ARCHITEKTUR OHNE ARCHITEKTEN
„Stand man am Weg, so hatte man nur vernachlässigte und dürftige
Bauernhäuser vor sich, blickte man aber von den Wiesen unten herauf, so
meinte man sich in ein vorweltliches Pfahldorf zurückversetzt, denn die
Häuser standen mit der Talseite alle auf hohen Balken, und ihre Abtritte
schwebten etwas abseits von ihnen wie die Gondeln von Sänften auf vier
schlanken baumlangen Stangen über dem Abhang.“
Robert Musil, „Grigia“
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Angesichts subsistenzwirtschaftlicher Lebensformen und der oft damit
verbundenen Armut erstaunt die Qualität vieler bergbäuerlicher Bauten, von
denen sich heute im Alpenraum freilich immer weniger Beispiele finden. Wie
schafften es Bauern mit vielleicht drei oder vier Kühen, einigen Schafen
oder Ziegen, wenigen Hühnern, solche Gebäude zu errichten? Ein Grund ist
dort zu sehen, wo sie im Gegensatz zu uns heutigen Menschen tatsächlich für
Generationen bauten. Dann war das Errichten eines Hauses in ihrer durch
Bindungen und wechselseitige Verpflichtungen geprägten Welt keine
Privatangelegenheit. Man konnte auf die Hilfe anderer zählen. Wem immer beim
Errichten eines Hauses geholfen wurde, der war seinerseits verpflichtet,
eben diese Hilfe zu einem späteren Zeitpunkt zu beantworten. Wechselseitige
Abhängigkeiten bildeten eine entscheidende Ressource, ohne die diese
Architektur undenkbar gewesen wäre. Das gemeinschaftliche Bauen ist dabei
nicht einfach als Vervielfältigung einzelner Kraftanstrengungen zu sehen.
Vielmehr brachte jeder seine Kenntnisse und Erfahrungen ein. Auch setzte
diese Art des Bauens individuellen Gestaltungswünschen Grenzen. Solange
viele an der Errichtung eines Gebäudes beteiligt waren, man auf andere
angewiesen war, durfte ein Gebäude nicht behaupten, das Haus eines Reicheren
zu sein.
Die bäuerliche Architektur kannte weder schriftliche noch zeichnerische
Planungsunterlagen. Planlos war sie jedoch nie. Das Bauen verdankte sich
lange tradiertem Erfahrungswissen. Gebaut wurde das, was sich in der
Vergangenheit bewährt hatte. Konstruktion, Dimensionierung, vor allem die
Wahl des Standortes wurden durch das vorhandene Material, durch
Bewirtschaftungsformen, das Binnenklima, nicht zuletzt durch
arbeitsökonomische Überlegungen bestimmt. Das Wissen wurde durch Vorzeigen,
Nachahmen und mündliche Erklärungen tradiert. Von Kind an wuchsen Bauern mit
dem Bauen auf. Während die Hauptgebäude zumeist unter Zuhilfenahme eines
Zimmermanns errichtet wurden, baute man kleinere Objekte weitgehend selbst.
Es galt mit geringstmöglichem Material- und Arbeitseinsatz das Bestmögliche
zu schaffen. Vom verwendeten Material über die Ausrichtung bis hin zur
Dachneigung orientierte sich die Bauweise an lokalen Gegebenheiten.
Angesichts bäuerlicher Bautraditionen sprach Adolf Loos von
„Urväterweisheit, geronnener Substanz.“
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Während sich auf der einen Seite einfachste, aus Ästen und Rinde errichtete
Unterstände finden, die sich beiläufigem Tun verdanken, sind auf der anderen
Seite komplexe Bauten zu nennen, deren Lösungen auch heute noch bestechen.
In manchen erhalten gebliebenen Holzhäusern irritiert das unterschiedliche
Bodenniveau der Räume, die man über eine hohe Schwelle oder ein paar Stufen
betreten muss. Dies hat nichts mit einem Mangel an Planung zu tun, vielmehr
war dies durch den sparsamen Umgang mit Material und konstruktive
Überlegungen bedingt. Die schweren Bodenbretter, auf einen Unterzug
aufgelegt, wurden an ihren Enden in die Wände eingestemmt. Da eine
Rundum-Einnutung in gleicher Höhe eine mögliche Bruchstelle der
Holzkonstruktion zur Folge gehabt hätte, wurden die Böden in
unterschiedlicher Höhe eingezogen. Ein in allen Räumen gleiches Bodenniveau
hätte massivere Wandstärken erfordert, was mit einem höheren Material- und
Kostenaufwand verbunden gewesen wäre. In jedem der Räume wurde das mittlere,
leicht konische Bodenbrett, der „Zwinger“, von außen als letztes Brett
eingetrieben. So ließen sich die genuteten Bodenbretter zusammenpressen. Da
der Zwinger durch die Außenwand ragte, konnte dieser bei fortschreitender
Austrocknung des Holzes entsprechend nachgetrieben werden.
