Unheimliche Idylle



Mehrere Autowracks in einem Feld. Im Gras, neben anderen hingestreckten Körpern, der einer jungen Frau mit langen blonden Haaren. Ihre weiße Bluse ist blutgetränkt. Sie wurde aus einem der Fahrzeuge geschleudert. Im Hintergrund eine große Rauchwolke. Keine Angst! Niemand wurde aus dem Auto geschleudert. Die auf der Wiese Liegenden lassen an Verletzte und Tote denken, verletzt oder tot sind sie nicht. Die demolierten Autos sind nur arrangiert, mögen sie sich auch wirklichen Unfällen verdanken. Was uns an Blut denken lässt, ist nichts als rote Farbe. Die Einsatzkräfte, die auf den Abbildungen zu sehen sind, verhalten sich anders als im Ernstfall. Eine Katastrophenübung aus den 1960er Jahren. Hinter Absperrbändern drängen sich Zuschauer. Ein Kamerateam des ORF ist zu sehen. Nach der Übung unterhält sich die junge Frau, die in der Wiese lag, sie trägt immer noch die verschmierte weiße Bluse, gut gelaunt mit anderen.

In der simulierten Katastrophe verdichten sich alle Phantasmen des Heimatlichen. Die Katastrophe wird weniger gefürchtet als herbeigewünscht. In der Katastrophe schließen sich die Menschen zusammen, scheinen alle Konflikte und Interessensgegensätze, die das alltägliche Leben bestimmen, aufgehoben.

Eine Erfahrung, die sich tief in meine Erinnerung eingegraben hat. Es war Spätherbst. Ich wohnte damals in einem alten Bauernhaus in einem Dorf in der Nähe von Innsbruck. Das Haus befand sich in einer Gasse, die damals noch sehr bäuerlich geprägt war. Ich lag spätabends im Bett und sah mir eine Verfilmung von Poes „Der Untergang des Hauses Usher“ an. Das Fenster stand offen. Nebel drang in den Raum. Neben mir schlief meine Tochter, gerade einmal fünf Jahre alt. Plötzlich wurde ich durch ein lautes Knistern und Krachen aufgeschreckt, Geräusche, die von unten in die Kammer drangen. Ich roch es nicht, sah keinen Rauch, aber ich hörte es brennen. Und es brannte. In einem der Nachbarhäuser wohnte eine alte Frau, die in der Kirche für den Blumenschmuck zuständig war. Sie wusste um die Wirkung von Hortensien, Pfingstrosen oder Astern. Sie wusste, welche Farbe zu welchem Fest die richtige war. Eine Frau mit kindlichem Gemüt, ledig geblieben, immer noch aufgeregt an Tagen, an denen es vor langen Jahren jungen Burschen freistand, in die Kammern junger unverheirateter Frauen zu dringen. Oft genug war sie bei uns zu Besuch. Aber nur abends, nur ungesehen wagte sie die Straße zu queren. Sie kam wohl nur deshalb, weil sie noch einmal so jung sein wollte, wie wir es damals waren. Dann saß sie meist still in der Stube und schaute. Es wäre sinnlos gewesen, von ihr Hilfe zu erwarten. In einem anderen Nachbarhaus wohnte eine andere alte Frau, sehr selbstbewusst, im Streit mit vielen. Als ihr eine ihrer zwei längst erblindeten Kühe (sie standen in einem fensterlosen Stall) eines ihrer Augen ausstach, kam sie schreiend zu mir gelaufen, eine blutverschmierte Hand über das Auge haltend. Ich fuhr mit ihr in die Klinik. Das Auge war nicht mehr zu retten. Zu ihr wäre ich gerne gerannt, aber auch sie hätte mir nicht helfen können. Nur in einem der Nachbarhäuser brannte noch Licht. Ich war in all den Jahren zuvor kein einziges Mal bei diesen Nachbarn gewesen. Auch dort sahen sie die Poe-Verfilmung. Das Haus brannte nicht ab. Die Feuerwehr war schnell zur Stelle, es ließ sich gerade noch löschen. Die Suchhunde der Gendarmerie hatten keine Mühe, die Spur des Brandstifters aufzunehmen. Den Brand hatte ein junger Bursch gelegt, ein Verwandter des Hausbesitzers. Er war Mitglied der örtlichen Feuerwehr, wohl auch an den Löscharbeiten eifrig beteiligt.

