Serbe 3009 ist auch mitbeteiligt
Einige Anmerkungen zur Ästhetik von Mahnmalen
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Donnerstag, den I.V.1941 Am Morgen an diesem Tage ist der Bruder zum Militär
eingerückt nach Husum in Deutschland. Vormittags bin ich Hirschgeweihe
suchen gegangen. Nachmittags habe ich auf dem Maplons gebuschelt. Sonntag,
den 18.V.1941 Nichts besonderes. Sonntag, den 1.VI.1941 Heute ist der
schönste Tag. Der Himmel ist ganz klar. Darum sind der Gauleiter Hofer und
Soldaten mit dem Auto nach F. gefahren. Dann schauen sie die Baracken an.
Samstag, den 21.VI.1941 Es ist Sommeranfang. Ich habe allein an der Schaufel
gemäht. Am Ziel haben wir etwas Heu eingetan. Mittwoch, 2.VII.1941 Um 4 Uhr
sind sechzig gefangen Serben gekommen. Heute haben wir fünfzehn Päcke hinauf
getragen. Es war wunderschön. Donnerstag, 3.VII.1941 Heute sind nachmittags
um 4 Uhr wieder 80 Serben gekommen. Der Koch ist der Thomas S. und die
Köchin ist Agathe N. Heu haben wir eingetan. Dienstag, den 8.VII.1941
Vormittags habe ich den Apfelbaum von der Schaufel heimgenommen wo er
umgehauen wurde. Nachmittags habe ich auf dem Maplons Heinzen zusammengetan.
Dienstag, den 15.VII.1941 Den ganzen Tag habe ich im Rieger gemäht. Montag,
den 29.IX.1941 Vormittags habe ich die Wengenbirnen am Vergitz gepflückt.
Mittwoch, den 1.X.1941 Vormittag haben wir gemostet. Nachmittags um 3 Uhr
haben wir unser Vieh vom Maiensäß geholt. Freitag, den 3.X.1941 Den ganzen
Tag haben wir mit dem Ochs vom Andreas geeggt auf dem Maplons und dort hat
man Weizen gesät. Samstag, den 4.X.1941 Vormittags haben der Serbe Michael
und ich gemostet. Nachmittags haben wir am Kapf und an Vergitz Kartoffel
gegraben und Obst aufgelesen. Montag, den 6.X.1941 Den ganzen Tag haben der
Michael und wir an Bucha Kartoffel gegraben. Das Wetter war teilweise gut.
Dienstag, den 7.X.1941 Vor Vormittag bis zum Mittag haben der Serbe Kaspar
und ich den ganzen Gemeindeteil rasch abgemäht. Nachmittag haben wir Gras in
Blachen angefaßt und mit Wägen heimgeführt. Mittwoch, den 8.X.1941 Den
ganzen Kapf haben wir heute abgemäht und alles siliert. Der Kaspar hat uns
wieder geholfen. Donnerstag, den 9.X.1941 Vormittags hatten Schmälzelbirnen
geschüttelt. Hernach an Bucha mit dem Kaspar Kartoffel gegraben und mit dem
Schlitten bis zum Rieger am Wege. Freitag; den 10.X.1941 Vormittags haben
der Kaspar und ich Streue auf dem Maplons gemäht. Samstag, den 11.X.1941
Nachmittags haben der Kaspar und ich auf dem Teil Obst aufgelesen und dann
auf dem Maplons allerhand getan. Es war regnerisches Wetter. Montag, den
13.X.1941 Vormittags hatten wir 16 Säcke Thomasmehl bei der Maria W. geholt.
Hernach haben der Kaspar und ich am Ziel und an der Saala um jeden
Kirschenbaum eingelöchert. Dazu haben wir fünf Säcke Kunstdünger für beide
Wiesen mit hinunter genommen. Mittwoch, den 15.X.1941 Nach dem Mittagsmahl
haben der Kaspar und ich unter der Wand des Hauses Holz im Scheiterschopf
versorgt und allerhand geräumt. Donnerstag, den 16.X.1941 Vormittags haben
ein anderer Serbe und ich an Vergitz gespatet, nachmittags auf dem Teil
einen Steig Äpfel gepflückt, dann auf dem Maplons vier Steigkisten
Dörrbirnen gefüllt und dann mit dem Schlitten zum Stall des Teiles und dort
eingestellt. Freitag, den 17.X.1941 Vormittags haben der Serbe, die Barbara
und ich mit dem Brückenwagen von Doblers beim Stall des Teils die
Steigkisten Obst geholt. Nachmittags haben wir auf dem Gemeindeteil
Kartoffeln gegraben und am Abend mit dem Brückenwagen heim genommen.
