Nabel / Porträts
Ein Projekt von Saba Skabernè
[Navels/Portraits | english]


Foto: Tony Nadhan



Der Bauchnabel, kurz Nabel genannt (lat. Umbilicus, gr. Omphalos), diese kleine, in der Regel höchst unterschiedlich geformte Hautverlappung, in der Mitte unseres Körpers gelegen, funktionslos, nur Erinnerung daran, dass unser Leben als parasitäre Wucherung begann, und dies auch dann, vermag sich die befruchtete Eizelle nur einzunisten, hat sich die Gebärmutter darauf vorbereitet. Da die befruchtete Eizelle nur für die ersten Tage seiner Entwicklung über die erforderlichen Nährstoffe verfügt, tritt an die Stelle des in den ersten Tagen stattfindenden Dotterkreislaufs ein Plazentakreislauf. Nun verbindet die Nabelschnur (lat. Funiculus umbilicalis) den Embryo bzw. Fötus über die Plazenta mit dem Blutkreislauf der Schwangeren. Über die Nabelschnur holt sich dieser alles, was er zu seiner Entwicklung benötigt, Nährstoffe und Sauerstoff, über sie gibt er die Abbauprodukte wieder ab. Eine faszinierende und höchst komplexe Geschichte, der mütterliche Leib als voll klimatisierte Station, als Küche und auch als Entsorgungsanstalt. Wir alle haben einmal über mütterliche Lungen CO2 abgeatmet, über mütterliche Nieren ausgeschieden. Die menschliche Nabelschnur ist etwa 50-60 cm lang, meist spiralig gewunden, übrigens schmerzunempfindlich.

Dies verbindet den Menschen mit allen Säugetieren, abgesehen von dem an der ostaustralischen Küste und in Tasmanien beheimateten Schnabeltier (Ornithorhynchus anatinus), einer entwicklungsgeschichtlichen Groteske. Das Schnabeltier legt Eier, ist aber doch ein Säugetier. Es zählt zu den Kloakentieren, sind doch die Ausscheidungs- und Geschlechtsorgane nicht voneinander getrennt. Schnabeltiere paaren sich im Wasser, wobei das Männchen seinen Penis in die Kloake des Weibchens einführt. Etwa 12 bis 14 Tage später legt das Weibchen meist drei weiße Eier, deren pergamentartige Schale mehr an Reptilien- als Vogeleier erinnert. Nachdem das Weibchen die Eier etwa 10 Tage lang bebrütet hat, schlüpfen die Jungen. Sie sind nackt, ihre Augen geschlossen. Ihre Länge beträgt gerade einmal 25 Millimeter. Diese Winzlinge lecken die Milch aus dem Haar der Mutter. Schnabeltiere haben weder Brustwarzen, noch Zitzen. Sie schwitzen buchstäblich Milch. Ironischerweise ist im deutschen Wort SchNABELtier das Wort NABEL enthalten, dabei kennt es weder einen NABEL, noch eine NABELschnur.

Nach der Geburt und dem Abfallen der Nabelschnur verwächst der Nabel und bildet in der Folge eine Art Narbe mit unterschiedlichsten optischen Erscheinungsformen. Ob nun nach innen gestülpt oder konvex tellerartig nach außen gedreht, ob ein Nabel nun gleichmäßige konzentrische Falten im Innern aufweist oder unregelmäßige Verwachsungen kennt, all dies verdankt sich allerlei Zufällen, neben genetischen Dispositionen der Beschaffenheit der Bauchmuskulatur, der Pflege des Nabels nach der Geburt, heftigem Schreien in den ersten Lebenstagen, unter Umständen Entzündungen, die Folge mangelnder Hygiene oder eines Nabelbruchs sein können. Jeder Nabel ist in seiner Erscheinungsform einzigartig wie der Fingerabdruck. Wie bei diesem vermag seine Erscheinung keine Auskunft über Wesen und Charakter zu geben. Auch an das komplizierte Wechselspiel zwischen Embryo / Fötus und Mutter / Raumschiff erinnert er nur bedingt.

