DAVID, DER TIGER UND DER OFEN
Kindern Geschichten erzählen
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David sägt mit seiner Säge die vor dem Balkongitter gespannte Wäscheleine ab.
Von unten ist die Stimme eines Nachbarn zu hören: „David, du machst die
Wäscheleine kaputt.“ David: „Opa ist ein guter Profit, er kann alles
reparieren.“
Wie zählen wir? Wie lernen wir zählen? Ist, was wir tun, wenn wir zählen,
identisch mit dem, was wir tun, wenn wir zählen lernen?
J.M. Coetzee, Tagebuch eines schlimmen Jahres
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Inzwischen hat unsere Reisegesellschaft in der Ruinenstadt des Urwalds den
Königspalast entdeckt und diesen in Besitz genommen. Wir essen nun im
Thronsaal, der, ganz aus weißem Marmor, mit grotesken Tierfiguren geschmückt
ist. Diese wirken so lebendig, als könnten sie jeden Augenblick aus der Wand
springen. Da reißt ein Ungeheuer seinen Rachen auf, dort verdreht ein
anderes seine Augen, wieder ein anderes schlägt mit dem Schwanz. Anfangs
jagten uns diese Tiere einen gewissen Schauer über den Rücken, aber wir
gewöhnten uns bald an den Anblick. DAVID und SALIMBO fürchteten sich nicht
länger und kletterten auf einigen der Ungeheuer herum. Eines morgens rief
DAVID: „Wenn wir in einem Königspalast wohnen, dann brauchen wir einen
König.“ „Warum nicht?“, meinte OPA: „Möchtest du unser König sein?“ „Dann
habe ich zu viele Pflichten, ich möchte lieber mit SALIMBO spielen.“ Nach
langen Debatten fiel die Wahl einstimmig auf PROSPERO, den Tiger. Wo es
einen König gibt, da braucht es auch eine Königin. Also wurde sein Weibchen
SABRILLA zu unserer Königin. Nach der Wahl wurden die beiden feierlich
vereidigt. KAKATO, der Pygmäe, übersetzte die Eidesformel in die
Tigersprache. PROSPERO sprach die Worte, Silbe um Silbe betonend, in
demütigster Haltung nach, worauf KAKATO für die Festgäste die Worte, die
PROSPERO gesprochen hatte, wieder in unsere Sprache übertrug. DAVID fielen
die kleinen Abweichungen auf, die ein solches Hin- und Herübersetzen
zwangsläufig zur Folge hat. Statt König hieß es nun „wohlmeinender
Allesverschlinger“. Die Stimmung war sehr gut. Also stießen wir uns nicht
länger an solchen Kleinigkeiten. Dass das Wort, das einmal ausgesprochene,
zur Wirklichkeit drängt, werden wir allerdings bald zur Kenntnis nehmen
müssen. Da wird der wohlmeinende Allesverschlinger, zu dem wir PROSPERO
gemacht haben, das kleine Äffchen der OTTER, DIE EIGENTLICH SUSI HEISST, ...
Daran dachten wir nicht, auch nicht PROSPERO, der feierlich gelobte, seine
Königswürde, also die Würde des wohlmeinenden Allesverschlingers
zurückzulegen, würde er sich, ganz seiner Gewohnheit entsprechend, an einem
lebenden Tier oder gar einem
Menschen vergreifen. OPA hatte das von ihm dem OFEN eingebaute Blasorchester
ganz vergessen. Der OFEN aber, längst zu einem Mitglied unserer
Reisegesellschaft geworden, fuhr seine Blasinstrumente aus und schmetterte
eine Fanfare, die von den Wänden des Thronsaales als vielfaches Echo
zurückschallte. Das Fanfarengeschmetter des OFENS war ohrenbetäubend und
ließ das Gekreisch der Papageien verstummen. Minutenlang war es ganz still
im Urwald. Selbst die Zikaden nahmen zur Kenntnis, dass es wieder einen
König gab, den wohlmeinenden Allesverschlinger. Zur Hüterin des Thrones
wurde die heilige Königspython bestimmt. DAVID fragte, was „heilig“ heiße.
