"Heandorhus"
Vom Umgang mit Tennen, Ställen und Scheunen
Eine großes, ganz einfaches Fenster, eingefügt in die Tennenwand eines
desolaten Bauernhauses, weckte vor Jahren meine Aufmerksamkeit. Heute weiß
ich: Damals dachte jemand, um eine Tenne umzubauen, muss erst einmal Licht
hinein. Man muss den Raum sinnlich erfahren, soll es gelingen, das
vorhandene Bauerbe in Hinblick auf andere Bedürfnisse neu zu denken. Übliche
Umbauten bieten in der Regel wenig Überraschungen. Meist ist schon sehr bald
abzusehen, in welche Richtung sich das Ganze entwickeln wird. Doch hier war
es anders. Beim Vorbeifahren dachte ich manchmal an die Zuckungen verpuppter
Insekten. Auch da weiß man nicht immer, was schlüpfen wird, was für eine Art
Schmetterling herauskommt. Das Ergebnis hat mich überrascht. Ein
funktionales, unpretentiöses, und doch höchst schönes Gebäude. Da wurde ein
bäuerliches Objekt erhalten und doch weitergeschrieben. Was für eine Ironie:
Die Bauherren, sie sind auch die Architekten, erwarben nicht das Gebäude,
sondern einzig das Grundstück, auf dem ein Bauernhaus stand, abzüglich jener
Kosten, die bei einem Abriss anfallen.
Mit dem Bauernsterben haben in den letzten Jahrzehnten viele bäuerliche
Objekte ihre ursprüngliche Funktion verloren. Dies gilt insbesondere für
Ställe, Tennen und Scheunen. Heute werden bäuerliche Objekte neu entdeckt.
Der Grund dafür ist dort zu sehen, wo die ehemals bäuerlich geprägten
Ortskerne in den letzten Jahrzehnten zunehmend ihre Identität verloren
haben, und in vielen Orten zu retten gilt, was noch zu retten ist. Aufgrund
der nach wie vor kleinräumig strukturierten Landwirtschaft finden sich im
Bregenzerwald nach wie vor viele Beispiele des traditionellen
Bregenzerwälderhauses, welches architektoniosch einiges an Qualitäten
aufzuweisen hat. Ohne Übertreibung kann man sagen, dass der moderne Holzbau
nicht nur in Vorarlberg wichtige Impulse dem Bregenzerwälderhaus verdankt.
Viele Architekten wissen heute um die Bedeutung des bäuerlichen Bauerbes.
Denkt man an den Häuslbau der letzten Jahrzehnte, dann muss man sagen, all
diese Objekte altern schnell, schon nach kürzester Zeit wirken sie, als
hätte man es mit abgetragenen Kleidern zu tun. Die meisten dieser Häuser
werden denn auch nach kürzester Zeit umgebaut, an neue Bedürfnisse oder
einem anderen Geschmack angepasst. Das traditionelle Bauernhaus wirkt
dagegen wie eine Behauptung gegen solche Hinfälligkeit. Gebäude, deren
Struktur sich jahrhundertelanger Erfahrung verdankt und die fast keine
individuelle Ausgestaltung kennen, finden wir trotz ihrer Einfachheit schön.
Nicht zufällig bemühten Adolf Loos, Martin Heidegger oder andere das
Bauernhaus. Es galt mit geringst möglichem Material- und Arbeitseinsatz das
Bestmögliche zu machen. Vom verwendeten Material über Ausrichtung bis hin
zur Dachneigung orientierte sich die Bauweise an lokalen Gegebenheiten.
Angesichts bäuerlicher Bautraditionen sprach Adolf Loos von
"Urväterweisheit, geronnener Substanz."