Die Brandstiftung hatte sich lange zuvor angekündigt, zum ersten Mal an einem Abend, wir waren eben erst eingezogen, als unten die Haustüre aufgestoßen wurde und einige Säcke Müll in den Gang gekippt wurden. Einmal steckte jemand eine unserer Katzen in ein Altölfass. Ja, die Katzen, das sind Grenzgänger, die auch in den Gärten der Nachbarn herumwandern. Später sollte jemand all unsere Katzen vergiften. Eine nach der anderen. Eine dieser Katzen entdeckte ich im nassen Gras, zwar noch atmend, aber bewegungslos. Auf der einen Seite war sie noch warm, auf der anderen bereits erkaltet. In all den Jahren zuvor hatte der Hausbesitzer oft genug gemeint, am besten wäre es, das Haus würde abbrennen. Das nannte man damals „warm abtragen“. Später hieß es, ich sei schuld am Unglück des jungen Burschen. Dabei wusste ich nicht einmal seinen Namen. Er hatte bereits mehrere Brände gelegt. Zweifellos hat er nur das ausgeführt, was Erwachsene oft genug ausgesprochen hatten, mochten sie es auch im Scherz gemeint haben.

Anzünden, das heißt letztlich austilgen. Löschen. Wird ein Haus angezündet, dann gilt das den Menschen, die darin wohnen. Die Wut, die die Katzen traf, galt nicht ihnen, sondern mir. Weniger die Katzen, ich oder wir sollten verschwinden. Dabei lebten wir ziemlich normal. Wir waren nur Auswärtige und engagierten uns in keinem der örtlichen Vereine. Ich schrieb an meiner Dissertation, meine Frau arbeitete im Krankenhaus. Wohnten wir heute noch in diesem Dorf, niemand käme auf die Idee, gerade unser Haus anzuzünden. Längst hätten andere Projektionsfiguren unsere Stelle eingenommen.



Es ließen sich unendlich viele solcher Geschichten erzählen. Stets haben wir es dabei mit Stereotypen und Projektionen zu tun, deren Gehalt weniger über jene etwas sagt, denen sie gelten, als über die, die sich ihrer bedienen. Mit Hilfe des Fremden oder Ausländers wird die eigene Identität definiert, auf Heimat bezogen die kollektive Identität.

Verschwinden sollen sie,
dorthin gehen –
von wo sie kamen.
Dann komme die Welt
wieder in Ordnung.
Verschwänden sie,
dann träten andere
an die Stelle
der Verschwundenen.
Und verschwände in der Folge,
der Störung bezichtigt,
einer nach dem anderen,
so säße am Ende
der, der dies betrieben,
ganz allein in seiner Traurigkeit.

Alles Heimatliche behauptet Geschlossenheit, Stimmigkeit, Gleichklang. Dabei wird Heimat stets dann phantasiert, wenn die eigene Welt als brüchig erlebt wird, sei es aufgrund technologischer oder aufgrund sozioökonomischer Entwicklungen. Wir leben in einer Zeit eines nie dagewesenen Umbruchs, der alle Lebensbereiche durchdringt und der sich immer schneller vollzieht. Unsere Identitäten sind keineswegs gewiss. Der heutige Mensch hat sie ein Leben lang auszuhandeln. All das ist zwangsläufig mit latenter Unsicherheit, Verunsicherung verknüpft. Die phantasierte Heimat ist eine von vielen Antworten darauf. Ein guter Indikator dafür findet sich in der Erodierung gesellschaftlicher Institutionen, etwa im Niedergang politischer Parteien, die über lange Jahrzehnte Menschen Orientierung und Halt gaben. Auf einem der Plakate von Sebastian Kurz steht zu lesen: „Zusammen. Neue Wege gehen.“ Die Partei bleibt unerwähnt. Willkommen in der Markenbehauptung. Auf wen bezieht sich das „zusammen“? Eine zutiefst heimatliche Behauptung. Während Politiker oder Parteien auf der Stufenleiter gesellschaftlicher Anerkennung ganz unten rangieren, stehen die Feuerwehren an oberster Stelle, dahinter etwas abgeschlagen die Rettungsdienste. Politik hat sich mit den Vertracktheiten gesellschaftlichen Lebens zu beschäftigen. Lösungen, die allen entsprächen, sind undenkbar.

