Bernhard Kathan
Kunst-Würste und Wurst-Künste


mit einer großen Zahl Leber-, Blut- oder Rotwürsten, Kochwürsten, mit Brühwürsten, mit Rohwürsten und Rouladen, Pasteten, Aspikwaren, Fleischsalaten, mit Dosenkonserven; Fenster mit Pökel- und Raucherwaren ...


Foto: Bernhard Kathan


Bei der Skulptur Incarnate des britischen Künstlers Marc Quinn handelt es sich um eine aus Eigenblut hergestellte Blutwurst. Im heutigen Kunstbetrieb kann nur Erfolg haben, wer medial wahrgenommen wird. Dies ist oft genug nur noch dann möglich, werden Tabugrenzen überschritten. Wenn Blutwürste heute bereits bei vielen Menschen Ekelgefühle auslösen, dann trifft dies noch mehr auf Würste zu, die aus menschlichem Blut hergestellt sind. Wir haben es mehr mit Symbolischem als mit Substanzen zu tun. Wüsste man nicht um den Inhalt, und vorausgesetzt, die Blutwurst wäre richtig zubereitet, wir wären wohl kaum in der Lage, eine so produzierte Wurst von einer aus Schweineblut gefertigten zu unterscheiden. Kartoffeln und Sauerkraut dürften nicht fehlen, auch nicht Apfelmus, welches daran erinnerte, dass man einst die Schweine im Herbst schlachtete. Auch die Wiener Künstlergruppe Monochrom produzierte aus eigenem Blut eine Blutwurst, die dann gemeinsam in Heurigenatmosphäre verspeist wurde. Der Kunstbetrieb ist gegenüber Wiederholungen unerbittlich. Wer aus eigenem Blut eine Blutwurst herstellt, obwohl dies bereits ein anderer gemacht hat, macht sich lächerlich. Da hilft nicht, wird der Verzehr durch ein Gehacktes aus “politischen” Anmerkungen zur Globalisierung, “kritischen” Statements zu Kunst, Kunstgeschichte und Kunstmarkt aufgeladen. Die Steigerungsform fände sich dort, wo einer zur Wurst nicht nur Blut, sondern auch noch ein Stück Darm gäbe, den Blinddarm etwa.

Verglichen mit Schaufenstern mit Kolonialwaren, Wein und Spirituosen, Porzellan- und Haushaltswaren, Kleidung, Uhren, Schmuck, Wäsche, Wollwaren, Obst- und Südfrüchten, Bäckereien und Konditoreien üben Schaufenster von Metzgereien unbedingt die stärkste Wirkung auf groß und klein aus.

Bereiten sich Künstler aus eigenem Blut Wurst, dann geht es buchstäblich um die Wurst. Der Einsatz ist hoch. Zur eigenen Ernährung ist sie sinnlos, führt sie doch weniger Energie zu als sie gekostet hat. Etwas anderes wäre es, schnitte sich einer ein Stück Haut aus dem Leib, um dieses zu trocknen und darauf zu schreiben: “Ich liebe Dich, Signe. Das habe ich auf meiner eigenen Haut geschrieben.” Wen man liebe, für den gebe man den letzten Blutstropfen hin, also das eigene Leben. In Hans Henny Jahnns Fluss ohne Ufer unterziehen sich Tutein und Gustav einem Blutaustausch, weil alle ihre Versuche, sich des anderen gewiss zu sein, erschöpft sind. Der Blutaustausch wird zum ultimativen Geschlechtsakt, mögen beide dabei auch völlig passiv sein, den Ablauf zwei Ärzten und einer Krankenschwester überantworten. Tutein stirbt, Gustav findet seine schöpferische Kraft wieder. Mehr Hingabe kann es nicht geben, als den eigenen Tod in Kauf zu nehmen. Was aber, wenn der Liebende lediglich Opfer seiner Wünsche ist? Octave Mirbeau lässt in einer seiner Geschichten einen greisen Baron aus eigenem Blut Eisen gewinnen, um daraus einen Ring für seine Geliebte herzustellen. Der Alte fällt infolge der durch den großen Blutverlust bedingten Schwächung in Agonie. Seine Mätresse verschmäht den Ring. Ach, eine Pendüle wäre ihr lieber gewesen. Beziehungen sind eben konfliktreich, trügerischen Empfindungen unterworfen. Wie hätte die Geliebte erst reagiert, hätte der Alte ihr eine aus eigenem Blut bereitete Wurst aufgetragen? Immerhin haben wir es mit einer Geste einer konkreten Person gegenüber zu tun, und nicht gegenüber einer vagen, indifferenten Öffentlichkeit.

