„Denken tut er was ganz andres, i seh’s ihm eini“
Melkerinnen, milchspritzende Melkerinnen, schleckende und böse Kühe – urbane Projektionen


„Sobald César losgebunden war, ging er langsam hinaus. Aber sofort blieb er stehen, gleichsam überrascht von der frischen Luft und dem hellen Tageslicht; und er verharrte eine Minute reglos, erstarrt, nervös den Schwanz schwenkend, den Hals geschwellt, das Maul vorgestreckt und witternd. Ohne sich zu rühren, wandte ihm die Coliche, heiser brüllend, ihre großen, starren Augen zu. Da ging er vor, preßte sich an sie und legte mit einem kurzen und derben Druck den Kopf auf ihre Kruppe; seine Zunge hing heraus, er schob den Schwanz beiseite, leckte bis zu den Schenkeln; sie ließ ihn gewähren und bewegte sich immer noch nicht, nur die Haut kräuselte sich unter einem Erschauern. Untätig und ernst standen Jean und Françoise dabei. Und als César richtig aufgelegt war, bestieg er die Coliche mit einem jähen Sprung, mit einer gewaltigen Schwere, die den Erdboden erschütterte. Die Coliche hatte nicht gewankt, er umpreßte sie an den Flanken mit seinen beiden Vorderbeinen. Aber sie, ein Tier aus dem Cotentin und von großem Wuchs, war so hoch, so breit für ihn, der von weniger kräftiger Rasse war, daß er nicht zu Rande kam. Er fühlte es, wollte sich vergeblich wieder ermannen.“ Da der Stier zu klein ist, um die Kuh erfolgreich zu bespringen, fasst Françoise, ein vierzehnjähriges Mädchen, welches die hitzige Kuh geführt hat, nach dem Glied des Bullen und führt diesem den Weg: „Und als er fühlte, daß er am Rande war, raffte er all seine Kraft zusammen und drang mit einem einzigen Lendenstoß tief in sie ein. Dann zog er wieder heraus. Es war getan: Der Stoß mit dem Pflanzholz, das ein Samenkorn tief in die Erde drückt. Standfest und mit der empfindungslosen Fruchtbarkeit der Erde, die besät wird, hatte die Kuh ohne eine Bewegung diesen befruchtenden Strahl des Mannestieres empfangen.“

Émile Zola verdanken wir den ersten bedeutsamen Bauernroman. Der Roman Die Erde beginnt damit, dass ein Stier es nicht schafft, die Kuh „Coliche“ zu bespringen. In der zitierten Szene wird nicht nur eine Kuh besprungen, sondern die spätere unglückliche Ehe zwischen dem Mädchen Françoise und dem Knecht Jean, der den Bullen in den Hof geführt hat, vorweggenommen. Mochte Zola als Naturalist auch behaupten, die Wirklichkeit abzubilden, so haben wir es doch mehr mit städtischen und bürgerlichen Projektionen als mit dem tatsächlichen Leben der ländlichen Bevölkerung zu tun. Franz Blei notierte in seinem Großen Bestiarium der Literatur (1924) pointiert: „Zola besaß ein weitläufiges Fabrikgebäude zur Herstellung sozialer Schematismen. Seine Situationsmaschinen stanzten den Menschen glatt und sauber heraus. Andere Maschinen, welche die Wahrheit in der Kausalitätsreihe platt walzten, nahmen die ausgestanzten Menschen auf und setzten sie zu Ensembles zusammen, die auf einer Versuchsbühne abgerichtet wurden, so natürlich wie die Natur zu spielen. Ein kleiner Mond aus Silberpapier macht die nötige Sentimentalität.“