Liest man sich durch die Literatur zu bäuerlicher Architektur, dann ist
immer wieder von bestimmten Bautypen die Rede: Vierkanthof,
Bregenzerwälderhaus, Rheintalhaus, Paarhof, Karantanischer Haufenhof und so
fort. Nicht jedoch die Bautypen sind interessant, sondern die Lösungen,
denen sie sich verdanken. In hochgelegenen Siedlungen des Prättigaus kann
man Wirtschaftsgebäude sehen, deren Heuboden einige Meter über das
eigentliche Stallgebäude herausgezogen ist. So bot sich in den oft langen
und schneereichen Wintern eine geschützte Arbeitsfläche im Außenraum.
Zumeist südseitig ausgerichtet, war es hier an Sonnentagen auch während des
Winters wärmer. Dann ließ sich durch die Verlängerung des Heubodens die Höhe
der aufgesetzten Tenne reduzieren, wodurch solche Wirtschaftsgebäude, in
solchen Lagen nie querstehend zum Hang gebaut, Lawinen weniger
Angriffsfläche boten. Ein großes Vordach, wie es sich in anderen Regionen
findet, hätte hier keinen Sinn gemacht. Wo Menschen das Heu auf ihrem Rücken
eintrugen oder Schlitten benutzten, da bedurfte es keiner Vordächer, um
einen beladenen Heuwagen während eines Gewitters unterzustellen.
Über die Hügel des Appenzell bläst oft ein heftiger, von Nordwesten
kommender Wind. Die traditionelle Architektur der Gegend hat gelernt, mit
heftigen Winden umzugehen. Während die Stirnseiten der Wohngebäude, dem Wind
abgewandt und nach Südosten ausgerichtet, durchgehende Fensterbänder kennen,
finden sich auf den rückwärtigen, also dem Wind zugewandten Seiten
bestenfalls kleine Fensteröffnungen. Die nach Westen ausgerichtete Wand kann
stirnseitig als Windfang ausgebildet sein. Die beachtlichen Fensterflächen
an der Stirnseite lassen viel Sonnenlicht einfallen und dienen so dem
Wärmehaushalt. Zudem sind den einzelnen Fenstern Läden vorgesetzt, die sich
mit Hilfe einer einfachen, aber ausgeklügelten Vorrichtung hochziehen oder
versenken lassen. Auf Vordächer wurde zumeist verzichtet, böten diese doch
dem Wind eine zu große Angriffsfläche. Auch stirnseitig ist das Dach nur
wenig vorgezogen, zudem können die Giebel, um den Wind abzulenken, rund
ausgemauert sein. Während die Stirnseite als unverkleidetes Strickwerk
ausgeführt sein kann, sind die dem Wind zugewandten Seiten mit Schindeln
oder einem Bretterschirm verkleidet. Der aufmerksame Betrachter wird auch
die Standortwahl bemerken, in der den Luftströmungen Rechnung getragen wird,
manchmal auch Dächer, die windseitig tief heruntergezogen sein können. Wir
haben es mit einer ausgeklügelten Windarchitektur zu tun. Um die Gewalt des
Windes zu brechen, wurden früher senkrecht aufragende, über das Dach
hinausragende, ähnlich einem Rechen angeordnete Stangen angebracht. Die
folgende Abbildung zeigt ein schlichtes Appenzeller Wirtschaftsgebäude. Die
linke Seite ist dem Wind zugewandt. Die Traufhöhe liegt exakt in der Höhe
der Hangkante. Der Giebel ist nicht zentriert gesetzt. Mühelos könnten
Statiker erklären, warum sich diese Bauweise bewährt hat. Allerdings
verdankt sie sich nicht Statikern, sondern über Jahrhunderte ausgebildetem
Erfahrungswissen.
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Die bäuerliche Architektur passte sich den Gegebenheiten des Geländes an.
Hier liegt ein entscheidender Grund dafür, warum wir all diese Gebäude –
ganz im Gegensatz zu heutigen Bauten – so gut wie nie als Fremdkörper in der
Landschaft sehen. Der Übergang zwischen Architektur und Landschaft war stets
fließend, was sich nicht zuletzt dem Umstand verdankte, dass nach
Möglichkeit nur Materialien aus der Umgebung verwendet wurden. Das gilt etwa
für Steinmaterial. Wurde ein Gebäude in der Nähe eines Baches errichtet,
dann ließen sich dank der vielen Flusssteine andere Mauern aufführen als
etwa in manchen wasserarmen Gebirgslagen, in denen wiederum Steine zur
Verwendung kamen, die während des Aushubs zu Tage gefördert wurden. Während
wir es hier mit einem vergleichsweise großen Aushub zu tun haben können,
konnte dieser dort gering ausfallen. Offensichtlich war es einfacher, Steine
heranzutransportieren, als eine große Grube in den Hang zu graben.
