Anna Gerlitz | Günther Zechberger
"Während der Pfarrer predigte und ich Anna in Gedanken aufmerksam und still
dasitzen sah, nahm ich Papier und Feder und schrieb meine Gefühle für sie in
feurigen Worten nieder. Ich erinnerte sie an die zärtliche Begebenheit auf
dem Grabe der Großmutter, nannte sie mit ihrem Namen und brachte so häufig
als möglich das Du an, welches ehedem zwischen uns gebräuchlich gewesen. Ich
ward ganz beglückt über diesem Schreiben, hielt manchmal inne und fuhr dann
in um so schöneren Worten wieder fort. Das Beste, was in meiner zufälligen
und zerstreuten Bildung angesammelt lag, befreite sich hier und vermischte
sich mit der Empfindung meiner augenblicklichen Lage. Überdies wob sich eine
schwermütige Stimmung durch das Ganze, und als das Blatt vollgeschrieben
war, durchlas ich es mehrere Male, als ob ich damit jedes Wort der Anna ins
Herz rufen könnte. Dann reizte es mich, das Blatt offen auf dem Tische
liegen zu lassen und in den Garten zu gehen, damit es der Himmel oder sonst
wer durch das offene Fenster lesen könne; aber nur die völlige Sicherheit,
daß jetzt noch keine menschliche Seele in der Nähe sei, gab mir diese
Verwegenheit, mit welcher ich zwischen den Beeten auf und nieder spazierte,
nach dem Fenster hinauf schauend, hinter welchem meine schöne
Liebeserklärung lag. Ich glaubte etwas Rechtes getan zu haben und fühlte
mich zufrieden und befreit, verfügte mich aber bald wieder in die Stube, da
ich dem Frieden doch nicht recht traute, und kam gerade dort an, als das
Blatt, durch den Luftzug getragen, zum Fenster hinaussäuselte. Es setzte
sich auf einem Apfelbaume nieder; ich lief wieder in den Garten; dort sah
ich es sich erheben und mit einem gewaltigen Schusse auf das Bienenhaus
zufliegen, wo es hinter einem vollen summenden Bienenkorbe sich festklemmte
und verschwand. Ich näherte mich dem Korbe; allein die Bienen waren, in
Betracht der kurzen Sommerzeit, polizeilich von der Sonntagsfeier
dispensiert, ihre Arbeit als Notwerk erklärt; es summte und kreuzte sich vor
dem Hause, daß an kein Durchkommen zu denken war. Unschlüssig und ängstlich
blieb ich stehen; doch ein empfindlicher Stich auf die Wange bedeutete mir,
daß meine Liebeserklärung für einmal der bewaffneten Obhut dieses
Bienenstaates anheimgegeben sei. Für einige Monate lag sie allerdings sicher
hinter dem Korbe; wenn aber der Honig ausgenommen wurde, so kam sicher auch
mein Blatt zutage, und was dann? Indessen betrachtete ich diesen Vorfall als
eine höhere Fügung und war halb und halb froh, meine Erklärung aus dem
Bereiche meines Willens einer allfälligen Entdeckung ausgesetzt zu wissen.
Meine gestochene Wange reibend, verließ ich endlich die Bienen, nicht ohne
genau nachzusehen, ob nirgends ein Zipfelchen des weißen Blattes
hervorgucke. Der Gesang in der Kirche ertönte wieder, die Glocken läuteten,
und die Gesellschaft kam in einzelnen Gruppen zerstreut nach Hause. Ich
stand wieder oben am Fenster und sah Annas Gestalt durch das Grüne
allmählich herannahen. Ihren weißen Hut abnehmend, stand sie vor dem
Bienenhause einige Zeit still und schien die fleißigen Tierchen mit
Wohlgefallen zu betrachten; mit noch größerem Wohlgefallen betrachtete ich
jedoch sie, welche so ruhig vor meinem verborgenen Geheimnisse stand, und
ich bildete mir ein, daß die Ahnung desselben sie an der blühenden und
lieblichen Stelle festhalte."
Gottfried Keller, Der grüne Heinrich (1879/80)
Heinrich liebt Anna, schreibt einen schwärmerischen Brief, der Wind trägt
ihn aus der Stube fort, in den Apfelbaum, dann zu den Bienenkörben, dorthin,
wo es die Vernunft verbietet, diesen zurückzuholen. Später taucht der Brief
wieder auf: "Margot zog nun ein zusammengelegtes Blatt aus dem Busen,
entfaltete es und beauftragte Lisette, es laut und feierlich vorzulegen. Ich
war sehr begierig, was es sein möchte; Anna wußte ebenfalls nicht, was das
bedeute und sah ein wenig auf; nach den ersten Worten aber erkannte ich, daß
es meine Liebeserklärung aus dem Bienenhause war." Heinrich verleugnet seine
Empfindungen: "Teufel! Das kommt mir ganz bekannt vor, zeigt einmal her! -
[...] Die ganze Geschichte steht in dem alten vergoldeten Schäferroman, der
im Dachstübchen liegt bei den alten Degen und Folianten; ich habe damals
statt des Namens Melinde den Namen Anna hingesetzt zum Spaße. Hole einmal
das Buch herunter, kleine Caton! Ich will euch die Stelle französisch
vorlesen."