Wie mannigfaltig sind doch schon die Formen und Größen der Würste in Rinderbuttdärmen, Schweinemägen, Blasen, Schweinebutten, in Krausedärmen, Schlacken und Schlünden. Wie bunt wechseln ihre Farben vom Zitronengelb bis zum Orange der Gelbwürste über die vielerlei Braun- und Rottöne zu tiefem Schwarzrot und Rot, zu orangebraunen und graubleichen bis fast weißen Färbungen und Farbnuancen.

Trimalchio, an Geld mangelt es ihm nicht, lädt zu einem Gastmahl. Zwischen Gängen wird auf einer Platte eine riesige Wildsau hereingetragen, während wütend bellende Hunde um die Tafel rennen. An den Zitzen liegen Ferkel, aus feinstem Mehl gebacken. Man muss ja wissen, dass es eine Muttersau ist. Es bleibt keine Zeit, das Schaustück zu bestaunen, denn schon schlägt ein Riese mit einem einzigen Hieb den Bauch in zwei Hälften, Drosseln fliegen heraus, die von geschickten Vogelstellern mit ihren Leimruten wieder eingefangen werden. Zwischen den einzelnen Gängen werden verschiedenst zubereitete Vögel und andere Kleinigkeiten aufgetragen. Der Abend zieht sich in die Länge. Drei weiße Säue werden an einem Halfter und mit einem Glöckchen geschmückt hereingeführt. Die größte verschwindet wieder in der Küche und kehrt schon kurze Zeit später auf einer riesigen Platte zurück. Aber das Schwein ist nicht ausgenommen. Unverzeihlich. Der Koch wird bestraft. Er muss das Vergessene an Ort und Stelle nachholen, aber kaum ist der Bauch aufgeschlitzt, quellen feinste Brat- und Blutwürste aus dem Magen. Jeder Gang ist eine kleine Aufführung, entscheidend ist stets der Augenblick, in dem aufgetragen wird. Als Vorläufer heutiger Inszenierungen dachte Trimalchio weniger an den Inhalt als die mediale Wirkung. Die von ihm geladenen Gäste waren einzig Statisten seiner Inszenierung.

Um schöne und qualitativ hochwertige Fleischwaren in ihrer vollen Farb- und Formenpracht richtig zur Geltung zu bringen, ist es natürlich sehr vorteilhaft, wenn die Böden der Schaufenster aus entsprechendem Material angefertigt sind. Immer mehr wird Schwarz als Färbung bevorzugt. Ganz besonders gut wirkt schwarzer Marmor, der namentlich in Verbindung mit blinkendem Metall den Fenstern eine geradezu vornehme Note verleiht.

