets abgelehnt hatten. Bei der KPÖ wurde er Bildungsreferent. Auch arbeitete er für die VOLKSSTIMME. In diese Zeit fällt seine Schrift "Der Kampf um die geistige Wiedergeburt Österreichs". Seine Mitgliedschaft in der KPÖ dürfte allerdings von Beginn an konfliktreich gewesen sein, erwähnt er doch bereits im Juli 1946 ein "vor einem Parteigericht schwebendes Verfahren." Nach dem päpstlichen Dekret vom 1. Juli 1949, das Angehörige kommunistischer Parteien mit Exkommunikation belegte, kam es nach einer Stellungnahme Hovorkas in der FURCHE zu einem offenen Briefwechsel zwischen ihm und Friedrich Funder, den er fünf Jahre zuvor noch als einen der vielen "Totengräber der Unabhängigkeit" betrachtet hatte. In der Folge wurde ihm klar, dass die KPÖ doch nicht die richtige Partei für ihn war. Die KPÖ kam 1950 seinem Parteiaustritt mit einem Ausschluss zuvor. In den nächsten drei Jahren war Hovorka arbeitslos. Er versuchte eine Neuherausgabe der BERICHTE, allerdings ohne damit Erfolg zu haben. Ab 1955 arbeitete er für den ÖAAB, war Chefredakteur, später Herausgeber der Wochenzeitung "Freiheit". Hovorka starb 1966. Er ist weitgehend in Vergessenheit geraten. Dabei würde sich die Beschäftigung mit ihm lohnen. Und zwar nicht der Vergangenheit, sondern der Gegenwart wegen.

© Bernhard Kathan, 2016


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