Mittwoch, den 22.X.1941 Vormittags habe ich und der Serbe mit dem
Brückenwagen Kisten und Säcke mit Holzäpfeln herunter geholt. Nachmittags
haben wir auf dem Maplons Danzingeräpfel gepflückt. Im ganzen 6 Steigen. An
diesem Abend haben wir das letzte Mal das Vieh gehütet. Samstag, den
25.X.1941 Nachmittag haben der Serbe und ich am Maplons zweimal vier Steigen
Danzingeräpfel mit dem Schlitten zum Brandweg hinunter. Dienstag, den
11.XI.1941 Vormittags Kalk abgeholt vom Auto. Nachmittags wieder am Maplons
Schnee weggeschöpft und Birnen geschüttelt. Samstag, den 15.XI.1941
Nachmittags haben wir mit zwei Serben das frühe Obst gemalen und Fässer
gefüllt. Mittwoch, den 19.XI.1941 Heute hatten wir einen Serben Nr. 2289 zum
Mosten und zum Kalk säen. Gesät ist schon etwas am Kapf, an Vergitz, am Ziel
und an der Saale. Samstag, den 22.XI.1941 Den ganzen Tag habe ich im
Steigwald Holz getragen. Bis vier Uhr war ich fertig. Heute hatten wir zwei
Serben Nr. 2289 und 3009 um am Kapf zu spaten. Hernach die gesägten
Dachkerner von der Säge herauf getragen. Samstag, den 29.XI.1941 Vormittags
haben der Serbe 3009 und ich auf dem Vergitz gespatet. Dienstag, den
2.XII.1941 Von Morgen an bis zum Abend haben wir auf dem Maplons gedüngt.
Serbe 3009 war auch mitbeteiligt. Mittwoch, den 3.XII.1941 Von Morgen an bis
zum Nachmittag 4 Uhr waren wir fertig mit düngen. Zum Düngen hatten wir
einen anderen Serben Nr. 2147. Dienstag, 9.XII.1941 Den ganzen Tag habe ich
in der Alpe Steigwald Holz bis auf Alesina gefahren. Vor dem Heimfahren habe
ich das Schochenholz bis auf Gabinter gefahren und abgeladen. Samstag, den
20.XII.1941 Vormittags habe ich in Arken den Weg gebahnt. Hernach vier
Bündel Reiß gefaßt und nach dem Mittagessen 3 Serben Kasimir 3007, Miloje
2049, 2041. Nach dem Nachtessen haben die Serben den Silodeckel
heraufgezogen. Montag, den 22.XII.1941 Heute war ich an der Straße
beschäftigt beim Steine fahren zum Rolieren. Dienstag, den 23.XII.1941 Heute
war ich wieder an der Straße beschäftigt. Samstag, den 3.I.1942 Vormittags
habe ich aus Moos das Schochenholz geholt. Nachmittags habe ich und Kasimir
das fertige Holz auf Kapieters geholt. Hernach haben wir am Rieger zwei
Bürden Heu geholt. Freitag, den 9.I.1942 Heute das erste Mal habe ich für
Akkord Steine gefahren. 10 Mal. Sonntag, den 11.I.1942 Heute hat es 18 Grad
Kälte. Samstag, den 21.II.1942 Nachmittags haben ein Serbe und ich Holz
gesägt. Es war sehr schönes Wetter. Sonntag, den 8.III.1942 Heute hat es
wieder teilweise geschneit und ziemlich wieder kalt. Um 8 Uhr abends findet
im Schulhaus Kino [statt]. - Ende
II
Blicke ich aus dem Küchenfenster einer Bekannten, dann fällt mein Blick auf
eine Shopping-Landschaft mit all den Supermärkten und Möbelhäusern, die sich
in Österreich in jedem größeren Ort finden. Nichts erinnert mehr daran, dass
sich hier während der NS-Zeit ein Kriegsgefangenenlager befand, 3700
sowjetische Kriegsgefangene umkamen. Wer immer sich mit der NS-Zeit
beschäftigt, ist in nahezu jedem Ort mit Zwangsarbeit oder Euthanasie
konfrontiert. Lange Zeit wurden die Verbrechen der NS-Zeit mit Auschwitz und
anderen Vernichtungslagern assoziiert. Heute wissen wir, dass diese ihr
Kapillarsystem kannten, ihre Verästelungen bis hinein in die kleinsten
Gemeinden.
Das 1968 in der Vorarlberger Gemeinde Silbertal errichtete Kriegerdenkmal
geriet 2007 in die öffentliche Kritik, als bekannt wurde, dass unter den
Gefallenen des Zweiten Weltkrieges auch Josef Vallaster genannt wurde, der
ab April 1940 im Rahmen der Aktion T4 in der NS-Tötungsanstalt Hartheim an
der Ermordung Behinderter beteiligt war. Später beaufsichtigte er im
Vernichtungslager Sobibór die Vergasung und Verbrennung zumeist jüdischer
Menschen aus ganz Europa. Die Zahl der in Sobibór Ermordeten wird auf
150.000 bis 250.000 Menschen geschätzt. Vallaster wurde 1943 bei einem
Häftlingsaufstand getötet. Die Gemeinde reagierte zunächst ablehnend,
entschied sich dann aber für die Einrichtung einer Geschichtswerkstatt,
schlussendlich für die Entfernung des Kriegerdenkmals und die Errichtung
eines Mahnmals. Dieses Mahnmal bemüht Heilkräuter und Steinplatten. Bei den
Steinplatten fällt einem das Holocaustmahnmal in Berlin ein, nur dass wir es
nun mit einer Miniaturisierung zu tun haben. Die Bepflanzung lässt an
Dorfverschönerung denken. Ursprünglich war von "Bergblumen" die Rede. Ich
erinnere mich deshalb daran, dachte ich doch an die Probleme, die mit dem
Anpflanzen etwa des Gelben Enzians verbunden sein können. Die "Heilkräuter"
sollen die "die Wunden des Krieges" symbolisieren. Hartheim wie Sobibór
lassen sich keinesfalls unter "Wunden des Krieges" subsumieren, ging es doch
da wie dort um eine systematisch betriebene Vernichtung von Menschen.
