Taufkleid. Strick. Steinguttopf. Gelenkswelle. Gummistiefel. Chinesische
Vase. Trichter. Sieb. Saugnäpfe einer Melkmaschine. Bohnen. Zwetschkenkerne.
Bockshornklee. Hackmesser. Hornhalter. Kartoffelkäfer. Tischkärtchen.
Totenvogel. Trokar. Amboss. Spielzeughäuser. Tücher. Eisenkeil. Besamungsset
für Schweine. Blaue Jacke. Selbsttränke. Deckenringe. Schulheft.
Körpergerechtes Traggerät. Ampfer, getrocknet. Kopf eines Rehbocks,
Bauernschnitzerei. Reststück Hornschlitten. Stechlaubgirlanden. Reststück
eines Motormähers. Sterbeutensilien. Ferkelzange. Ein Heiligenbildchen.
Grenzstein. Ferkelzange. Kunstdünger. Aluminiumschüssel.
"Knapp drei Kilometer außerhalb der Ortschaft ließ mein Vater ein Haus bauen,
das wir Las Torres nannten. Zweimal die Woche fuhr die gesamte Familie in
zwei offenen Pferdewagen dorthin. Auf diesen Fahrten stieß unsere
ausgelassene Gesellschaft immer wieder auf unterernährte, in Lumpen
gekleidete Kinder, die hinter uns die Pferdeäpfel aufsammelten, mit denen
ihre Väter die Äcker düngten. Hätte ich zu diesen Menschen gehört, die die
Erde mit Schweiß bewässerten und Pferdeäpfel aufsammelten, wie sähen meine
Erinnerungen an jene Tage aus?"
Luis Bunuel
Alle Sammelleidenschaft lässt sich einem von zwei Ordnungssystemen zuweisen:
Dem Sample mit seinen Referenzobjekten oder dem Anhäufen ein und desselben
Motivs in unterschiedlichen Ausprägungen, Teddybären etwa oder Knöpfe.
Bauern- und Heimatmuseen sind in der Regel dem Sample verpflichtet. Es
handelt sich um Dinge, die von sich behaupten, durch ihre Nachbarschaft zu
anderen Objekten die untergegangene Welt abzubilden. Tatsächlich haben wir
es nur mit einer Ansammlung von Artefakten zu tun, die gerade kein beredtes
Zeugnis zu geben vermögen. Keines der so gezeigten Objekte vermag wirklich
etwas über das Leben der Bauern, nichts über ihre Dramen und ihre Tragödien,
nichts über ihre Sehnsüchte, auch nichts über ihre Kultur zu erzählen, die
ihnen half, Jahrhunderte lang Krisen und Katastrophen zu überleben. Geräte
und Werkzeuge waren einfach, die bäuerliche Kultur dagegen von erstaunlicher
Komplexität.
Von allen Museen hinterlassen Bauernmuseen den armseligsten Eindruck.
Gezeigt werden einfachste Geräte wie Gabeln, Sensen, Rechen,
Dreschmaschinen, Körbe, Fässer. Gesammelt wird nur, was heute nicht mehr
vorkommt oder alt aussieht. Eingang in solchen Museen findet vor allem das,
was jenseits der Industrialisierung liegt. Dabei war diese Kultur, anders
als dies Vorstellungen über sie glauben machen, von jeher allen Neuerungen
aufgeschlossen, versprachen diese doch, endlich der Not und allem Elend zu
entkommen. In Bauernmuseen drohten Maschinen die untergegangene Welt zu
entzaubern.
Wie kann man sich der kleinbäuerlichen Kultur nähern, ohne einem
schwärmerischen oder diffamierenden Blick zu verfallen. Fotos eignen sich
nur sehr bedingt. Die meisten Abbildungen verdanken sich einem urbanen
Blick, der mehr über die Vorstellungen und Sehnsüchte der bürgerlichen Welt
als über das Leben der kleinen Bauern aussagen. Man muss die Räume leeren,
sich auf Weniges beschränken, versuchen, Artefakte zu beredten Objekten zu
machen.
Hanf, Länge: 80cm, deutliche Gebrauchsspuren, ausgefranste Enden.