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Dieses Gebäude steht an der Kante eines steil abfallenden Hanges. Es
bedurfte weder eines großen Aushubs noch aufwändiger Stützmauern. Die Wahl
eines Standortes war von vielen Faktoren abhängig, etwa vom Vorhandensein
einer Quelle. Heute verdankt sich die Standortwahl amtlich festgelegten
Raumordnungen oder der Möglichkeit, ein Baugrundstück zu finanzieren. Wer in
einer Hanglage eine ebene Fläche um sein Haus haben möchte, der lässt sich
eine Mauer aus Zyklopensteinen errichten.
In Extremlagen konnten bäuerliche Bauwerke geradezu mit der Landschaft
verschmelzen, wie das abgebildete Almgebäude deutlich macht. Praktisch
nahtlos geht das Dach in den Hang über, greift dessen Neigungswinkel auf,
wodurch Lawinen über das Dach abrutschen konnten.
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Oft kann man nur erstaunt sein, wie sicher einfachste Objekte in die
Landschaft gesetzt sind. Da bedurfte es keines Raumplaners, keines
Architekten. Insbesondere im alpinen Raum war die Architektur zur
Zwiesprache mit der Landschaft gezwungen, musste sie sich zwangsläufig
topographischen Gegebenheiten anpassen, wobei allerdings festzuhalten ist,
dass den Bauern unsere Vorstellungen von Landschaft völlig fremd waren und
man deshalb nicht von Landschaft, sondern von Gelände sprechen sollte.
Betrachtet man historische Aufnahmen, die Bergbauern in steilem Gelände
zeigen, dann fallen einem Körpergesten auf, die heutigen Menschen völlig
fremd sind. Man denke etwa an junge Frauen, die, um sich auszuruhen oder zu
unterhalten, ihr Spielbein um den Stiel eines nach oben gekehrten Rechens
geschlagen haben, während sie sich mit einer Hand am Stiel festhalten. Sehr
entspannt stehen sie oft in steilstem Gelände.
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Ein Scheunentor. Eine architektonisch bestechende Lösung. Das Tor ist einige
Meter zurückversetzt, die Einfahrt steigt leicht an, auf der linken Seite
sind Mauerwerk und Holzwand als Rundung ausgeführt. Formal wird die Rundung
mit entsprechend zugesägten Brettern in den beiden oberen Ecken
aufgegriffen. Zusätzlich erfährt die Struktur eine Betonung durch in halber
Höhe horizontal aufgenagelte Leisten. Die Lösung verdankt sich Vorgaben, die
auf der Abbildung nicht zu sehen sind. Man muss sich die enge Gasse hinzu
denken, in der dieses Gebäude steht. Nicht ästhetische, sondern praktische
Gründe waren maßgebend. Nur dank der Rundung war es Fuhrwerken möglich, in
die Tenne einzufahren. Und wäre das Deckenniveau des unter der Tenne
befindlichen Stalles etwas höher gelegt worden, so hätte die Einfahrt
entsprechend verlängert, das Tor also tiefer in die Tenne versetzt werden
müssen, was weitere Verschiebungen zur Folge gehabt hätte. Der
Neigungswinkel einer Einfahrt durfte nicht zu schräg sein, ein Scheunentor
hatte eine gewisse Mindesthöhe und -breite zur Voraussetzung. Es wären eine
Reihe weiterer Faktoren anzuführen, die bei der Errichtung dieser Einfahrt
zweifellos mitgedacht wurden.
Bäuerliche Architektur wird oft betrachtet, als stünde sie seit einer halben
Ewigkeit so da. Tatsächlich unterlag sie einem steten Wandel, was sich bei
historischen Objekten an den Fenstern oder auch an den Wandverkleidungen
vielfach ablesen lässt. Schindeln gelten als typisch für manche regionalen
Ausprägungen bäuerlicher Architektur, etwa für das Rheintalhaus. Tatsächlich
kennen die hier verwendeten Schindeln keine allzu lange Geschichte, mochten
auch schon seit langer Zeit Gebäude mit roh behauenen Holzschindeln
verkleidet worden sein. Kleine Schindeln konnten erst Verwendung finden, als
es industriell gefertigte Nägel gab, also frühestens in der Mitte des
neunzehnten Jahrhunderts. Das gilt nicht nur für Wandverkleidungen, sondern
auch für Schindeldächer, bei denen kleine Schindeln an die Stelle der früher
gebräuchlichen und mit Steinen beschwerten Legschindeln traten. Zum
Aufnageln der Schindeln wurden zwar Bretter notwendig, aber durch die
steileren Dachflächen wurde Raum gewonnen und die Dachunterkonstruktion ließ
sich mit geringerem Materialaufwand errichten, konnten Schneelasten doch nun
abrutschen.
