AUF DEM HELDENPLATZ


Es begann eben zu dämmern, als das Luftschiff über dem 1. Bezirk in Wien stand.

„Wo landen?“, fragte sich OPA. Er schaute hinunter. In den Parkanlagen war es wegen der vielen Bäume unmöglich zu landen. Zuerst hatte er an den Augarten gedacht. Da warst du schon. Das ist jener Park, in dem du mit Oma abends einmal eingesperrt wurdest und du Stecken gesammelt hast, um Oma vor den wilden Tieren zu schützen. Da es nicht möglich war, im Augarten zu landen, blieb nur der Heldenplatz. Das gefiel OPA: „Helden haben auch wir an Bord. Was haben wir nicht alles erlebt. Das soll uns einer einmal nachmachen. Ich habe den OFEN gebaut. Dann hat der OFEN im Safarishop die Regale umgestoßen. Wir mussten flüchten. Wir waren auf Tigerjagd, haben PROSPERO gefangen, wir haben die Ruinenstadt entdeckt. Wir haben, wir haben ... Uns verdankt sich der erste ganz erhalten gebliebene Dinosaurier. Es waren die Kinder. DAVID, die OTTER, DIE EIGENTLICH SUSI HEISST, und SALIMBO. Das sind die wahren Helden ...“

Für das Luftschiff, seine Länge betrug 260 Meter, war der Heldenplatz sehr knapp bemessen. Aber OPA dachte, es wird sich schon ausgehen. Mehrfach musste er das Luftschiff vorsichtig ausrichten, damit es nicht gegen die Hofburg klatschte. Und dann gab es auf dem Platz noch eine Reiterstatue. Ich weiß nicht mehr, wer auf dem Pferd saß, aber es könnte Erzherzog Franz Ferdinand gewesen sein. Aber das ist nicht so wichtig, auch war das OPA völlig gleichgültig. Er dachte nur, das wird auch so ein Einfaltspinsel gewesen sein. Einfaltspinsel, das Wort setzt sich zusammen aus Einfalt, also einfältig, dumm und Pinsel. Wie du weißt, brauche ich beim Rasieren keinen Pinsel. Früher, als es noch keine Spraydosen gab und man den Schaum aus Seife machen musste, ging es nicht ohne Pinsel. Nur nebenbei: Solche Pinsel wurden aus Haaren von Hirschen und Gemsen hergestellt. Aus den Haaren von Hunden oder Katzen hätten sie sich nicht machen lassen. OPA dachte nur, und da wären wir wieder bei der Reiterstatue auf dem Heldenplatz, ganz gleich, welcher Einfaltspinsel auf dem Pferd sitze, es sei keine besonders gute Idee gewesen, so etwas mitten auf einen Platz zu stellen. Aber damals gab es noch keine Luftschiffe. Warum hätten die Leute daran denken sollen.

Auf dem Platz waren nur wenige Fußgänger zu sehen. Manche gingen zur Arbeit, aber es ist auch denkbar, dass einige von ihnen während der Nacht gearbeitet hatten und nun nach Hause gingen, um sich schlafen zu legen.
Kindergärtnerinnen zum Beispiel arbeiten nur während des Tages. Warum sollten sie in der Nacht arbeiten? Während der Nacht schlafen die Kinder zu Hause und im Kindergarten ist nicht ein einziger Mensch. Gehen die Kinder nach Hause, dann gehen auch die Kindergärtnerinnen nach Hause. Die letzte von ihnen zieht die Tür hinter sich zu und sperrt ab. Anders ist es mit Krankenschwestern. Kranke Menschen, die im Krankenhaus liegen, kann man abends nicht nach Hause schicken. Dann kann es vorkommen, dass jemand mitten in der Nacht Bauchweh kriegt und ins Krankenhaus muss. Oder ein Radfahrer fährt, obwohl es schon ganz dunkel ist, ohne Licht. Er fährt gegen eine Mauer, die er nicht gesehen hat, stürzt und bricht sich ein Bein. Auch er muss ins Krankenhaus. Deshalb braucht es in der Nacht Krankenschwestern. Oma hat als Krankenschwester oft in der Nacht arbeiten müssen. Und wenn sie dann in der Früh nach hause kam, war sie immer ganz müde und musste den ganzen Tag schlafen, obwohl es draußen ganz hell war und die Sonne schien. Als sich das Luftschiff über den Fußgängern, die auf dem Heldenplatz zu sehen waren, bewegte, liefen sie alle auseinander, nicht anders als Hühner, sehen sie über sich einen Bussard oder einen anderen Raubvogel. Und was machen dann die Hühner. Sie laufen in einen Stall oder suchen Schutz unter einem Baum. So war es auch hier. Manche der Fußgänger drückten sich an die Mauer der Hofburg. Wenn du in Wien bist, musst du dir den Platz unbedingt einmal anschauen. Dann kannst du es dir ganz genau vorstellen, wie schwierig es war, gerade hier zu landen. OPA war entsprechend stolz, als es ihm gelungen war, ohne an der Statue des Erzherzog Franz Ferdinand oder eines anderen Einfaltspinsels anzustoßen, ohne die Mauern der Hofburg zu berühren. Es wäre nicht nötig gewesen. Aber aus Trotz ließ OPA die Anker ausfahren, die sich durch den Asphalt tief in den Boden trieben.
OMA: „Die Löcher wird man dir in Rechnung stellen. Schon allein deshalb, weil es der Heldenplatz ist.“
OPA musste kichern: „Sie sollen mir die Rechnung an den Fluss der Krokodile schicken. Dort gibt es keine Briefträger. Wie du weißt, verständigen sich die Pygmäen mit ihrem schrillen Gesang.“
Noch ehe er zu Ende gesprochen hatte, trabten aus dem Burgtor berittene Polizisten und umkreisten das Luftschiff. Die Polizisten trugen moderne Ritterrüstungen, Helme mit Plexiglasfenstern und Brustpanzer.