Kulturgeschichtlich verdankt sich die Wurst Schlachtabfällen, Abgeschabtem oder schnell Verderblichem. Die bereits von Homer erwähnte Magenwurst, ein Ziegenmagen, mit Blut und Fett gefüllt, hat sich bis in die jüngere Vergangenheit im sogenannten Schwartenmagen erhalten. Man schnitt einen Schweinsmagen an der Öffnung etwas auf, drehte ihn um und wusch ihn in öfters gewechseltem Wasser. Um ihn von allem Schleim zu säubern, rieb man ihn innen und außen mit Salz ein und reinigte ihn nochmals gründlich in Wasser. Man bereitete eine Masse aus gekochtem Kesselfleisch, gekochten, kleingeschnittenen Schwarten und Fleischstücken vom Kopf, darunter die gekochten und nudelig geschnittenen Ohren, die mit etwas Pfeffer und feingeriebenem Majoran gewürzt wurden. Man konnte auch gepökelte und gekochte Zunge hinzufügen. Dann füllte man den ungekochte Magen mit dieser Masse. Er durfte keinesfalls zu fest gestopft werden, da sich die Fülle während des Kochens ausdehnt. Hatte man den Magen zugebunden, ließ man ihn in heißem, leicht gesalzenem Wasser 1 ½ - 2 Stunden ziehen. Zur Probe verwendete man eine Stricknadel. War der austretende Saft nicht mehr rot und lief nur noch Fett heraus, dann war der Magen gargekocht. Ein Schwartenmagen ließ sich länger aufbewahren, räucherte man ihn 6 - 8 Tage. Der Schwartenmagen in seiner ursprünglichen Form ist nahezu vollkommen aus der Küche verschwunden. Zum einen ist es eine mühsame Angelegenheit, einen Magen gründlich zu reinigen. Dann ist Fleisch heute so billig, dass viele Abfälle des tierischen Körpers nicht mehr zu Würsten verarbeitet werden. Nicht wenige würden sich vor dem Anblick eines Magens oder nudelig geschnittener Ohren, an denen noch nicht ganz abgeschabte Borsten zu sehen sind, ekeln.

Die von zahlreichen Wurstwaren ausgehenden, alt und jung fesselnden Wirkungen führen nach dem Anblick in den Schaufenstern alltäglich in zahlreichen Fällen zu sofortigen oder späteren Einkäufen. Die Kauflustigen besehen viele der ausgestellten Fleischwaren mit ihren eigenartigen Formen, Formvariationen, Farben und Farbennuancen gewöhnlich sehr eingehend, und immer stärker regt sich in ihnen während der Betrachtung auch der Wunsch, diese oder jene zu erwerben, um sie zu besitzen und verzehren zu können.

Fehle es nicht an Würsten, dann ließe es sich leben. Im Schlaraffenland hängen den Fettleibigen Würste in den Mund. Da herrscht so ein Überfluss an Würsten, dass selbst die Weinstöcke mit Würsten zusammengebunden werden. In Fénelons Reise zur Insel der Vergnügen mangelt es auch nicht an Würsten. Aber um ständig essen zu können, müssen sich die Menschen mit Wechselmägen ausstatten. Heute geben sich Fleischauslagen zurückhaltend, vor allem übersichtlich. Das Bezeichnete soll sich einzig bezeichnen lassen. Noch in den 50er wurde Fülle inszeniert. Oft genug sah man damals aufgeputzte Ferkel, Schweinsköpfe oder Schweinsfüße. Heutige Konsumenten stoßen sich nicht allein an der Erinnerung an den Tierkörper, ihnen wären solche Auftürmungen suspekt. Da könnten Würste zu lange gelegen haben. Kein Ablaufdatum! Dann erträgt eine Gesellschaft, die mehr Fleisch denn je verzehrt, keine Wurstberge mehr. Mengen erinnern nur zu deutlich daran, dass wir es nicht mehr mit von Metzgern hergestellten Würsten, sondern zumeist mit industriell hergestellten Produkten zu tun haben.

Blumen und Pflanzen dürfen naturgemäß nicht das Ausstellungsbild beherrschen. Es steht jedoch außer jedem Zweifel, dass durch passend gewählte nicht- oder schwachduftende Blumensträuße, etwa Tulpen, Osterglocken, Forsythien, Mimosen, und Blumenstöcke wie Hyazinthen, Alpenveilchen, Hortensien, Alpenrosen, oder durch nicht zu große Pflanzen mit großen Blättern, etwa Philodendron, das gute, festliche Bild eines Fensters erst richtig belebt und abgeschlossen wird.