Rauchküchen, es gab sie mancherorts noch in der ersten Hälfte des
zwanzigsten Jahrhunderts, kannten oft genug überhaupt kein Fenster. Die
Fenster der anderen Räume waren ursprünglich so klein, dass bestenfalls
spärliches Licht einfiel. Diese mit Schiebetürchen aus Holz versehenen
Fenster wurden so gesetzt, dass sie, je nachdem, ob man saß, stand oder lag,
nach der Augenhöhe ausgerichtet waren. So lange Glas unerschwinglich war und
man sich mit über Rahmen gespannten Blasenhäuten oder geöltem Papier
behelfen musste, konnte es keine größeren Fenster geben. Dass sich auch nach
der Einführung von Glas und Fensterflügeln zumindest in den nicht
beheizbaren Kammern noch lange solche Holzschieber erhalten haben, erklärt
sich durch die bäuerliche Lebensweise. Man stand auf, war es noch dunkel,
man begann mit der Arbeit, fing es an zu dämmern, man ging schlafen, war es
dunkel geworden. Bauern verbrachten den Großteil des Tages im Freien. Sie
wussten sich in der Dunkelheit zu bewegen, da und dort nach Kanten oder
Balken tastend. Die Geschichte der Fenster lässt sich heute noch an manchem
in Blockbauweise errichteten Haus ablesen, vorausgesetzt, dass das Blockwerk
nicht verkleidet wurde. In manchen Regionen, etwa im Vorarlberger Rheintal
oder im Bregenzerwald, wurden bereits sehr früh große Fenster eingeführt, im
Appenzell beachtliche, nach Süden ausgerichtete Fensterflächen. Dies
verdankte sich der Handstickerei, die einen Zuverdienst ermöglichte. Sticken
konnte man nur in Räumen, die hell waren. Es bedurfte also großer Fenster.
Um den Lichteinfall zu verbessern, wurden im Appenzell die Zimmerdecken mit
weißer Farbe lackiert, was insbesondere während des Winters die Räume
wesentlich heller machte und das Sticken erleichterte. Vom Schnee
reflektiertes Licht fiel auf die weiß lackierten Decken, von dort fiel es
als indirektes Licht in den Raum.
Die „bäuerliche Architektur“ im wörtlichen Sinn gibt es nicht. Schon allein
auf eine einzige Region bezogen müsste man Zeitreisen unternehmen, um all
die Brüche und Wandlungen zu sehen. Vieles erweist sich bei genauerer
Betrachtung keineswegs als alt, während sich dann wiederum Relikte finden
lassen, die in höchst archaischen Welten begründet sind. Wenn etwas für die
bäuerliche Architektur typisch sein soll, dann sind es nicht Schindeln oder
kleine Fenster, sondern dem Bauen ganz allgemein zugrundeliegende
Kulturtechniken, etwa der Umgang mit vorhandenem Material. Die als
konservativ gescholtenen kleinen Bauern hatten wenig Mühe mit neuen
Technologien und Materialien, sofern diese verfügbar, funktional und billig
waren. Man denke an Blechbadewannen, die, funktionslos geworden, als Tränken
Verwendung auf Weiden fanden. Wohl kein Bauer betrachtete diese als
„Fremdkörper“ in der Landschaft. Wenn es die nötigen Transportmöglichkeiten
gab, dann war ihnen Beton ein willkommener Baustoff. Würde man heute einige
der in den 1950er oder 1960er Jahren von Bauern errichteten Gebäude
untersuchen, es kämen manche seltsamen Armierungen aus dem damals
verarbeiteten Beton zum Vorschein. In nicht wenigen betonierten Fenster-
oder Türstöcken fänden sich Achsen ausgemusterter Fahrzeuge, Drahtreifen
kaputter Fässer oder Teile von Maschinen. Ganz frei von Magie waren die
betonbegeisterten Bauern von damals freilich nicht, mauerten sie doch
geweihte Medaillen oder Reliquien (billig in Wallfahrtsorten erstanden) in
die Fundamente ein. Die einzementierten Reliquien lassen an archaische
Bauopfer denken, an die Vorstellung, dass ein Bauwerk, soll es Festigkeit
beweisen, nach der Opferung eines Lebewesens verlangt.
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Die Abbildung zeigt das Dach eines Heustalls, der in den 1950er Jahren mit
dem Blech aufgeschnittener Ölfässer gedeckt wurde. Bauern hatten ein
ausgesprochenes Gefühl für Vorgefundenes, für Abfall. Mühelos übertrugen sie
dieses Erfahrungswissen auf die Mullhalden der frühen Konsumgesellschaft,
auf denen es manch Nützliches zu finden gab. Die folgende Aufnahme ist ein
sehr schönes Beispiel für den subsistenzwirtschaftlichen Umgang mit
Material: Holz, Blech und Plexiglasscheibe – alles erfüllt seinen Zweck. Die
optische Wirkung scheint nebensächlich. Und doch ist anzunehmen, dass dem
Bauern diese Verkleidung gefiel. Sehr unterschiedliche Materialien, Abfall
und Angefallenes fügen sich zu einem geschlossenen Ganzen. Diese
Wandverkleidung eines Heustadels ist im wahrsten Sinn des Wortes schön.