OPA: „Es ist keine gewöhnliche Schlange. Es ist eine ganz besondere
Schlange. Man darf sie nicht töten. Man darf ihr keine Steine nachwerfen. Du
darfst dein Nebelgewehr nie auf sie anlegen. Ich darf mich ihr nicht mit dem
Augenmantel nähern. Sie ist schon viele viele Jahre alt und schaut, dass im
Urwald alles seine Ordnung hat.“ Das finde ich komisch, meinte David, fragte
aber nicht weiter, was OPA sehr recht war.
Die Krönungszeremonie endete mit einem festlichen Mahl. Die OTTER, DIE
EIGENTLICH SUSI HEISST, und GUGAGILA, das Pygmäenmädchen, hatten den Tisch
mit hübschen Blüten geschmückt, die allerdings vom Äffchen, welches auf dem
Tisch herumturnte, schnell durcheinander gebracht waren. OMA ärgerte sich
über das Äffchen. Wie an fürstlichen Tafeln üblich, setzte der OFEN dem eben
gewählten König, dem wohlmeinenden Allesverschlinger, als erstem vor. Der
OFEN als Mundschenk. Er fuhr seine langen Arme aus, legte in einer
feierlichen Geste, die etwas übertrieben und manieriert anmutete, eine
riesige Keule vor PROSPERO auf den Marmortisch, dann eine etwas kleinere
Keule vor unsere Königin. Die Keule eines Büffels oder eines Gnus? Wir
wissen es nicht, gab es doch keine Speisekarte. Tier wurde keines erlegt,
handelt es sich doch bei all den Speisen und Getränken, die der OFEN
herstellt, um synthetische Produkte. Es würde an dieser Stelle zu weit
führen, müsste ich noch einmal erklären, wie sich der OFEN die dafür
notwendigen Bestandteile aus der Luft oder aus der Erde holt, was in seinem
Inneren geschieht, wie er mit Wasserstoff angetrieben wird, um eine Keule zu
bilden. Der OFEN war sehr stolz. Das muss mir erst jemand nachmachen, dachte
er. Nicht weniger stolz war OPA, der den OFEN erfunden und entsprechend
programmiert hatte. Um den OFEN nicht zu kränken, behielt er seine Gedanken
für sich. OPA, schon etwas vergesslich, konnte sich nicht mehr erinnern, an
welches Tier er dachte, als er die Keule einprogrammiert hatte. Und so sagte
er nur leise vor sich hin: „Ich werde langsam alt.“ Auch dachte er sich beim
Anblick der beiden Keulen, er hätte der Konsistenz des Fleisches mehr
Beachtung schenken, er hätte sich mehr Zeit nehmen sollen. Und vor seinen
Augen sah er die Garage, in der er den OFEN vor langer, langer Zeit gebaut
hatte. Von einer Tigerjagd war damals nicht die Rede. Dass er einmal
Untertan eines wohlmeinenden Allesverschlingers sein werde, das hätte er
sich damals nie vorstellen können.