Ohne Haut keine Wurst. Ob man nun Därme, Mägen oder ganze Schweine füllt, wir haben es immer mit Würsten zu tun. Was die Häute betrifft, waren dem Einfallsreichtum keine Grenzen gesetzt. Nicht nur Därme und Mägen, ganze Tiere wurden gefüllt, insbesondere ausgebeintes Geflügel: “Aus allerley Geflügel größerer Art, indianischen Hähnen, Kappaunen, Pularden, auch wohl aus Fasanen, [...] löse man die Knochen so säuberlich aus, daß die Haut unverletzt bleibt. Hierauf bereite man ein Gehäcksel aus Geflügellebern und Speck mit beliebigen würzenden Zusätzen. Man fülle damit das von den Knochen befreyete Geflügel, und lege zwischen das Gehäcksel in der ganzen Länge des Thieres ein oder mehrere lange und derbe Schnitte geräucherten Schinkens. Trüffeln oder feine Schwämme, wenn man sie gerade zur Hand hat, breite man in dem Gehäcksel aus, daß sie fein allenthalben verstreuet seyen. Man stopfe das Geflügel nicht zu fest an, damit es nicht aufspringe, und damit es im Schnitte mehr Abwechslung gebe.” Nicht zu sehr zerschossen sollen die Fasane sein, die man zu Wursthäuten gebraucht. Metzger haben darauf zu achten, beim Abziehen der Haut diese nicht zu verletzen (”Falsche Schnitte kosten Geld!”), auch die Gedärme wollen richtig ausgelöst sein. Oder: “Man ziehe die Haut vom Bug oder von dem Vorderfuße des Schweines herab, ohne sie aufzutrennen oder sonst zu verletzen; löse alsdann das Fleisch und das Knorpeliche von den Knochen; zerhacke letzteres grob, und vermische es mit feingehacktem zarteren Fleische und etwas Nierenfett; würze und salze zu Genüge und nach seinem Geschmacke. Stopfe das Gemengsel in die inwendig fette Haut des Vorderbeines, doch nicht allzu fest; binde diese Haut zu beiden Enden so stark als möglich zusammen; lege es in Salz, so lange, als die Haut bedarf, um dauerhaft zu werden, hänge es in den Rauch, und später bis zum Verbrauch an einen trockenen Ort. Diese Speise muß geweicht und gewässert werden, ehe man sie siedet; doch nur etwa halb so lange, als ein Schinken. Man kann sie sowohl warm, als abgekühlt, als Eingang oder als Beylage zu Gemüsen genießen. Indessen liegt sehr viel an der eigenthümlichen Güte der modenesischen Schweine, die auch zu andern Einsalzungen ausnehmend wohl geeignet sind.” Gefüllte Schweinsfüße wie die Zampone di Modena oder gefüllte Hälse von Gänsen und Puten wird man heute hierzulande vergeblich suchen.

Wo fängt bei der Dekoration der Kitsch an und wo hört er auf? Diese Frage ist leichter gestellt als beantwortet. Sicher ist, dass die natürlichen Formen und das natürliche Aussehen der Wurstwaren - so Schlackwürste, Salamiwürste, Tee- und Mettwürste, Leber-, Blut- oder Rotwürste, Sülzwürste, Frankfurter Würstchen, Knoblauchwürstchen, Bockwürstchen, Saitenwürstchen, rote Würste, Regenburger, “Serwela”, Schützenwürste und “Dicke”, frische Schinken- und Jagdwürste, Bierschinken-, Mortadella- und Presskopfwürste, Krakauer- und Bierwürste, Pasteten, Fleisch- und Leberkäsearten, Bratwürste und Gelbwürste, Aspikwaren und Fleischrouladen, die zahlreichen Dosenkonserven - soviel Eigenqualitäten, soviel interessante Formen und Farben, soviel Eigenreiz besitzen und darum soviel lebhaftes Interesse erwecken können, dass es fast überflüssig erscheint, sie noch besonders zu dekorieren.