Die Lösungen, die Architekten im Umgang mit leerstehenden bäuerlichen
Wirtschaftsgebäuden entwickelt haben, wirken auf den ersten Blick höchst
disparat. Der Wiener Architekt Martin Feiersinger hat in seinem Projekt
"Wohnungen und Bauernhaus Natalie Kröll" in Ramsau (Tirol) ein im
neunzehnten Jahrhundert errichtetes Wohngebäude behutsam saniert, den
daneben stehenden Stall ersetzte er durch einen Neubau. Dabei griff er den
Baukörper des ehemaligen Wirtschaftsgebäudes auf und verkleidete den
Massivbau mit Holzbrettern des abgetragenen Stalls. Die wieder- oder
weiterverwendeten Bretter fügen sich nun in eine formal höchst strenge
Komposition, in der sich das Vergangene auf subtil irritierende Weise mit
einer neuen Zeichensprache bricht. Die Schiebetore der ehemaligen Scheune
finden im neuen Gebäude ihre Entsprechung in den Schiebeläden vor den
Fenstern. Feiersinger zitiert Stilelemente bäuerlicher Bautradition, ohne in
den Geruch rustikaler Verklitterung zu kommen. Das Beispiel zeigt auch gut,
dass man durchaus Objekte abreißen kann, und dies im besten Wissen um
bäuerliche Bautraditionen. Auch manche Gaststube ist mit verwitterten oder
wurmstichigen Brettern aus ehemaligen bäuerlichen Objekten verkleidet.
Solche Verkleidungen behaupten das Bäuerliche, verfehlen es jedoch zutiefst.
Feiersingers Neubau erinnert zwar an ein ehemaliges bäuerliches Ensemble.
Das Gebäude behauptet von sich jedoch keineswegs, eine Tenne oder ein Stall
zu sein.
Oft genug gibt es gute Gründe für einen Abriss. Das Problem beginnt bereits
bei feuchten Stallmauern, bei der Raumhöhe der Ställe, beim oftmals
ungünstig gelegenen Bodenniveau. Fenster sind in schlecht gemauerte
Steinmauern zu brechen. Zweifellos ist es besser, ein Bauernhaus abzureißen,
als es durch Umbauten, die seine Qualitäten nicht verstanden haben, zu
verstümmeln. Als in den sechziger Jahren des letzten Jahrhunderts viele
Bauern die Landwirtschaft aufgaben, um in Fabriken oder anderen Betrieben
ihren Lebensunterhalt zu verdienen, war es nur konsequent, den leerstehenden
Stall fortan als Garage zu nutzen, bildete doch das Auto zumindest in
ländlichen Regionen die Voraussetzung dafür. Gemessen an der Gesamtkubatur
war das freilich ein sehr verschwenderischer Umgang mit verfügbarem Raum.
Vielfach wurden Ställe einfach "ausgebaut", Wohnungen übereinander
gestapelt, ohne sich mit den Möglichkeiten des vorhandenen Raums wirklich zu
beschäftigen. Solche Umbauten haben mehr mit Ausstopfen als mit Architektur
zu tun. Ein Neubau muss nicht schlecht sein, und das nicht allein auf das
Objekt selbst, sondern auch auf seine Einbettung in die dörfliche Umgebung
bezogen.
Der Tiroler Architekt Martin Scharfetter hat das Problem in seinem Umbau des
Wirtschaftsgebäudes des Seehofes bei Lans (Tirol) auf sehr überzeugende
Weise gelöst. Er hat in das Tennengebäude ein Holzhaus eingefügt, also ein
Haus in ein anderes Haus. Die begehbaren Flächen zwischen Tennenwand und
eingesetztem Holzhaus betonen in besonderer Weise das Spannungsfeld zwischen
ursprünglicher und heutiger Nutzung, zwischen Alt und Neu. Das bäuerliche
Ensemble blieb in seiner Erscheinung erhalten, und doch hat sich das heutige
Wohnhaus radikal von der Nutzung wie den Festlegungen des früheren Objekts
emanzipiert.