OPA: „Ich sehe Glockenpanzer, Klappenpanzer, Muskelpanzer, Schuppenpanzer, Schienenpanzer, Spangenpanzer, Plattenpanzer, Brustpanzer. Sie sind mit Schlagstöcken bewaffnet. Lange Lanzen oder Rennspieße hätten mir besser gefallen.“
OMA: „Die halten uns wohl für Außerirdische. Dabei wohnen wir in der Grillparzerstraße, und die ist hier ganz in der Nähe.“
OPA: „Solche Idioten. David, Stiege ausfahren, Türe öffnen. Wir wollen uns die Beine vertreten und die Gegend einmal genauer anschauen.“
Die berittene Polizei trabte unentwegt um das Luftschiff.
KAKATO: „Gar nicht pygmäisch. Ein altes Sprichwort sagt: Schauen und dann unsichtbar machen. Ein anderes: Die Kraft unserer Feinde macht uns stark. Die erste Regel bei der Elefantenjagd. Und wie lehrte uns Degusin? Die Schwachen habe der Allmächtige erwählt, um die Starken in dieser Welt zuschanden zu machen und zu vernichten.“
OPA zu DAVID: „Diese Leute müssen programmiert sein.“
Schon wieder so ein seltsames Wort. Programmiert sagt man, macht ein Mensch, ganz so wie eine Maschine, immer die gleichen Bewegungen, ohne nach links oder rechts zu schauen oder darüber nachzudenken.
Als die Stiege ausfuhr, stolperte eines der Pferde. Das Pferd stürzte, und der Polizist, der es ritt, fiel auf das Pflaster und schlug mit dem Kopf auf. Der Polizist setzte sich auf und nahm seinen Helm ab. Er blutete aus der Nase.
DAVID: „Sein Helm hat ihn also doch nicht geschützt.“
OPA: „Ein Fall für SELMA.“
SELMA bat den OFEN um einige Eiswürfel und kümmerte sich um den Polizisten, bei dem es sich bei näherem Besehen um eine Polizistin handelte. Schon dieser kleine, vollkommen unbedeutende Zwischenfall hatte genügt, um die berittene Polizei völlig durcheinander zu bringen. Das Pferd wurde durch den Sturz nicht verletzt. Es erschrak nur. Es rappelte sich wieder auf und lief in den nahen Volksgarten.

Kaum hatte das Luftschiff aufgesetzt, strömten zahllose Schaulustige herbei. Zum Glück hielt die berittene Polizei die Gaffenden auf Distanz hielt. Inzwischen hatte sich die sensationelle Entdeckung des Dinosauriers in der Eiswüste Grönlands wie ein Lauffeuer über die ganze Welt verbreitet. Der HERR GOUVERNEUR, hier ist der isländische gemeint, hatte alle Zeitungen davon informiert. Und natürlich hatte er die Entdeckung für sich beansprucht, DAVID, die OTTER, DIE EIGENTLICH SUSI HEISST, und SALIMBO mit keinem einzigen Wort erwähnt, obwohl sich die Entdeckung vor allem ihnen verdankte, keinesfalls dem HERRN GOUVERNEUR. Dieser hätte den Dinosaurier gar nicht gesehen und hätte ihn wohl nur als seltsam geformten Stein betrachtet, da er in seinem ganzen Leben nicht ein einziges Buch über Dinosaurier angeschaut hat. Dabei hätte er von DAVID vieles lernen können. DAVID kannte alle Namen der Dinosaurier, wusste ganz genau, wie lang und hoch sie waren, ob sie Blätter oder Fleisch fraßen, im Meer oder auf dem Land lebten, ob sie schwimmen oder fliegen konnten. Aber dafür interessierte sich der HERR GOUVERNEUR nicht. Mehr noch, hätte ihm DAVID von den Dinosauriern erzählt, dann hätte er gesagt, das sei doch nur dummes Kindergeschwätz. Trotzdem nahm er nun für sich in Anspruch, den ersten erhalten gebliebenen Dinosaurier entdeckt zu haben. Wer hat dem Dinosaurier Schuppen- und Haarproben entnommen, wer hat Gewebsstückchen aus dem Zahnfleisch und der Zunge geschnitten? OPA hat es gemacht. Und DAVID hat ihm dabei geholfen. Um OPA zu begleiten, hatte DAVID sehr früh aufstehen müssen. Und die beiden hatten gegen den Wind und die Kälte anzukämpfen. Der Wind hatte ihnen Tränen in die Augen getrieben und auf OPAS Schnurrbart hatten sich Eiskristalle gebildet. Der HERR GOUVERNEUR kam natürlich nicht umhin, OPA und das Luftschiff zu erwähnen. Wie hätte er sonst nach Grönland gelangen können? Und deshalb wusste nun alle Welt, dass OPA mit seinem Luftschiff etwas mit der sensationellen Entdeckung zu tun hatte. Diese Nachricht hatte sich auch schon in Wien verbreitet. Selbst die Fußgänger, die auseinander liefen, als sie über sich den Schatten eines Luftschiffes gewahrten, redeten von nichts anderem: „Ein echter Dinosaurier. Nicht nur Knochen. Ein Tyrannosaurus rex.“

Wo es Schaulustige gibt, fehlt es nicht an Leuten, die sich selbst zeigen wollen. Und so erstaunte es OPA nicht, als er aus einem der Gebäude den augenblicklichen Herrscher kommen sah: „Jetzt haben wir es schon wieder mit einem Herrn Gouverneur zu tun!“
Hier ist eine Zwischenbemerkung nötig. Da wir es jetzt schon wieder mit einem Herrn Gouverneur zu tun haben, besteht die Gefahr, die beiden zu verwechseln, den einen für den anderen zu halten. Beim ersten handelte es sich um einen älteren Herrn, bei diesem hier noch um einen ziemlich jungen Mann. Der eine war schon oft auf Walfischfang, dieser hier noch nie, wie er überhaupt in seinem Leben noch nicht viel erlebt haben konnte, ganz sicher weniger als DAVID, die OTTER, DIE EIGENTLICH SUSI HEISST und SALIMBO, die im Urwald bereits sehr viele Abenteuer bestanden hatten. Der erste war stolz auf die Uniform mit den goldenen Knöpfen, dieser nun trug einen blauen Anzug, ein weißes Hemd mit Krawatte. Es wären noch viele Unterschiede zu nennen, obwohl auf den ersten Blick alle Herrn Gouverneure zum Verwechseln ähnlich sehen. Auch alle Krokodile sehen zum Verwechseln ähnlich. Schaut man genauer hin, dann sieht man, wie verschieden sie sind. Das eine Krokodil schaut listiger als ein anderes. Der Schwanz kann länger oder kürzer sein. Auf die Zähne achten, auf Narben, die von ihren Kämpfen zeugen. Und so ist es auch mit den Herrn Gouverneuren. Das wichtigste Unterscheidungsmerkmal kann ich dir auch noch mitteilen. Den isländischen HERRN GOUVERNEUR habe ich immer in Blockbuchstaben geschrieben, den Heldenplatzgouverneur immer in der üblichen Schreibweise. Da du noch nicht lesen kannst, aber auch, weil ich dir die Geschichte erzähle und du die Schrift gar nicht siehst, hilft das nicht wirklich weiter. Aber du wirst den neuen Herrn Gouverneur bald vom alten unterscheiden können.