Wenngleich die damit verbundenen Auseinandersetzungen wie die Arbeit der
Geschichtswerkstatt Anerkennung verdienen, das Mahnmal wirkt wie ein
Versuch, etwas eben Aufgebrochenes zu plombieren und endlich zur Ruhe zu
bringen.
An vergleichbaren Beispielen mangelt es nicht. Auf dem Landhausplatz in
Innsbruck erinnert ein Mahnmal an die Opfer der "Reichskristallnacht",
während der in Innsbruck besonders brutal gegen jüdische Mitbürger
vorgegangen wurde. Ein Mahnmal war seit langem gefordert worden. Die Lösung
war dann denkbar einfach, sicher auch kostengünstig. Schüler wurden zu einem
Wettbewerb geladen. Die Jury entschied sich für den Entwurf eines damals
19jährigen Schülers. Auf einem kupfernen Sockel ruht in einer mit
Kristallscherben gefüllten Schale ein siebenarmiger Menoraleuchter. In der
Schalenumfassung wird namentlich an jene vier Personen erinnert, die während
der Pogromnacht in Innsbruck umgebracht wurden. Die Scherben sollen "die
zerbrochenen Herzen der ermordeten Juden und ihrer Angehörigen"
symbolisieren.
Ob Heilkräuter oder Kristallscherben, Mahnmale dieser Art tendieren zur
banalen Symbolisierung. Gewünscht war hier wie andernorts eine
allgemeinverständliche Kunst, die auf Vertrautes setzt und Zustimmung
findet, zumindest nicht abgelehnt werden kann. Dem Schüler, der den
Wettbewerb für das Mahnmal auf dem Innsbrucker Landhausplatz gewonnen hat,
ist kein Vorwurf zu machen, wohl aber Politikern, die sich mit Hilfe eines
Schülerwettbewerbs um die Auseinandersetzung mit einer unangenehm
nachwirkenden Vergangenheit gedrückt haben. Im Zuge der Neugestaltung des
Landhausplatzes wurde das Mahnmal nicht nur besser positioniert, es wurde
auch überarbeitet. Die Kristallscherben in ihrer ursprünglichen Form sind
verschwunden. Solche Mahnmale sind nicht weit von Kitsch entfernt. Birgit R.
Erdle spricht in einem 1987 erschienenen Essay über Kitsch von einem
tiefgreifenden Vergessen, welches sich im Sprechen, nicht im Schweigen
vollziehe und das Vergessen als Erinnern tarne. Das Mahnmal in Silbertal
macht zwar, wie bereits erwähnt, deutlich, dass es sich bei Josef Vallaster
nicht um ein Opfer, sondern um einen Täter handelt, aber es bleibt
problematisch, wird wie bei diesem korrigierten Kriegerdenkmal in einem
Aufwaschen an die Gefallenen des Ortes, einen umgekommenen Flüchtling, an
Opfer der NS-Euthanasie, der Zwangsarbeit und des Holocaust erinnert.
Ähnlich fragliche Eingemeindungen finden sich dort, wo auf
"Heldenfriedhöfen" oder Kriegerdenkmälern Euthanasieopfern gedacht wird.
Letztere teilen mit den Gefallenen des Zweiten Weltkrieges nur zwei
Gemeinsamkeiten. Ihr Tod fiel in dieselbe Zeit, diese wie jene liegen nicht
hier bestattet. Euthanasieopfer waren vor allem eines nicht, nämlich Helden.
Sie wurden gewaltsam abtransportiert und getötet.
Gedenkstätten und Mahnmale sind stets Ausdruck ihrer Zeit, ganz gleich ob
sie nach dem Krieg oder in der jüngeren Vergangenheit errichtet wurden. Die
meisten Mahnmale wirken bereits nach kürzester Zeit verstaubt. In der
zeitlichen Distanz wird deutlich, wie sehr sie der Rezeption der jeweiligen
Generation unterliegen. Man kann sich heute durchaus die Frage stellen, wie
heute errichtete Mahnmale, die eine ganz andere Zeichensprache kennen, in
wenigen Jahren oder Jahrzehnten betrachtet werden. Vermutlich werden die
meisten von ihnen ähnlich verstaubt wirken wie die meisten Denkmäler der
1950er Jahre.
Der in Innsbruck lebende Künstler Franz Wassermann war sich in seinem
komplex angelegten Projekt "Das temporäre Denkmal" dessen bewusst. Dieses
galt jenen 380 Opfern der Euthanasie, die in den Jahren 1940 bis 1942 von
der damaligen "Heil- und Pflegeanstalt für Geistes- und Nervenkranke in Hall
in Tirol" nach Hartheim deportiert und dort ermordet wurden. Teil des
Projektes war es, in allen Gemeinden, aus denen die Opfer laut Aktenlage
stammten, einen Antrag zu stellen, Straßen nach den Opfern zu benennen. Etwa
die Hälfte der 193 angeschriebenen Heimatgemeinden reagierte nicht auf das
eingegangene Schreiben. Abgesehen von wenigen Gemeinden waren die Reaktionen
durchwegs ablehnend. In absehbarer Zeit würden keine weiteren Straßen
benannt, man werde die Sache in Evidenz halten, die Straßen der Gemeinde
würden nicht oder ausschließlich mit Flurnamen benannt, man habe davon
Abstand genommen, weil Angehörige den Namen des Opfers nicht genannt haben
wollten, die genannte Person scheine nicht im Geburtenbuch auf. Andere
argumentierten damit, dass bereits ein Kriegerdenkmal bestehe. Ausgebliebene
Antworten wie Ablehnungen sind so als Teil der Arbeit zu verstehen. Prozesse
und Auseinandersetzungen sind wichtiger als wie immer gestaltete
Erinnerungszeichen. Diesbezüglich sind inzwischen eine Reihe anderer
Arbeiten zu nennen, so etwa ein Schülerprojekt, welches sich mit dem
KZ-Nebenlager Bretstein beschäftigte, oder das von Helmut und Johanna Kandl
realisierte "Wächterhaus", welches an die Opfer in Aflenz bei Leibnitz
erinnert, einem Außenlager des KZ Mauthausen.