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Neben dem Umgang mit Abfällen und all den damit verbundenen Improvisationen
zeugt diese Wandverkleidung von Augenmaß, welches uns in der bäuerlichen
Architektur so oft auffällt. Um etwa eine Hochlaube um mehrere Ecken eines
rätoromanischen Hauses zu ziehen, bedurfte es guten Augenmaßes, ebenso, was
die Proportionen betrifft. Womöglich verdankt sich das Stimmige gerade den
damit zwangsläufig verbundenen Unschärfen.
Wer immer heute ein Haus baut, hat es mit weitgehend domestiziertem,
normiertem und gebrauchsfertigem Material zu tun. Man muss keinen Kalk
brennen oder löschen. Holz in Form von Leimbindern, Mehrschicht- oder
Faserplatten ist alles Eigenleben abhanden gekommen. Kein Balken beginnt
mehr zu arbeiten. So ist es gleichgültig, wann das Holz geschlagen wird.
Bäuerliches Bauen begann dagegen lange vor den eigentlichen Bauarbeiten. Es
begann mit der Aufmerksamkeit für Vorhandenes. Fichten mussten geschlägert
und zu Balken und Brettern verarbeitet werden. Es waren nicht irgendwelche
Fichten. Das während des Bauens verarbeitete Material war höchst mitteilsam,
musste es doch mit Mühe beschafft, herausgekratzt, umgehackt oder umgesägt
werden, oft bei Regen oder im tiefsten Winter. Vor allem musste nahezu alles
getragen werden. Ob Steine, Holz, Schilf oder Stroh, all das hat sich den
Sinnen der Bauern eingeschrieben. In einem gewissen Sinn blieben all die
Materialien, die Bauern verwendeten, lebendig, bewahrte der bearbeitete
Baustoff, ob Stein oder Holz, sein Eigenleben. Die bäuerliche Architektur
war, beginnend bei den Baumaterialien, voller Erinnerungsspuren, die Gebäude
muss man sich als selbst fortschreibende Erinnerungsgebilde vorstellen, mehr
noch, sie waren beredt. Starb jemand oder hatte sich ein Unglück ereignet,
so teilten das ächzende Balken oder knarrende Türen mit. Solche
Vorstellungen sind uns abhanden gekommen, sind doch moderne Baumaterialien
geschichtslos. Sie teilen ihre Geschichte nicht mit, mehr noch, sie dürfen
keine Geschichte haben, im Idealfall kennen sie nicht den geringsten
Unterschied.
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Bäuerliche Architektur wirkt stimmig, verankert in Raum und Zeit, oft genug
wird sie als „schön“ wahrgenommen. Das ist erstaunlich, mangelt es ihr doch
oft genug an jedem Zierrat, vor allem in Lagen, in denen das Leben mühsam
und hart war. Als Faustregel lässt sich sagen, je karger die
Lebensbedingungen, umso funktionaler die Architektur. Die Schönheit
bäuerlicher Architektur verdankt sich vor allem der Beschränkung auf das
Nötige und der Betonung des Funktionalen. Dies fängt bereits bei
Holzverbindungen an, die keine unnütze Hinzufügung kennen, in ihrer
Konstruktion im doppelten Sinn des Wortes angemessen sind. Das ist es, was
wir von der bäuerlichen Architektur lernen können: Auf Struktur und
Funktionalität kommt es an, auf den Verzicht auf alles Überflüssige. Mag es
auch Ausnahmen geben, so sehen wir im heutigen Häuslbau genau das Gegenteil,
sinnlos verbauten Raum, unnötigen Zierrat, funktionslose Erker, Balkone, die
nicht benützt werden, vor allem einen auffallenden Mangel an Raumbezug, was
allein Hecken und andere Abschirmungen zur Genüge belegen. Während heutige
Bauten innen wie außen vor allem die Erscheinung, also Oberflächen betonen,
waren bäuerliche Gebäude und Räume in vielfacher Weise geradezu mit
Bedeutungen und Geschichte aufgeladen. Man denke an all die Erzählungen, die
es zu Schwellen, Türen, Fenstern, Dachböden, Kellern oder Kammern gibt.
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Das karge Leben erlaubte keinen aufwändigen Zierrat. Stets konnte das Schöne
nur ein Nebenprodukt des Nützlichen sein. In meiner Kindheit, zu einer Zeit,
in der es bestenfalls die ersten Motormäher oder Traktoren gab und der
größte Teil der Heuarbeit noch mit der Hand erledigt werden musste, erlaubte
die anstrengende Arbeit dennoch den Luxus schöner, keinem unmittelbaren
Zweck dienender Nebenprodukte. Lange bevor es „Land Art“ gab, spielten sich
Bauern und Bauernkinder mit der Landschaft. Ich erinnere mich an Wiesen, auf
denen Heumahden zu Bildern gezogen waren. Initialen oder andere Zeichen
waren zu bestaunen. Bei gutem Wetter ließ sich das Gras am Boden trocknen.