Der Nabel lässt nicht nur an die Geburt, sondern auch an den Tod denken. Manche Säugliche drohen während der Geburt an ihrer Nabelschnur, die sie lange genug genährt hat, zu ersticken. Nicht nur archaische Gesellschaften kannten den Brauch, die abgefallene Nabelschnur zu bestatten. So fiel die Geburt mit einem Begräbnis zusammen. Die Nabelschnur bedeutet Leben, und doch weist sie auf jenen Augenblick hin, in dem dieses Verbindungsstück entweder zerrissen, abgebissen oder mit nach bestem Wissen heutiger Medizin abgeklemmt und mit einer Schere durchtrennt wird. Während die Nabelschnur auf den Zeitpunkt der Trennung verweist, deutet der Nabel, wird er gezeigt, auf Geschlecht und Sexualität, also auf eine Verbindung oder Vermischung. Darf man den Bauchnabel eines anderen berühren, dann ist es zum Geschlecht nicht weit.

Pubertierende Mädchen sind meist stolz auf ihren Nabel und zeigen ihn oft genug, nicht selten mit Piercings geschmückt. Ältere Menschen empfinden ihren Nabel eher als privaten Teil ihres Körpers. Manche finden ihren Nabel hässlich. Während der Schwangerschaft kann der Nabel für die Schwangere in störender Weise nach außen drücken.

Das Gesicht in Rene Magrittes Gemälde Le Viol (Die Vergewaltigung, 1934) zeigt eine groteske Verschiebung. Brüste sind an die Stelle der Augen getreten, die Scham an die Stelle des Mundes. Der Nabel und ein daneben gesetztes Pünktchen, wohl ein Muttermal, bezeichnen die Nase. Magrittes Gemälde lebt von der Irritation, davon, dass etwas als etwas anderes behauptet wird, ohne jedoch dies wirklich zu sein. Um ein Porträt handelt es sich gerade nicht, mag Magritte auch alle wesentlichen Elemente der Porträtmalerei bemühen.

Dagegen arbeitet die in Australien lebende Künstlerin Saba Skabernè an Porträts von Bäuchen und Nabeln. In ihren Arbeiten tritt der Nabel tatsächlich an die Stelle des Gesichts. Saba Skabernè, sie hat sich bereits früher mit anderen Körperstellen beschäftigt, etwa mit dem Ohr, sieht den Nabel als Mitte der menschlichen Körpers. In ihren Nabelporträts porträtiert sie Menschen, nicht anders, als hätte sie es mit Gesichtern zu tun. Dabei geht es immer um konkrete Personen. Es sind Porträts von Freunden, Bekannten, Angehörigen (darunter der Nabel der Mutter), jungen und älteren, dicken und dünnen Menschen. Zu Porträts von Schwangeren fügen sich die von Neugeborenen und solche, die post mortem entstanden sind. Saba Skabernès eigener Nabel fehlt. Er müsse fehlen, bedürfe es doch eines anderen, um ihn wirklich zu sehen. Da bricht sie mit der Porträtmalerei, deren Geschichte zahllose Selbstporträts kennt.

In bester Tradition der Porträtmalerei steht sie jedoch dort, wo sie mit Sitzungen beginnt, in denen sie Bleistiftskizzen und Zeichnungen anfertigt. Die so dokumentierten Formen moduliert Saba Skabernè in der Folge in Ton. Während der Bräutigam im Hohen Lied (73) den Nabel der Braut als runde Schale bewundert ("nicht mangle der Würzwein!"), haben wir es nun mit gewölbten Tonscheiben zu tun, mit Informationsträgern. Diese wirken durchaus seriell, sieht man von den unterschiedlichen Formen der Nabel ab. Die Scheiben machen einen weichen Eindruck, lassen an formbares Material denken, etwa an Silikon. Dabei sind sie aus gebranntem Ton, also hart, ohne jede Elastizität. Nach dem Brennvorgang werden sie monochrom mit Autolacken gespritzt; die Farbwahl erfolgt intuitiv auf die einzelne Person bezogen.

Saba Skabernès Porträts haben wenig mit Sexualität zu tun, sie verweisen vielmehr darauf, dass wir alle in die Welt geworfen sind und unser Wesen sich entscheidend der Traumatisierung verdankt, durch einen engen Geburtskanal heraus gepresst worden zu sein. Eine richtige Vertreibung aus dem Paradies. Aber die Fruchtblase musste platzen, die Nabelschnur musste zerreißen, um zu dem zu werden, was wir sind. Der Nabel bildet buchstäblich jenen Ansatz, dem der Mensch sein Antlitz verdankt. Wie anders wären wir, wären wir in einem Ei mit harter Schale zur Welt gekommen!

Bernhard Kathan, 2007



Nabel Nabel Nabel


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PS.: Werden aus dem Blut der Nabelschnur heute Stammzellen gewonnen, dann verspricht diese Leben, hat sie auch ihre eigentliche Funktion eingebüßt.

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