Als OPA den neuen Herrn Gouverneur auf sich zukommen sah, sagte er: „Wie aus einem Versandhauskatalog. Vielleicht denkt er auch so.“
OMA: „Sei nicht immer so gereizt. Er schaut doch nett aus.“
„Das kann man doch auch über jedes Krokodil sagen.“

Der neue Herr Gouverneur kam in großen Schritten auf OPA zu, der eben ausgestiegen war und nun eine Zigarette rauchte. Er wurde von drei Sekretärinnen und zwei Fotografen begleitet.
Er lief auf OPA zu und sagte: „Es ist mir eine große Ehre, Sie, den Entdecker des ersten erhalten gebliebenen Dinosauriers, hier begrüßen zu dürfen. Sie sind der neue Erzherzog Franz Ferdinand, auf den dieses Land schon lange mit großer Sehnsucht gewartet hat.“
OPA: „Sie meinen doch nicht den Einfaltspinsel, der mir das Landen so schwer gemacht hat?“
„Bewegung, Bewegung. Gemeinsam für die Zukunft gestalten. Zusammen neue Wege gehen. Damit sich etwas bewegt. ...“
„Das kommt mir sehr bekannt vor“, sagte OPA.
Die Sekretärinnen des Herrn Gouverneur, die erste war als Panther verkleidet, die zweite trug ein metallisch glänzendes Kostüm, so als wäre sie von einem anderen Stern gekommen, wie die dritte gekleidet war, daran kann ich mich jetzt nicht mehr erinnern, und ich hatte ja keine Sekretärin, die für mich alles in einem Notizbuch festgehalten hätte, wie auch immer, die Sekretärinnen des Herrn Gouverneur notierten alles, was dieser und OPA redeten. Was OPA sagte, das bereitete ihnen große Mühe, waren es doch lauter Worte, die sie sonst kaum hörten. Das, was der Herr Gouverneur sagte, bereitete ihnen dagegen nicht die geringste Mühe, sprach er doch immer dieselben Sätze, und das schon seit langem. Sagte er etwa, „Zusammen neue Wege gehen“, dann mussten sie nur schreiben: „Z N W G“. Verwendete OPA dagegen ein Wort wie „pygmäisch“, dann mussten sie nachdenken und das Wort buchstabieren: P Y G M Ä I S C H.

Der Herr Gouverneur sah noch sehr jung aus.
OPA: „Kann ich Ihnen eine Zigarette anbieten? Der OFEN hat sie gedreht.“
„Ich rauche nicht. Rauchen ist ungesund. Nur gesunde Menschen können klar denken.“
„Da bin ich mir nicht so sicher. Sie sollten sich einmal die Schläfen mit einer Paste einreiben lassen, die aus den frischen Blättern des dreistieligen Balsamstrauches bereitet wird ...“
„Dreistielig ... Blätter ... Schläfen ... einreiben ... Balsamstrauch ... Sie bringen mich noch ganz durcheinander.“
„Sie würden die Menschen und den Heldenplatz mit ganz anderen Augen betrachten. Pygmäisch. OFEN, ich brauche deine Unterstützung.“
Der OFEN kam aus dem Luftschiff getorkelt. In diesem Augenblick dachte er daran, Beethovens Fanfare zu schmettern. Aber da er sich schmerzlich daran erinnerte, wie übel ihm das OPA in Island genommen hatte, ließ er nun das tu pam pum – tu pam pum – tu pam po der beiden Posaunisten hören, die damals, als PROSPERO den Platz betrat, als einzige der Blaskapelle ihre Instrumente nicht fallen ließen und weggelaufen waren.
