Soundarbeiten:
Christof Cargnelli,
Se-Lien Chuang,
hey-o-hansen,
Barbara Huber,
Igor Lintz Maués,
Dorothee von Rechenberg,
Andrea Sodomka,
Peter Szely.
Architektur: Ursula Klingan
Ein Projekt von: Bernhard Kathan
I
"Wollen die Herrschaften", begann der Fremde, "von meinen
Erleichterungspillen kosten und dann die Augen schließen, so wird alles mit
größter Schnelligkeit arrangiert werden."
Zögernd entsprach die Gesellschaft den Wünschen des fremden Herrn. Und als
die zehn danach die Augen wieder öffneten, hatte der Fremde eine hohe Leiter
in der Hand. Die Leiter war aber so hoch, daß sie an den Mond gelehnt werden
konnte. Als das nun wirklich geschah, rang sich ein Schrei der Bewunderung
von den Lippen der zehn Personen los. Der große Zauberer ergriff nach diesem
Schrei einen großen schwarzen Kasten, der neben ihm stand, öffnete ihn,
stellte ihn unten vor der Leiter aufrecht hin und sagte hastig:
"Steigen Sie schnell ein, meine Herrschaften, die Leiter ist eine
Drahtseilbahn, und in dem Kasten, der Waggoncharakter besitzt, haben Sie
sämtlich bequem Platz."
Zögernd entsprach die Gesellschaft auch diesem Wunsche des fremden Herrn,
der sich schließlich ebenfalls in den Kasten setzte und dann den Deckel
zumachte. Da wars denn sehr dunkel in dem schwarzen Kasten, und es ließ sich
ein feines Summen und Pfeifen vernehmen. Und siehe da - nach ein paar
Augenblicken sprang der Kastendeckel wieder auf - und die Gesellschaft
befand sich auf dem Monde. Und auf dem Monde standen unzählige andere
Leitern, die zu den nächsten Fixsternen hinaufführten.
"Jetzt", sprach lächelnd der Fremde, "können wir hinfahren, wohin wir
wollen. Kennen Sie schon die ‚Fabrik lebenslustiger Kreaturen'? Ich sehe
Ihnen an der Nase an, daß Sie noch keine Ahnung von der Fabrik haben. Wenn
Sie dahin wollen, so steigen Sie nochmals in den Kasten." (Paul Scheerbar,
1906)
"Vielleicht ist es auch dieses Atemberaubende, das der anstrengungslose
Wechsel von weit unten nach weit oben an sich hat, das den Künstler Bernhard
Kathan dazu bewog, auf der Seegrube in fast 2000 Meter Höhe einen Ruheraum
zu errichten. Er steht, einige Meter unterhalb der Seilbahnmittelstation, am
Wegesrand wie eine Biwakschachtel besonderer Art: fest im Boden verankert
und doch, da auf Stelzen stehend, rundum von der Bergluft umgeben; auf der
einen Seite der Talabgrund, von der anderen stürzt der Berg mit einer
gewaltigen Schutthalde auf sie zu; Schutzraum, in dem sich Ruhesuchende auf
spartanisch-ebenmäßiggen Holzpritschen niederlegen können, und doch
lichtdurchflutet, offen zum Berg und zum Tal. Kathan und seine Architektin
Ursula Klingan zwingen zur Konzentration auf die beiden Sinne, welche für
die Bergwahmehmung die erste Rolle spielen: das Ohr und das Auge. Der
Körper, sofern er gestiegen ist, macht sich nur noch in der Schwere
bemerkbar, mit der er auf der Liege ruht. Acht Soundarbeiten verschiedener
VertreterInnen der agilen internationalen Avantgarde dieses Genres kann die
oder der Ruhende aus- und jederzeit wieder abwählen. Sie füllen den Raum mit
Klängen, die, mal eher flächig-zirkulär, mal linear durchkomponiert,
zwischen den Polen der natürlichen oder technischen Materialgeräusche und
dem breiten Assoziationsfeld landschaftlich bezogener Musik ganz
verschiedene Akzente setzen. Wer genug gehört hat und es in sich
weiterklingen lassen will, darf "Stille" wählen.