DAVID meinte, der OFEN habe es richtig gemacht. „Was richtig gemacht?“,
fragte ihn OPA. „Ja halt dass er dem PROSPERO die größere Keule gab. Männer
sind stärker als Frauen und müssen deshalb mehr essen.“ OPA: „Stimmt nicht
immer. Hängt davon ab. Ich denke, ich hab den OFEN falsch programmiert.“
„Was ist das, Programmieren?“ „Da zeichnet man viele Einser und Nullen auf
ein Blatt Papier und steckt es dann in den richtigen Schlitz. Hätte ich nur
an einigen Stellen statt Einsern Nullen und statt Nullen Einser geschrieben,
dann hätte der OFEN die größere Keule SABRILLA vorgelegt. Ich habe zu wenig
darüber nachgedacht.“ „Aber du hast mir doch gesagt, dass der OFEN lernen
kann?“ „Natürlich. Wir sind jetzt schon so lange im Urwald und kennen gerade
einmal fünf Worte der Tigersprache. Der OFEN dagegen kann sich mit PROSPERO
fließend unterhalten. Er spricht zwar etwas komisch, aber die Tigersprache
beherrscht er vollkommen. Sonst hätte er ihm auch nicht von seiner großen
Liebe zum kleinen Rasenroboter erzählen können.“ „Aber dieser Roboter war
doch dumm.“ „Sehr dumm sogar. Aber den OFEN hat es nicht gestört.“ „Kann es
sein, dass der OFEN SABRILLA einmal die größere Keule hinlegt.“ „Ganz
sicher. Schon aus Eifersucht. Er ärgert sich über PROSPERO, weil ihm dieser
kaum noch Beachtung schenkt.“ „Da wird PROSPERO aber zornig sein und
SABRILLA die größere Keule wegnehmen.“ „Da könntest du recht haben.“ „Ganz
schön dumm ...“ „Der OFEN ist sicher klüger als PROSPERO, der nur bis sieben
zählen kann und dann so weiterzählt: zweiundzwanzig, einunddreißig,
neunzehn, zwanzig, vierundvierzig, tausend und so weiter. Der OFEN kennt
dagegen alle Zahlen, und das sind so viele, dass man sie auch in tausend
Jahren nicht aufzählen könnte. Da staunst du, was!“
Wie auch immer, im Augenblick schienen PROSPERO und SABRILLA die Keulen, die
sie mit ihren Vorderpfoten festhielten und von denen sie große Stücke
abbissen, zu schmecken. Die Gespräche unserer Festgesellschaft wurden vom
Krachen der Knochen, die PROSPERO und SABRILLA zermalmten und verschlangen,
begleitet. Und OPA dachte sich: „Wir gingen auf Tigerjagd und machen nun
einen Tiger zu unserem König. Das ist doch seltsam.“ Und während sich OPA
das dachte, riss PROSPERO, der wohlmeinende Allesverschlinger, seinen Rachen
auf, brüllte laut, um sein Wohlbehagen zum Ausdruck zu bringen. DAVID wandte
sich an OMA und sagte: „OMA, PROSPERO kann nur bis sieben zählen, dann
bringt er die Zahlen durcheinander.“ OPA meinte: „Aber niemand kann so viel
Fleisch verschlingen wie PROSPERO. Deshalb ist er unser König.“
PROSPERO war ganz stolz, König, wohlmeinender Allesverschlinger zu sein,
auch SABRILLA, die neben ihm auf dem Thron saß und ihren Gemahl zärtlich
anblickte und mit ihrem Schwanz PROSPERO immer wieder neckisch berührte.
„OPA, was ist ein Gemahl?“, fragte David. „Du stellst mir Fragen! Lass mich
nachdenken. Also ein Gemahl ist erst einmal ein Mann. Darüber lässt sich
nicht streiten. Und dieser Mann hat eine Frau kennengelernt. Und er fand sie
schön. Der Mann wiederum gefiel dieser Frau. Und sie sagte sich, das ist ein
schöner Mann. Und stark ist er auch noch. Er wird mich beschützen. Die
beiden haben sich lange angeschaut und miteinander gesprochen und dann
gesagt: Wir wollen im selben Haus wohnen und viele Kinder haben. So ähnlich
wird es auch mit PROSPERO und SABRILLA gewesen sein.“
Tage vergingen. PROSPERO saß auf dem Königsthron und hielt sein Zepter in
der rechten Hand. Die heilige Königspython bewachte den Thron. Meist lag sie
ganz ruhig da, nur manchmal hob sie ihren Kopf, drehte ihn in diese, dann in
jene Richtig, züngelte, um den Geruch möglicher Feinde aufzunehmen, die
PROSPERO von seinem Thron stürzen hätten können. Hin und wieder trank sie
Milch, die ihr die OTTER, DIE EIGENTLICH SUSI HEISST, in einer weißen
Marmorschale hingestellt hatte. Besonders gefährlich erschien der heiligen
Königspython der OFEN. Näherte sich dieser dem Thron, richtete sie sich auf,
zischte und ließ ihren Kopf immer wieder vorschnellen. Den OFEN, der längst
die wichtigsten Tiersprachen erlernt hatte, schien dies nicht zu
beeindrucken. Und so sagte er ihr denn auch: „Du magst zwar heilig sein,
aber ich fürchte, du bist ein dummes Tier. Weißt du denn nicht, dass ich der
Mundschenk des Königs bin. Und vergiss nicht, auch die Milch, die du
trinkst, verdankt sich meinen Brüsten.“ Da meinte DAVID: „Der OFEN hat doch
keine Brüste.“ „Da hast du recht. Aber ich habe noch kein Wort dafür
gefunden“, meinte OPA.