„Day will break and you’ll awake / And start to bake a sugar cake, / For me to take / For all the boys to see ... Es wird wieder Tag werden, du wirst einen Kuchen für mich backen und alle sollen es sehen.“
Natürlich war auch jetzt die Melodie nicht zu erkennen, weshalb OPA sagte: „Tea für two.“
Und zum OFEN: „Schön, aber es reicht. Keine besonderen Zeremonien. Wir wollen nicht lange hier bleiben. Ich muss zum Fluss der Krokodile. Und davor muss ich noch Instrumente kaufen, die ich für meine Experimente brauche.“ Der Herr Gouverneur: „Was ist denn das für eine rostige Kiste. In einem Luftschiff würde ich mir ein besseres Gerät erwarten.“
OPA: „OFEN, bitte ein Überraschungsgetränk. Ich will mit dem Herrn Gouverneur anstoßen ...“

Es war sicher ein denkwürdiger Augenblick. Aber gerade denkwürdige Augenblicke sind am schwersten zu beschreiben, geschieht doch gleichzeitig sehr vieles, und zwar so viel, dass sich über jeden denkwürdigen Augenblick ein dickes Buch schreiben ließe. Da stand das Luftschiff. Die berittene Polizei umrundete es immer noch. Zahllose Schaulustige kamen zusammengelaufen, und hätte es die berittene Polizei mit den Glockenpanzern, Klappenpanzern, Muskelpanzern, Schuppenpanzern, Schienenpanzern, Spangenpanzern, Plattenpanzern, Brustpanzern und Schlagstöcken nicht gegeben, so hätten die Schaulustigen das Luftschiff gestürmt, und jeder von ihnen hätte etwas mitgenommen als Andenken an dieses denkwürdige Ereignis. Und sie hätten sich gesagt, so etwas erlebe man nicht alle Tage. Hätte es die berittene Polizei nicht gegeben, dann hätte sich jeder ein Stück vom Luftschiff genommen und am Ende wäre vom Luftschiff nichts mehr übrig geblieben als einige Eisenstangen, die zu schwer gewesen wären, um sie fortzutragen, oder zu lang, um sie in die Straßenbahn zu bringen. OPA und DAVID wären nie mehr zum Fluss der Krokodile gekommen. Und es wäre OPA nie gelungen, die Gewebeproben, die er dem Zahnfleisch und der Zunge des Dinosauriers entnommen hatte und die der OFEN in flüssigem Stickstoff bei minus 196 Grad Celsius aufbewahrte, in Krokodileier einzubringen. DAVID hätte nie wirkliche Dinosaurier sehen können. Das spielt jetzt aber keine Rolle, da ich es erst später erzählen werde. Jetzt geht es darum, was sonst noch auf dem Heldenplatz geschah. PROSPERO und die HEILIGE KÖNIGSPYTHON schliefen immer noch. Sie hatten die Landung auf dem Heldenplatz gar nicht bemerkt. DAVID, die OTTER, DIE EIGENTLICH SUSI HEISST und SALIMBO liefen herum und fanden alles sehr aufregend, besonders die berittene Polizei mit den Glockenpanzern, Klappenpanzern, Muskelpanzern, Schuppenpanzern, Schienenpanzern, Spangenpanzern, Plattenpanzern, Brustpanzern und den Schlagstöcken. Sie fürchteten sich nicht. KAKATO hatte sich, als OPA das Luftschiff verließ, auf den Pilotensitz gesetzt, drückte auf alle Knöpfe und drehte an allen Hebeln und stellte sich vor, gleich werde das Luftschiff abheben und er würde es lenken. Das machte gar nichts. Es konnte nichts geschehen, hatte doch OPA den Zündschlüssel vorsichtshalber in seine Hosentasche gesteckt. Ohne Zündschlüssel lässt sich weder fahren, noch fliegen. Das ist bei einem Luftschiff nicht anders als bei einem Auto. OMA stand neben OPA und unterhielt sich mit dem Herrn Gouverneur. SELMA stand hinter der astronautisch gekleideten Sekretärin. Astron, so nannte man in einer alten Sprache einen Stern, und Nautes, so hießen die Seefahrer. Astronaut heißt also Sternenfahrer. Die astronautisch gekleidete Sekretärin sah gar nicht so aus, als hätte sie eine Sternenreise gemacht. Dieses Mädchen war noch nie auf einem anderen Stern gewesen, nicht einmal auf dem Mond. Der Herr Gouverneur muss sich wohl wieder einen Scherz erlaubt haben. Das pflegen die Herrn Gouverneure allgemein zu tun. An einem anderen Tag, das ist anzunehmen, hatte dieselbe Sekretärin als Baum verkleidet aufzutreten. Am Tag des Baumes. Dagegen am Tag des Fisches als Fisch, am Tag des Kindes als Kind, obwohl sie kein Kind mehr war, am Tag des Frosches als Frosch, obwohl sie kein Frosch war, am Tag des Gänseblümchens als Gänseblümchen. Bedauerlicherweise gibt es immer noch keinen Tag des Dinosauriers. Aber wenn OPAS Experimente erfolgreich verlaufen, dann wird es auch einen Tag des Dinosauriers geben. Ein Jahr hat 365 Tage. Was, wenn aber bereits alle Tage vergeben sind, es aber noch neue Tage braucht, sei es den Tag des Dinosauriers oder den Tag der verlorenen Schlüssel. Das wäre ein ganz wichtiger Tag. Hat man nämlich den Schlüssel verloren, dann kommt man nicht mehr in die Wohnung. Es braucht also auch einen Tag der verlorenen Schlüssel. Sind aber alle Tage aufgebraucht, dann macht man aus Tagen Dreivierteltage. Und dann wird man sagen: „Heute ist der Dreivierteltag des Gänseblümchens“ oder: „Heute ist der Dreivierteltag des Dinosauriers.“ So einfach ist das. Aber zurück auf den Heldenplatz und zur astronautisch gekleideten Sekretärin. SELMA blickte über deren Schultern und versuchte zu entziffern, was diese in ihr Notizbuch schrieb: „B1, B1, Z N G, pygmäisch, alter Mann ...“ Mit dem alten Mann war wohl OPA gemeint, aber alles andere gab keinen rechten Sinn.