Zola sah die Bauern in der Nähe von Tieren. Wie Tiere lebten sie im Schmutz, sie trieben es wie die Tiere, in Gräben, im Mist zwischen Schafen und Kühen, auf dem Heuboden, auf Getreidesäcken, in Getreidefeldern. Im Gegensatz zu den Tieren befinden sich diese in einem Zustand andauernder Hitzigkeit. Bei Zola sind die Bauern auch dann noch lüstern, haben sie sich sechzehn Stunden unter praller Sonne zu einem Hungerlohn abgearbeitet: „Eines Abends wurde seine Qual so schlimm, daß er in den Schafstall schlich und die Frau an ihren Füßen zwischen ihrem Mann und einem Bruder wegzog, die mit offenem Mund schnarchten. Ohne Sträuben fügte sie sich. Es war ein stummes, gieriges Nehmen in der durchglühten Finsternis auf dem festgestampften Boden, der trotz des gründlichen Ausfegens von der Überwinterung der Hammel einen so scharfen Ammoniakgeruch zurückbehalten hatte, daß einem die Augen tränten.“ Bei so viel Geilheit erstaunt es nicht, wenn der Mann von Lise versucht, unmittelbar nachdem diese entbunden hat (eben hat der Tierarzt Coliche ein all zu großes Kalb stückweise aus dem Leib geschnitten), im selben Raum deren Schwester Françoise zu vergewaltigen, ein junger Schwachsinniger über seine neunundachtzigjährige Großmutter herfällt, die darauf hin den Burschen mit einem Beil erschlägt. Sexualität steht denn auch in einer engen Nähe zum Tod. Françoise wird unter Mithilfe von Lise (sie hält die Beine des Mädchens fest) von deren Mann gewaltsam auf einem Feld genommen. In einem plötzlichen Anfall von Eifersucht stößt Lise ihre Schwester in eine aus dem Distelgestrüpp ragende Sense. Der greise Vater des Bauern, der das Verbrechen beobachtet hat, wird von den beiden ermordet. Lise erstickt ihn, indem sie sich rittlings mit nacktem Hintern, der „Kruppe einer wassersüchtigen Stute“, auf sein Gesicht setzt. Und da das Bett der beiden inzwischen kalt geworden ist, „nehmen sie einander wieder, um es warm zu haben.“ Zola vermochte nicht zu sehen, dass Bauern über viele Jahrhunderte ihr eigenes Erfahrungswissen, dass sie trotz allen Futterneids zahllose Regulative des Ausgleichs entwickelt haben. Und zu urbanen Projektionen fügen sich üppige Phantasien eines Autors, die sich nicht zuletzt um die Hinterteile sich bückender Feldarbeiterinnen drehen: „... das Gesäß hoch, den Kopf dicht am Boden, in jener Stellung des Weibestiers, das sich anbietet.“

An Bauern war Zolas Roman nicht gerichtet. Er dachte an ein städtisches, bürgerliches Publikum. Liest man den Roman genau, dann erfährt man mehr über Lebensentwürfe und Sehnsüchte des Bürgertums als über das bäuerliche Leben. Das war alles andere als neu. Als Beispiel sei Marie-Antoinette genannt, die sich in ihrem Trianon in einer simulierten Landschaft eine künstliche Bauernwelt schaffen ließ, mit echten Bauern und echten Bäuerinnen, echten Kuhmägden mit echten Kühen, Kälbern und Schweinen, Kaninchen und Schafen, echten Mähern, Schnittern und Schäfern, Jägern, Wäschern und Käsern, damit sie mähen und waschen und düngen und melken, damit, so Stefan Zweig, „das Marionettenspiel sich unablässig munter bewege.“ Häuser und Ställe waren mit Stroh gedeckt, ein Misthaufen durfte nicht fehlen. Und damit all die Attrappen nicht als solche auffielen, mussten sie alt und morsch, entsprechend ärmlich wirken. Da ließ man Mörtel abbröckeln, dort wurden künstliche Risse geschaffen. Dabei waren einige der Häuser, sollte Marie-Antoinette wieder einmal das Bedürfnis überkommen, sich mit Kühen oder mit Milch zu befassen, innen mit dem für eine Königin nötigen Komfort eingerichtet.