Im Gegensatz zu trivialen Umbauten von Stallgebäuden ist den meisten dieser
Projekte gemein, dass sie die Baustruktur des historischen Bauwerks
freilegen, das Gesamtobjekt im Auge haben, Wohnhaus und Stall als
korrespondierende Elemente betrachten, und schließlich auf die kontextuelle
Einbettung des Gebäudes Bedacht nehmen. Es gibt die irrige Vorstellung, man
würde dem ehemaligen Stall dadurch gerecht, kleide man es wie das
Vorderhaus, mit Schindeln etwa. Es muss nicht immer Holz sein!
Revitalisierungen können auch dann gelingen, werden moderne Materialien
verwendet. Dies zeigt etwa ein vom Büro architektur.terminal in Röthis
revitalisiertes bäuerliches Objekt. Hier wurde der ehemalige Stall in einer
zeitgemäßen Interpretation der alten Holzverkleidung mit Polycarbonatplatten
verkleidet. Polycarbonatplatten sind robust, witterungsbeständig,
bruchsicher und nicht zuletzt wärmetechnisch interessant. Das
Wirtschaftsgebäude verträgt, je nach Standort, durchaus heutige Materialien.
Das Beispiel zeigt es gut: Pragmatik und Zurückhaltung verschränken sich in
bestem Sinn mit einer am Altbestand orientierten Zeichensprache. Da wird
bäuerliches Bauererbe wahrgenommen und doch deutlich gemacht, dass wir in
einer anderen Zeit leben.
Dass heute dem bäuerlichen Bauerbe Beachtung geschenkt wird, verdankt sich
nicht zuletzt der Tatsache, dass in einer sich rasch wandelnden Welt Orte
zunehmend weniger als identitätsstiftend wahrgenommen werden. Mit
bäuerlicher Architektur assoziieren wir Gestimmtheit, Sesshaftigkeit,
Geschichte und Heimat. Tatsächlich haben wir es mit vielfältigsten Brüchen
zu tun. Auf den ersten Blick weiß man oft nicht einmal mehr zwischen
revitalisierten Altbauten und Neubauten zu unterscheiden. Und zu allem
Überdruss wird einem nur zu schnell deutlich, dass man den eigenen Geschmack
auch nicht ganz abzustreifen vermag. Es ist sehr einfach, Bausünden gegen
gelungene Architekturbeispiele auszuspielen. Dies geht - bezogen auf das
bäuerliche Bauerbe - am entscheidenden Punkt vorbei. Gibt es die bäuerliche
Kultur nicht mehr, dann hat ihre Architektur ihre Begründung verloren. Die
überzeugendste Nachnutzung findet sich also dort, wo einzelne Objekte als
Heimatmuseen adaptiert werden. Nur, der Bedarf an Heimatmuseen ist gering.
Ironischerweise finden sich in manchen ehemaligen Wirtschaftsgebäuden
Altwarengeschäfte, in denen die Reste der kleinbäuerlichen Kultur zum
Verkauf angeboten werden.
Zweifellos ist es begrüßenswert, wenn Bauernhäuser aufwändig restauriert und
revitalisiert werden. Wir vergessen dabei nur zu schnell, dass dies nur
bedingt gelingen kann. Im Bregenzerwald wird der Stall als "Heandorhus",
also als Hinterhaus bezeichnet. Wird das Wirtschaftsgebäude zu Wohnraum
umgebaut, dann mag zwar immer noch ein Gebäude dastehen, aber das ehemals
komplexe Gefüge lässt sich nicht länger erhalten. Das Bregenzerwälderhaus
kannte eine als "Schopf" bezeichnete, traufseitig gelegene offene Veranda.
Hier wurde gearbeitet, getratscht, immer war sichtbar, womit andere gerade
beschäftigt waren. Wäsche wurde gewaschen, Obst gedörrt, Schnaps gebrannt,
Schweine geschlachtet, Heu abgeladen und so fort. Dieser halböffentliche
Raum, dem früher eine wichtige Funktion zukam, verschwindet zusehend. Selbst
bei gelungenen Revitalisierungen wandelt sich der Schopf oft genug zu einem
verglasten Wintergarten.