Werden Mahnmale errichtet, so geht es nicht selten um den Beweis
moralisch-politischer Korrektheit, um das Bemühen, endlich einen
"Schlussstrich" unter die Geschichte zu ziehen. Erinnern lässt sich nicht
einfach abschließen. Künstlerische Projekte, die diesem Umstand Rechnung
tragen, überzeugen mehr als Lösungen, die vorgeben, es ließe sich etwas
abschließen, sei nur eine Skulptur aufgestellt und vielleicht noch mit
Blumenarrangements behübscht. Insbesondere Jochen Gerz hat in vielen seiner
Arbeiten diese Akzentverschiebung deutlich gemacht: "Die Orte der Erinnerung
sind Menschen, nicht Denkmäler." Dies gilt insbesondere für Tatiana Lecomtes
Projekt "Postkarten können wir eine pro Person schreiben", welches an jene
ungarischen Juden und Jüdinnen und Gefangenen aus der Tschechoslowakei,
Rumänien, Russland und Griechenland erinnert, die 1944 und 1945 in St.
Pölten-Viehofen Zwangsarbeit zu verrichten hatten. Viele kamen dabei zu
Tode. An das Lager, in dem die ehemaligen "Ostarbeiter" untergebracht waren,
erinnert heute fast nichts mehr. Auf einem Grundstück in Privatbesitz finden
sich noch einige Ruinenreste, der größte Teil des Areals ist unter einem
Badesee verschwunden. Tatiana Lecomte schickte 20.000 handschriftlich
adressierte Postkarten mit Abbildungen heutiger Ansichten des ehemaligen
Geländes, von denen manche mühelos auch als Urlaubspostkarten durchgehen
könnten, an Haushalte der Gegend. Auf der Rückseite, auch handschriftlich,
ist der Satz zu lesen: "Ich bin gesund, es geht mir gut", also jener Satz,
den Insassen von Lagern des Dritten Reiches, sofern sie überhaupt schreiben
durften, beim Verschicken auf Briefen oder Karten notieren mussten.
Man sollte Mahnmale nicht leichtfertig errichten, ist doch damit eine
Verpflichtung den Opfern gegenüber verbunden. Dieser Verpflichtung wird man
nur durch eine genaue inhaltliche Auseinandersetzung gerecht. Da empfehlen
sich Autoren wie Jirí Weil oder Heimrad Bäcker, die sich angesichts der
unvorstellbaren Gewalt, die Menschen angetan wurde, zutiefst bewusst waren,
dass dies mit den Mitteln der Sprache oder der Kunst nur bedingt gelingen
kann.
III
Im Nachlass meiner Eltern fanden sich zwei Tagebücher von Walter Kathan, des
jüngsten Bruders meines Vaters. Walter war taubstumm, 1941 16 Jahre alt.
Heft eins bezieht sich auf die Zeit zwischen dem 1. Mai 1941 und dem 22.
Juli 1941, Heft zwei auf die Zeit zwischen dem 28. September 1941 und dem 8.
März 1943. Bedauerlicherweise sind nur diese beiden Hefte erhalten
geblieben. Mit dem Tagebuchschreiben begann Walter genau an jenem Tag, als
mein Vater, also sein älterer Bruder und Hoferbe, einrücken musste. Es
beginnt mit dem Satz: "An diesem Tage ist der Bruder zum Militär eingerückt
nach Deutschland in Husum." Wie bei anderen bäuerlichen Tagebüchern haben
wir es nahezu ausschließlich mit Auflistungen geleisteter Arbeit zu tun.
Täglich sich wiederholende Tätigkeiten wie die Stallarbeit bleiben
unerwähnt. Bei den erwähnten Tätigkeiten sind durchwegs die Orte angegeben,
an denen sie verrichtet wurden. Eigene Empfindungen, Wünsche, Ängste oder
auch Vorstellungen bleiben unerwähnt. Obwohl ihnen etwas Kindliches anhaftet
und die einzelnen Eintragungen zumeist sehr kurz und oft formelhaft sind, so
geben sie doch einen guten Einblick in die Lebensorganisation des
Tagebuchschreibers. Beiläufig geht es in diesem Tagebuch auch um
Zwangsarbeit, die nahezu ausschließlich dann Erwähnung findet, tangiert sie
die eigene Arbeit, ist etwa ein "Serbe" beim Holztragen "mitbeschäftigt".