Die OTTER, DIE EIGENTLICH SUSI HEISST, vergaß bald die heilige Königspython.
OMA musste sie daran erinnern, ihr die Milch zu bringen. Auch DAVID und
SALIMBO verloren schon nach wenigen Tagen jedes Interesse an ihrem König,
dem wohlmeinenden Allesverschlinger. Sie erforschten lieber die Ruinenstadt.
Sie waren auf der Suche nach den Königsgräbern, von denen ihnen OPA erzählt
hatte. Natürlich vergaß OPA nicht, die beiden mit Speziallampen und anderen
Werkzeugen auszurüsten. Obwohl sich die beiden Buben mit den beiden Mädchen
nicht sehr gut verstanden, musste die OTTER, DIE EIGENTLICH SUSI HEISST, die
beiden begleiten, hatte ihr OPA doch den Bogen geschenkt, mit dem sie,
schoss sie einen Pfeil ab, den OFEN zu Hilfe rufen konnte. Sie interessierte
sich nicht für Königsgräber. Aber OPA sagte: „Im Urwald müssen wir alle
zusammenhalten. Man kann nicht immer nur das tun, was man will. Du musst auf
DAVID und SALIMBO aufpassen. GUGAGILA soll dich begleiten, auch das
Äffchen.“ OPA war froh, endlich einmal Ruhe zu haben, um sich mit KAKATO,
der sich, ganz seiner Gewohnheit entsprechend, eine Hütte aus einigen Ästen
und Blattwerk gebaut hatte, wieder einmal zu unterhalten. KAKATO hatte sich
ein Feuer gemacht, obwohl auch er vom OFEN bestens versorgt wurde und es
nicht nötig gehabt hätte, im Urwald nach Nahrung zu suchen. Aber geröstete
Heuschrecken schienen zu seinem Leben zu gehören. Die beiden saßen am Feuer,
rauchten und tranken Bier, das der OFEN gebraut hatte. Erzählte KAKATO von
der Krokodilmutter, von der er abzustammen glaubte, musste OPA lachen.
Erzählte ihm dieser vom Leben in den Städten,
von Ubahnen, Autobahnen und Kühlschränken und Einkaufshäusern, so glaubte
ihm KAKATO vieles nicht. Natürlich fiel es OPA schwer, diesem eine Welt aus
Einsern und Nullen zu erklären. OPA ist zwar ein großer Schwindler, aber all
das, was er KAKATO erzählte, gibt es wirklich. Die beiden unterhielten sich
trotzdem gut. OPA gefiel die Welt abseits von Einsern und Nullen. Und er
mochte KAKATOS Geschichten. Vielleicht, so dachte er, stammt KAKATO wirklich
von einer Krokodilmutter ab. Und er sagte sich: „Vielleicht bin ich ein
Schildkrötenkind, vielleicht habe ich eine Affenmutter. Wer weiß das schon?“
OMA genoss es zwar im großen Marmorbecken der Ruinenstadt zu schwimmen, aber
sie sehnte sich zurück in die Stadt und fragte sich immer wieder, warum sie
OPA, DAVID und die OTTER, DIE EIGENTLICH SUSI HEISST, auf ihrer Urwaldsreise
begleitet habe: „Wohl der Kinder wegen. Er hat es nicht eilig. Ihm scheint
es unter den Wilden zu gefallen.“ PROSPERO, nicht länger beachtet, überkam
bald eine große Langeweile. Es ist doch langweilig, den ganzen Tag auf dem
Thron zu sitzen und das Zepter in der Hand zu halten. Eines Tages schlich er
sich mit SABRILLA davon, um im Dschungel wirklich König zu sein.