Die Motivgeschichte kennt die Wurst als Kassiber. Man denke etwa an de Sade, der sich in Würste eingearbeitete Briefe in die Bastille schicken ließ. Zumindest in der Literaturgeschichte kann sich in der überbrachten Wurst (“Diese Wurst habe ich eigens für dich bereitet!”) ein abgetrennter Finger finden, dessen Ring keinen Zweifel daran lässt, Fleisch des Geliebten oder des eigenen Kindes verzehrt zu haben. Oft genug dient die Wursthaut einer Täuschung. In einer von Franco Sachettis Novellen stiehlt ein Mann auf dem Land zwei Schweine. Damit er den an den Stadttoren geforderten Zoll nur für eines der Schweine zu zahlen braucht, stopft er das kleinere in das größere der ausgenommenen Schweine. Der Geizige denkt an die Wurst und ihre Füllung, an die Täuschungen der Wurst. Anders als zumeist im wirklichen Leben fällt der Betrug auf.
Es gibt zwar immer noch Würste mit Naturdärmen, aber diese haben das Organische weitgehend abgestreift. Sehr viele Würste kennen heute künstliche Häute, unter ihnen auch solche, die in ihrer Elastitzität und Durchlässigkeit Naturdärmen nahekommen. Man kann also sagen, was die Hülle betrifft, so ist die Wurst weitgehend befriedet. Umgekehrt wird das Innere suspekt. Der Wurstinhalt steht schnell im Verdacht des Unsauberen, des Beigemischten. In Kuttern, also Fleischzerkleinerungsmaschinen, lässt sich nahezu alles vom tierischen Körper zu einer wursttauglichen Masse verarbeiten. Der Skandal, den Upton Sinclairs Roman Der Dschungel auslöste, galt nicht den Intentionen des Autors, der die elenden Arbeitsbedingungen in der amerikanischen Packerindustrie anklagte, sondern dem Dosen- und Wurstinhalt. Bereits Leonardo da Vinci rief angesichts einer Zungenwurst aus: “Oh, was für eine widerliche Sache, wenn man die Zunge eines Tieres im Darm eines anderen sieht.” Unsere Brühwürste lassen solche Bilder nicht mehr zu. Im Kutter wird Fleisch und Speck, manchmal unter Zugabe von Eis, zu einer so cremigen Masse verarbeitet, dass Kakerlaken oder anderes, sollte es darin enthalten sein, nicht mehr auffällt. Die Einbildungskraft, die sich dabei oft genug medialer Bilder verdankt, bezieht sich auf Dinge, die unseren Sinnen entzogen sind, etwa auf Belastungen durch Schwermetalle, Hormone und Antibiotika. In der Umkehrung: Marc Quinns Blutwurst könnte genau so gut aus Schweineblut fabriziert sein. Nicht auf den Inhalt, auf die Beschriftung kommt es an. Auf der Blutkonserve ist handschriftlich “Marc Quinn, 11/10/94” zu lesen. Eine Signatur also, ein Echtheitszertivikat.

Kleine mechanische Figuren, wie bewegte Metzgerburschen, die Saitenwürstchen mit Brötchen feilhalten, um Passanten auf die in einem Geschäft von morgens bis abends zum sofortigen Verzehr käuflichen Imbisswaren aufmerksam zu machen, können nur unter dem Gesichtspunkt geschickter Werbung beurteilt werden. Die bekannte Figur eines beschwipsten Kavaliers, der sich am Pfahl einer brennenden Laterne festhält und (mechanisch bewegt) mit dem zylinderbedeckten Kopf wackelt, vermag in Silvester- und Faschingsfenster durchaus so etwas wie “Atmosphäre” hineinzubringen.