Wie bei allen Tagebüchern haben wir es gleichermaßen mit verlässlichen wie
unverlässlichen Dokumenten zu tun. Zweifellos belegen sie, dass
Zwangsarbeiter nicht nur zum Straßenbau, sondern zu unterschiedlichsten
Arbeiten bei Bauern herangezogen wurden, auch, dass Zwangsarbeit als
"normal" wahrgenommen wurde. Wird erwähnt, dass Gauleiter am 1. Juni 1941
mit Gefolge angereist kam, um die Baracken zu besichtigen, dann ist daran
nicht zu zweifeln, auch nicht, was die Tage der Ankunft der Zwangsarbeiter
wie deren Anzahl betrifft. Zweifellos haben drei "Serben", so wie im
Tagebuch angeführt, am 20.12.1941 im Stallgebäude des Hauses Nr. 29 nach dem
Nachtessen den Silodeckel heraufgezogen. Wie die Zwangsarbeit im Detail
organisiert war, darüber erfahren wir freilich nichts. Die angeführten
Vornamen sind unzuverlässig, zumeist scheinen sie "eingedeutscht". An den
angeführten Häftlingsnummern dagegen ist nicht zu zweifeln, auch nicht an
der Selbstverständlichkeit, mit der sie genannt werden. Manches wird nur
implizit erwähnt. Notiert Walter etwa am 8. Juli 1941, er habe "den
Apfelbaum von der Schaufel heimgenommen wo er umgehauen wurde", dann lässt
sich das, kennt man die Flurnamen und den Straßenverlauf, eindeutig mit der
von Zwangsarbeitern errichteten Straße in Verbindung bringen. Wie man im
Zusammenhang eines Transportes von Kunstdünger beiläufig erfährt, war die
Straße bereits am 6. Jänner 1942 durchgehend befahrbar. Dies kann auch
einige Wochen früher der Fall gewesen sein. Zwangsarbeit fand nicht im
Verborgenen statt. Umso erstaunlicher ist, dass sich diese nicht im
kollektiven Gedächtnis niedergeschlagen hat, und dies trotz des Umstandes,
dass die Spuren bis heute nicht zu übersehen sind. Dass dem so ist, verdankt
sich allgemein vielfältigsten Überschreibunsleistungen. Die Nachnutzung des
Lagergeländes in St. Pölten-Viehofen als Freizeitlandschaft ist dafür ein
gutes Beispiel. Die Vergangenheit wurde in einem Badesee zum Verschwinden
gebracht. Man muss sich, geht es um Erinnerungsarbeit, also auch mit
Überschreibungen beschäftigen.
IV
An dieser Stelle ist an Johannes E. Trojer (1935 - 1991) zu erinnern. Er
zählt zu den ersten, die sich systematisch mit der Geschichte der NS-Zeit im
unmittelbaren dörflichen Umfeld beschäftigt haben. Seine erst nach seinem
Tod veröffentlichte Studie "Hitlerzeit im Villgratental. Verfolgung und
Widerstand in Osttirol" ist nicht nur als Pionierleistung zu sehen, sie
besticht vor allem durch ihre atmosphärische Dichte. Neben systematischer
Datenerhebung etwa zu Opfern der NS-Diktatur finden sich darin zahlreiche
Mikrostudien zum NS-Alltag.
Zutiefst davon überzeugt, dass nur jene Vergangenheit gefährlich werden
kann, "die verdrängt und unterschlagen wird", betrachtete Trojer die NS-Zeit
keineswegs als historisch abgeschlossenes Ereignis. Er beschäftigte sich
gleichermaßen mit der Vorgeschichte wie mit den Nachwirkungen, mit dem
Verdrängen und Überschreiben all dessen, was damals geschah: "Wir sind eine
geschichtslose Generation von Söhnen und Enkeln, die mit den Leitbildern der
Väter und Großväter nicht mehr viel anfangen kann, weil jene mit jenen in
Katastrophen gelandet sind. Aber wir haben noch nicht die Kraft, neue
Werthaltungen durchzusetzen gegen die Patriarchen. Wir sind Hinterbliebene,
denen nach zwei großen Konkursen nichts geblieben ist als ein Erbe, das
ihnen zur Last fällt." In seinen diesbezüglichen Texten schieben sich
wiederholt unterschiedliche Zeitebenen ineinander, etwa dann, wenn er in
einer Festschrift zum Jahr 1809 über damalige Verstecke schreibt und
nebenbei erwähnt, dass dort auch "ein mutiger Bursch den Kriegswinter
1944/45" überstanden habe, ohne entdeckt zu werden. Ohne es direkt
auszusprechen, erinnerte er so auch an die Deserteure der NS-Zeit. Eine
Glosse, die er anlässlich des Todestages von Andreas Hofer verfasste, ließ
er folgendermaßen enden: "Die Freiheitskämpfer [von 1809] in Ehren, aber die
Widerstandskämpfer [gegen das Dritte Reich] sind vergessen!"
Bevor er den Zweiten Weltkrieg als Lehrstoff behandelte, ließ er die 12- bis
14-jährigen Schüler all das aufschreiben, was sie wussten, etwa auch über
Adolf Hitler: "Er hat das Hitlerkreuz überall anbringen lassen. Er hat die
Hitlerschule eingeführt. Wenn man jemanden gegrüßt hat, so mußte man sagen:
Heil Hitler! Er wollte nur die blondhaarigen Menschen. Er hat Selbstmord
begangen. Als Hitler regierte, half er viel den Leuten, wenn sie zu wenig
Geld hatten. Er war auch ein Kriegsführer." Oder: "Er war der Anstifter des
2. Weltkrieges und er hatte Österreich 1939 gewaltlos erobert. Die Juden
konnte er nicht leiden und deshalb ließ er sie in großen Hallen bei einem
Vergasungsvorgang umkommen. Danach riß man ihnen die Zähne aus, um sie zu
verwerten. 1945 brachte sich Hitler um, um nicht in die Hände der Russen zu
fallen, die hätten ihn sehr gequält. Hitler trug einen Schnauzer." 1986
druckte Trojer solche Aufsätze im "Thurntaler" ab.