Wie lange ist es her, als ich begann, David Geschichten über unsere
Urwaldreise zu erzählen? Ein Jahr, zwei Jahre? Auf jeden Fall lange. Es hat
sich zufällig ergeben. Wir spielten mit Worten, die alle mit O begannen:
Opa, Oma, Ofen, Otter. Und da David das immer wieder hören wollte,
entwickelte sich die Geschichte ganz von selbst. Im Augenblick erlebe ich
einen wichtigen Übergang. Nun versteht David meine Erzählungen als gemacht,
nicht mehr als Wirklichkeit. Jetzt kann er zwischen dem DAVID in der
Geschichte und sich unterscheiden. Jetzt denkt er sich: Das könnte auch ich,
das gefiele mir, davor würde ich mich fürchten. Aber er kann mich immer noch
fragen: „Bin ich es oder der DAVID aus dem Urwald?“ Inzwischen erinnert er
mich daran, dass ich mir die Geschichte für den nächsten Tag ausdenken
müsse. Natürlich überlege ich mir eine Fortsetzung. Aber genau halte ich
mich selten an solche Vorbereitungen, sondern spinne dann seine Fragen und
Einwände weiter. Letztlich ist es ja er, der die Geschichte vorantreibt, und
sei es, dass er mich zwickt, ist sie für ihn zu aufregend. Eine
stichwortartige Vorbereitung ist allerdings notwendig. Sonst würde ich den
Überblick über die vielen Figuren und Ereignisse verlieren. In ein solches
Erzählen lässt sich vieles einbauen, angefangen von ethnologischer Literatur
bis hin zu semiotischen Überlegungen. Sprachspiele sind wichtig. Einen
Fehler darf man nicht begehen, nämlich die Figuren, ihre Kleidung, ihre
Handlungen durcheinander bringen. Kinder haben ein gutes Gedächtnis und
erinnern einen nur zu schnell, hat man früher etwas anderes erzählt.
PROSPERO muss auf jeden Fall vorkommen, aber für mich hat sich der OFEN,
eine technische Apparatur, als am ausbaufähigsten erwiesen. Längst hat er
sich zu einem sozialen Wesen entwickelt. Oft genug ist er gekränkt, was
stets Störungen zur Folge hat.
OPA bräuchte nur den Resetknopf (Bauchnabel, an der Unterseite befindlich)
drücken, damit er wieder entsprechend funktioniert. Aber so gingen die
meisten Erfahrungen verloren, die der OFEN inzwischen gemacht hat. Besser
ist es, sich in Konflikten und Schwierigkeiten einzurichten, sich damit
abzufinden, dass sich der OFEN, ist er beleidigt, im Urwald verkriecht und
wir gezwungen sind, uns tagelang von Knollen und gerösteten Termiten zu
nähren. Kehrt der OFEN nicht von selbst zurück, was er ohnehin meistens
macht, so machen wir uns mit unserem Luftschiff auf die Suche nach ihm und
so weiter und so fort.
Erzählt man Kindern Geschichten, so wird einem bewusst wie unterschiedlich
das Denken und die Weltwahrnehmung organisiert sind. All das ließe sich auf
ganz andere Kontexte übertragen. Es ist bemerkenswert, dass sich Erwachsene
heute kaum noch Geschichten zu erzählen wissen, selbst dann nicht, waren sie
einige Zeit in einem Urwaldgebiet. Dank neuer Medien ist bereits vor der
Rückkehr alles gesagt. Es ist allein schon deshalb unmöglich, weil die neuen
Medien letztlich eine absolute Trivialisierung zur Folge haben. Im Internet
finden sich stets verrücktere, ultimativere Beispiele. An Narrativen
mangelte es nicht. Man denke an die Folgen der Globalisierung,
Digitalisierung etc. Aber ein Narrativ ist noch lange keine Geschichte.
Erzählen bedeutet, zuhörend Erlebtes oder Gedachtes so in eine Form zu
bringen, dass es sich von anderen weitererzählen lässt.
© Bernhard Kathan, 2017