Zwei Bären gehen ins Kaffeehaus



Auf dem Balkon gegenüber liegt die Prinzessin und nimmt ein Sonnenbad. Gerne wäre ich ein kleiner Vogel, sagen wir ein schwarzes Amselmännchen mit leuchtendem Schnabel. Ich flöge hinüber, setzte mich auf die Brüstung und machte durch zierliche Posen und meinen schönen Gesang auf mich aufmerksam. Aber wäre ich ein Amselmännchen, die Prinzessin wäre mir völlig gleichgültig.

Ich las letzthin, Hühner seien nicht so dumm wie allgemein angenommen. Laut einer Studie verfügten sie über ein Zahlengedächtnis. Leider war dem Artikel nichts zum Zahlenverständnis von Hühnern zu entnehmen. Denken sie in Mustern, in Ornamenten, in Farbtönen? Es muss sich um eine Art Mengenlehre handeln. Aber wie steht es mit dem Addieren, Multiplizieren, Subtrahieren oder Dividieren? Das parasitäre Verhalten des Kuckucks ist aus vielen Gründen bemerkenswert, setzt es doch unterschiedlichste Leistungen voraus, was etwa die farbliche Anpassung seiner Eier an die des Wirtsvogels belegt oder der Umstand, dass er nach der Eiablage ein Ei der Wirtseltern mit sich fortträgt, um die Zahl gleich zu halten. Ist ein Kuckuck ein kluger Vogel? Nein. Er spult ein Programm ab. Hühner in Mastbetrieben zählen die Artgenossinnen nicht, an deren Eingeweiden sie sich genährt haben. Sie zählen nicht die Eier, die sie gelegt haben. Sie legen und legen, so lange bis sie aussortiert werden. Von der menschlichen Mathematik lässt sich nicht auf jene der Hühner schließen: Hühner rechnen weniger mit dem Gehirn als mit Magen, Schnabel und Krallen.

Heute werden Tieren Fähigkeiten zugestanden, die bislang für den Menschen galten, Bewusstsein, Zeichen- und Werkzeuggebrauch, ja selbst Mitleidsfähigkeit oder religiöse Gefühle. Wie Menschen könnten Tiere an Depressionen leiden. An beachtlichen kognitiven Leistungen oder an der Bewusstseinsfähigkeit von Tieren habe ich nicht den geringsten Zweifel. Würden Buntspechte einfach an x-beliebigen Bäumen und an x-beliebigen Stellen herumhacken, sie würden innerhalb eines Jahres aussterben, stünde doch der Energieaufwand in keinem Verhältnis zur gewonnenen Nahrung. Ihr Überleben verdankt sich der Fähigkeit, zwischen befallenen und nicht befallenen Stellen zu unterscheiden.

Eine verwilderte Katze (Fluchtdistanz ca. 20m), bestens über mich und das Gelände informiert, raubte mir, die Tür stand offen, eine halbe Salami. Sie muss längere Zeit in sicherer Distanz gewartet haben, bis sich eine Gelegenheit fand. Sie muss dabei eine ganze Reihe von Dingen im Auge gehabt haben. Allerdings wäre es völlig sinnlos, ihr im Nachhinein Steine nachzuwerfen. Nie vermöchte sie meine Wut mit dem Wurstdiebstahl in Verbindung zu bringen. Am selben Tag ließ ein junger Bauer auf dem Nachbargrundstück seine Schafe in einem mit Maschendraht eingezäunten Gehege grasen. Schon kurze Zeit später gelang es einem der Schafe an einer Stelle unter dem Zaun durchzuschlüpfen und so auf einer Fläche zu weiden, auf der das Gras viel höher stand. Den Weg zurück fand es freilich nicht. Die Folge: nach Einbruch der Dunkelheit panisches Geblöke, welches erst endete, als das Schaf wieder eingefangen und Teil der Herde war. Wurden in den folgenden Tag die Schafe wieder ins Freie gelassen, steuerte eben dieses Schaf auf das Loch zu, worauf sich dasselbe Drama wiederholte. Das Schaf hat nichts gelernt und es wird nichts lernen. Sein Verhalten änderte sich erst dann, vergrößerte sich das Loch im Zaun, gelangten mehrere, wenn nicht alle Schafe auf die üppige Seite. Dann fände auch dieses Schaf in den Stall zurück. Von uns ausgehend betrachten wir Tiere als Individuen. Auch wenn man keinem Tier absprechen will, ein eigenes Wesen zu haben, so scheint die Intelligenz von Herdentieren doch sehr an die Herde gebunden. Im Gegensatz zur erwähnten Katze, die ihr Revier gegen mögliche Nahrungs- und Fortpflanzungskonkurrenten verteidigt, kann ein einzelnes Schaf nur dumm sein. Schafe fressen Gras. Die Nahrungssuche von Katzen setzt wesentlich mehr Intelligenz voraus. Bei Primaten wurde eine Korrelation zwischen Gehirnvolumen und Nahrungsvorlieben festgestellt. Das Gehirn Früchte fressender Primaten ist im Vergleich zu dem Blätter fressender im Schnitt um 25 Prozent größer. Um Früchte zu fressen, ist eine gewisse Klugheit unabdingbar. Die Affen müssen wissen, wo sie wachsen und wann sie am besten schmecken. Dann ist noch ein größeres handwerkliches Geschick vonnöten.