Das Bienenhaus findet sich auch bei der jugendlichen Briefschreiberin in
Bettine von Arnims
Goethes Briefwechsel mit einem Kinde (1835). "Ach Goethe,
ich habe Deine Brief so lieb, ich habe sie eingehüllt in ein seidnes Tuch
mit bunten Blumen und goldnem Zierrat gestickt." Aber wo die Briefe
hinlegen, dass sie nicht in fremde Hände kommen? Bettine versteckt sie unter
dem Beichtstuhl der Kapelle auf dem Rochusberg. Da hat sie eine kleine Höhle
gegraben, diese mit Muscheln vom Rhein und Kieselsteinen aus den Bergen
geschmückt. Eine Distel setzt sie davor, um das Geheimnis zu schützen:
"welcher Schlag hätte mich getroffen, hätte ich sie nicht wiedergefunden,
mir steht das Herz still." - Und oben auf dem Beichtstuhl ein Brett, darauf
ein viereckiger Bienenkorb. Während Heinrichs Brief in falsche Hände
gelangt, wieder auftaucht, als er ihn längst vergessen glaubt, vertraut
Bettine die Briefe nicht allein dem Beichtstuhl, sondern auch den Bienen an.
Sie sammelt Briefe wie Bienen Nektar, und wie die Biene Honig sammle aus
frischen Blüten, so sauge ihr Blick aus allem die Liebe und trage sie heim
und bewahre sie in ihrem Herzen wie die Biene den Honig in der Zelle. Die
Biene als Mittlerin zwischen dem Nahen und Fernen. Bettine weiß den fern,
dem sie ihre Briefe schreibt, von dem sie Antwort erhält: "da saß ich und
sah die Bienen von ihren Streifzügen heimkehren, ich sah, wie sie sich im
Blütenstaub wälzten und wie sie weiter und weiter flogen in die ungemessene
Ferne, wie sie im blauen sonnendurchglänzten Äther verschwebten, und da ging
mir mitten in diesen Anwandlungen von Melancholie auch die Ahnung von
ungemessenem Glück auf."
Wenn auch auf andere Weise, so ist auch sie dabei, ihre Unschuld zu
verlieren: "Da war eine Nonne, die hieß man Mere celatrice, die hatte mich
an sich gewöhnt, daß ich ihr alle Geschäfte besorgen half. Hatten wir den
Wein im Keller gepflegt, so sahen wir nach den Bienen; denn sie war
Bienenmutter, und das war ein ganz bedeutendes Amt. Im Winter wurden sie von
ihr gefüttert, die Bienen saugten aus ihrer Hand süßes Bier. Im Sommer
hingen sie sich an ihren Schleier, wenn sie im Garten ging, und sie
behauptete, von ihnen gekannt und geliebt zu sein. Damals hatte ich große
Neigung zu diesen Tierchen. Die Mere celatrice sagte, vor allem müsse man
die Furcht überwinden, und wenn eine stechen wolle, so müsse man nicht
zucken, dann würden sie nie stark stechen. Das hat mich große Überwindung
gekostet, nachdem ich den festen Vorsatz gefaßt hatte, mitten unter den
schwärmenden Bienen ruhig zu sein, befiel mich die Furcht, ich lief, und der
ganze Schwarm mir nach. Endlich hab' ich's doch gelernt, es hat mir tausend
Freude gemacht, oft hab' ich ihnen einen Besuch gemacht und einen duftenden
Strauß hingehalten, auf den sie sich setzten. Den kleinen Bienengarten hab'
ich gepflegt, und die gewürzigen dunklen Nelken besonders hab' ich
hineingepflanzt. Die alte Nonne tat mir auch den Gefallen, zu behaupten, daß
man alle Blumen, die ich gepflanzt hatte, aus dem Honig herausschmecke. So
lehrte sie mich auch, daß, wenn die Bienen erstarrt waren, sie wieder
beleben. Sie rieb sich die Hand mit Nesseln und mit einem duftenden
Kräutchen, welches man Katzenstieg nennt, machte den großen Schieber des
Bienenhauses auf und steckte die Hand hinein. Da setzten sie sich alle auf
die Hand und wärmten sich, das hab' ich oft auch mitgemacht; da steckte die
kleine Hand und die große Hand im Bienenkorb. Jetzt wollt' ich's auch
probieren, aber ich hatte nicht mehr das Herz; siehst Du, so verliert man
seine Unschuld und die hohen Gaben, die man durch sie hat."