„Unser Geld für unsere Leute.“ Gesellschaft wird in solchen Bildern durchwegs mit Gemeinschaft verwechselt. Dabei handelt es sich bei einer Gesellschaft um ein höchst bewegliches Gebilde, in dem Interessen unterschiedlichster Gruppen stets neu ausgehandelt werden müssen. Gemeinschaft dagegen behauptet das WIR, ist also letztlich ausschließend, was die häufige Forderung rechter Parteien nach Volksabstimmungen deutlich macht. Hier entscheidet die Mehrheit als das sogenannte Volk über Minderheiten. Dabei ist dieses WIR höchst fraglich, orientieren sich heutige Menschen doch zunehmend subkulturell, nach Einkommens- und Altersgruppen und so fort geschieden. Der in den Phantasmen des Heimatlichen behauptete Raumbezug hat sich weitgehend aufgelöst, hat doch die heutige Mobilität eine extreme Dehnung des Raumes zur Folge.

Dolf Sternberger merkte bereits in den 1950er Jahren an, dass die Vorstellung von Heimat untrennbar mit Mobilität verbunden sei. Heimat meint allemal eine überschaubare Welt. Da die Küche, dort die Kirche mit dem Friedhof. In den Phantasmen schrumpft die als bedrohlich erlebte Wirklichkeit, das Fremde und Unübersichtliche, zur Gemütlichkeit einer „Wohnküche“ (Ludwig Giesz), zum stimmungsvollen, eindeutig Heimatlichen: It is not real, but it is familiar. Um es mit Vilém Flusser zu formulieren: „Die irrtümlich als Schönheit empfundene Hübschheit einer jeden Heimat, diese Verwechslung zwischen Ungewöhnlichem und Gewohntem, zwischen Außerordentlichem und Ordinärem, ist in manchen Heimaten jedoch nicht nur eine ästhetische, sondern eine ethische Katastrophe.“

Flusser – als Migrant hat er sich immer wieder mit Heimat beschäftigt – meint, die Beheimateten verwechselten Heimat mit Wohnung: „Sie empfinden daher ihre Heimat als hübsch, wie wir alle unsere Wohnung als hübsch empfinden. Und dann verwechseln sie die Hübschheit mit Schönheit.“ Zumeist würden geheime Fasern den Beheimateten an Menschen und Dinge der Heimat fesseln: „Sie reichen über das Bewusstsein des Erwachsenen hinaus in kindliche, infantile, wahrscheinlich sogar in fötale und transindividuelle Regionen; ins nicht artikulierte und unartikulierte Gedächtnis.“

In den Leserbriefseiten der Neuen Kronen Zeitung werden alle Facetten des Heimatlichen geradezu idealtypisch durchgespielt: „400 Millionen vor allem junge Männer aus Schwarzafrika wollen in die EU. Da ist der voraussichtliche Familiennachzug noch gar nicht eingerechnet. Weil überwiegend Analphabeten, werden bei uns 90% dieser Leute zu Sozialfällen. [...] Wir wissen, dass die zu erwartenden 400 Millionen nicht in Kürze kommen. Aber sie werden kommen, bis es den angestammten österreichischen Steuerzahlern reicht und österreichische Politiker mit Verstand und Weitsicht zum Wohle noch unseres Landes tätig werden. Heinz Hoffberger, Hörsching.“ (14/07/2017) Herr Hoffberger hätte an den Physikunterricht denken sollen, lässt doch die Globalisierung, und Migrationsbewegungen sind vor diesem Hintergrund zu betrachten, an ein System kommunizierender Gefäße denken. Ist in bestimmten Teilen des Kapillarsystems eine gewisse Sättigung erreicht, dann verliert dieses seine Sogwirkung, mehr noch, Rück- und Abflüsse sind die Regel. 400 Millionen vor allem junge Männer aus Schwarzafrika sind keineswegs zu befürchten. Die exorbitante Zahl ist vielmehr Ausdruck subjektiv erlebter Dringlichkeiten.

UNSER LAND
UNSERE REGELN
UNSERE WERTE
UNSERE HUNDE
So, und jetzt ist mir
leichter!
(Neue Kronen Zeitung, Leserbrief, 18/07/2017)

Ich unterhalte mich immer wieder mit Leuten, die der festen Überzeugung sind, dass „der Islam“ oder „die Türken“ Österreich oder Europa überrennen oder unterwerfen werden. Auch das ist aus vielen Gründen eine völlig absurde Vorstellung. Nüchtern betrachtet sind ökologische, atomare oder ökonomische Katastrophen um vieles wahrscheinlicher, werden aber von den wenigsten Menschen als wirkliche Bedrohung wahrgenommen. Zwangsläufig haben die heutigen Migrationsbewegungen vielfältigste Probleme zur Folge. Diese sollen ernst genommen und auch offen diskutiert werden. Aber sie stehen in keinem Verhältnis zu tatsächlichen Bedrohungen und all den Verwerfungen, die eben Ursache dafür sind, dass sich Menschen in Europa ein sicheres oder besseres Leben erhoffen. Ausgeblendet werden auch all die Migrationsbewegungen unserer eigenen Vergangenheit. Man denke an die vielen Menschen, die um 1900 nach Amerika ausgewandert sind, weil sie hofften, dort eine Zukunft zu haben, ganz zu schweigen von all den Vertriebenen, die als Folge des großen Heilsversprechens von „Volksgemeinschaft“ oder „Heimat“ buchstäblich zu Heimatlosen wurden.