Abends musste es jedoch mit dem Rechen zu Mahden gehäuft werden. Am nächsten
Morgen, kaum war der Tau weggetrocknet, wurden diese Mahden wieder
ausgebreitet. Kündigte sich an solchen Tagen ein Gewitter an, wurde das
halbtrockene Heu kunstvoll zu Haufen aufgeschichtet, damit der Regen an der
Oberfläche abfließen konnte. Bauern wussten die Schönheit solcher Haufen zu
beurteilen. Das gilt auch für Schochen oder Schober, für aufgestapeltes
Brennholz, für die einfachsten Dinge und Tätigkeiten.
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Ob Dachziegel, Wandkonstruktionen oder zum Trocknen aufgehängte Maiskolben:
Die kleinen Bauern befriedigten ihr Schönheitsbedürfnis zumeist dadurch,
dass sie ohnehin Nötiges ornamental ordneten. Das Schöne verdankte sich
weniger dem Hinzugefügten als dem Beiläufigen, also dem, was ohnehin zu
machen war. Werden heute Maiskolben allein der Zierde wegen an Hauswände
gehängt, dann hat dies eine völlig andere Wirkung, ist das Tun doch anders
begründet, seines ursprünglichen Inhalts entleert.
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In vielen ländlichen Gebieten sind heute Gebäude in grell leuchtenden Farben
zu sehen, in Grün-, Rot-, Blau-, Violett- oder Gelbtönen, die nicht mit der
Umgebung korrespondieren. Zumeist wirken sie wie Fremdkörper in der
Landschaft. Eine intensive Farbgebung muss nicht unbedingt unangenehm sein.
Im Gegenteil. Viele Bauernhäuser des Appenzell sind auffallend bunt. Es ist
nicht einfach zu erklären, warum hier die oft intensiven Farbtöne zumeist
eine andere Wirkung erzielen. Das Entscheidende ist vermutlich dort zu
sehen, wo mit Hilfe von Farben weniger das Gebäude als dessen Strukturen
betont werden. Oft sind die Außenwände in unterschiedlichsten Farben
gehalten. So kann die nach Süden ausgerichtete Wand des Wirtschaftsgebäudes
in einem leuchtenden Gelb gestrichen sein, während für die Stirnseite des
angrenzenden Wohnhauses weiße Farbe verwendet wurde. Flächen anderer
Außenwände können mit Holzbrettern, Blech, Holz- oder Eternitschindeln
verkleidet sein, wodurch sich weitere Farbtöne ergeben. Oft sind horizontale
und vertikale Strukturelemente wie Fenster oder Türen durch eine
kontrastierende Farbgebung betont. Manche dieser bunten Gebäude lassen denn
auch an Farbkompositionen denken, die wir aus der modernen Kunst kennen. Der
angenehme Eindruck dieser bunten Häuser zeugt nicht allein von einem guten
Farbgefühl. Mehr noch verdankt er sich einer bemerkenswerten Beiläufigkeit,
mit der einmal diese Wand erneuert, vielleicht erst Jahre später eine andere
gestrichen wird. Einer Sage nach sollen sich die Bauernhäuser des Appenzell
auch einer Beiläufigkeit verdanken, nämlich dem Stolpern eines Riesen, der
in seiner Unachtsamkeit all die Häuser in die Hügel gestreut hat.
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Der bäuerliche Sinn für das Schöne findet seine beste Ausprägung in
Aussparungen, zumeist funktionalen Weglassungen. Ein ornamentaler
Ausschnitt, ähnlich einem Scherenschnitt, der gleichermaßen der Lüftung wie
dem Lichteinfall dient. Mögen die Motive auch von religiösen Symbolen über
Pflanzenornamente und stilisierte Tierfiguren bis hin zu abstrakten Formen
reichen, so waren sie doch innerhalb des vorgegebenen Rahmens weitgehend
festgelegt. Die Funktionen solcher Aussparungen berücksichtigend, kamen nur
bestimmte Stellen der Bretterverkleidung in Frage. Bei gemauerten
Wirtschaftsgebäuden können die der Belüftung dienenden Auslassungen
ornamenthaft als Ziegelgitter ausgeführt sein. Solche Gitterformen, die in
der Steiermark, im nördlichen Slowenien, in Kärnten, Friaul, aber auch in
Südtirol zu sehen sind, kennen sehr unterschiedliche Ausgestaltungen, dies
trotz des Umstands, dass die verwendeten Tonziegel vieles ausschließen.
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Anlässlich bestimmter Ereignisse wie einer Primiz oder der Einführung eines
neuen Pfarrers konnte aber auch ein verschwenderischer Aufwand betrieben
werden. Die Einführung eines neuen Pfarrers war eine der wenigen
Möglichkeiten pompöser Entfaltung eines Dorfes. Tagelang saßen Frauen, um
aus Stechlaub Girlanden zu fädeln, die dann an Torbögen, Portalen und Türen
oder im Kirchenraum neben anderem Schmuck angebracht wurden.
