Die Abkühlungsmaschine
's gibt da ein neues System/
Höchst listig ist's/ Das Schwein fährt hoch am Band aus Drahtgeflecht ins höchste Stockwerk, dort beginnt die Schlachtung/ Fast ohne Hilfe stürzt das Schwein sich selbst von oben in die Messer/ Denn nun, fallend von Stock zu Stock, verlassen von seiner Haut, die sich in Leder wandelt sich trennend auch alsdann von seinen Borsten die Bürsten werden, endlich seine Knochen abwerfend, daraus wird Mehl, drängt's durch sein eigenes Gewicht nach unten in die Blechbüchs/ Bert Brecht, Die heilige Johanna der Schlachthöfe.
An Gletscherleichen, die nach tausenden von Jahren ausapern, vom Eis
freigegeben werden, ist nur eines erstaunlich: Hier findet sich der
sichtbarste Beweis, daß Kälte zu einer Schrumpfung und Austrocknung des
Körpers führt. Von Interesse ist also die Metapher und nicht der
mumifizierte Körper, der gegen Eintrittsgeld in seiner Klimabox betrachtet
werden kann. Diese Metapher läßt sich auf den Gletscher, die Landschaft oder
das gesellschaftliche Leben anwenden. Das Gebirge wird in der Vertikalen
gedacht: Bergsteigen, Abseilen, Lawinenabgänge, Geröllawinen, Bergsturz,
Absturz, Steinschlaggefahr, ins Tal blicken. Betont man jedoch die
Horizontale, dann stellt sich die Frage nach dem Zentrum und der Peripherie,
nach den Zonen der Verdichtung und den Zonen der Ausdehnung. Beim Geld, beim
Warenverkehr, in der Politik, in der Freizeitkultur oder im Kunstbetrieb,
überall begegnet uns diese Dynamik, sehen wir Orte der Erhitzung und Orte
der Abkühlung. Das Modell findet sich im Blutkreislauf des menschlichen
Körpers. Es ist kein Zufall, daß Harvey den Blutkreislauf gerade in jenem
Augenblick beschrieb, als die Warenzirkulation ihren ersten großen
Beschleunigungsschub erlebte. Wie Waren von der Peripherie ins Zentrum und
vom Zentrum in die Peripherie gebracht werden müssen, strömt das Blut in die
Extremitäten, wärmt Glieder und Kopfhaut, um dann wieder zum Herzen zu
fließen. Im Schlachthof findet sich allerdings das überzeugendere Modell als
im Körper. Dort werden erhitzte Tierkörper aufgenommen, um nach einer
entsprechenden Transformation in gekühltem und beruhigtem Zustand wieder
abgegeben zu werden. Weder Aufnehmen noch Abgeben läßt sich dabei isoliert
betrachten, denn das eine ist nur in Verbindung mit dem anderen denkbar. In
der modernen Fleischproduktion wechseln sich stark verdichtende Einheiten
mit solchen, in denen Fleisch keine besondere Dichte aufweist. Auf der einen
Seite sind die Schlachthöfe, auf der anderen Abertausende von Essern, die
vergleichsweise geringe Mengen nach Hause tragen, zubereiten und verzehren.
Wenn wir in einem Supermarkt Fleisch kaufen, befinden wir uns an einem Ort,
an dem Wärme des Schlachthofes abgegeben wird. Es ist eine Pumpbewegung bis
in die kleinsten Kapillaren, aber ein vollkommen geschlossener Kreis ist es
nur bedingt. In ähnlicher Weise dienen Kriege dazu, die Wärme überhitzter
Gesellschaften abzugeben. Das Dritte Reich gab seine Wärme im Krieg ab, als
Schweiß, Blut und Tränen. Die Körper der gefallenen Soldaten dienten der
Abkühlung. Das sogenannte Wirtschaftswunder konnte diesbezüglich auf eine
entscheidende Errungenschaft des Krieges zurückgreifen, und dies, ohne daß
jemand davon Notiz genommen hätte. Der Zweite Weltkrieg hat Deutsche und
Österreicher zu Reisenden gemacht. Wir begegnen ihnen in Rußland, an den
Mittelmeerküsten, in Griechenland, Italien oder Frankreich, Finnland und
Norwegen. Zur Zeit des Wirtschaftswunders begann die Gesellschaft, ihre
Hitze in anderen Ländern oder im Gebirge auszudunsten. Vielleicht ein
entscheidender Fortschritt, verliert der Krieg doch so seine
Abkühlungsfunktion. Wenn Gletscher schmelzen und Leichen freigeben, dann
handelt es sich bestenfalls um ein ironisches Zusammentreffen der
Auswirkungen des Klimawandels mit der Abkühlungsfunktion des Gebirges.
Anders formuliert: Das Gebirge dient der Abkühlung von Affekten des urbanen
Lebens. Die Körper der Bergsteiger geben Wärme an die Umwelt ab. Sie
benötigen viel Abstand zu anderen Menschen.
Die Abkühlungsmaschine: In einem Würfel aus poliertem Nirostablech mit den Maßen 150 x 150 x 150cm befindet sich ein Kühlaggregat, der dessen Oberfläche konstant bei 4°C hält. Da sich dieser Würfel in einem geschlossenen Raum befindet, dessen Temperatur ca 20 °C beträgt, einem kleinen Raum, der von vielen Menschen passiert oder aufgesucht werden muß (im Idealfall aus Gründen der Leidenschaft), bildet sich an seiner Oberfläche Kondenswasser, welches dann in kleinen Tropfen herunterrinnt und sich in einem Becken sammelt, von dort schließlich in ein Glasgefäß mit einem Fassungsvermögen von 5l tropft. So schlägt sich die Atemluft der Besucher nieder, sammelt sich Flüssigkeit aus menschlichen Körpern und vermischt sich. Die Menschen trocknen aus. Als Tränen noch leichter rollten, hätte man auch Tränenfläschchen verwenden können, heute muß man sich mit Atemluft begnügen. Die Installation wird in dem Augenblick abgebaut, wenn die Flüssigkeit über den Rand des Glasgefäßes rinnt. Aber wohin mit dem vielen Wasser. Es kann zum Blumengießen ebenso verwendet werden wie es sich in die Toilette schütten läßt, um seinen Weg wiederum in die Peripherie zu suchen. Wie würde unsere Gesellschaft aussehen, zählte der Mensch wie die Reptilien zu den Wechselblütlern? |