Etwas Empirie würde sich allemal lohnen. Schon zur Ernüchterung. Zur Bekämpfung heimatlichen Kitsches. Es würde sich etwa lohnen, ähnlich Schnittmustern einmal biographische Bewegungsmuster von Menschen in einem beliebig ausgewählten Feld übereinanderzulegen. Machte man dies und unterhielte sich mit all den Menschen, man würde zu erstaunlichsten Erkenntnissen gelangen, zu einem ganz anderen WIR.

Die Sehnsucht nach Heimat ist Ausdruck individueller oder kollektiver Ängste: „Für Psychoanalytiker hat Heimat die Bedeutung einer seelischen Plombe. Sie dient dazu, Lücken auszufüllen, unerträgliche Traumen aufzufangen, seelische Brüche zu überbrücken, die Seele wieder ganz zu machen. Je schlimmer es um einen Menschen bestellt ist, je brüchiger sein Selbstgefühl ist, desto nötiger hat er oder sie Heimatgefühle, die wir darum eine Plombe für das Selbstgefühl nennen. Psychoanalytiker haben es leichter als jene, die sich um Heimat in diesem oder jenem Land, in diesem Staat, jener Nation, um Heimat in einer Weltanschauung, Dichtung, Religion oder Sprache kümmern. Wir sagen: Wer ein gutes Selbstgefühl hat, der hat Heimat. Wem es daran gebricht, der habe Heimat.“ (Paul Parin) An den Empfindungen, die dem Heimatlichen zugrunde liegen, soll keineswegs gezweifelt werden. Sie sollen und müssen ernst genommen werden. Das Problem ist nur, dass alle Behauptungen des Heimatlichen gerade diese Empfindungen zum Schweigen bringen.

In einer Ausstellung zum Thema Heimat zeigte ich eine Russlandkarte, die ein von Heimweh geplagter Bergbauernsohn während des Zweiten Weltkrieges in der Ukraine bei sich trug. Ich habe nicht den geringsten Zweifel, dass der damals Zwanzigjährige auch beteiligt war, als es galt, russische Dörfer, also Heimat anderer, niederzubrennen. In Feldpostbriefen kann sich das so lesen: „Ich muss an die Frau denken, die Dienstag so entsetzlich schrie, als sie, gerade als ich vorüber fuhr, an ihr brennendes Haus kam, das sie beim Weggehen verschlossen hatte und jetzt waren drinnen ihre drei Kinder und man konnte nicht mehr an das Haus heran. Und dort steht ein junges Mädchen, das Haus wird gleich angezündet werden. Sie steht vor der Tür, sieht auf die Straße und spielt auf der Balalaika. Ein volksdeutscher Soldat kommt an sie heran, um ihr das Instrument wegzunehmen und mit einer unbeschreiblich bereitwilligen Geste reicht sie ihm ihre Balalaika. Das war am 4., als wir fünf Dörfer völlig in Rauch und Asche legten und in einigen brennenden Häusern halbe Stunden und länger die verborgene Infanteriemunition knatternd explodierte. Manche hatten ihr Bettzeug aus dem brennenden Haus gerettet, während die Verkleidungen der Hüttenwand mit dem Feuerzeug oder Streichholz in Brand gesteckt wurden. Darauf saßen oder kauerten sie jetzt im kleinen Garten und schauten dem Brennen ihres Hauses zu, als wäre dies das schönste Schauspiel. Es ist ja auch ein schönes Schauspiel, ein solcher Brand (denke nur an den brennenden Justizpalast). Wenige weinten und jammerten. Es nützte ihnen auch nichts. Manche trieben uns ihr Vieh zu. Teilweise wirklich schöne Tiere. Unsere Abteilung allein brachte gegen 150 Stück mit. Nicht gerechnet die sozusagen privaten Requirierungen. Wir fünf Mann vom Feldlazarett brachten mit: drei Schweine, drei Lämmer, sechs Gänse, vier Enten. Ein Schwein und ein Lamm sowie sechs Gänse wurden von uns außerdem gestohlen. Auf einmal lagen auf meinem Schlitten zwei Schafspelzmäntel. Der volksdeutsche Reiter, der sie zu uns geworfen hatte, meldete sich nicht mehr. So kamen Lux und ich zu Pelzmänteln. Sie wurden den Leuten meistens ausgezogen. Da stand ein Mädchen in ein warmes Tuch gehüllt, das sie vor der Kälte schützen sollte. Es wurde ihr abgenommen. Schöne Tücher, Teppiche, Schuhe, auch diese wurden erbeutet. Es musste ein Exempel statuiert werden.“ Die Episode ereignete sich in den ersten Januartagen des Jahres 1943. Es war bitterkalt.