Auffallenderweise handelte es sich um kollektiv hergestellte Kunstwerke, die
bereits nach Stunden, spätestens nach wenigen Tagen hinfällig waren. Da die
Subsistenzwirtschaft wenig Spielraum bot, Dinge einzig der Schönheit, des
Schmuckes wegen zu fertigen, sind Beispiele spannend, in denen sich in der
Architektur das Funktionale zugunsten der Zierde verschiebt. Das gilt etwa
für üppig gestaltete Ziergiebel. Diese setzten einen gewissen Wohlstand
voraus, mehr noch, ihre Funktion bestand darin, einen Geltungsanspruch
innerhalb des sozialen Gefüges zu behaupten. Zumeist fanden sich solche
Giebel nur auf der der Straße zugewandten Hausseite, auf der Stirnseite
eben, dort, wo das Haus sein Gesicht hat. Der Giebel war das Antlitz, mit
dem das Haus auf die Straße blickte. Der Formenkanon kannte regional nur
wenige Abweichungen. Differenz ließ sich einzig in der Üppigkeit der
Ausgestaltung behaupten. Dabei durfte niemand seinen Giebel üppiger
gestalten, als dies seinem Ansehen entsprach, der Anzahl der im Stall
stehenden Kühe, der Mägde und Knechte, öffentlichen Funktionen. Ein
wichtiges Regulativ, welches die heutige Architektur nicht mehr kennt. Mit
der von Adolf Loos beklagten „ornament-seuche“ hatten diese Giebel nichts
gemein, waren sie doch einer gemeinsamen Zeichensprache verpflichtet, einem
Formenkanon, der nur wenige Abweichungen erlaubte. Und dann überzeugen sie
vor allem dort, wo die Balkenkonstruktion zum formgebenden Element wird.
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Die Abbildung zeigt einen landwirtschaftlichen Zweckbau, der zum größten
Teil aus Abfallmaterial errichtet wurde. Die Säulen, auf denen die
Querbalken des Pultdaches aufliegen, verdanken sich leeren Dieselfässern,
die aufeinander gestapelt und mit Beton befüllt wurden. Es ist anzunehmen,
dass der Beton mit herumliegendem Steinmaterial gestreckt wurde und für die
nötige Armierung ganz unterschiedliche Eisenabfälle Verwendung fanden. Eine
solche Art des Bauens macht nur Sinn, ist entsprechendes Material vorrätig
oder fällt es während der Bauarbeiten an. Dieselfässer in solcher Anzahl
fallen etwa in Schottergruben an. Vielleicht war der Bauer oder einer seiner
Söhne in einem solchen Betrieb beschäftigt. In der Nähe dieses Gebäudes sah
ich einen aus Seitengittern von Kartonwagen, mit denen Supermärkte beliefert
werden, errichteten Zaun. Hier könnte jemand in einem Zentrallager einer
Supermarktkette beschäftigt gewesen sein. Bauern hatten ein besonders
Sensorium für das, was anfällt und sich an anderer Stelle wieder gebrauchen
lässt. Sie verfügten auch über den nötigen Raum, um solche Materialien zu
lagern. Man sieht es manchmal heute noch, aber in meiner Kindheit fanden
sich auf nahezu jedem Bauernhof Stapel mit angesammelten Baumaterialien,
unterschiedlichsten Ziegeln, gebrannten Rohren oder solchen aus Beton,
Bretter, Balken, Bleche, unterschiedlichste Eisenmaterialien, aus
Abbruchhäusern ausgebaute Fenster, später auch Abdeckplanen von LKWs und so
fort.
Das abgebildete Gebäude ist in der Nähe von Innsbruck zu bewundern. Obwohl
es erst vor zwei oder drei Jahrzehnten errichtet wurde, heute wäre ein
solches Gebäude undenkbar. Man würde an Raumordnungsplänen scheitern, an
Bauvorschriften, die vom Material bis hin zur Statik vieles vorschreiben und
damit eine solche Art des Bauens ausschließen. Auch ökonomisch machte es
keinen Sinn mehr. Mochten die Kosten für das verarbeitete Material auch
bescheiden gewesen sein, der Zeitaufwand, der allein für das Zusammentragen
all der Materialien benötigt wurde, wäre viel zu hoch. Dennoch gefällt mir
dieses Gebäude, ist es doch ein schönes Beispiel für
subsistenzwirtschaftliches Bauen.
Ich erinnere mich an einen alten Zimmermann, der mehrfach für meinen Vater
gearbeitet hat. Frühmorgens, während er seinen Tee trank, machte er auf
einem Brettchen einige Skizzen. Statt eines Planes gab es eine mündliche
Absprache. Mein Vater verfügte über genügend Erfahrung, um zu wissen, wie
viel Holz in welcher Stärke nötig sein würde. Er kaufte sich ein „Los“,
schlägerte, ließ sich die Fichten in einem Sägewerk zu Brettern, Pfetten
oder Firstbalken sägen. Den „Plan“ hatte der Zimmermann in seinem Kopf,
hatte er doch zahllose ähnliche Gebäude errichtet, er musste ihn nur in
Übereinstimmung mit den Vorgaben des konkreten Bauprojektes bringen, etwa
den Kamin an der gewünschten Stelle in die Holzkonstruktion einfügen. Mag
man solches Bauen auch bewundern, spätestens in den 1960er Jahren machte es
keinen Sinn mehr. Durch den radikalen Wandel der Bewirtschaftungsformen
waren nun in der Landwirtschaft andere Gebäude gefordert. Zunehmend kamen
industriell gefertigte Materialien zum Einsatz, betonierte Fensterstürze,
Lieferbeton oder Leimbinder. Mit der Einbindung in die Geldwirtschaft hörte
sich nicht zuletzt das wechselseitige Aushelfen auf.