„Wenn sie ihre Kühe Brunette und Blanchette im Stall besucht, wird selbstverständlich von unsichtbarer Hand zuvor der Fußboden wie ein Parkett geputzt, das Fell blütenweiß und mahagonibraun gestriegelt und nicht in groben Bauernkübeln, sondern in eigens von der Fabrik in Sevres gefertigten und mit ihrem Monogramm versehenen Porzellanvasen die schäumende Milch serviert. [...] Am blauen Bändchen werden Schafe auf die Weide geführt, unter dem von der Hofdame getragenen Sonnenschirm schaut die Königin zu, wie an dem murmelnden Bach die Wäscherinnen das Linnen spülen: ach, sie ist so herrlich, diese Einfachheit, so moralisch und so bequem, alles sauber und reizend in dieser paradiesischen Welt, so hell und klar hier das Leben wie die Milch, die aus den Eutern der Kühe hervorsprudelt. Man zieht Kleider an aus dünnem Musselin, ländlich einfache (und läßt sich darin für ein paar tausend Livres malen); man ergibt sich unschuldigen Vergnügungen, man huldigt dem ‚gout de la nature’ mit der ganzen Frivolität der Übersättigung. Man fischt, man pflückt Blumen, man promeniert – sehr selten allein – durch die verschlungenen Wege, man läuft über Wiesen, man sieht den braven Bauernstatisten bei der Arbeit zu, man spielt Fangball, man tanzt Menuett und Gavotte über Blumen statt auf den glatten Fliesen, man hängt Schaukeln zwischen die Bäume, man baut ein chinesisches Ringspiel auf, man verliert und man begegnet sich zwischen den Häuschen und Schattengängen, man reitet und amüsiert sich und läßt sich vorspielen inmitten dieses natürlichen Theaters, und schließlich spielt man es den andern vor.“


Man würde nur zu gerne etwas über das weitere Schicksal von Marie-Antoinettes Kühen Brunette und Blanchette erfahren, wissen, wie die echten Mägde das Leben in dieser Theaterwelt erlebten. In einem rumänischen Höfemuseum der Ceausescu-Zeit wurde ähnliches versucht. Die echten Bauern verheizten wertvolle Museumsstücke oder verkauften diese an Besucher. Das ist verständlich. Warum in der Vergangenheit leben, werden die Äcker mit Hilfe riesiger Maschinen bewirtschaftet. Bäuerinnen dieser Museumwelt sollen sich der Prostitution hingegeben haben. Aber Marie-Antoinette muss sich tatsächlich für Mich interessiert haben. Immerhin ist eine Milchschale erhalten geblieben, die ihren Brüsten nachgebildet sein soll.


Das Interesse für Melken und Milch trieb auch andere Frauen, so etwa die erfolgreiche österreichische Kochbuchautorin Katharina Prato. In ihrer Haushaltskunde aus dem Jahr 1897 schrieb sie: „Von besonderer Wichtigkeit ist richtiges Melken, denn wenn es den Kühen Unbehagen verursacht, so gewöhnen sie sich Unarten an und halten die Milch zurück, was den Ertrag vermindert. [...] Bei einer geschickten Melkerin stehen die Kühe ruhig und fressen behaglich fort, während sie bei einer des Melkens Unkundigen unruhig werden, die Füße aufheben, als ob sie ausschlagen wollten, sich öfters umsehen und mit dem Schweife herumschlagen. Hat eine Kuh sich solche Unarten angewöhnt, so kann sie nur durch eine geschickte Melkerin wieder beruhigt werden. Die melkende Person muß eine noch fremde Kuh zutraulich machen, indem sie ihr unter freundlichem Zureden und Streicheln ein beliebtes Futter mit der Hand reicht, z. B. eine Wurzel, oder gesalzene Brotschnitte, oder Salzlecke, und sie auf sanfte Weise reinigt. Wenn die Kuh mit dem Fuße schlagen will, so lege man ihr ein in kaltes Wasser getauchtes und wieder ausgedrücktes Tuch auf den Rücken, oder es hebe ihr eine zweite Person einen Vorderfuß auf. Vor dem Melken hat sich die Melkerin ein Kopftuch über die Haare zu binden und die Hände reinzuwaschen und gut abzutrocknen, denn durch nasses Melken bekommen die Kühe leicht wunde Zitzen; alsdann soll das Euter mit lauwarmem Wasser und Schwamm gewaschen und mit weicher, alter Leinwand abgetrocknet werden, was nicht nur der Reinlichkeit wegen zu geschehen hat, sondern auch weil die Milch dadurch leichter fließt. Die Melkerin setze sich dann derart zur Kuh, daß sie mit der rechten Hand die hinteren Striche melken kann und nehme den Melkeimer (welcher jedoch nicht auch zum Waschen gebraucht werden darf) fest zwischen die Knie; dann walke sie anfangs das Euter sanft zwischen den Händen, damit die in demselben enthaltene Milch gemischt werde und dadurch leichter bis zur Neige ausfließt, als wenn die fette allein zurückbleibt, indem diese sich schwer ausmelken läßt. [...] Das Melken geschieht, indem man mit der linken Hand einen vordern und mit der rechten einen hintern Strich erfaßt und dabei mit Daumen und Zeigefinger oben sanft an das Euter stoßt, worauf die Hände die in die Striche rinnende Milch ausdrücken, indem sie selbe öffnen und wieder schließen, wobei aber die Striche nicht gezogen werden dürfen. [...] Als Beweis von geschicktem und kräftigem Melken dient der Schaum im Milchsechter.“ Es ist anzunehmen, daß Katharina Prato nie auf einem Melkschemel saß. Sie hat wohl nie ihren Kopf in die Seiten einer Kuh gedrückt, um zu spüren, wie sich die Atembewegung dieses großen Tieres auf den eigenen Körper überträgt. Nie hat sie jenen Zorn erlebt, der einen überkommt, wenn die Kuh in den Melkkübel tritt.