Befragt man die erwähnte Russlandkarte, dann haben wir es geradezu mit einem Lehrstück in Sachen Heimat zu tun. Junge Burschen, die in ihrem Leben nicht weit gekommen waren, fanden sich plötzlich in einem fremden Land wieder, unter Menschen, deren Sprache sie nicht verstanden. Zumindest am Beginn des Krieges, das belegen erhalten gebliebene Feldpostbriefe, mischte sich in die Angst auch die Hoffnung, der engen bäuerlichen und dörflichen Welt, also dem Heimatlichen, zu entkommen. Die Russlandkarte passt so gar nicht in ein Heimatmuseum. Und doch haben wir es mit einem Objekt zu tun, das von konkret erfahrener Geschichte erzählt, von einer Geschichte, die abertausende erlebten. Heimatmuseen geben vor, sich mit der Vergangenheit zu beschäftigen. Tun sie das wirklich? Die in Heimatmuseen gezeigten Objekte wirken, als entstammten sie einer indifferenten Vergangenheit. Objekte der Vergangenheit werden mit der Vergangenheit verwechselt. Auch Heimatmuseen haben eine plombierende Funktion. In der Regel kennen sie keine wirkliche Selbstbefragung, trotz allen Engagements nur wenig Neugier. Wir haben es mit abgestellten, nicht mit beredten Dingen zu tun. Auffallenderweise richten sich Heimatmuseen oft genug an „Fremde“. Warum will man das „Heimatliche“ Fremden zeigen, warum soll das heimatlich sein, was man aus guten Gründen verworfen hat? Jedes Objekt, das sich in Heimatmuseen findet, ließe sich danach befragen, was das Heimatliche an ihm ist. Spannender jedoch ist es, das hinzu zu denken, was in Heimatmuseen fehlt.



Der Initiator der eingangs erwähnten Katastrophenübung – er hieß Hermann Leitner, war Präsident der Kärntner Ärztekammer, Landesfeuerwehrarzt, Mitbegründer der Österreichischen Gesellschaft für Notfall- und Katastrophenmedizin, seiner Initiative ist die Einrichtung des Ärztefunkdienstes zu verdanken – war als junger Bursch während des Zweiten Weltkrieges in Finnland stationiert. Während ihres Rückzugs betrieben die Nazitruppen ein systematisches Zerstörungswerk. Auch Wohnhäuser wurden in Brand gesteckt. Die nachrückende Rote Armee sollte keine Unterkünfte vorfinden. Leitner, später darauf angesprochen, meinte, Bewohner von in Brand gesteckten Häusern hätten ihnen Gläser mit Preiselbeermarmelade überreicht. Dankend.

© Bernhard Kathan, 2017

„Sehnsuchtsort Heimat“, OHO - Offenes Haus Oberwart
8.10. bis 21.10.2017

Arbeiten von:
memoryPROJECTS (Eva Brunner-Szabo, Gert Tschögl A) – Installation:
TransitTriest
Pittmann Zsófi (H) – Projektarbeit: Heimat und Pop-Kultur
Bernhard Kathan (A) – Projektarbeit: Heimat verzehren!
Gilda-Nancy Horvath (A) – Projektarbeit: Meine Heimat / Kai me sim Kehre / Where I feel home
Songül Boyraz (A, TRK) – Projektarbeit: Videoinstallation
Alfred Lang (A) – Klanginstallation: Polyglottien
Róza El-Hassan (H, SYR) – Projektarbeit: adobe house
Tomas Eller (A, I) und Andreas Lehner – Film und Fotoprojekt: Silversky
Zeitgenössischen AutorInnen – „heimatge(h)dicht“ Lyrik im Öffentlicher Raum – Hauptplatz
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