Tieren Bewusstsein oder kognitive Leistungen abzusprechen wäre ebenso dumm, als würde man Schmerzempfindungen in Abrede stellen. Die Frage ist nicht, ob Tiere über Bewusstsein, sondern über welche Art von Bewusstsein sie verfügen. Man müsste die Welt mit den Augen eines Huhnes wahrnehmen, mit den Augen einer Schlange sehen, mit den Augen einer Kuh, mit den Augen eines Zaunkönigs, mit den Augen einer Katze, mit den Ohren einer Waldmaus hören, mit dem Rüssel eines Windenschwärmers fühlen oder wie ein Octopus durchs Meer gleiten. Freilich könnten solche Erfahrungen, wären sie möglich, ernüchternd sein. Da es uns schon schwer fällt, die Welt mit den Augen eines anderen Menschen zu betrachten, ist es geradezu unmöglich, sich die Perspektive eines Huhnes anzueignen oder eine Kirschblüte so wie eine Biene zu betrachten. Kann eine Biene überhaupt betrachten?

Um Tiere zu verstehen, lebt Charles Forster hin und wieder wie Tiere. Wie ein Dachs baut er sich Höhlen, um darin zu schlafen, er ernährt sich von Regenwürmern und bewegt sich auf seiner Nahrungssuche auf allen Vieren. Ein Bestseller, durch und durch lächerlich. Über Dachse erfährt man freilich nichts neues. Zweifellos hat sich Forster gründlich in die entsprechende Literatur eingelesen, die Welt der Dachse also mit menschlichen Augen wahrgenommen. Es entbehrt nicht einer gewissen Ironie, eilt jemand, der vorgibt wie Tiere zu leben, von einem Auftritt zum nächsten, um von seinen Erfahrungen zu berichten, und dabei vor allem über Menschliches spricht, so über die Verkümmerung unserer Sinne. Dabei könnten solche Experimente durchaus erfrischend sein, würden wir doch manches über den Unterschied von Mensch und Tier verstehen, etwa darüber, dass sich das jeweilige Bewusstsein sehr unterschiedlich ausgebildeten Sinnesorganen verdankt.

Vor kurzem las ich in einer Petition, in Schlachthöfen würden Kühe bei Bewusstsein zerstückelt und geköpft. Es sei wissenschaftlich bewiesen, dass viele Tiere die gleichen Emotionen und Wahrnehmungen wie Kleinkinder hätten. Es sei also Zeit, diese grausame Folter zu stoppen. Ohne jeden Zweifel nimmt ein ausgewachsenes Rind die Welt anders wahr als ein Kleinkind wie es auch völlig absurd ist, die Emotionen von Kühen mit denen von Kleinkindern gleichzusetzen. Wir haben es zwar mit Säugetieren zu tun, aber diese sind trotz aller Verwandtschaft vollkommen anders organisiert. Während ein Kalb schon kurz nach seiner Geburt stehen und laufen kann, kommt der Mensch als Mängelwesen zur Welt. Im Gegensatz zu einem Rind ist der Mensch aufgrund seiner physischen Eigenschaften nur bedingt in der Lage, sich der Natur anzupassen. Er muss diese also verändern, um sie seinen Zwecken dienlich zu machen. Kühe brauchen weder Kleider, noch schützende Bauwerke. Dank ihres komplexen Wiederkäuermagens sind sie in der Lage, sich von minderwertiger Zellulose zu ernähren. Zweifellos nehmen Rinder, so wie alle Tiere, vieles wahr, was jenseits unserer Wahrnehmungsschwelle liegt.