Wer beim Liegen den Blick an die Decke richtet, wird, konträr zur sakralen
Ausstrahlung der farbigen Glasquadrate in den Längswänden, durch die
Spanplattenoberfläche an die Vorläufigkeit der Installation und seines
Bleibens im Ruheraum erinnert. Der, wie immer wieder gesagt wird,
überwältigende Ausblick, sei es nackenstarr auf die emporragenden Gipfel,
sei es hinab auf die irreal nüchterne Großstadt Innsbruck, wird segmentiert
und gebrochen durch die in Glasquadrate gegliederten Wände. Bonbonfarben
geben sie uns unsere Bergillusionen zurück. Haben wir, wie es angezeigt ist,
die schweren hölzernen Schiebetüren geschlossen, so kann sich die Ruhe
einstellen, die mancher nur im Privaten für möglich hält, weshalb es
geschehen kann, daß zögernd Eintretende die Frage stellen: Ist das hier
öffentlich? Ein Antiraum an exponierter Stelle im Gebirge ermöglicht
hauptsächlich solche konträren Erfahrungen. Wie natürlich ist doch diese
höchst künstlich hergestellte Ruhe, wie künstlich die Natur, die gerade eben
ein paar hundert Meter entfernt von Caterpillarn für die Skitouristen der
nächsten Saison hergestellt wird." (Wieland Elfferding, Berlin)
II
Die Unberührtheit der Bergwelt bedarf keiner aufgesetzten "Erhöhung" - Diese
Kiste würde besser in die Maria Theresienstrasse passen. Ja genau. Wozu es
denn im Gebirge eines Ruheraumes bedürfe, wo doch ohnehin alles so ruhig
sei. In der Stadt ja, aber nicht hier heroben. Vielleicht vermag erst ein
Ruheraum im Gebirge den Unterschied zwischen Ruhe und Stille deutlich zu
machen. Man hört den Lärm aus dem Tal, Flugzeug- oder Naturgeräusche, das
Blöken von Schafen. Die Überlagerung, nicht die Unterdrückung all dieser
Geräusche mit subtilen Soundarbeiten, führt - sofern man sich darauf
einlässt - zu einer Schärfung der Wahrnehmung.
Menschen im Gebirge sind trotz aller gegenteiligen Behauptungen in einem
besonderen Maß ruhelos, immer an Punkten orientiert, die es zu erreichen
gilt. Mountainbiker können ihre Fahrt nicht einfach unterbrechen, wollen sie
ein Abfallen ihres Adrenalinspiegels vermeiden. Ich sah kaum einen, der
seine Fahrt unterbrochen hätte, um sich neugierig dem Fremdkörper in der
Landschaft zu nähern. Da müsste wohl ein Flugzeug abstürzen, um ihr Programm
zu durchbrechen. Aber:
Eine tolle Sache! Radfahren und Entspannen. Danke für
diese Möglichkeit. Hoffentlich bleibt sie lange bestehen. Wanderer können
zwar leichter innehalten, aber auch sie sind meist von Zielvorgaben
getrieben. Es gibt natürlich auch andere, die sich in lustvoller Absicht in
den Ruheraum begeben, sei es um sich hinzulegen und eine der Soundarbeiten
zu hören oder einfach nur zu liegen, oder aber, ihn auf andere Art zu
nutzen, die mitgebrachte Jause verzehren oder sich - wie ein Eintrag im
Besucherbuch dokumentiert - sich dem Liebesspiel hinzugeben.
Dankeschön für
die wunderbare Nacht. Aus Litauen. Das hier gezeugte Kind wird unter einem
guten Stern geboren sein. Die klare Struktur des Gebäudes, eine farbene
Felderwirtschaft, verspricht Ordnung im Leben. Es steht nicht zu befürchten,
dass eben dieses Kind eine schachbrettartig gemusterte Haut haben wird.
Dieser Einfall ist Ergebnis von Projektdiskussionen. Von Beginn an
geisterten Uterusgeschichten durch die Köpfe. Schon das Gebirge hat sich
nicht anders als ein Säugling aus dem Nass herausgestülpt. Meeresmetaphern
zählen zu den Stereotypen der Gebirgsbeschreibung. In ihrem Gegensatz zur
Technik wurde die Gebirgslandschaft in Bildern des gebärenden und gefräßigen
Weiblichen beschrieben. Die Natur lockt, ruft, ist gefährlich. Ihre
Bewältigung war deshalb Männersache. Am Tag der Eröffnung der Seilbahn wurde
der "hoffnungsreiche Sprößling nach neunmonatlicher heißer Arbeit aus der
Taufe gehoben." Mit begreiflicher Befriedigung eines glücklichen Vaters habe
der Stadtrat sein Werk gezeigt. Bei der "Jungfernfahrt" trug die Gondel die
Gäste über das "wallende Wipfelmeer", und am Grat angekommen, "brandet der
Nebel bis hart an die Kämme und Spitzen", während sich jenseits das
"ungeheure versteinerte Gipfelmeer der Karwendelketten in leuchtendem
Sonnenglanz" erstreckt. Wer wundert sich da noch, dass die damaligen
Kellner, die an weißgedeckten Tischen zwischen hohen Schneewächten Braten
und Bier servierten, Uniformen trugen, die an Matrosenanzüge denken ließen.