Trojer wandte sich gegen das Bedürfnis, einen Schlussstrich unter die
bedrückende Vergangenheit zu ziehen, legte Linearitäten offen, machte
deutlich, dass sich mancher vermeintlich alte Brauch wie das
Maibaumaufstellen der NS-Zeit verdankte. Er thematisierte den
Antisemitismus, erinnerte an die Opfer der NS-Euthanasie, an Zwangsarbeit im
ländlichen Raum. Dabei scheute er sich nicht, einzelne Personen beim Namen
zu nennen: "Dann muß ich zugeben, daß mein Schwiegervater - sonst ein
herzensguter Mensch - ein Antisemit ist, der die NS-Judenverfolgung lieber
gutheißt als bedauert." Oder: "Mein bester alter, 1984 verstorbener Freund
Josef Obbrugger - im übrigen eine außergewöhnlich tolerante, verständige,
eigenständige Persönlichkeit - vermochte seine ablehnende Einstellung zum
Judentum zeitlebens nicht zu revidieren. Einen Juden kennengelernt hat er
einzig und allein als Rekrut 1917 in Enns und dessen einzige Auffälligkeit,
von ihm erstmals ‚Mahlzeit' statt ‚Guten Appetit' gehört zu haben, hat er
sich gemerkt." Oder: "Einer der Wirte hat sich neuerdings baulich erweitert.
Den Saal, wo Versammlungen, Festessen, Hochzeits- und Totenmähler
stattfinden, hat er neu ausgestaltet. Auf die Stirnwand, wo davor die
Haupttafel entlang steht, wo die Hauptpersonen sitzen oder vorsitzen, hat er
eine ‚Familie', bestehend aus stehendem Vater, sitzender Mutter, ihr auf dem
Schoß sitzendem Mädchen und am väterlichen Hosenbein sich anhaltendem Knaben
malen lassen, daneben den Spruch: ‚Ein Volk dem seine Mütter heilig sind
wird von Erfolg sich zu Erfolg bewegen'. In deutscher Fraktur. Der Wirt
scheut sich nicht, stolz mitzuteilen, daß genau dasselbe Bild mit genau
demselben Spruch seinerzeit in Hitlers Reichskanzlei eine Wand geschmückt
hätte, und zeigt auch die Vorlage her."
Dass Trojer sich in manchen Details irrte, anderes außer acht ließ, fällt
nicht ins Gewicht. Er war sich der Schwierigkeiten seiner Bemühungen nur zu
bewusst: "Die darstellung des diffizilen stoffes ist natürlich schwierig:
mit relativ wenigen gesicherten fakten das atmosphärische des talalltags der
hitlerzeit authentisch und gerecht ausgewogen zu dokumentieren. [...] Diese
sache beschäftigt mich nun schon jahrelang und ich habe viel dazu gesammelt.
der zeitzeugen werden ja jährlich weniger." Trojer arbeitete mit
Verknüpfungen, die einem Kommentar gleichkamen. So stellte er etwa im
"Thurntaler" Mutterkreuzträgerinnen Rekruten gegenüber, die vor dem
Einrücken in Zivil vom oben erwähnten Josef Obbrugger fotografiert wurden.
Die Fotos "wurden einerseits für den Ahnen-, andererseits für den Wehrpaß
benötigt. Allenthalben stand die ‚Stellung' bevor. Für das Paßbild wurde
dann lediglich der ‚Kopf' genommen. Für die meisten war es das erste
Portraitfoto überhaupt."
V
Erinnert sei auch an Heimrad Bäcker, der in seinen jugendlichen Jahren ein
begeisterter Hitler-Anhänger war, sich aber nach 1945 bis zu seinem Tod 2003
wie kein anderer Autor mit den menschenverachtenden Praktiken des
Nationalsozialismus beschäftigt hat. Dabei hatte er sich keine Handlungen
vorzuwerfen, bei denen andere zu Schaden gekommen wären. Als die alliierten
Truppen Linz befreiten, wurde Bäcker von den Amerikanern zum Arbeiten in das
Konzentrationslager Mauthausen abkommandiert. Der dort erlebte Schock wurde
zum Ausgangspunkt für eine lebenslange Trauerarbeit. Bäcker selbst sprach
von einem Prozess, der erst mit dem Tod des Autors zu Ende sein könne. In
diesem Prozess beschäftigte er sich intensivst mit der staatlich geplanten,
gesellschaftlich tolerierten und industriell organisierten Vernichtung von
Menschen. Diesen Prozess führte er auch gegen sich selbst, gegen seine - wie
er selbst es nannte - "imbezile Verehrungswut".
Heimrad Bäcker brauchte sehr lange bis zur ersten Veröffentlichung seiner
Texte. Die traditionellen literarischen Formen betrachtete er als
"ungeeignet, die Geschehnisse angemessen zu begreifen" und darzustellen.