Der Forderung von Tierrechtlern, sich in der Tierbetrachtung von einer anthropozentrischen Weltsicht zu verabschieden, ist zuzustimmen. Allerdings argumentieren Tierrechtler selbst anthropozentrisch, übertragen sie doch Wesensmerkmale des Menschlichen auf Tiere, was wieder auf eine Hierarchisierung der Lebewesen hinausläuft, kennen Tiere doch nur Ansätze eines Werkzeuggebrauchs, Ansätze von Mitleidsregungen und so fort. Gut möglich, dass ein erwachsenes Huhn über MEHR Bewusstsein verfügt als ein frisch geborener Säugling. Allerdings hinkt der Vergleich, kommt doch ein Kind in sehr unreifem Zustand zur Welt, während ein Küken nach kürzester Zeit als selbstorganisiert zu betrachten ist. Spannender finde ich es danach zu fragen, worin uns Tiere überlegen sind. Da finden sich zahllose Beispiele, und diese sind im allgemeinen umso beeindruckender, je spezialisierter ein Lebewesen ist. Allerdings sind selbst erstaunlichste Leistungen nicht unbedingt mit Intelligenz gleichzusetzen. Wenig spezialisierte Tiere, Rabenvögel zum Beispiel, sind wesentlich lernfähiger und spielerischer als etwa Buntspechte, die als sehr spezialisiert zu betrachten sind. Um Tieren zu ihrem Recht zu verhelfen, würde ich eher auf die Differenz setzen. Es wäre wirklich interessant, sich mit tierischem Bewusstsein zu beschäftigen. Machte man dies, man wäre erstaunt, wie viele Formen von Bewusstsein es gibt.

Die Weltwahrnehmung eines Windenschwärmers verdankt sich entscheidend seinem Saugrüssel, der bis zu 139 Millimeter, also fast doppelt so lang wie der Körper sein kann. Ob die Wahrnehmungen nun im Gehirn oder bereits im Saugrüssel verarbeitet werden, ist weniger von Bedeutung als der Umstand, dass ein so ausgeprägtes Organ ohne jeden Zweifel eine grundlegende Bestimmung zur Folge hat. Mit dem Rüssel saugt der Windenschärmer nicht einfach Nektar aus Blüten. Der Rüssel ist zuerst vor allem einmal Sinnesorgan und Gehirn. Vermutlich wird einem Windenschwärmer der größte Teil der Bewegungen seines Saugrüssels nie zu Bewusstsein kommen.

Auch lohnte es sich, weniger nach dem Menschlichen im Tier, sondern nach dem Tierischen im Menschen zu fragen, nach dem tierischen Erbe, welches wir mit uns herumtragen. Irgendwo steckt noch etwas von einer Amöbe und einem Regenwurm in uns, vermutlich auch Spuren eines Windenschwärmers. Das Kulturelle scheint immer noch eine sehr dünne Kruste zu sein, die nur zu schnell in sich zusammenbrechen kann und das Animalische wieder zum Vorschein bringt.

Vertretern der Tierrechtsbewegung sind kulturanthropologische Betrachtungen fremd, mehr noch, sie müssen es sein, relativierten sich doch sonst all ihre Behauptungen. Mit Hilfe der Kulturanthropologie lässt sich eindeutig belegen, dass Tierdiskurse im allgemeinen weniger über Tiere als über gesellschaftliche Befindlichkeiten Auskunft geben. Heute fällt es uns nicht schwer, die naturnahen Parkanlagen, die im neunzehnten Jahrhundert entstanden sind, als Ausdruck und Folge der Industrialisierung, der Bildung städtisch-industrieller Agglomerate zu sehen. In solchen Parkanlagen, es handelt sich um simulierte, geplante und technisch hergestellte Landschaften, wurde Natur behauptet, während jede Art von wildwüchsiger Natur, wo immer es möglich war, zurückgedrängt wurde. Etwas ähnliches gilt auch für das Tierverständnis heutiger Menschen.

Nicht zufällig verschwimmt heute die Grenzziehung zwischen Mensch und Tier. Unser Tierverständnis verdankt sich entscheidend der Vertreibung der Tiere aus der Lebenswelt des modernen Menschen wie ihrer endgültigen Unterwerfung. Im Gegensatz zu uns wussten die Menschen des Mittelalters noch um das oft konfliktreiche Nebeneinander von Mensch und Tier, um die Fremdheit der Tiere. Heute sind Tiere vermessen, gewogen, taxiert, identifiziert. Sie werden bewirtschaftet. Endgültig sind sie zu Masse und Ware geworden. Dass nun das Menschliche im Tier betont wird, erstaunt mich keineswegs – es erschreckt mich!