Der Herr Gouverneur zu OPA: „Dieser OFEN ist noch viel schmutziger als der Ofen meiner Oma in Großrußbach.“
OPA zum OFEN: „Nicht persönlich nehmen.“
Er beugte sich über den OFEN und flüsterte in eines seiner Ohren: „Ein dummer Junge. Ich würde lieber dir dieses Land anvertrauen. Er wird es zugrunde richten. Das Pygmäische ist ihm vollkommen fremd. Bitte ein Getränk, türkis, hier scheint ja alles türkis zu sein, eine Farbe, die mir immer schon zuwider war. Jetzt haben sie auch noch die Hofburg türkis angestrichen. Aber was soll’s, wir nehmen es zur Kenntnis. Vergiss nicht einige Noten der Blätter des dreistieligen Balsamstrauches.“
Und zum Herrn Gouverneur: „Drei Sekretärinnen und zwei Fotografen. Ist das nicht etwas übertrieben?“
„Sie müssen alles festhalten, was ich sage und tue. Wenn ich einmal meine Memoiren schreibe, dann werde ich mich wieder erinnern können.“
OPA begann zu lachen und ließ seine rechte Hand auf die linke Schulter des Herrn Gouverneur niedersausen, was diesem gar nicht gefiel.
OPA: „In diesem Land kann man also bereits in jungen Jahren sehr erfolgreich sein. Hoffentlich hat noch niemand ein Gemälde von Ihnen angefertigt ...“
„Aber meine Lebensgeschichte lässt sich schon in Büchern lesen.“
„Sicher lässt sich darin erfahren, dass Sie schon als Junge ein kleiner Rädelsführer waren und Hosenknöpfe gesammelt haben! Das leuchtet dem Kleinbürger ein, das wirkt: ‚Haben Sie das gelesen? Schon als kleiner Junge ...’“
Der Herr Gouverneur: „Über meine Oma in Großrußbach lasse ich nichts kommen.“
„Ich kann ihre Großrußbachbegeisterung nicht teilen. Mir ist dort ein Zahn ausgefallen. Und in den wenigen Lokalen herrschte eine trostlose Stimmung. Aber womöglich ist dieses ganze Land nur eine vergrößerte Ausgabe von Großrußbach ...“
In diesem Augenblick ließ der OFEN eine Lade ausfahren. Darauf standen vier Gläser mit einer grünen Flüssigkeit.
OPA: „Warum vier Gläser?“
Der OFEN kleinlaut: „Ich habe auch an OMA und SELMA gedacht. Sollen sie ohne Gläser dastehen?“
OPA: „Sehr aufmerksam von dir.“
Nach einigem Zögern nahm der Herr Gouverneur eines der Gläser und stieß mit OMA, SELMA und OPA an. „Damen zuerst“, sagte er.
OMA: „So gehört es sich.“
Der Herr Gouverneur hatte den schmutzigen Ofen seiner Oma in Großrußbach in Erinnerung. Deshalb konnte er sich gar nicht vorstellen, dass es auch noch andere Öfen gab, schon gar nicht, was unser OFEN alles konnte. Obwohl ihm all das nicht sehr geheuer war, führte er das Glas zum Mund und nippte vorsichtig daran. Es folgte eine kurze Pause, dann sagte er: „... ein köstliches Getränk? Aus was ist es gemacht?“
OPA: „Da müssen Sie den OFEN fragen?“
Der Herr Gouverneur: „Ein Ofen kann doch nicht sprechen.“
„Unser OFEN schon, er kann noch viel mehr.“
Der Herr Gouverneur blickte den OFEN gar nicht an und fragte statt dessen OPA: „Aus was ist das Getränk gemacht?“
OPA: „Aus Luft und Erde.“
Und der OFEN sagte kleinlaut: „Day will break and you’ll awake ...“
Der Herr Gouverneur: „Was hat er gesagt?“
Diesmal antwortete SELMA, die die englische Sprache vollkommen beherrschte: „Es wird Tag werden und Sie werden aufwachen ...“
Der Herr Gouverneur: „Seltsam. Das verstehe ich nicht ...“
Der OFEN: „Es wird der Tag kommen, an dem Sie es verstehen werden. Sie werden sich erinnern können. Sie werden sich auch an mich erinnern. Ich habe das Getränk eigens für Sie erfunden.“
„Und das soll aus Luft und Erde gemacht sein? Es riecht doch nach Zitronengras.“
„Und in seinem Geschmack lässt es an die Blätter des dreistieligen Balsamstrauches denken“, sagte OPA, „aber dieser Strauch ist ihnen völlig unbekannt. Eines ist aber sicher, das Getränk ist nur aus Luft und Erde gemacht.“
In diesem Augenblick war unter dem OFEN ein seltsames Geräusch zu hören. Der OFEN trieb seine Bohrlanze durch den Asphalt des Heldenplatzes in das darunter liegende Erdreich.
OMA: „Schon wieder ein Loch. OPA, das wird noch teuer werden. Was ist, wenn der OFEN ein Kabel beschädigt, welches unter dem Asphalt verläuft.“
„Vielleicht fällt der Strom aus. Auch die Telefonverbindung könnte unterbrochen werden. Dann steht alle Arbeit im Regierungsgebäude still.“
Der Herr Gouverneur: „Das darf nicht sein. Gar nicht auszudenken, welche Folgen das hätte. Das ganze Land stünde still. Und ich würde dafür verantwortlich gemacht.“
OPA: „Wäre das so schlimm? Aber keine Sorge, der OFEN hat in seinem ganzen Leben noch nie ein Kabel beschädigt. Das ist gar nicht möglich. Aber wie Sie sehen, muss der OFEN seine Vorräte ergänzen. Und was Sie noch sehen: Unser OFEN kann aus dem Schmutz des Heldenplatzes die köstlichsten Getränke herstellen. Er könnte auch rohes Gazellenfleisch herstellen, und das aus der Luft und der Erde des Heldenplatzes. Natürlich auch gebratene Gazellenkeulen, Warzenschweinbraten oder, wie wir es erst kürzlich erlebt haben, fermentierte Eier der Gefleckten Weinbergschnecke ...“
Der Herr Gouverneur zur Sekretärin, an deren Kleidung ich mich nicht mehr erinnern kann: „Unbedingt festhalten. Das Ministerium für Nachhaltigkeit verständigen ...“
Der Herr Gouverneur wollte eben genauer wissen, was es mit der Luft und der Erde auf sich habe, dachte er doch, das werde ein großes Geschäft, wenn er dieses Wissen in seinen Besitz bringen könnte.