Seine "nachschrift" erschien erstmals 1986. Bäcker nannte Helmut
Heißenbüttels Textmontage "Deutschland 1944" aus dem Jahr 1980 als
wegweisend für seine eigene Arbeitsweise. Heißenbüttel habe als Erster
gezeigt, dass die Mördersprache, die Tarnsprache der Nazis, eine Sprache der
"Vertauschung" sei, die sich nur durch Zitieren auflösen lasse. Der
Literaturwissenschaftler Klaus Amann: "Die Nazis sagten ‚sozialpolitische
Notwendigkeiten', wissend, daß Sozialpolitik etwas Nützliches ist und sie
meinten das Vergasen von Kranken, sie sagten ‚Endlösung', wissend daß eine
endgültige Lösung für ein Problem zu finden etwas Gutes ist und sie meinten
den industriell geplanten und organisierten Massenmord. Dies versteht Bäcker
unter ‚Vertauschung'. Bezeichnetes und Gemeintes passen nicht zusammen.
Sprachzeichen und Sprachbedeutung decken sich nicht." Tatsächlich fand er
bei Heißenbüttel nur die Bestätigung für eine Arbeitsweise, die er sich
selbst lange zuvor angeeignet hatte, im Wissen, dass - wie Friedrich
Achleitner schreibt - die "Totalität der nationalsozialistischen
Tötungsmaschinerie, die zynische Dialektik von pervertierter Ethik und
Vernichtung, Hygiene und Bestialität weder beschreib- noch darstellbar
[ist]. Jede Art von Beschreibung steht der Wirklichkeit im Wege, deckt sie
zu. Fotos von Haufen nackter, toter, auf das Skelett abgemagerter
Menschenkörper geraten zum Ornament, abgehoben in eine grausige
Bildwirklichkeit, die trotzdem nur wenig mit den Dimensionen des
tatsächlichen Grauens und Leids zu tun hat. Es gibt kein Medium, keine
Ersatzwirklichkeit, die diese tatsächliche, totale Wirklichkeit vermitteln
könnte. Jeder Versuch gerät zur Übertreibung des Nicht-Übertreibbaren, wird
damit zum Surrogat oder zum Kitsch." Bäcker beschäftigte sich einzig, und
das sehr genau, mit der Sprache von Tätern und Opfern, verweigerte sich
jeder literarischen Bearbeitung, "mit Ausnahme von Reihung, Wiederholung,
Aussparung; mit Ausnahme des Systems Nachschrift". An anderer Stelle spricht
Bäcker von "Isolierung, Verknappung, Stellung im Raum, Abfolge,
Kleinschrift".
Textmontagen oder Zitate werden gemeinhin als simples literarisches
Verfahren betrachtet. Dies gilt für Heimrad Bäckers Arbeit keinesfalls. In
jeder seiner Miniaturen des Grauens steckt lange Arbeit, intensive
Literatur- und Archivrecherchern, jahrelanges Begehen und Dokumentieren der
Mauthausen-Topographie. Besondere Bedeutung kommt in seinen Texten den
Weglassungen zu, den Leerstellen, die den Rezipienten zwangsläufig auf
anderes verweisen.
"unbeschadet der zu erwartenden gesamtanordnung hinsichtlich verwertung des
beweglichen und unbeweglichen besitzes der umgesiedelten juden wird
hinsichtlich des eingebrachten gutes, das künftig in allen anordnungen als
diebes-, hehler- und hamstergut zu bezeichnen ist, schon jetzt folgendes
bestimmt:
...."
Die entscheidenden Informationen sind durch die Einleitung bereits
vorweggenommen. Die Weglassung als bedrohliche Leerstelle. Bäcker verlangt
den Rezipienten die Entschlüsselung jener Bedeutungsspuren ab, die er gelegt
hat. Arbeitet Heimrad Bäcker mit Weglassungen, dann kehrt er das Bemühen,
Dinge zu Verschweigen und so zum Schweigen zu bringen, in ihr Gegenteil. In
seinen Weglassungen wird das Unausgesprochene höchst beredt.
Bäckers Texte, in seiner Arbeit bewegte er sich zwischen Literatur und
Kunst, stehen einem skulpturalen Verständnis nahe, was die
visuell-graphische Gestaltung der "nachschrift" deutlich macht: zumeist
spärlich bedruckte Blätter, Worte in Reihen, Kürzel, Kolonnen, Auflistungen
und so weiter, stets strengstens gesetzt. In der "nachschrift" findet sich
weder ein persönliches, noch ein literarisches Ich, mochte die Arbeit auch
biographisch motiviert sein. Bäcker verweigert sich jeder Erzählung.
Vielmehr stellt er frei und ermöglicht so einen unverstellten Blick auf die
Tötungsmaschinerie. Da er sich jeder herkömmlichen Narration widersetzt,
lassen sich seine Texte nicht einfach als Beschreibungen vergangener
Geschehnisse abtun. Klaus Amann: "Durch die radikale Verweigerung alles
Fiktiven und aller literarischen Erfindung, durch die bewußte Vermeidung
einer durch Erzählung und Nacherzählung unweigerlich sich bildenden
zeitlichen Struktur verhindert Bäcker die Historisierung des Geschehens. Die
Isolierung im Zitat und die ‚Konkretisierung' des historischen Materials in
einem literarischen Rahmen heben uns das in die Unübersichtlichkeit und
Gleichförmigkeit des Vergangenen Abgesunkene - und bis zu Bäckers Akt des
‚Nachschreibens' gleichsam Nicht-mehr-Vorhandene - als sprachlich
unmittelbar Gegenwärtiges ins Bewußtsein. Die ‚nachschrift' eröffnet, als
literarisches Werk, in dessen dokumentarisch verbürgtem Sprachmaterial die
Erfahrungs- und Empfindungswelten der Täter und der Opfer konserviert sind,
kraft ihrer ästhetischen Form einen Raum der Gegenwärtigkeit und der
Gleichzeitigkeit. Es ist ein Raum, in dem Anteilnahme, Kontemplation,
Erkenntnis, Entsetzen und Empathie möglich sind. Die von Bäcker auf das
dokumentarische Sprachmaterial angewendeten literarischen Verfahren schaffen
Bedingungen der Wahrnehmung und der Rezeption, die Reflexion, Verlangsamung
der Lektüre, Konzentration, Erinnerung, Eingedenken und Mitgefühl
ermöglichen." Wie keinem anderen gelang es Bäcker, die Verschränkung der
Gegenwart mit der Vergangenheit deutlich zu machen. Bäckers "nachschrift"
ist Erinnerungsarbeit im besten Sinn, nicht zuletzt deshalb, weil sich die
von ihm herausgearbeiteten Strukturen nicht einfach in die Vergangenheit
verabschieden lassen, mag er sich auch auf Dokumente und Ereignisse der
Vergangenheit beziehen. Bäcker bemühte sich um die Erhaltung der
"Dauerspur", von der Sigmund Freud schreibt.