Die bäuerliche Architektur hat ihre Begründung verloren. Landwirtschaftliche
Gebäude werden heute allein schon deshalb anders errichtet, weil ihre
Errichtung zumeist mit öffentlichen Förderungen einhergeht, also an zahllose
Auflagen geknüpft ist, die oft wenig mit dem Zweckbau selbst zu tun haben.
Es sind unterschiedlichste Experten gefordert. Pläne müssen eingereicht,
bewilligte Fördermittel mit Rechnungen belegt werden. Das muss nicht
unbedingt schlecht sein. Festzuhalten ist aber, dass mit der neuen Art des
Bauens zwangsläufig ein lange tradiertes Erfahrungswissen und erstaunliche
Improvisationsleistungen verloren gehen. Bauern haben umgedacht, sie haben
gelernt, Bauvorhaben in Übereinstimmung mit jenen Auflagen zu bringen, die
höchstmögliche Fördergelder zur Folge haben. Dabei wissen wir nur zu gut,
dass so errichtete Gebäude schon nach wenigen Jahren veraltet sein können,
eine Aufstallung sich als nicht mehr zeitgemäß erweist oder die vor Jahren
geförderte und gelobte Hackschnitzelheizung mit neuen Fördermitteln durch
Sonnenkollektoren oder eine andere Technologie ersetzt wird, und dies oft
genug zu einem Zeitpunkt, an dem die eingegangenen Schulden für das
Ausgemusterte noch nicht abbezahlt sind.
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In den letzten Jahren wurden in alpinen Lagen zahllose Laufställe errichtet.
Das Erscheinungsbild solcher Gebäude mag zwar variieren, in ihrer Struktur
kennen sie jedoch kaum noch Unterschiede. Letztlich ist es gleichgültig, ob
solche Wirtschaftsgebäude in Hang- oder Tallagen errichtet werden, haben
sich doch die Bewirtschaftungsformen weitgehend von den konkreten örtlichen
Bedingungen gelöst. Mit bäuerlicher Architektur haben sie trotz aller
Anleihen und Zierrate nichts mehr gemein. Wenn das abgebildete Gebäude noch
eine Anleihe kennt, dann die Mauer rechts im Bild, die nach entsprechender
Aufschüttung dem Schutz vor Lawinen dient.
Es mangelt nicht an Architekten, die bemüht sind, das Alte und das Neue
unter einen Hut zu bringen, denen jeder pseudobäuerliche Zierrat zuwider
ist. Mag man solche Bemühungen auch anerkennen, so wäre zweifellos mehr
gewonnen, würde man die Landwirtschaft in alpinen Lagen als Teil der
Agroindustrie und des globalisierten Marktes betrachten. Es gibt jene
Binnenräume nicht mehr, in denen sich Bauern einmal zu organisieren wussten.
In Zeiten der Globalisierung ist es nur konsequent, wenn Bauern globalisiert
einkaufen, österreichische Bauern etwa einen Melkstand eines amerikanischen
Herstellers. Hinsichtlich des Melkverfahrens ist dies völlig gleichgültig.
Zu Melkständen und vielem anderen (Futtermittel, Kunstdünger, Embryonen,
Sperma, Aufstallungen) fügen sich Fertigteilbauten, die sich mit deutlich
niedrigeren Kosten in kürzester Zeit errichten lassen, darunter Module aus
einfachen Stahlfachwerkrahmen mit in der Längsrichtung angebrachten
Sekundärträgern, die eine große Spannweite aufweisen und sich einfach mit
Folien bespannen lassen. Spätestens hier geht es ans Eingemachte, wird an
das Landschaftsbild und anderes erinnert. In der alpinen Landschaft dürften
solche Fremdkörper nicht stehen. Haben sich die Menschen nicht längst auch
an Silageballen gewöhnt? Während moderne Gewerbe- und Industrieanlagen
durchwegs als temporäre Bauwerke verstanden werden, sollen Bauern immer noch
für Jahrhunderte bauen, dabei entsprechen landwirtschaftliche Objekte nach
wenigen Jahrzehnten weder den technologischen Entwicklungen noch den
betriebswirtschaftlichen Anforderungen. Wir haben es mit einem sprachlichen
Problem zu tun. Wir sollten nicht länger von Bauern reden, haben diese sich
doch weitgehend all dessen entledigt, was das Bäuerliche einmal ausmachte.
© Bernhard Kathan, 2017