Noch während er der Sekretärin, an deren Kleidung ich mich nicht mehr erinnern kann, diktierte, begann der OFEN zu hüsteln, was ja immer ein Zeichen ist, dass er etwas sagen möchte. So war es auch jetzt. Und so sagte er: „Übrigens, Herr Gouverneur, Sie sind schlecht gekämmt. Denken Sie an die Fotografen und an das Gemälde.“
Der OFEN ließ einen Arm mit einem Kamm ausfahren und begann zärtlich die Haare des Herrn Gouverneur in Ordnung zu bringen. Tatsächlich war der Scheitel schlecht gezogen, da und dort das Haar etwas zu lang. Dem Herrn Gouverneur gefiel das gar nicht. Diesbezüglich war er ganz anders als der frühere und mit Blockbuchstaben geschriebene HERR GOUVERNEUR, der es sich gerne gefallen ließ und er sagte: „Sauber machen Sie das. Möchten Sie nicht in meine Dienste treten?“ Der augenblickliche Herr Gouverneur wehrte sich, fuchtelte mit seinen Händen, fuhr in sein Haar, als hätte sich eine Wespe oder Biene auf seinen Kopf gesetzt oder gar gestochen. Er wich den Armbewegungen des OFENS aus und wäre sicher davon gelaufen, hätte OPA nicht zum OFEN gesagt: „Der Herr Gouverneur scheint deine Freundlichkeit nicht zu schätzen ... Aber was macht es schon, wenn die Frisur auf dem Gemälde nicht ganz perfekt ist.“
Als sich der Herr Gouverneur wieder beruhigt und seine Haltung wiedergewonnen hatte, meinte er trocken: „Es ist mit der Malerei eben anders als mit der Fotografie. Der Künstler wird einen exakten Scheitel ziehen. Das Gemälde ist bereits in Arbeit. Es wird ein Meisterwerk des bedeutendsten Künstlers unseres Landes. Das Bild wird in einer Galerie hängen, in der alle bedeutenden Staatsmänner unserer Geschichte vertreten sind. Ich werde als jüngster Herr Gouverneur in die Geschichte eingehen ...“
OPA: „Ich wäre da eher vorsichtiger. Gerade gestern haben wir, wir flogen hoch über der Nordsee, das Gemälde, das den Erzherzog Franz Ferdinand zeigte, aus dem Luftschiff ins Meer geworfen. Als das Gemälde aus dem Fenster kippte, es war sehr schwer, trieb es der Wind, während es fiel, hin und her. Kurz flatterte es wie ein Schmetterling, aber schon fiel es ins Wasser. Es machte einen Platsch – und weg war er, der Erzherzog Franz Ferdinand. Mit dem Elefanten, auf dem er sich fotografieren ließ. Sie sehen also, nichts währt ewig ...“
Noch ehe der Herr Gouverneur sich äußern konnte, zeigte sich KAKATO in der offen stehenden Tür des Luftschiffs. Offensichtlich hatte er die Lust verloren, Knöpfe zu drücken und an Hebeln zu drehen. Die Maschinen sprangen nicht an, die Lämpchen blinkten nicht und das Luftschiff bewegte sich nicht einen einzigen Millimeter.
Als der Herr Gouverneur KAKATO sah, sagte er: „Was ist denn das für ein kleiner Mensch. Er ist nicht größer als ein Kind und sieht schon alt aus. Und dann die dunkle Hautfarbe! Mittelmeerroute schließen ... Heimat schützen ... Verantwortungsethik ...!“
Der Herr Gouverneur schien nun ganz in seinem Element.
Die Sekretärin, diesmal haben wir es mit jener zu tun, die ein Pantherkostüm trug, und dieses Kostüm hatte auch zwei große Ohren und einen langen Schwanz, also diese Sekretärin tat sich mit dem Schreiben sehr schwer, und das heißt etwas, war sie doch eine ausgebildete Sekretärin, sie konnte sogar Steno und Schreibmaschine – aber trotzdem fiel es ihr schwer, die Worte niederzuschreiben. Sie musste buchstabieren: „V E R A N T W O R T U N G S E T H I K.“ Da aber solche Worte in einer Kindergeschichte nichts zu suchen haben, will ich es nicht erklären. Sagen wir einfach, es ist ein unverständliches Wort. Der Herr Gouverneur hätte genauso gut sagen können: „Fliegenblättermilch.“ Das hätte die Sekretärin ebensowenig verstanden wie alle anderen, die ihm zuhörten.
OPA umarmte KAKATO sehr herzlich und sagte zu ihm: „Du hast wieder einmal mit den Knöpfen gespielt. Ohne Zündschlüssel bewegt sich nichts.“ Und zum Herrn Gouverneur: „Darf ich vorstellen, das ist KAKATO, mein Freund. Ein großer Raucher und Biertrinker. Er hat ein Krokodil zur Mutter.“
„Grauenhaft, wenn ich mir das vorstelle“, dachte der Herr Gouverneur.