Um einen Darm zu reinigen, muss man ihn wenden. Im Darm verwandelt sich selbst das Köstlichste in Scheiße. “Wursten” meint auch “scheißen”, das Ausgeschiedene nennt man Wurst. Robert Walser beklagt nach dem Verzehr einer wunderbar geräucherten und “mit entzückenden Speckmocken” gespickten Wurst: “Was verschwunden ist, könnte vorhanden sein und was tot ist, könnte fröhlich leben. Was grausam zerbissen und zerstückt wurde, könnte ganz sein, aber es ist leider zerstückt, da hilft keine Klage.” Unbeachtet dabei lässt er, dass das Verzehrte, wird es ausgeschieden, noch einmal Lust zu bereiten vermag. Seit Sigmund Freud wissen wir, dass Geld, Gold, Geldinteresse in enger Verbindung mit Defäkation und Kot zu sehen sind. Am Ende seines Gastmahls, eines “armseligen Theaters”, lässt Trimalchio eine mit Fischen und Vögeln garnierte Mastgans auftragen: “Liebe Freunde, was ihr hier stehen seht, stammt aus einem Leib!” Das Schaustück ist also wohl aus Wachs wie dem Kot des Gastgebers fabriziert. Jedenfalls aus Geld gemacht, welches der begabte Koch in eine Mastgans verwandelt hat. Wie sich aus eigenem Blut eine Kunst-Blutwurst herstellen lässt, so lässt sich die eigene Scheiße auch vergolden. Man erinnere sich an Cornelius Koligs Das große Ehrenzeichen in Gold. Die von einem Kotkranz abgenommene Positivform wurde galvanisch ziervergoldet. Nicht nur Kot und Gold, auch Kotkranz und Wurstkranz liegen nahe bei einander. Noch eine Umkehrung sei hier nicht unerwähnt, nämlich das Motiv vom Schwein, das sich wie in einer von Roland Topors Zeichnungen die geraubten Därme wieder holt. Der Bauch dessen, der gerade noch Würste aß, ist aufgeschlitzt. Das Schwein, es hat ein Ende des Darmes im Maul, läuft, gleichsam einen Wurstkranz abspulend, von dannen.

Zahlreiche Fleischergeschäfte haben sich mit Hilfe ihrer Schaufenster und durch Ausnützung der Dekorationskunst aus kleinen Anfängen emporgeschwungen und ihren Inhabern Ansehen und Geschäftserfolg eingebracht.

Die Zubereitung von Würsten setzt Kunstfertigkeit voraus, als Kunst gilt die Tätigkeit nicht. Und doch ist nicht zu übersehen, dass die Grenzen zwischen Kunst und Handwerk längst unscharf geworden sind. Heute sind nicht allein Künstler zu nennen, die Würste kreieren, es fehlt auch nicht an Metzgern, die als “Wurstkünstler” auftreten. Übrigens warten auch sie zumeist mit einem Gemenge von oft genug zugekauften Philosopien auf. Da wie dort geht es weniger um Inhalte als um mediale Präsenz. Ein Metzger, der in seinem Schlachtraum einen Philosophen über die Bewusstseinsfähigkeit von Tieren sprechen lässt, der findet den Weg ins Feuilleton.

Die Kaufbereitschaft für Wurstwaren ist besonders leicht zu wecken, weil von diesen Waren schon geringe Mengen oder Gewichte erworben werden können zu Preisen, die auch für kleine Börsen erschwinglich sind. Darum finden sich täglich allerorts Tausende von Käufern für die Erzeugnisse des Fleischers. Kauft sich ein Interessent in einem Fleischergeschäft zunächst nur eine kleine Menge oder eine billige Wurst, etwa weil er sich keine größere Ausgabe leisten kann, so wird er oft den Vorsatz fassen, bei der nächsten Gelegenheit auch teurere Würste oder größere Mengen einzukaufen.