Der Strick, meist aus Hanfschnüren gefertigt, war eines der
Universalwerkzeuge der kleinbäuerlichen Kultur. Er diente dazu, Heu und Holz
zusammenzuschnüren, Kälber und Kühe ans Halfter zu nehmen, Leitern oder
andere Gegenstände festzubinden, manchmal auch dazu, Kinder zu schlagen. Mit
Hilfe des Kälberstricks wurde das schwere Kalb zur Welt gebracht. Der seines
Lebens Überdrüssige erhängte sich in der Regel an einem Strick. Früher wurde
den Selbstmördern selbst eine ordentliche Aufbahrung verweigert, sie wurden
außerhalb des Friedhofs verscharrt, "verlocht" wie man sagte. Ein guter
Strick lag in der Hand. Erst nach oftmaligem Gebrauch wurde er wirklich
fügsam, geschmeidig durch den Schweiß der Hände, das Blut und Fett der
Tiere. Der Strick hielt die Welt in naher Entfernung, aber doch auf Distanz.
Er verband Mensch und Tier, fügte sie zusammen wie er sie auch trennte. Eine
der Schwestern des Stricks ist die Kette. Auch sie, wie der Strick einmal
ein alltägliches Objekt, ist weitgehend verschwunden. Wir kennen Zurrleinen
und Zurrbänder. Der moderne Mensch erhängt sich nicht länger an Stricken.
Wir springen von Hochhäusern oder Autobahnbrücken, schlucken Tabletten oder
hoffen auf Sterbehilfe. Niemand wird heute noch außerhalb eines Friedhofes
verscharrt. Gottesäcker gibt es auch keine mehr. Nicht weniger traurig.
Dennoch wecken Stricke in mir eine tiefe Abscheu und Angst.
Der Strick als Objekt tritt in Beziehung mit anderen Objekten, die alle,
betrachtet man sie genau, ein breites Feld von Bildern zu öffnen vermögen.
Konsequent gilt es, sich auf wenige Objekte zu beschränken und jedes
Sammelsurium zu vermeiden. Übrigens kannte der Strick noch andere
Verwendungen. Mit dem Strick wurde auch der Sarg in das offene Grab
hinuntergelassen. Beredte Objekte: Objekte können nur dann beredt sein, wenn
es über sie Geschichten zu erzählen gibt. Bei allen für diese Ausstellung
ausgewählten Objekten ist dies heute noch möglich, liegt deren Gebrauch doch
nicht allzu lange zurück. Schon in absehbarer Zeit werden sie wie Fossilien
wirken, wie Artefakte einer fernen Zeit. Sie werden genauso fremd da liegen
wie Pontifikalhandschuhe aus dem fünfzehnten Jahrhundert in einem
Diözesanmuseum, beschriftet, numeriert, historisch und materialkundlich
zugeordnet. Heute jedoch vermögen sie noch unmittelbarer Erinnerung dienen,
können sie dazu beitragen, die Welt, in der wir jetzt leben, mit anderen
Augen zu betrachten.
Es lohnt sich, eine Ausstellung, die nie eröffnet wird, so aufzubauen und zu
präsentieren, als würden täglich hunderte von Besuchern durch die
Ausstellung strömen, als könnte man von den eingehobenen Eintrittsgeldern
zwei Jahre leben und sich mit Fragen und Möglichkeiten des Museumsbetriebes
beschäftigen. Es war mir zwar bewusst, wurde aber erst so richtig deutlich,
als die einzelnen Objekte museumsgerecht auf Podesten und Brettchen
positioniert waren. Es findet sich kein noch so banaler Gegenstand, der sich
nicht ästhetisch präsentieren ließe. Objekte vermögen nur dann einen Blick
zu öffnen, wenn sie isoliert, herausgelöst und hervorgehoben werden. Die
Schwierigkeit liegt dort, wo der Betrachter einzig von der Schönheit der
Dinge fasziniert ist, an Formen und Oberflächen haften bleibt. Von Mäusen
aufgebissene Zwetschkenkerne wirken, werden sie entsprechend gezeigt,
äußerst reizvoll. Eine Ästhetisierung solcher Art ist fast nicht zu umgehen
und auch nicht nur schlecht. Im besten Fall dient sie dazu, eine Brücke zu
den eigentlichen Inhalten und Anliegen zu schaffen. Mit ästhetisch
präsentierten Objekten allein wäre wenig gewonnen. Entscheidend sind Auswahl
und subtile Bezugnahmen, die unterschiedliche Lesarten bieten, die Räume
öffnen, die einzig dem Betrachter gehören.