Entsprechend paradox wird dann doch auch die umsetzung der bergphantasie in
form einer «installation» sein müssen: die idee, einen «yellow
submarine»-artigen, semi-esoterischen «ruheraum» (mit meeresrauschen im
stereobespielten ohr und vielleicht einer sauerstofftankstelle, wie sie vor
wenigen jahren nie wirklich modisch war) zu errichten, erscheint mir logisch
und angemessen: ein bisschen orange plastic-ästhetik inclusive. warum nicht:
wartesaal on the top of the hill. vielleicht auch mit ein paar «patriotisch»
alpinen gerahmten bildern an der wand, wie es in den bahnhofhallen und in
den zugcoupés bis in die siebziger jahre üblich war.
Christiane Zintzen, Wien
Auch wenn sich Ursula Klingan nicht für Rundes und Weiches entschieden hat,
lässt ihr Baukörper noch in kleinen Dosen an Meer und Schiff denken, an ein
Kirchenschiff, eine spartanisch eingerichtete Arche Noah, die fortgetragen
wird, ist das Wasser einmal hoch genug gestiegen. Keine Angst, das Ding ist
fest verankert. Ein schwebendes Ding über dem Abgrund, ein am Boden
festgezurrter, kubischer Ballon. Arche insofern, als es ein Rückzugsort ist,
ein Ort kultivierter Regression, in dem man sich liegend von Klängen
umspülen lassen, eintauchen kann in ein ungeordnetes Hören.
Ohne Zweifel gibt es heute ein großes Bedürfnis nach Regressionsräumen.
Ein
eigener Raum eine eigene Welt! Wunderbare Musik, tolle Farben. Gefällt mir
sehr gut! Üblicherweise handelt es sich dabei um Räume des Konsums. Der
Ruheraum sollte gerade nicht nach den Regeln des Konsums organisiert sein.
Festzustellen ist ein Paradoxon der neuen Kundenwelt: Die Hemmschwelle,
einen Raum zu betreten, erhöht sich, wird kein Eintrittsgeld verlangt. Was
nichts koste, könne keinen Wert besitzen. Wer nichts bezahlt, kann sich
etwas nicht aneignen. Ein weitgehend sich selbst und möglichen Nutzern
überlassener Raum löst Irritationen aus. Notunterkünfte im Gebirge bleiben
auch sich selbst überlassen. Im Gegensatz zum Ruheraum kennen sie jedoch
klare Codes der Benützung. Eine Notunterkunft mag bereits besetzt sein, wer
Unterschlupf sucht, dem steht er offen. Dies zählt zu den ungeschriebenen
Regeln der Bergwelt.
Very good protection against the wind (you saved our
lives). Good idea to place it close to that ugly cable car station (makes it
less ugli). The local sheep seem to love it. Thank you. Anders dagegen im
Ruheraum. Wer ihn aufsucht, tut dies nicht aus Not. Ist der Raum bereits
besetzt, und liegt vielleicht nur eine Person auf einer der Liegen, dann
bedeutet dies eine große Hemmschwelle, den Raum zu betreten. Mag der Raum
als öffentlich gelten, so wird er nun doch fast als Privatraum gedeutet,
anderen wie eine fremde Wohnung überlassen. Allerdings wissen viele Besucher
mit solchen Soundarbeiten wenig anzufangen.
Was unheimlich stresst ist die
unnötige Musik. Gerade subtile Soundarbeiten bedürfen einer Beruhigung,
sollen sie ihre Wirkung entfalten. Hier sind jene privilegiert, die sich
Ruhe gönnen, um sich etwas Fremdem zu überlassen und Kontrolle aufzugeben.
Manche können dies geradezu zelebrieren. Sie schließen die Schiebetüren und
lassen keinen Zweifel daran, dass nun sie es sind, die Ort und Zeit
beanspruchen.
Bin der Hitze der Stadt entflohen und habe eine angenehme
Nacht im Ruheraum verbracht.
Anders als befürchtet, waren bislang keine Vandalenakte zu beobachten. Im
Gebirge gelten andere Regeln. Unbeaufsichtigtes wird weitgehend respektiert.
Zu beobachten ist jedoch eine Neugier, das Technische betreffend. Auch
wieder eine Uterusgeschichte. Die Psychoanalyse kennt das Interesse von
Kindern am öffnenden Untersuchen von Puppen oder am Zerlegen von Uhren oder
anderen technischen Geräten. Manche der Besucher - sie tun dies wohl nur
dann, wenn sie allein oder unter sich sind -, interessieren sich für Stecker
und Tasten, was zur Folge hat, dass endlich nichts mehr zu hören ist.
Bemerkenswert in diesem Zusammenhang: Gebrauchsanweisungen werden so gut wie
nicht gelesen, mögen sie noch so einfach sein. Tasten haben Signalcharakter.