Weder Kellers Heinrich, noch Bettine von Arnims Briefeschreiberin
beschäftigen sich wirklich mit Bienen. Sie legen ihr Ohr nicht an den Stock,
um den Lebensgeräuschen im Inneren zu lauschen. Legt man das Ohr an das
Holz, so ist zu hören, dass selbst das kleinste Klopfgeräusch im Inneren
eine große Beunruhigung auslöst, die dann allerdings, folgen keine weiteren
Reize, rasch abebbt.
Erzähltechnisch bedient sich Keller der Bienenkörbe, um den Brief an
späterer und anderer Stelle wieder auftauchen zu lassen. Günther Zechbergers
Klanginstallation kennt eine ähnliche Verschiebung. Zu hören sind Geräusche
aus dem Inneren eines Bienenstocks. Das Material wurde an Ort und Stelle im
Spätherbst wie im Winter gesammelt, Geräusche von Flügeln, die an Waben und
an die Abdeckfolie schlagen, feinste Vibrationen und Aufregungen.
Artikulationen während der Ruhephase, einer Zeit also, in der alle
Bewegungen auf ein Minimum reduziert sind. Belüftung, Wärmeregulation,
geringstmögliche Nahrungsaufnahme. Nun sind diese Geräusche zu einem
Zeitpunkt zu hören, an dem Bienen höchst aktiv sind. Mit Ausnahme der
Königin ist keine der Artikulantinnen mehr am Leben. Inneres ist nach außen
gekehrt. In einem exakten Oktogon, welches ausgehend von den beiden Ecken
der rückwärtig gelegenen Wand des Innenraumes den vor dem Fenster gelegenen
Museumsgarten umschließt, baut sich mit Hilfe von Lautsprechern ein
Klangraum auf, der dem Zuhörer das Gefühl gibt, sich selbst im Inneren eines
Bienenstockes zu befinden. Die räumliche Ausdehnung entspricht der
Verstärkung des kompositorisch bearbeiteten Geräuschmaterials.
Verständlicherweise ist die Intensität der Hörerfahrung während der Nacht
stärker als während des Tages. Tagsüber hängt sie aber auch davon ab, ob sie
vor Sonnenaufgang, in der brütenden Mittagshitze oder dann etwa gehört wird,
wenn das Gelände in tiefen Nebel getaucht ist.
Anna Gerlitz arbeitet auf der räumlich-visuellen Ebene mit entsprechenden
Umstülpungen. Ihr Konzept sah vor, alle nach außen weisenden Flächen, also
Fenster und Türen des Ausstellungsraumes in reduzierter Form auf der jeweils
gegenüberliegenden Wandfläche zu spiegeln, die Rahmen im Gelbton des
Bienenkotes, die Flächen violett. Die Umsetzung dieses Konzeptes bildete
allerdings nur den Ausgangspunkt ihrer Arbeit. Nach tagelanger Reduzierung
bleiben einzig mit einem Bleistift gezogene Linien, die ein zufälliger
Besucher nur noch schwer wahrzunehmen vermag. Räumlich überlagern sich die
beiden Arbeiten zwar, in ihrer Präsenz wirken sie jedoch gegenläufig. Eine
Klanginstallation, deren Geräusche noch in einem großen Umkreis zu hören
sind, behauptet sich anders als eine Arbeit, die sich auf wenige
Quadratmeter beschränkt, mehr noch, die bis zur Grenze des Wahrnehmbaren
reduziert wird. Erstaunlicher Weise kann Letzteres, wie die Arbeit von Anna
Gerlitz zeigt, eine starke Präsenz zur Folge haben.
Die Farbe des Kotes hat im Bienenleben keine Bedeutung. Einfachste,
großzügige Darmentleerung. Gelbe Punkte, beachtliche Spritzer. Das Überleben
eines Bienenvolkes verdankt sich dem Informationsaustausch bezüglich
möglicher Futterquellen wie dem Energieaufwand ihrer Ausbeutung. Mit Hilfe
des Rundtanzes und Schwänzeltanzes geben Bienen Informationen zu
Trachtquelle und Entfernung weiter. Da es in einem Bienenstock finster ist,
muss die Informationsweitergabe an andere Sinne als das Auge gebunden sein.
Nicht visuelle, sondern akustische Signale sind zu beachten. Die von der
Tänzerin erzeugten Luftströmungen können von anderen Bienen mit Hilfe des
Johnstonschen Organs wahrgenommen werden. Schall- und Vibrationssignale.
