VOR DER ARBEIT EIN FRISCHES WEISSES HEMD ANZIEHEN
Hinrich Schmidt-Henkel habe sich, als er Liana Millus „Rauch über Birkenau“
übersetzt habe, jeden Morgen vor der Arbeit ein frisches weißes Hemd
angezogen: „Ja. Um etwas gegen diese Auschwitz-Welt zu setzen. Dreck,
Hunger, Tod, alldem bist du beim Übersetzen immer noch mal ein Stück näher
als beim Lesen. Es wird so klar, was für eine Kostbarkeit eine halbe Zwiebel
ist – da werden die Überlebensreflexe wach. Ich hatte bei dieser Arbeit ein
riesiges Bedürfnis nach Sauberkeit und gutem Essen.“
Das Bedürfnis nach Sauberkeit kann ich gut nachvollziehen. In der täglichen
Beschäftigung mit Wehrmacht und NS-Zeit fühle ich mich oft verschmutzt. Ich
versuche Distanz zu gewinnen, indem ich täglich zumindest ein zwei Stunden
versuche, etwas ganz anderes zu machen. Und da geht es mir wie dem
Übersetzer, der meint, würde man täglich am Stück acht Stunden dasitzen und
übersetzen, so würde man wahnsinnig. Letztlich erbringe ich auch so etwas
wie Übersetzungsleistungen. Habe in den letzten Tagen im Garten so nebenher
ein kleines Gebäude errichtet. Auch wenn es einem praktischen Zweck dienen
soll, als Tempelchen könnte es durchgehen. Ein Tempelchen mit zwei Kammern,
die durch eine Scheidewand getrennt sind.
© Bernhard Kathan 2016