Katharina Prato weist den Augen der Tiere eine besondere Bedeutung zu. Nach dem Striegeln sollen die Augen und die nicht behaarten Teile des Rindviehs täglich gewaschen werden. Traurige Augen zählen zu den ersten Anzeichen einer Krankheit. Bedenklich ist der Ausfluß von Tränen. Beim Durchfall des Kalbes fügen sich zur wässrigen Entleerung trübe Augen, Traurigkeit und eine schwärzlich belegte Zunge. Neben einem breiten Euter, großen Milchadern und einer knochigen Gestalt gilt besonders ein sanfter Blick als Zeichen einer guten Milchkuh. Eine gute Milchkuh lasse sich gerne schmeicheln. Die Aufmerksamkeit der Hausfrau gilt dem Melken, dem Gebären, dem Eierlegen und Ausbrüten der Kücken, der Darmtätigkeit mit ihren Störungen wie Durchfall oder Verstopfung. Kommen die Ferkel auf die Welt, nimmt die Viehmagd diese dem Muttertier sogleich weg und wäscht sie mit lauwarmem Wasser, legt sie zwischen warme Tücher auf geschnittenes Stroh und gibt sie erst dann an die Zitzen der Muttersau, wenn diese ihren Darm entleert hat. Geschieht dies nicht bald, so wird ihr in Wasser aufgelöstes Glaubersalz verabreicht. Die Darmtätigkeit der Tiere wird reguliert durch die Eingabe von Kamillentee oder Einbrennsuppen mit gestoßenem Kümmel. Zur Förderung der Verdauung wird eine Messerspitze voll Spießglanz empfohlen, zum Abführen Glaubersalz. Und wie dem Kranken wird dem Kalb eine halbe Tasse gezuckerter, warmer Rotwein oder Kamillentee verabreicht; nicht zu vergessen ein Klistier vom gleichen Tee. Bildlich sähe die Szene aus wie folgt. Die Köchin verabreicht dem Kalb mit den traurigen Augen ein Klistier.


Warum beschäftigt sich Katharina Prato mit dem Melken der Kühe, wenn diese Tätigkeit ohnehin Knechten und Mägden überlassen werden soll, die über das entsprechende praktische Wissen verfügen? Jene Stellen, in denen sie ausführlich wird, haben allesamt mit Sexualität zu tun. Offensichtlich quillt all das über, was an anderer Stelle so sehr beschnitten werden muss. Hätten ihre Bücher nicht so hohe Auflagen erreicht, so ließe sich ihr Interesse für das Melken als Ausdruck eines etwas bizarren Charakters verstehen.