Jedes Objekt kennt auf einer horizontalen Ebene seine Entsprechungen. Dem
Steinguttopf wären eine Vielzahl anderer Töpfe und Behältnisse hinzuzufügen.
In der vertikalen Linie finden sich vor dem industriell gefertigten Topf
Tierhäute, Holzgefäße, handgefertigte Krüge und Töpfe; dann wird er durch
neue Technologien der Konservierung abgelöst, etwa durch das Rex-Glas,
später durch die Tiefkühltruhe, schließlich durch das Kühlfach des
Supermarktes. Manche Besucher wünschen sich in die Behaglichkeit des
Vertrauten zurück, beklagen das Fehlen von Sensen, Rechen und Gabeln. Andere
wiederum fangen an zu erzählen, gehen von einem Objekt zum anderen und
überlassen sich dem Mahlstrom ihrer Assoziationen. So werden die Objekte
lebendig, angereichert mit Geschichten und Erinnerungen. Weitere Objekte
werden auf einer Liste notiert.
Werden die einzelnen Objekte zu gedrängt gezeigt, wirkt alles wie das
sammelgut in einem etwas zu groß geratenen Setzkasten. Werden sie zu sehr
voneinander isoliert, emporgehoben auf Stelen, dann kippt alles wieder in
eine pseudosakrale Inszenierung. Es gilt also, jenen Abstand zu finden, der
die einzelnen Objekte gleichermaßen aus der Masse herauslöst wie zu anderen
in Beziehung setzt. Grundlegend bediene ich mich dabei binärer Codes, also
ein strukturalistischen Methode: Während allerdings schwarz reflexhaft weiß
gegenübergestellt wird, kennt das Taufkleid (A) unterschiedlichste
Gegenstücke. Wird es in seiner sakralen Bedeutung betrachtet, dann fügt sich
die profane, oft geflickte blaue Jacke (B) hinzu.
Wird es dagegen in seiner auf den Lebenszyklus bezogenen Funktion
verstanden, dann findet sich die Entsprechung in den Sterbeutesilien (C).
A wird also so angeordnet, dass es in einer Beziehung zu B und C steht, B
und C werden wiederum mit anderen Objekten verknüpft, dass sich schließlich,
hat man alle Objekte entsprechend angeordnet, ein Feld von Bedeutungen und
Zusammenhängen ergibt. Allerdings lässt sich die Gesamtzahl der Objekte nie
bruchlos aneinanderfügen. Es bleiben Brüche und Leerstellen.
Dieses Projekt hält sich strikt an vorgegebene Regeln:
- Es gilt nicht, Räume zu füllen.
- Objekte werden nicht deshalb präsentiert, weil sie selten, kostbar oder
ästhetisch sind.
- Nicht motivierte Objekte wohlwollender Gäste werden zurückgewiesen.
- Jedes Objekt muss eine lebensweltliche Kategorie bezeichnen.
- Die Anzahl der Objekte soll insgesamt beschränkt bleiben, schlussendlich
nicht mehr als 40 betragen.
- Die Gesamtheit der gezeigten Objekte muss als kleine Kosmographie
empfunden werden.
- Das Entscheidende liegt in vielfältigsten Bezugnahmen,
deren Deutung dem Besucher überlassen bleibt.
Ausstellungsprojekte sind im besten Fall Forschungsprojekte. Sieht man, hat
man eines zu einem Ende gebracht, nicht alles anders als zu Beginn, dann ist
man gescheitert.
Die Suche nach einem Badeanzug, welcher von einem Mädchen in den 60er Jahren
bei der Heuarbeit getragen wurde, gestaltet sich schwierig.
Ein Buch mit dem Titel Der Bohnenacker, die Lebenden und die Toten. Ein
Nachruf auf die kleinbäuerliche Kultur ist in Arbeit und wird sich genauer
mit dem Anliegen dieses Projektes befassen.
Sommer 2003. Bernhard Kathan