Mahnmale wie das in Silbertal irritieren nicht, sie wirken geradezu
beschaulich. Gut denkbar, dass Feriengäste die Blumenpracht bewundern
werden, unwissend, auf was all das verweisen soll, nicht viel anders als
jene Touristen, die den "straßenwaschenden Juden" auf dem Albertinaplatz als
angenehme Sitzgelegenheit betrachteten, was heute dank des angebrachten
Stacheldrahtes nicht mehr möglich ist. Heimrad Bäckers skulpturale
Textarbeiten lassen dagegen nicht den geringsten Zweifel. Sie irritieren
zutiefst. Freilich hätte Bäcker diese nie in einem Kontext gezeigt, in dem
sie falsch verstanden werden hätten können.
Erinnern ist immer ein Tun aus der Gegenwart, sei es bewusst oder unbewusst.
Diesbezüglich wäre eine Sammlung von SMS spannend, die aus ehemaligen
Konzentrationslagern wie Auschwitz, Mauthausen etc. heute verschickt werden.
Bin in auschwitz.
Geht mir gut.
Sei umarmt.
M
(08/08/2009)
Wüssten wir weder um die Entstehungszeit, noch darum, dass es sich um ein
SMS handelt, das Schreiben ließe sich als eine abgezwungene Botschaft
betrachten wie der von Tatiana Lecomte zitierte Satz: "Ich bin gesund, es
geht mir gut." Es ist gut vorstellbar, dass Heimrad Bäcker, lebte er noch,
heute mit solchem Textmaterial arbeiten würde. Inzwischen dürfte klar sein,
dass übliche Mahnmale nur bedingt der Erinnerung dienen, mag auch außer
Streit stehen, dass begangenes Unrecht eines Zeichens bedarf und Mahnmalen
in der Erinnerungsarbeit durch all die Konflikte, die mit ihrer Errichtung
einhergehen können, eine wichtige Funktion zukommt.
VI
Im Innenraum ist ein Textband mit Tagebucheintragungen meines Onkels Walter
Kathan, Zwangsarbeit betreffend, zu sehen, streng gesetzt und in so großen
Lettern, dass sie jeder gut lesen kann, der von außen in den Innenraum
blickt. Diese Tagebücher bieten sich nicht allein deshalb an, weil sie zu
den wenigen Dokumenten zählen, die die Tatsache der Zwangsarbeit im Dorf
belegen. Sie zeugen auch davon, dass die Zuteilung von Zwangsarbeitern als
etwas sehr Normales galt. Dann machen sie deutlich, dass Zwangsarbeiter im
Dorf nahezu überall eingesetzt wurden. Bäuerlichen Tagebüchern entsprechend
werden stets die Flurnamen angeführt. Heute wissen die Wenigsten um all die
Flurbezeichnungen. In den 1940er Jahren war das noch anders. Damals wussten
alle genauestens um das Topographische, um Besitzverhältnisse,
Grenzverläufe, Wegrechte und so fort. Die einen oder anderen
Flurbezeichnungen sind heute noch geläufig. Werden diese im Kontext von
Zwangsarbeit erwähnt, so wird Geschichte konkret. Die erwähnten Flurnamen
sind dort von aktueller Bedeutung, wo sehr viele Gemeinden nun im Interesse
der Erhaltung von Flurnamen Tafeln mit entsprechenden Bezeichnungen
aufstellen lassen, freilich ohne diese Namen mit konkreter Geschichte in
Verbindung zu bringen. In der Textinstallation werden die erwähnten
Flurnamen gleichsam mit Geschichte angereichert. Dabei verweisen sie nicht
nur auf Besitzverhältnisse oder Bewirtschaftungsformen, sondern auch auf das
Faktum der Zwangsarbeit. Erinnerungsarbeit muss stets beim Konkreten
ansetzen. Viel wäre gewonnen, gelänge es, Einzelne zu motivieren, etwa
Familienalben anders anzuschauen. Ein Mahnmal ist mir kein Anliegen. Ein wie
immer gearteter künstlerischer Eingriff kann doch nur Teil eines
Erinnerungsprozesses sein, nicht aber die Auseinandersetzung mit der
Vergangenheit ersetzen.
Bernhard Kathan, Herbst 2011
Unterstützt durch:
Zukunftsfonds der Republik Österreich