Die Entdeckung oder Erfindung „tierischen Bewusstseins“ geht auch einher mit jener Kränkung, die der Mensch dank neuer Technologien erlebt. Das Gehirn von Maschinen ist um vieles leistungsfähiger als das menschliche Gehirn. Die Entdeckung des Menschen im Tier reflektiert nicht zuletzt die zunehmende Unschärfe zwischen Mensch und Maschine. Wir haben es mit Entgrenzungen nach beiden Seiten zu tun, wobei insgesamt festgehalten sei, dass das Projekt Mensch allgemein in die Krise geraten ist. Neue Computergenerationen werden tatsächlich über so etwas wie ein Bewusstsein verfügen. Während Tieren Bewusstsein zugestanden wird, stellen Hirnforscher den freien Willen in Frage, also das, was den Menschen letztlich ausmacht. Man muss sich Descartes vorstellen, die neue Tiermaschine MENSCH betrachtend. Tieren religiöse Empfindungen zuzuschreiben entbehrt nicht einer gewissen Ironie, ist doch das Religiöse in unserer Gesellschaft grundlegend in Misskredit geraten.

Da hebt ein Geblöke an,
machen Lämmer Freudensprünge,
nähert sich der Nährer
in seinem silbergrauen Wagen,
der Gott der Schafe,
hat er den Schlachttag im Sinn.
Ein Gott schief sitzendem Gebiss,
ein Gott mit falschen Zähnen.
Lammbeuschel nächste Woche.


Nicht das Menschliche im Tier, die Fremdheit der Tiere gilt es anzuerkennen. Tut man dies, so wird man feststellen, dass wir es mit vielen Welten zu tun haben. In unserem Alltagsleben werden wir uns dessen leider viel zu selten bewusst. Nur wenn die Fremdheit der Tiere anerkannt wird, sind Begegnungen möglich.

Man kann sich freilich bemühen, mit Tieren zu interagieren. Aufritt des English Chamber Orchestra vor Pferden. Auf dem Programm stehen Werke von Sándor Veress, Joseph Haydn und Zoltán Kodály. Was hören die Pferde? Will man Studien glauben, die an Schimpansen und Orang-Utans in mehreren Zoos durchgeführt wurden (Bekämpfung der Langeweile!!!!), dann ist es ihnen völlig gleichgültig, ob man ihnen Beethoven oder die Beatles vorspielt. Sie scheinen nicht einmal hinzuhören. Dagegen: Haben Spatzen die Möglichkeit zwischen zwei Kammern zu wählen, von denen die eine mit Vivaldi, die andere mit Schönberg beschallt wird, dann bevorzugen sie die Vivaldi-Kammer. Um die Milchleistung von Kühen zu steigern, wurde mehrfach mit Musik experimentiert. Bekannt ist die immer wieder bemühte Behauptung, Kühe gäben mehr Milch, ließe man sie Musik von Mozart hören. Das ist natürlich ein vollkommener Unsinn. Die Milchleistung lässt sich mit Hilfe einer leicht stimulierenden Geräuschkulisse minimal steigern wie eine Beschallung mit lauter und Unruhe verursachender Musik ein Absinken der Milchleistung zur Folge hat. Nicht Musik ist von Bedeutung, sondern die Schaffung eines bestimmten Raumklimas. Spannend wären solche Experimente für mich nur dann, würde man sich in das Hörverhalten von Kühen hineindenken, sich diesem in zahlreichen Experimenten annähern. Ich hörte mir letzthin in einem Konzert Werke von Sciarrino und Morton Feldmann an. Im Gegensatz zu Sciarrino fänden sich bei Feldman einige gute Anregungen für Kuhkompositionen, wobei man freilich ein völlig anderes Setting schaffen müsste als dies in einem Konzertsaal der Fall ist. Aufgrund jahrelanger Beobachtungen bin ich von der Musikalität von Kühen überzeugt. Es ließe sich Musik für Kühe machen. Aber mir graut vor der Vorstellung, sie auf solche Weise noch besser ausbeuten zu können.

© Bernhard Kathan, 2017

Ein Briefprojekt zum Seelenleben der Tiere. Zu sehen neben Arbeiten von Ines Lechleitner, Nemere Kerezsi, Gerhard Lang, Marion Mangelsdorf, metamusic Projektgruppe, Gertrude Moser-Wagner und Gebhard Sengmüller in der Ausstellung
ANIMA_L – MEDIENKÜNSTLERISCHER UMGANG MIT TIERISCHER INTELLIGENZ
27.05.2017 - 25.06.2017
Ort: Schloss Wolkersdorf, Galerie 2
KuratorIn: alien productions
[ zur Startseite ]