Der öffentliche Raum wurde in den traditionellen Dörfern zu jenem Zeitpunkt
neu definiert, als die ersten Bauern zu Fabriksarbeitern wurden oder in
anderen Bereichen ihren Lebensunterhalt verdienten. Wurden Straßen geteert,
sprach man davon, die Wege "staubfrei" zu machen. Tatsächlich wurde das
soziale Gefüge des Dorfes neu bestimmt, strikt zwischen öffentlichem und
privatem Raum, Eigenem und Fremdem geschieden. Man mag ehemalige
Bauernhäuser umbauen, leerstehende Wirtschaftsgebäude ausbauen. Aber nun
werden auch sie wie Häusln durch geteerte oder gepflasterte Vorplätze,
Gehsteigkanten, Gartenzäune, Rasenflächen und Hecken neu geschrieben. In der
kleinbäuerlichen Kultur waren die Menschen trotz aller Konflikte um
Anlehnung bemüht. Solche Geselligkeit ist uns fremd geworden. Die Kultur der
kleinen Bauern war zutiefst an Orte gebunden, an Grundstücke, an das Haus,
das "Geburtshaus", das "Sterbehaus" der Eltern. Von den Bindungen der
Vergangenheit gelöst, sind es andere Häuser geworden. Dies erleichtert zwar
ihre Nachnutzung. Spricht man allerdings mit Menschen, die sich ein altes
Bauernhaus gekauft und revitalisiert haben, dann hört man nicht selten, sie
wohnten in einem Haus, das eine Seele habe, das lebendig sei. Hier seien
Menschen geboren und gestorben. Mag sein, dass sich solche Empfindungen auch
der Lebendigkeit des Holzes verdanken oder auch dem Keller mit all seinen
Gerüchen.
Zweifellos ist es erfreulich, wenn heute das bäuerliche Bauerbe anders
bewertet wird als noch vor wenigen Jahrzehnten, ebenso erfreulich, wenn sich
Gemeinden um die Erhaltung ihrer Ortskerne bemühen. Trotz bester Beispiele
für die Nachnutzung ehemaliger Tennen und Ställe haben wir es letztlich -
man muss es nüchtern betrachten - mit einer marginalen Reliktarchitektur zu
tun. Noch nie hat sich eine Gesellschaft so schnell gewandelt. Im Gegensatz
zu den kleinen Bauern leben wir in einer heißen Kultur. Weniger als je zuvor
vermögen wir künftige Entwicklungen vorweg zu denken. Da hat die
Beschäftigung mit dem bäuerlichen Bauerbe etwas geradezu Heimelndes.
Angesichts der wildwüchsigen Verbauung im Umfeld von Ballungsgebieten
(Einkaufszentren, Industrie- und Gewerbebetriebe, Freizeitanlagen wie
Golfplätze) liegt die Bedeutung des traditionellen Bauernhauses vielleicht
weniger in seiner Erhaltung, sondern in dem, was wir von dieser Architektur
lernen können. Gute Architektur setzt auf Funktionalität und Zurückhaltung,
lebt vom Verzicht auf alles Überflüssige, von der Betonung des Allgemeinen
vor dem Individuellen, vom Wissen, das ein Bauwerk über die
Grundstücksgrenzen hinaus wirkt.
Das als Wanderausstellung konzipierte Projekt war bislang zu sehen:
Nenzing (artenne)
Rehmen (Heandorhus Luis und Anne Marie Bär)
Hittisau (feuerwehr- und Kulturhaus Hittisau)
Egg (Raiffeisenbank)
Alberschwende (Mesmers Stall)
Riezlern (Haus Bernadette und Herbert Fritz)
Bregenz (Landwirtschaftskammer)