Frühe Gebärmaschinen
|
Die Porträtsammlung in Schloss Ambras ist beeindruckend. Es lohnt sich,
diese Sammlung immer wieder anzuschauen. Sie lässt sich auf ganz
unterschiedliche Weise betrachten. Mehr als 200 Porträts der Habsburger wie
verwandter oder verschwägerter Herrscherhäuser, unter anderem Werke von
Lukas Cranach, Tizian, van Dyck und Velázquez sind hier zu sehen. Sie
umfassen den Zeitraum vom 14. bis 19. Jahrhundert. Es ist beeindruckend,
drei Stockwerke durch Räume zu gehen, in denen ein Porträt neben dem anderen
hängt. Eine außergewöhnliche Sammlung, mögen heute auch die wenigsten etwas
mit den Habsburgern anzufangen wissen. Da hier so viele Porträts
nebeneinander hängen, eignet sich die Galerie wie kaum eine andere zu einer
vergleichenden Betrachtung. Allerdings ist man gut beraten, sich während
eines Besuches auf eine einzige Frage zu beschränken, sich etwa nur mit
Hunden und Hündchen, mit der Kleidung, der Haartracht, mit Posen oder
Blickrichtungen zu beschäftigen. Während meiner letzten Besuche dienten mir
Darstellungen von weiblichen Händen als roter Faden. Frauen im
heiratsfähigen Alter werden auffallend oft mit einem Tuch oder einem Buch
abgebildet. Halten sie das Buch in der linken Hand, so verweist dies auf
Paarungs- bzw. Empfängnisbereitschaft. Hört sich seltsamer an, als es ist.
Da Heiraten des Hochadels mit persönlichen Zuneigungen nichts, mit
Heiratspolitik sehr viel zu tun hatten, wurde dem potentiellen Gemahl, oft
lange vor der ersten Begegnung, ein Porträt geschickt. Allgemein konnten
solche Heiraten dem Zweck dienen, die Beendigung eines Konfliktes zu
besiegeln, einen Vertragsabschluss zu bekräftigen, Territorien oder
Rechtsansprüche zu erwerben. Manche dieser Heiraten waren mit einer
beträchtlichen Mitgift verknüpft, welche die Braut in die Ehe einbrachte.
Die Heirat der Erzherzogin Margarete (1584 – 1611) mit dem spanischen König
Philipp III. war bereits früh Verhandlungsgegenstand. Margarete war zwölf
Jahre alt, als sich der Admiral von Aragonien in Graz Porträts von Margarete
und ihren Schwestern aushändigen ließ. Will man der Geschichte glauben, so
entschied sich Philipp beim Betrachten der Porträts für Margarete. Er sah
sich darin bestätigt, als er bei einer blinden Mischung der Porträts jenes
der Margarete zog. Philipps Vater entschied sich, aus welchen Gründen auch
immer, für die älteste der Schwestern. Nach deren frühem Tod hatte Margarete
ihren Platz einzunehmen. Die Einwilligung in diese Verbindung soll ihr
schwer gefallen sein. 1599 heiratete sie in Valencia Philipp III., der ein
Jahr zuvor den spanischen Thron bestiegen hatte. Um sicher zu gehen, wurde
die Eheschließung bereits während ihrer Reise nach Spanien, welche die
fünfzehnjährige Margarete in Begleitung ihrer Mutter unternahm, per procura
durch Papst Clemens VIII. in Ferrara vollzogen. Ein hochrangiger Begleiter
vertrat den abwesenden Bräutigam. Die Mitgift betrug 100.000 Dukaten.
Margaretes Tochter Anna war gerade einmal vierzehn Jahre alt, als sie mit
dem französischen König Ludwig XIII. vermählt wurde.
Da Nachkommen von größter Bedeutung waren, musste auf dem Bild mitgeteilt
werden, dass sich die Erzherzogin oder Prinzessin im paarungsbereiten Alter
befand. Dies konnte etwa mit Hilfe des Zeigefingers der linken Hand, der in
einem zugeklappten Buch steckt, geschehen. Man muss psychoanalytisch nicht
besonders geschult sein, um das zugeklappte Buch als weibliches Geschlecht
zu deuten. Das gilt auch für Tüchlein, die zumeist in der Linken gehalten
werden. Sie verweisen auf den Schmutz, der mit dem Weiblichen assoziiert
wird. Ein zugeklapptes Buch symbolisiert Jungfräulichkeit, ein zugeklapptes
Buch, in dem der Zeigefinger der linken Hand steckt, das zu öffnende
Geschlecht. Das Buch kennt natürlich eine Vielzahl von symbolischen
Bedeutungen. Auf Porträtaufnahmen, die um 1900 von jungen Frauen gemacht
worden sind, kann das Buch auf Bildung oder bürgerliche Herkunft verweisen.
Auf manchen Gemälden kann einem Buch die Funktion zukommen, den Blick der
abgebildeten Frau zu binden, sie dem Betrachter des Bildes preiszugeben. In
der höfischen Porträtmalerei ist das jedoch nicht von Bedeutung. Da kommen
dem Buch bezeichnende Funktionen zu. Überblicksmäßig lässt sich sagen, dass
wir es zumeist mit dem Zeigefinger der linken Hand zu tun haben, der in
einem geschlossenen Buch steckt. Die linke Hand gilt als passiv. Paarungs-
und Empfängnisbereitschaft lässt sich nur mit der linken Hand symbolisieren.
Simple symbolische Deutungen liegen mir fern. Aber als Kulturhistoriker, im
Betrachten von Bildern geübt, fallen einem Wiederholungen und Muster auf.