Kürzlich kaufte sich der Wursthersteller Wiesbauer den zur Osttiroler Gemeinde Prägraten gehörenden Müllwitzkogel (2767m) und benannte den Berg in Wiesbauerspitze um. Eine Million Kaminwurzen werden das Etikett “Wiesbauerspitze 2767 Meter Prägraten/Osttirol” tragen. Was tut es da schon zur Sache, dass manche den Berg inzwischen zum “Wurstberg” umbenannt haben! Auf jeden Fall geht es nicht um einen Berg, sondern um Werbung und Marketing. Wäre es möglich gewesen, dann hätte Wiesbauer auch den Stephansdom kaufen und umbenennen können. Warum nicht gleich das Parlament oder das Bundeskanzleramt. Der Wursthersteller will auch noch die Kosten eines Wanderweges auf die “Wiesbauerspitze” übernehmen und dort ein Gipfelkreuz errichten. Da stellt sich dann doch die Frage: Warum keine Riesenwurst, die nächtens neonfarben die frohe Botschaft von den Bergen kündet?
Ob es gilt, Wurst oder Kunst am Markt zu positionieren, da wie dort gelten dieselben Regeln. Die sich Wursthaberer nennenden Wiener Künstler haben Kunst-Würste geschaffen, mit allem was dazu gehört, Senf und Wein, Werbegraphiken, Würstelstand etc. Natürlich gilt es bei der Einführung von Kunst-Würsten an die hohe Qualität des Produktes zu erinnern. Nachdem nun aber jeder Wursterzeuger von sich behauptet, Produkte höchster Qualität herzustellen (in der Praxis ist nicht die höchste Qualität, sondern das optimale Minimum die Regel), empfiehlt es sich, auf das Überschaubare, das Heimatliche zu setzen. Die Kunst-Würste sollen aus von kleinen Bauern produziertem Fleisch hergestellt sein, mehr noch, von diesen kämen nur die Besten der Besten in Frage. Es versteht sich von selbst, dass auf dem heutigen Markt, gerade wenn sich das Produkt an Kunstinteressierte und somit meist Besserverdienende richtet, das Fleisch aus “artgerechter Tierhaltung” stammen soll. All das lässt sich behaupten, ohne sich auch nur einen Augenblick mit dem Leben kleiner Bauern oder artgerechter Tierhaltung befasst zu haben. Auch hier gilt es, einen möglichst hohen Grad an Medienpräsenz zu organisieren, sei es durch Events, durch ein “einprägsames visuelles Ambiente”, durch Bedeutungsaufladungen, durch die Besetzung allseits bekannter Orte, durch Prominente, die sich beim Verzehr einer Kunst-Wurst ablichten lassen, Gusenbauer etwa, durch eine entsprechende Namensgebung. Eine Portion Kritik an Produktions- und Marktrealitäten kann auch nicht schaden. Keinesfall dienlich wäre es jedoch, würde der Promotionswürstelstand von Wirtschaftsverlieren frequentiert, zu einem “Proletentreff” verkommen.
Diesem Kunst-Wurstprojekt ließe sich sehr viel abgewinnen, ginge es um Analyse und Kritik von Marktprozessen im Kunstbetrieb. Ich fürchte aber, dass es doch nur um die Wurst geht. Entweder macht man Würste, um davon zu leben, oder man macht Kunst. Wie sollte etwa “Feldforschung” mit der Absicht vereinbar sein, möglichst viele Würste zu verkaufen? Da lobe ich mir die Pioniere der amerikanischen Packerindustrie. Sie wussten um das optimale Minimum, um Löhne und Gewinne. Arbeiter, denen eine Maschine eine Hand abriss, wurden fristlos entlassen. Diese Unternehmer wussten um die Regeln des Marktes. Kunst machten sie keine, sie kauften Kunst, und zwar sehr großzügig. Heute empfiehlt es sich, wieder einige Filme von Jean-Luc Godard anzusehen, etwa Die Geschichte der Nana S. oder Le mépris. Godard kämpfte ein ganzes Leben gegen die Korrumpierung von Inhalten durch die Ökonomie. Es ist alles zum Erbrechen. Wir scheißen die Würste ja nicht einmal mehr. Wir kotzen sie gleich.

Wieder eine andere Stilform äußert sich in der Art, die Waren stumm und doch sehr eindringlich - an eine Modenschau erinnernd - vorzuführen, Schaufenster bunt auszustatten, in der fraulichen Vorliebe für hübsche, gefällige Bänder, für sauber gerichtete Platten, in der Besorgtheit um jeden einzelnen Fleischereifestbedarf, aus der akkuraten Art, die Fenster zu richten und ebenso in der peinlich geordneten Warenreihung an den Gehängen und auf den Platten der Verkaufstheken.