Eine Biene, die den Tanz einer Nestgenossin verfolgt, presst sich
gelegentlich gegen die Wabe und erzeugt, ebenfalls mit den Flugmuskeln, ein
kurzes Piepen, worauf die Tänzerin ihren Tanz unterbricht und Futterproben
an die umstehenden Bienen abgibt. Kleinste Vibrationen der Waben werden
sowohl von der Königin wie von den Arbeiterinnen erzeugt. Das Hörvermögen
der Bienen ist auf Frequenzen bis 500 Hz beschränkt. Fächeln, pulsierende
Laute. Ausstoß von Luft aus den Tracheenöffnungen und/oder die Tätigkeit der
indirekten Flugmuskeln. Die Bienen nehmen Geräusche über Luftschwingungen,
aber auch als Vibrationen der Unterlage auf.
Bienen lassen vielfältigste metaphorische Besetzungen zu, angefangen von
ihrem sprichwörtlichen Fleiß bis hin zu idealstaatlichen Ordnungen. Sie
können gleichermaßen Jungfräulichkeit wie auch das Begehren bezeichnen,
ausgehend von der antiken Vorstellung, sie würden nicht gezeugt, sondern
wüchsen aus Blütenstaub heran (oder aus dem Aas des Stieres). Nicht zufällig
wird Heinrich beim Versuch, den verlorenen Brief zurückzuholen, von einer
Biene gestochen. Sowohl Anna Gerlitz wie auch Günther Zechberger haben in
ihrer Umsetzung solche Bedeutungsaufladungen konsequent vermieden. Es geht
nicht um Bedeutungen, sondern um die konkrete sinnliche Erfahrung möglicher
Rezipienten.
Oft genug wurden und werden Bienen zitiert, wenn es um das Verhältnis des
Einzelnen zum Gesamten geht. Der Vergleich hinkt bereits dort, wo einzelne
Bienen keine Individuen oder Subjekte sein können. Das eigentliche Lebewesen
ist das Volk, von Imkern auch "Bien" genannt. Bienen kennen letztlich keine
Zusammenarbeit. Sie fügen sich exakt in genetisch festgelegte Vorgaben. Sie
reinigen Wabenzellen, bilden Wachs, um neue Zellen zu formen, sind für die
Brutpflege zuständig, werden Sammlerinnen. Ein Bienenleben ist kurz. Vom
Winter abgesehen sind all ihre Tätigkeiten mit wenigen Tagen bemessen. Der
Informationsaustausch, mag er noch so komplex sein, gilt einzig jenen
Vorgaben, die das Überleben eines Volkes sichern, bestenfalls Ableger zur
Folge haben. Von den sechseckigen Wabenzellen über die Wärmeregulierung bis
hin zum Sammeln der erforderlichen Nahrung ist jede Bewegung einem
ökonomischen Ideal verpflichtet. Das Bienenleben endet in der Regel nicht im
Stock, wäre doch auch damit ein unnötiger Energieaufwand verbunden. Im
Gegensatz zu Bienen müssen sich Menschen in energieraubender Weise um
Abstimmung bemühen. Ihre Signale sind widersprüchlich, mehrdeutig.
Intentionen und Motive können verschwiegen sein. Die Probleme beginnen
bereits bei widersprüchlichen Arbeitsvorstellungen und Zielsetzungen.
Briefe als Irrläufer. Dagegen Verständigung, an einem Tisch sitzend. Es geht
um Bienen, ihre Geräusche, den Aufbau des Stockes. Der Stock ist
gegenständlich vorhanden, man kann den Deckel abnehmen und hineinblicken.
Jemand spricht über das Johnstonsche Organ, ein anderer liest einige Zeilen
aus Kellers
Der grüne Heinrich: "Während der Pfarrer predigte und ich Anna
in Gedanken aufmerksam und still dasitzen sah, nahm ich Papier und Feder und
schrieb meine Gefühle für sie in feurigen Worten nieder. Ich erinnerte sie
an die zärtliche Begebenheit auf dem Grabe der Großmutter, nannte sie mit
ihrem Namen und brachte so häufig als möglich das Du an, welches ehedem
zwischen uns gebräuchlich gewesen. Ich ward ganz beglückt über diesem
Schreiben ......"
Bernhard Kathan
4 - 7 - 2004
Dank an:
Josef Beiser, Rankweil: Bienenbetreuung | Jürgen Engel, Bremen: Ideenküche |
Alois Kathan, Fraxern: Schlosserarbeiten | Ruth Kathan, Innsbruck:
Rahmenbewirtschaftung | Hans Soukup, Innsbruck: Technik, Materialsupport |
Prof. Dr. Hermann Stever, Landau: Literaturhinweise