Auch ein Zeichen mitgebrachter Unruhe. Dies lässt an Werner Herzogs
Schlusssequenz am Ende seines Filmes
Stroszek denken. Hühnerschnäbel
schlagen auf Klaviertasten, um möglichst rasch in den Genuss des Futters zu
kommen. Die Hühner sind rastlos, auch wenn sie kein wirkliches Ziel haben,
nichts wirklich auf sie wartet. Bruno hat sehr viel Zeit. Er erschießt sich,
während der Sessellift sich in einer Endlosschleife bewegt.
Der Ruheraum war von Anfang an als Experiment, als temporäre Installation
gedacht. Neben dem möglichen Nutzen für die Besucher geht es um Fragen wie
ein solcher Raum beschaffen sein muss, dass er angenommen wird und trotz
möglichst geringer Betreuung funktioniert. Welche Soundarbeiten eignen sich
überhaupt für so einen Ruheraum. Es beginnt mit Fragen nach Geräuschen, nach
der Lautstärke oder Rhythmik. Wie muss akustisches Material beschaffen sein,
dass es einen Liegenden beruhigt, gleichzeitig aber seine Wahrnehmung
schärft?
Faszinierend. Insbesondere die Sicht auf den Berg. Durch die
verschiedenen Farbfenster hab ich einige Details viel sorgfältiger
wahrgenommen als sonst. Ob soviel Technik hier oben überhaupt sein muß, weiß
ich nicht. Natürlich ist dies nicht allein eine Frage des Raumes, der Musik
oder der Betreuung. So gab es immer wieder Schwierigkeiten mit der Technik.
Computer sind für Wohnungen und Büros gebaut, sie erweisen sich bei
Temperaturschwankungen oder allzu hoher Luftfeuchtigkeit als
störungsanfällig, ganz zu schweigen von Blitzeinschlägen. Genaugenommen
hätte es eines gut isolierten Raumes mit stabilem Binnenklima bedurft. Oder
eine andere Erkenntnis: Wie Kunst im öffentlichen Raum wahrgenommen wird,
hängt nicht zuletzt auch von Medienberichten ab. Liest man etwa manche
Einträge in dem im Ruheraum aufliegenden Buch, dann fällt auf, dass hier
Vorinformationen aus einer beliebten Sendung des Lokalfernsehens
eingeflossen sind. Dort wähnte ein bezeichnenderweise als Reinigungskraft
auftretender Komiker Überflüssiges am falschen Ort, Schmutz sozusagen. Eine
Besucherin:
Schade, dass wir am Berg einen Ruheraum brauchen. Ich glaube,
die Erbauer bzw. diese Künstler haben noch nie Stille am Berg erlebt. Ihr
müsst nur einmal ohne Walkman auf den Berg, dann braucht ihr keinen Knopf
für Stille! Danke liebe Politiker, aber man hat ja für jeden Schwachsinn
Geld. Übrigens war die Sendung in 20min abgedreht, der Text bereits
geschrieben, bevor sich das Drehteam an Ort und Stelle befand. So fügt sich
die mediale Rastlosigkeit zur Rastlosigkeit möglicher Rezipienten.
III
"Zuerst hörten wir nichts; als wir dann einen Schritt vorwärts machten,
hörten wir von dem Rand, der die Stille vom Schall trennt, ein Knirschen
hochsteigen.
Wir regten uns nicht. Und es war weder die Stimme des Windes noch sein
Gesang, noch etwa das leichte Gepolter eines Steins oder das Knirschen eines
im Frost sich spaltenden Felsens. Es war ein regelmäßiges Zischeln wie das
angesammelte Geräusch von Millionen übereinanderliegender Signale.
Die Marsluft ist zu dünn, so daß unsere Ohren die Töne nicht vernehmen
können, die der Planet von sich gibt. Außerdem würde unser Trommelfell dem
Druckunterschied zwischen der Außenwelt und unserem Atmungssystem nicht
widerstehen können. Deshalb haben wir unsere Ohren völlig abgedichtet, wobei
winzige Verstärker uns ermöglichen, den Klang unserer Stimmen und die
Geräusche auf dem Mars zu hören. Dies jedoch, dafür kann ich mich verbürgen,
war anders als alles, was ich bisher auf dem roten Planeten gehört hatte. Es
klang nicht menschlich und nicht mineralisch.
Ich bewegte ein wenig den Kopf und vernahm etwas anderes, das dieses
Zischeln übertönte, es auf einen unbedeutenden und ständigen akustischen
Hintergrund reduzierte. Ich vernahm eine Stimme, vielmehr das Murmeln von
einer Million Stimmen, den Tumult eines ganzen Volkes; es sprach
unglaubliche, unverständliche Worte, die ich mit Hilfe unserer irdischen
phonetischen Zeichen nicht ausdrücken könnte." (Gérard Klein, Das Tal der
Echos, 1966.)
Die Soundarbeiten sind abrufbar:
kunstradio.at/ARCHIVE/archive.html
oder direkt hier: