Bei Weltmeisterschaften der Singvögel in Riebelshausen im Ruhrgebiet belegte
im August 2002 der Vogel Klausi mit 90 Punkten den ersten Platz. Klausi
gehört der Gattung der Edelroller an und absolvierte die verschiedenen
Gesangsdisziplinen, das Hohlrollen, Knorren, das Wasserrollen und das
Schockeln ebenso mit Bravour wie das Glucken und Pleifen. Die immer mehr in
Mode kommenden Klingeltöne wurden nicht bewertet, da es viele Zuchtvereine
gibt, die diese noch nicht anerkennen. Besonders beim Glucken mit seinen Ü-O
und dem GLK - BLK überzeugte Klausi besonders, aber mehr als die Bestnote
konnte man ihm auch da nicht geben. Ein Vogel war dabei, der die Konsonanten
W - G - D - L- H- -R und das B fast noch besser als Klausi konnte, aber in
allen anderen Disziplinen fiel er ab. Dieser neu erkorene Weltmeister
gehörte wie alle anderen an dieser Meisterschaft beteiligten Kanarienvögel
zu der ca. hundertfünfundfünfzigsten Generation der in Gefangenschaft
gehaltenen Kanarienvögel.
Als Isabella I von Kastilien nach einer gemeinsam gewonnenen Schlacht gegen
die Mauren am 19. Oktober 1469 Ferdinand II von Aragonien heiratete und ihr
Reich mit dem ihres Mannes vereinte, blieb sie aber Herrscherin von
Kastilien und war maßgeblich an der Vertreibung der Mauren von der
Iberischen Halbinsel beteiligt, während ihr Mann, auch der Katholische
genannt, mehr durch Zufall und eigentlich unerkannt über Christoph Columbus
Amerika entdecken ließ, bekamen sie als eines der Hochzeitsgeschenke kleine
Vögel, die wunderschön zwitscherten, putzig aussahen und den Damen des Hofes
sehr gefielen, ja sie verliebten sich allesamt richtiggehend in die lustigen
Vögel.
Man benannte diese Vögel nach ihrem Herkunftsort Kanarienvögel, aber auch
Zuckervögel, und lateinisch werden sie Serinus Canarius genannt. Ein
Kriegsschiff brachte die ersten Vögel von der seit 1402 schwer umkämpften
Inselgruppe. Erst 1496 wurde die letzte der Inseln, Teneriffa, endgültig von
den Spaniern besetzt und die Kultur der Guanchen so gründlich zerstört, dass
von ihr heute nur Weniges, dem Zerstörungswerk zufällig Entgangenes zu sehen
ist.
In ihrer Heimat auf den Kanarischen Inseln leben die sich in der Freiheit
befindlichen 12 - 13 cm großen Vögel mit ihrem 6 cm langen Schwanz und 7 cm
langen Fittichen bis in 1500 Metern Höhe in schattigen Hochwäldern. Sie
entwickelten sich durch die Abgelegenheit der Inseln, ähnlich wie die Finken
auf den Galapagos-Inseln, zu einer einzigartigen, besonderen Vogelart aus
der Ordnung der Sperlinge, der Familie der Finken und der Unterfamilie der
Gimpel.
An den Höfen Europas wurde es schnell Mode, einen solchen Kanarienvogel zu
besitzen. Sie galten als wertvoller als Silber und Gold, zeigten sie doch
auch durch ihre Lebendigkeit die Vergänglichkeit von Reichtum, die
Sterblichkeit von Besitztum. Viele Männer ließen ihre Frauen mit einem
Kanarienvogel auf dem Finger als einzigem Schmuck auf Gemälden darstellen.
Dieses Motiv der "Frau mit Kanarienvogel" entwickelte sich in den folgenden
Jahrzehnten zu einer richtiggehenden Genre-Malerei.
Die zwitschernden Vögel wurden in goldenen Käfigen gehalten, in
Gartenanlagen wurden Volieren mit kostbarsten Verzierungen eingerichtet. Der
große Königliche Gartenarchitekt Buyeau de la Baraudeerie bezeichnete die
Kanarien-Volieren als die Hauptzierde einer jeglichen Gartenanlage.
Die Zucht dieser begehrten Kanarien lag in der Hand spanischer Mönche. Sie
verkauften nur Männchen. Die Hähne sind es auch, die am schönsten und Freude
spendend zwitschern, sie markieren damit ihr Revier und den Weibchen ihre
Anwesenheit. Indem die Mönche nur die Männchen verkauften, hatten sie ein
fast zweihundert Jahre währendes absolutes Monopol auf die Zucht und machten
so eine Zucht außerhalb ihrer Klostermauern unmöglich. Sie hielten die
Verkaufszahlen sehr knapp, um den Preis der viel gefragten Vögel hoch zu
halten. Alle Versuche, die Vögel mit anderen Finken und Gimpelarten zu
kreuzen, misslang bzw. die ordinären Anteile waren dominant.
Der Handel mit Kanarienvögeln war nicht nur für die Mönche ein wichtiger
Wirtschaftsfaktor, für ganz Spanien war er von Bedeutung, so dass der
Spanische Hof, der reich mit den Vögeln versorgt wurde, ein immenses
Interesse an der Aufrechterhaltung des Monopols hatte. Die Begehrlichkeiten
der europäischen Höfe wuchs im 17. Jahrhundert ins Unendliche, so dass immer
mehr an diesem Geschäft teilhaben wollten. Einige Fürsten nördlich der Alpen
setzten hohe Belohnungen für die Überstellung einer oder mehrerer
Kanarienhennen aus. Weitsichtige zeitgenössische Ökonome warnten
eindringlichst vor einer Entwicklung wie in Holland, wo am 5. Februar 1637
mit dem schlagartigen Ende der sogenannten Tulpenmanie viele angesehene,
reiche Kaufleute von heute auf morgen ihr gesamtes Vermögen verloren und am
Bettelstab landeten. Alle Versuche, an Kanarienweibchen heranzukommen,
misslangen, die Abschottung der Singkanarienzucht schien perfekt. In einigen
Schriften aus der damaligen Zeit wird öfters berichtet, dass die Klöster der
"Vogelkutten", wie man die Mönche nannte, belagerten Burgen glichen, ständig
würden Fremde um die Klöster herum lungern in der Hoffnung, ein entflogenes
Weibchen einzufangen.
Abt Anton der Gütige des 1679 mit großzügigen Spenden des Haller Ratsherrn
Peter Tasch und anderer Wohltäter errichteten Kapuzinerklosters ärgerte sich
schon seit Jahren über das Monopol seiner spanischen Glaubensbrüder, dass er
alles daran setzte, dieses Monopol der Kanarienzucht zu brechen. Alle
Anstrengungen, auf freundlichem Wege Kanarienhennen zu bekommen, blieben
erfolglos, so dass er 1699 fünf junge, draufgängerische Burschen los
schickte, um Weibchen zu besorgen. Bevor sie loszogen, wies er sie in die
Kunst der Vogelhaltung und des Vogeltransportes ein.
Diese Burschen waren Johann Rupert aus Matrei in Osttirol, die Brüder Konrad
und Joseph Streiter, Georg Kammerlander, alle aus Imst, und Christopherus
Kathan aus Vorarlberg.
Diese fünf zogen über die Alpen mit Empfehlungsschreiben des Abtes in ihrem
Gepäck, die sie als fromme Tiroler aus Imst auswiesen und die
beabsichtigten, in ein spanisches Kloster einzutreten, da ihnen die
nördlichen Klöster zu kalt seien. In ihren Köpfen fest verankert war aber,
sobald sie Kanarienweibchen hatten, sofort wieder zurückzukommen. In den
ersten Klöstern wurden sie abgewiesen, im fünften Kloster, in dem sie
vorstellig wurden, konnten zwei als Knechte anfangen, die drei anderen
wurden in einem nahe gelegenen Kloster als Handlanger zeitweise beschäftigt.
Nach einem Jahr war es so weit: Sie hatten unbemerkt einige Hennen und Hähne
entführt und machten sich aus dem Staube. Ihr Rückweg ging über die
Pyrenäen, das Rhone-Tal hinauf, am Bodensee vorbei, und als erste Station in
der Heimat machten sie in Vorarlberg in Fraxern Halt, von wo der
Christopherus herkam. Den ganzen Weg zurück hatten sie immer Angst, dass die
spanischen Mönche sie verfolgen und Rache üben würden oder zumindest ihre
Kanarienvögel vernichten könnten.
Um dem auch in Zukunft vorzubeugen, ließen sie einige Vögel in Fraxern,
nahmen den Eltern den Schwur ab, ja nie etwas über die Vögel zu erzählen und
wanderten weiter nach Imst.
Was die Burschen aber nicht wussten, war, dass die spanischen Mönche sie
nicht verfolgten, diese bekamen es gar nicht mit, viele Knechte verschwanden
von heute auf morgen, und dass das Monopol eh schon länger gebrochen war,
auf breiter Basis sogar. Englische Händler hatten wilde Vögel von den
Kanarischen Inseln selbst geheim importiert, in Süditalien entflog einem in
Seenot geratenen Schiff eine ganze Ladung, so dass die Vögel dort sogar
auswilderten. Von jenen Vögeln landeten etliche in Zuchtkäfigen. Die immer
größeren Angebote von Kanarienvögeln ließen die Preise rapid fallen.
In England und Italien entwickelte sich eine eigenständige Zucht: In Italien
legte man viel Wert auf die Gestalt der Vögel, auf ihre Haltung, besonders
die der Kopfhaltung, in England züchtete man sie mit besonders farbigem
Federschmuck, in Imst zu immer reichhaltigerem, besonderem Gesang. Diese
Differenzierung des Zuchtzieles ist bis heute geblieben, so unterscheidet
man bis heute die Gesangs-, Posier- und Farbkanarien.
In Imst nahmen sich die Bergleute der dortigen Eisengruben des Vogels an,
sie züchteten sie weiter, nahmen sie als eine Art Frühwarnsystem für
Gaseinbruch und zur Unterhaltung mit in die Gruben. Imst wurde ein Zentrum
der Singkanarienzucht und auch hier wurde sie zu einem nicht zu
unterschätzenden Handelsfaktor.
Die Kanarienvögel auf dem kleinen, abgelegenen Bergbauerndorf Fraxern
vermehrten sich ebenfalls weiter, bald hatte fast jeder Bauernhof seine
zwitschernden Vögel. Die Bauern legten aber keinen besonders großen Wert auf
irgendwelche besonderen Differenzierungen oder Eigenarten der Vögel. Man
kann sie als die einzigen naturbelassenen Vögel in der Gefangenschaft
ansehen. Was die Bauern jedoch bemerkten, war, dass sich die Vögel bei ihnen
auf über 1000 Metern Höhe so wohl fühlten als wären sie zu Hause. Eine
Besonderheit im sonnenverwöhnten Bergdorf Fraxern war und ist, dass dort
zwanzigerlei Kirschsorten wachsen, eine absolute Besonderheit für diese Höhe
und dass die Kirschen sehr, sehr lecker sind und bis heute in der
Kirschenzeit die Leute von überall her kommen, um die einmaligen Kirschen zu
kosten und zu kaufen.
Die Kanarienvögel bekamen diese Kirschen in ihre Käfige gesteckt und pickten
mit größtem Vergnügen daran herum, so dass sie zur Kirschenzeit fast
ausschließlich Kirschen bekamen und die andere Zeit sehr oft eingeweichte
Kardy-Samen, Samen der sogenannten Färberdistel. Diese damals als Ernährung
beliebte, der Artischocke verwandte Distelart ist heute fast nur noch in der
Westschweiz oder bei hartgesottenen biologisch ausgerichteten Menschen als
Essen bekannt.
Als die Erzausbeute in Imst Ende des 18. Jahrhunderts immer mehr zurück ging
und im Harz neue unausgebeutete Erzadern gefunden wurden, wanderten viele
der Bergleute zu den neuen Abbaugebieten und nahmen ihre Vögel mit. Eine
kleine Schar Bergleute aus Vorarlberg erinnerten sich der Kanarienvögel in
Fraxern und nahmen von dort welche mit in das deutsche Mittelgebirge und
siedelten sich in der Nähe der neu ausgeschachteten Grube Catharina in Sankt
Andreasberg an.
Was die Bergleute schnell hörten, war, dass ihre aus Fraxern mitgebrachten
Vögel einen klareren und reineren Gesang hatten als die, die sie aus Imst
her kannten. Im 19. Jahrhundert waren die aus Fraxern stammenden
Andreasberger Kanarienvögel in ihrem Gesang so weit ausgebildet, dass man
ihnen einen eigenständigen Namen gab: Harzer Roller.
In St. Andreasberg entwickelte sich eine professionelle Harzer-Roller-Zucht,
so dass zeitweise jährlich bis zu über hunderttausend Vögel in alle Welt
exportiert wurden, v. a. nach Amerika, aber auch nach Australien und
Südamerika.
In den USA wurde im Jahre 1998 in einer großangelegten Studie über die
Singkanarienvögel festgestellt, dass sich die Stimmritzen aller Harzer
Roller durch eine besondere Flexibilität auszeichnen. Es wird vermutet, dass
dies durch eine über zig Generationen einseitige Ernährung mit besonders
reichhaltigem Futter mit organischen Säuren, Zuckern und Pektinen entstanden
sein könnte , z. B. durch Kirschen und Kardy-Samen.
Heute spielt die Kanarienzucht nirgendwo mehr eine große wirtschaftliche
Rolle, es gibt kaum hauptberufliche Kanarienzüchter mehr, die Zucht findet
heute auf der Ebene der Kleintierzuchtvereine statt. In Andreasberg gibt es
ein schönes Harzer-Roller-Museum mit herrlich singenden Edelrollern, in
Fraxern sind die letzten naturbelassenen Kanarienvögel bei einem kalten
Winter Mitte des 19. Jahrhunderts ausgestorben, so dass die heute dort
zwitschernden Kanarienvögel Reimporte darstellen.
Zum Schluss sei noch nachgetragen, dass sich unter der Speise des Harzer
Rollers kein gebratener Kanarienvogel im Speckmantel verbirgt, sondern eine
bestimmte Käsesorte aus der Gattung des Stinkekäses, der sich sehr gut zum
Einlegen eignet:
2 Päckchen Harzer Roller, 4 Knoblauchzehen, 1 rote Chilischote, 2
Lorbeerblätter, 1 Zweig Rosmarin, 1 Zweig Thymian, Olivenöl extra vergine
zum Auffüllen.
Den geschälten Knoblauch in Scheiben schneiden, Chili halbieren und
entkernen. Die einzelnen Harzer-Roller-Röllchen abwechselnd mit
Lorbeerblättern, Thymian- und Rosmarinzweigblättchen, Knoblauch und
Chilischote in ein Glas schichten. Mit Olivenöl auffüllen. Dunkel und kühl
mindestens 4 Tage durchziehen lassen. Der Käse schmeckt besonders lecker,
wenn er (vor dem Verzehr) mit einigen Tropfen guten Weinessigs beträufelt
und mit einigen Zwiebelringen garniert wird.
Der gekühlte, eingelegte Harzer Roller ist ca. 2 Wochen haltbar.
Literatur:
Wendt, Otto: Familienlexikon. Leipzig 1863.
Meyers Konversationslexikon. Leipzig / Wien, Bd. 9, 1890.
Der Vogelfreund. Fachorgan des Deutschen Kanarien- und Vogelzüchterbundes e.
V. Mainz / Laubenheim.
Das Kirschenwunder von Fraxern. Heimatblätter, Bd. 28. Bregenz 1952.
Geßner, Rolf: Pflanzen- und Tierschutz in Bergwerken am Beispiel des Harzer
Raumes. Braunlage 2002.
Harzer Roller Kanarien-Museum, Sankt Andreasberg / Oberharz
imar. www.chefkoch.de, 2004
SchülerInnen der Glückauf-Grundschule Andreasberg:
http://geschichtsatlas.de/~gc7/body_index.html, 2004
www.museumderunerhoertendinge.de