So als hätte OPA seine Gedanken erraten, sprach er weiter: „Das ist gar nicht schrecklich. Für Pygmäen nicht das geringste Problem. Sie können auch Eidechsen, Schlangen oder Papageien zur Mutter haben. Und diese Mütter sind sehr zärtlich zu ihren Kindern. Vermutlich hat die Krokodilmutter KAKATO so stark gemacht. All seine Leute, es sind sehr viele, bringen ihm größtes Vertrauen entgegen. Und sie befolgen, was immer er empfiehlt. Das verdankt sich seiner Persönlichkeit und nicht den vielen Plakaten, die hier überall an den Wänden kleben und auf denen Sie zu sehen sind. Übrigens ist den Pygmäen ein Wort wie Volk fremd. KAKATO spricht immer nur von seinen Leuten. Sie kennen auch keine Polizei, schon gar keine berittene Polizei. Und dann ist KAKATO noch ein großer Elefantenjäger. Der Erzherzog Franz Ferdinand schoss auf Elefanten aus 60 Metern Entfernung. Das ist keine Kunst. Und dann posierte er auch noch auf dem erlegten Elefanten. Ganz anders ist es, geht KAKATO mit seinen Leuten auf Elefantenjagd. Das ist ein Kampf auf Leben und Tod. Und dann essen sie den Elefanten, und sie essen sein Fleisch auch noch Tage später, mag es auch bereits ganz madig geworden sein. Der Erzherzog Franz Ferdinand aß kein Elefantenfleisch, er ließ das Fleisch liegen. Der Erzherzog tötete Elefanten, obwohl sie ihm gar nicht gefährlich werden konnten. Auf diesem Heldenplatz fallen mir nur traurige Geschichten ein.“
Der Herr Gouverneur fand nicht nur KAKATOS Aussehen und Gebaren anstößig. Er fand auch seine Kleidung höchst unschicklich. Da es ein sehr warmer Tag war, war KAKATO nur mit einer Unterhose bekleidet, die er sich von DAVID ausgeliehen hatte. Zudem ging er barfuß, und das auf dem Heldenplatz. Wie du weißt, tragen Helden immer schwere Stiefel, an Tagen, an denen es gar nicht nötig ist, wenn kein Schnee auf der Straße liegt und die Gehsteige ganz trocken sind. Aber so sind Helden.

KAKATO, betastete, so wie es seine Leute stets machen, begrüßen sie Fremde, den blauen Anzug, das weiße Hemd und die Krawatte des Herrn Gouverneur, auch sein Gesicht. Das gefiel diesem noch viel weniger als das freundliche Bemühen des OFENS, seine Haare in Ordnung zu bringen. Der Herr Gouverneur fürchtete sich vor einer ansteckenden Krankheit, glaubte durch solche Berührungen schmutzig zu werden, mehr noch, er meinte gar, so würde sich seine Haut womöglich ins Braune oder Schwarze färben, was natürlich vollkommen ausgeschlossen war. Auf jeden Fall reagierte der Herr Gouverneur sehr gereizt, suchte sich KAKATOS Hände vom Leib zu halten.
Und in seiner Aufregung rief er schon wieder: „Mittelmeerroute schließen ... Heimat schützen ...“
Um ein größeres Unheil zu verhindern, meinte OPA KAKATO gegenüber, dem Herrn Gouverneur seien die unter den Pygmäen üblichen Begrüßungszeremonien fremd und würden ihm großen Schrecken bereiten. Auf diese mahnenden Worte hin ließ KAKATO den Herrn Gouverneur in Ruhe.
Wie spätere Untersuchungen zeigten, so hat dieser die Aufnahmen, die die beiden Fotografen von diesem Vorfall machten, vernichten lassen, da er fürchtete, dies könnte seinem Ansehen abträglich sein.
Der OFEN zu OPA: „Der Herr Gouverneur neigt dazu, sich zu wiederholen und sich dabei nicht sehr genau auszudrücken.“
OPA zum OFEN: „Das ist mir auch schon aufgefallen. Erinnerst du dich noch an die Geschichte vom Stadthauptmann, der nur den einen Satz sagen konnte: ‚Ich werde euch alle vernichten!’?“
Der OFEN: „Eine köstliche und sehr treffende Geschichte, zumal die Stadtbewohner dem Stadthauptmann zujubelten, schrie er sie an: ‚Ich werde euch alle vernichten!’“
OPA wandte sich nun an den Herrn Gouverneur: „Sie sollten pygmäisch denken. Am Fluss der Krokodile würde Sie niemand bewundern. Sie würden gründlich untersucht. Kinder, Frauen, ja selbst alte Männer würden Sie betasten, Ihr Gesicht, Ihren Anzug. Aber schon bald würden sie jedes Interesse an Ihnen verlieren ... Pygmäisch denken. Alle Eitelkeit ablegen ... Verfügten Sie wie KAKATO über ein inneres Auge, dann würden Sie alles sehen, was sich auf diesem Platz abgespielt hat und sich noch abspielen wird. Sie würden auch Ihr Ende sehen. Das frenetische Gebrüll, das hier erklang und wieder zu hören sein wird, würde in Ihren Ohren dröhnen. Einer der größten Philosophen dieses Landes schrieb, es gälte den Sieg zu entwerten, dem Sieg entgegenzuarbeiten. Durch das Gebrüll auf dem Heldenplatz wurde er vertrieben. Sicher haben Sie von ihm keine einzige Zeile gelesen, vermutlich kennen Sie nicht einmal seinen Namen. Erst bei den Pygmäen habe ich verstanden, was er meinte ...“
Der Herr Gouverneur schien nicht hinzuhören und wiederholte immer nur dieselben Worte: „Bewegung, Bewegung ... Mittelmeerroute schließen ... Zusammen neue Wege gehen ... Heimat schützen ...“
Der OFEN zu OPA: „Jetzt wiederholt er sich schon wieder. Vielleicht ist der Herr Gouverneur eine Maschine.“
OPA wollte darauf nicht antworten und sagte zum Herrn Gouverneur: „Lesen Sie die Berichte des Vladimir Kurtz oder Joseph Conrads Erzählung. Sie werden es nicht tun. Für das Wichtigste hat ein Herr Gouverneur keine Zeit. Damit ich es nicht vergesse, bevor Sie weggehen. Leihen Sie mir eine Minute Ihren größten Geldschein.“
Der Herr Gouverneur wirkte verlegen und zögerte.