Kaufte mir in Berlin in einem Straßenlokal eine Currywurst. Menschen standen in einer langen Schlange davor und warteten geduldig, bis sie an die Reihe kamen. Hinter dem Tresen waren zwei Angestellte zu sehen, die mit größter Geschwindigkeit, die ewig gleichen Handgriffe durchführten. Ein junger Mann war einzig damit beschäftigt, Bratwürste auf den beiden Heizplatten zu wenden und Leerstellen wieder aufzufüllen. Kaum hatte die Frau daneben die Bestellung entgegengenommen, lagen schon zwei Bratwürste auf einem rechteckigen Papierteller. Die nachfolgende Geste hat mich beeindruckt. Die Frau schnitt die Würste nicht, sie hackte sie vielmehr mit wahrem Überdruss in mundgerechte Portionen. Diese Geste ist mir aus psychiatrischen Anstalten oder Altenheimen bekannt (“Wurst mit Herz!”). Wenige Augenblicke später waren die Würste schon mit einer Currymischung bestreut und mit Ketchup nahezu vollständig zugekleistert. Hatte ein Kunde bezahlt, wiederholte sich derselbe Vorgang. All dies erforderte nicht mehr als zwanzig, höchstens dreißig Sekunden. Das heißt, in einer Stunde bedient diese Frau etwa 150 Kunden. Die Currywürste, von Freunden auf das Beste gelobt, sahen nicht nur ekelerregend aus, sie schmeckten auch ekelhaft. An einem Stehtischchen auf dem Trottoir, an dem ich mich zwischen mir völlig fremden, best gekleideten Menschen drängte, versuchte ich einige Bissen, warf dann aber zum Erstaunen meiner Tischnachbarn Papierteller mit Auflage in den unter dem Stehtisch bereitstehenden Abfallkorb. Spätabends allein nach Hause torkelnd, hörte ich beim Überqueren einer Schnellbahnbrücke Schritte hinter mir. Als ich mich umdrehte, sprach mich eine junge Frau an: “Sie brauchen keine Angst vor mir zu haben, ich verfolge Sie nicht.” Später gingen wir nebeneinander, als hätten wir uns schon lange gekannt. Sie erzählte mir eine Geschichte, auch ich habe ihr eine Geschichte erzählt. So kommt man schnell nach Hause. Vor dem Haus angekommen, in dem ich zu Gast war, legte sie ihre Arme um mich, um mich zu küssen. Dabei schob sie mir ihre Zunge in den Mund. Diese Zunge war nicht zum Verzehr gedacht, nur zum Kosten und Schmecken. Sie wird wohl noch fröhlich leben, keinesfalls jene ekelige Sache sein, die im Darm eines anderen Tieres steckt. Was für ein Luxus in dieser Fast Food Welt, jemand, dem man eben erst noch nahe war, an die Dunkelheit der Stadt zu verlieren, was für ein Luxus, noch Erfahrungen zu machen, abseits des alles verödenden Marktes.


Lit.: Eduard Bechtold, Schaufenster und Platten, Stuttgart 1957; Rudolf Habs und L. Rosner, Appetitlexikon, Frankfurt am Main 1982; Hans Henny Jahnn, Perrudja, Frankfurt am Main 1929; Hans Henny Jahnn, Fluss ohne Ufer, Frankfurt am Main 1949/50; Bernhard Kathan, Das indiskrete Organ, Innsbruck 2008; Cornelius Kolig, Das Paradies, Innsbruck 1977; Leonardo da Vinci, Der Nussbaum im Campanile, München 1989; Octave Mirbeau, Nie wieder Höhenluft oder Die 21 Tage eines Neurasthenikers, München 2002 (1901); Franco Sachetti, Die wandernden Leuchtkäfer. Renaissancenovellen aus der Toskana, Berlin 1988; Petron, Satyrikon, München 1990; Carl Friedrich von Rumohr, König’s Geist der Kochkunst, München 1973 (1822); Upton Sinclair, Der Dschungel, Berlin 1980; Wolf Uecker, Brevier der Genüsse. Eine kulinarische Warenkunde von der Auster bis zur Zwiebel, München 1986; Robert Walser, Das Gesamtwerk in 12 Bänden, Zürich 1978; Rudolf Zäch, Die neuzeitliche Küche, Konstanz und Kreuzlingen 1930.

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