Steckt der Zeigefinger der rechten Hand in einem geschlossenen Buch, dann
haben wir es zumeist mit älteren Frauen zu tun. Auch diesbezüglich findet
sich in der Porträtgalerie ein Beispiel. Es zeigt die Erzherzogin Margaretha
von Österreich (1567-1633) als Nonne. 1580 sollte sie nach dem Tod ihrer
Schwester Anna den vierzig Jahre älteren Philipp II. heiraten. Sie zog es
vor, in ein Kloster einzutreten. Das Buch ist hier von der linken in die
rechte Hand gewandert.
Es gibt auch Porträts, die ältere, verheiratete Frauen, manchmal auch ältere
Männer zeigen, deren linker Zeigefinger in einem zugeklappten Buch steckt.
Betrachtet man solche Porträts aber genauer, dann fällt auf, dass wir es mit
einer völlig anderen Gestik zu tun haben. So können die Hände über kreuz
liegen, kann das Buch vor der Brust gehalten werden. Keine Sekunde kommt man
bei solchen Abbildungen auf die Idee, Hand, Finger und Buch mit
Geschlechtlichkeit zu assoziieren.
Dem Museumsbesucher sei empfohlen, sich das Entstehungsjahr wie das Alter
der abgebildeten Frauen oder Mädchen klar zu machen. Es sei ihm empfohlen,
Zeichen und Gesten, etwa jene der Hand, genauer zu betrachten. Macht man
dies, so wird einem nur allzu schnell bewusst, dass in solchen Porträts
alles seine symbolische Ordnung hat. Wer auf diese Weise durch die
Porträtgalerie geht, wird nicht so rasch ermüden. Man bemühe sich nicht,
sich auch nur etwas zu merken, was auf den Objektlegenden zu lesen ist.
Entscheidender ist, dass die Gemälde sich wechselseitig kommentieren. Man
betrachte mit einer Art „gleichschwebender Aufmerksamkeit“, also jener
Haltung, die Freud für die psychoanalytische Arbeit empfohlen hat. Macht man
dies, bleibt man nicht am Symbolischen hängen, auch nicht an linken
Zeigefingern, die in einem Buch stecken. Statt dessen beginnt man sich nach
der Funktion eines Porträts oder nach der Geschichte der abgebildeten jungen
Frauen zu fragen.
Heiraten von Adelstöchtern, mochten sie auch mit großem Pomp gefeiert
werden, versprachen diesen wenig Glück. Über ihr Leben wurde entschieden. Im
Wesentlichen kam ihnen die Funktion von Gebärmaschinen zu. Man denke etwa an
Margarita Teresa (1651 – 1673), Tochter des spanischen Königs Philipp IV.,
erste Gemahlin Kaiser Leopolds I. Die Verbindung der beiden war lange
geplant, weshalb der Madrider Hof drei Gemälde von Diego Velázquez
anfertigen und nach Wien schicken ließ. Diese zeigen die Infantin im Alter
von drei, fünf und acht Jahren. Der Heirat mit Leopold, dessen Nichte und
Cousine sie war, gingen lange Eheverhandlungen voraus. 1666 traf Margarita
Teresa fünfzehnjährig in Wien ein, wo die Hochzeit mit großem Prunk gefeiert
wurde. Sie nannte ihren Gemahl „Onkel“. Er sagte „Gretl“ zu ihr. Sechs Jahre
später starb Margarita Teresa, geschwächt von vielen Schwangerschaften, kurz
nach der Geburt ihres sechsten Kindes, darunter zwei Fehlgeburten, im Alter
von 21 Jahren.
Wir bewundern die Porträts, welche Diego Velázquez von ihr gemalt hat. Sie
vermitteln uns einen Hauch historischer wie höfischer Exotik. Beschäftigt
man sich nur ein wenig mit dem Leben der dargestellten jungen Frauen, dann
betrachtet man diese völlig anders. Es liegt mir fern, heutige Begriffe wie
„Kinderhandel“ oder „Zwangsehe“ auf vergangene Jahrhunderte anzuwenden. Wohl
aber lohnt es sich, etwa darüber nachzudenken, was in diesen Mädchen oder
jungen Frauen vor sich ging, als sie, oft genug von den besten Künstlern
ihrer Zeit, porträtiert wurden. Sie hatten sich in vorgegebene Positionen zu
fügen, in Regeln, in die sie von Kind an sozialisiert wurden. Später erzogen
sie ihre Kinder nicht viel anders, obwohl sie nur zu gut wussten, was es
bedeutet, an einen völlig anderen Hof verheiratet, womöglich als junges
Mädchen die Gemahlin eines alten, herrschsüchtigen oder hässlichen Mannes zu
werden. Es wurde über sie verfügt. Man stelle sich vor, was in einem Mädchen
vorging, welches den ehelichen Akt, mochte er auch nur symbolisch sein, mit
einem fremden Mann in Anwesenheit Dritter zu vollziehen hatte. Maria von
Ungarn (1505-1558), die bereits in ihrem ersten Lebensjahr mit einem damals
noch gar nicht geborenen Thronfolger verlobt wurde, schrieb später
anlässlich einer solchen Heirat an ihren Bruder, den damaligen Kaiser Karl
V.: „Es ist widernatürlich und gegen Gottes heiliges Gesetz, ein kleines
Mädchen, weit davon entfernt, eine Frau zu sein, zu verheiraten und, solange
sie selbst noch ein Kind ist, den Gefahren des Kindbetts preiszugeben.“ Karl
V. ließ sich nicht umstimmen. Das erst elf Jahre alte Mädchen hatte einen
halbseitig gelähmten und wesentlich älteren Mann zu heiraten. Und schrieb
einmal eine der so verheirateten Töchter: „Ich bin die verlassenste und
unglücklichste Frau der Welt“, so erhielt sie statt eines Trostes nur den
Ratschlag, sich um einen Thronerben zu bemühen.
|