OPA: „Sie fürchten wohl, Sie könnten den Geldschein von mir nicht mehr zurück erhalten. Sehe ich denn aus wie ein Betrüger? Sie werden gleich sehen, dass Ihre Sorge völlig unbegründet ist.“
Nun griff der Herr Gouverneur doch nach seiner Brieftasche, öffnete sie, es waren sehr viele Geldscheine darin, zog einen heraus und reichte ihn OPA. OPA schob den Geldschein in einen Schlitz des OFENS, den DAVID noch nie bemerkt hatte. Ein Schlitz, wie wir ihn von Automaten kennen. Zum OFEN sagte er: „Ich hätte gerne 200, nein, lieber 300 Stück davon. Ich muss mir noch Geräte für unsere Experimente kaufen.“
Der Geldschein, den sich OPA vom Herrn Gouverneur geliehen hatte, wurde vom OFEN schon nach wenigen Sekunden wieder ausgespuckt. Ausgespuckt, das sagt man so. Der OFEN hat aber keinen Mund, er kann also gar nicht ausspucken. Eigentlich müsste man sagen, schon nach wenigen Augenblicken war der Geldschein, der im OFEN verschwunden war, wieder im Schlitz zu sehen. Sein Erscheinen war von einem klappernden Geräusch begleitet, was heißen sollte: „Auftrag angenommen, bitte Geldschein wieder entnehmen!“
Da staunte der Herr Gouverneur. Und er staunte noch mehr, als der OFEN einige Minuten später eine Lade öffnete und Geldscheine in diese blättern ließ. Zu hören war ein Drrrrrrrrr.
OPA entnahm das Bündel der Lade und reichte einen der Geldscheine dem Herrn Gouverneur. Dieser schaute sich den Geldschein genau an, prüfte ihn mit seinen Fingern, hielt ihn mit zugekniffenen Augen gegen die Sonne. Endlich sagte er: „Alle Sicherheitsmerkmale stimmen, der Sicherheitsfaden, das Wasserzeichen, das Hologramm und der Glanzstreifen ... Verblüffend. Sie sind ein Geldfälscher!“
OPA musste lachen: „Herr Gouverneur, der OFEN könnte auch von Ihnen Duplikate anfertigen. Aus der Luft und der Erde des Heldenplatzes. Ich stell mir das recht unterhaltsam vor. Sie kämen auf den Heldenplatz und hunderte andere Herrn Gouverneure, die ganz gleich aussähen wie Sie, die sich ganz gleich benähmen und die auch immer nur sagten ‚Mittelmeerroute schließen’, wären schon da. Und die Fußgänger, die Sekretärinnen, die Fotografen, die Briefträger, die Polizisten, die Pferde, auf denen die Polizisten sitzen, ja selbst die Fliegen und Mücken wüssten nicht mehr, wer nun der eigentliche Herr Gouverneur sei. Für KAKATO und mich gäbe es da viel zu lachen. Was das Geld betrifft: Ich brauche es für meine Forschung.“
OPA sagte das so bestimmt, dass der Herr Gouverneur nicht zu widersprechen wagte. Überhaupt hätte dieser in diesem Augenblick alles gemacht, was ihm OPA angeschafft hätte. Du siehst also, auch ein Herr Gouverneur ist nicht allmächtig.
Dem Herrn Gouverneur war das sehr unangenehm. Er brüllte die Sekretärinnen an: „Nicht schreiben! Ich verbiete es!“
OPA entnahm dem Bündel eine größere Anzahl von Geldscheinen und reichte diese dem Herrn Gouverneur, der sie rasch an sich nahm und in seiner Hosentasche verschwinden ließ.
OPA: „Ich habe genug davon. Auch kann mir der OFEN jederzeit nachdrucken. Kaufen Sie sich damit einige gute Bücher oder machen Sie damit was Sie wollen. Entschuldigen Sie mich. Ich muss noch in ein Geschäft für Laborbedarf. Der Fluss der Krokodile wartet auf mich. Der Heldenplatz gefällt mir nicht.“
Der Herr Gouverneur suchte das Weite und mit ihm die beiden Fotografen und die drei Sekretärinnen, von denen die erste als Panther verkleidet war, die zweite ein metallisch glänzendes Kostüm trug, so als wäre sie von einem anderen Stern gekommen, und wie ich bereits erwähnt habe, habe ich vergessen, wie die dritte gekleidet war.
Dem OFEN gefiel der Abgang des Herrn Gouverneurs so außerordentlich, dass er in seiner Aufregung gleichzeitig Beethovens dü dü dü tüüü und das tu pam pum – tu pam pum – tu pam po der beiden tapferen Posaunisten hören ließ. War es feierlich? Das zu sagen, wäre gewiss übertrieben. Aber auf dem Heldenplatz machte es sich ganz gut.

© Bernhard Kathan, 2018

Nachbemerkung: Zu den augenblicklichen politischen Entwicklungen fällt mir nichts mehr ein. Oder es fällt mir so viel ein, dass es sich nicht mehr unter einen Hut bringen lässt. Bleiben also nur noch Kindergeschichten. Das ist immerhin unterhaltsam und lässt mich Texte, die mich nebenher beschäftigen, ganz anders lesen, so etwa Hermann Brochs Studien zur Massenwahntheorie. Kindergeschichten sind auch insofern interessant, als sie deutlich machen, dass einige der Akteure der augenblicklichen politischen Landschaft sehr unergiebig sind. Das gilt etwa für Strache. Sebastian Kurz ist wesentlich ergiebiger, kippt doch seine Figur permanent ins Komische:
Staatsmännisches Auftreten in ministrantenhafter Pose, bedeutungsschwangere Reden, die nicht inhaltsleerer sein könnten, lockeres Gebaren, welches einen zwanghaften Charakter zum Ausdruck bringt, dann die Stereotypen hinter all den Behauptungen von Authentizität. Saltykow-Schtschedrin hätte seine Freude mit einer Figur wie Kurz gehabt.


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