In ihren Anweisungen zum richtigen Melken scheint das Euter der Kuh austauschbar mit den Brüsten der Frau. Es fällt nicht schwer, statt der Kuh eine Frau zu denken, die, an den falschen Mann geraten, unruhig und ängstlich wird, mit ihren Augen nach einem Fluchtweg sucht. Der Angst vor der Berührung entspricht das freundliche Zureden, Streicheln, das beliebte Futter. Wie die melkende Person die Kuh, so soll sich der Mann die ängstliche Frau zutraulich machen. Sollte eine Kuh trotz allen guten Zuredens widerspenstig bleiben, so helfe nur ein nasses kaltes Tuch auf dem Rücken. In schwierigeren Fällen könne eine zweite Person eines der vorderen Beine hochheben. Auch wenn alle Grobheiten vermieden werden sollen, so kann kein Zweifel daran bestehen: Wie die Kuh hat sich auch die Frau in ihr Schicksal zu fügen und alles passiv über sich ergehen zu lassen. Wenn das Euter schon so sorgsam behandelt sein will, um wieviel mehr muss dies für die weiblichen Brüste gelten, ist deren Haut doch viel zarter. Das Kuheuter sollte mit körperwarmem Wasser gewaschen und abgetrocknet werden. Das Euter erlaube nur eine sanfte Berührung, ein sanftes Kneten, Massieren oder Drücken. Wir haben es mit einem Kippbild zu tun. Hinter der Angst vor dem Durcheinander der Sexualität verbirgt sich das große Bedürfnis danach. Katharina Prato erwähnt mehrfach, welche Tiere sich zur Zucht eignen und welche nicht. Den Vorgang des Deckens beschreibt sie aber an keiner Stelle.


Schaut man sich historische Postkarten an, auf denen Kühe zu sehen sind, dann stechen folgende Motive heraus: melkende Frau, melkende Frau, die einem Mann aus einer Zitze Milch ins Gesicht spritzt, schleckende Kühe, angriffslustige Kühe. Die sexuellen Konnotationen, meist handelt es sich um Scherzpostkarten, sind nicht zu übersehen. Melkende Männer kommen so gut wie nicht vor. Dabei fiel das Melken trotz aller regionalen Unterschiede zumeist in den Aufgabenbereich von Männern: „Beim Melken bedienen sich die Sennen eigenthümlicher Melkschemmel, welche nur einen Fuß in der Mitte des Sitzbrettes, mit eiserner Spitze haben und vermittelst eines Riemens umgeschnallt werden. Man hat in vielen Wirthschaften Deutschlands jetzt ähnliche Schemmel und es sieht fast lächerlich aus, wenn der Senn von einer Kuh zur andern mit umgeschnalltem Melkschemmel geht, wobei der Fuß desselben mit seiner Spitze wie ein Schwanz hinten wegsteht.“ So Otto Wendt in seinem Familien-Lexikon aus dem Jahr 1863.


Auf den erwähnten Postkarten findet sich immer wieder eine Gleichsetzung von Kuh und Frau, Brust und Euter. Das machen bereits viele Redensarten deutlich. Eine dumme Kuh meint eine dumme Frau. Von einer aufgedonnerten Frau sagt man, sie stolziere einher wie eine bunte Kuh. Eine Kuh kaufen: Brautwerbung, die einem Handel gleicht. Die Kuh mitsamt dem Kalb kriegen: ein schwangeres Mädchen heiraten. In der Nacht sind alle Kühe schwarz: In der Nacht sind alle Frauen gleich. Von einer ungeschickten Frau heißt es: Was hilft's, wenn d' Chueh vil Milch git, wenn sie de Chübel wider umstoßt? Über eine Frau, die ihre Mitgift selbst verbraucht: Was hed mer vonere guete Chue, wenn sie d Milch sälber suuft? Die Entwicklung vom Mädchen zur Frau: Wenn a Kalb en d Fremde goht, kommt a Kuah hoam. E 20jährigs Chalb git kei gschidi Chue me. Bezogen auf Mutter und Tochter: Närrische Kühe haben spinnende Kälber. Die Tochter muss aber nicht nach der Mutter schlagen: E gueti Chue chann au e schlechts Chalb ha. Schwarze Küah gebet au weiße Milch. Blinde Küh kälbere au.

Auf historischen Scherzpostkarten sind immer wieder Kuhattacken dargestellt. Solche Angriffe waren früher, als es im Alpenraum noch keine Mutterkuhhaltung gab, höchst selten. Die Beliebtheit des Motivs hat die gefährliche, verschlingende Frau zum Gegenstand. In einem Naheverhältnis dazu ist die junge Frau zu sehen, die Milch aus einer Zitze in das Gesicht eines Mannes spritzt. Wir haben es mit Kippbildern zu tun, fügen sich beide Motive doch zur schleckenden Kuh, was auf das Begehren verweist.


Motive kennen in der Regel eine lange Geschichte. Die milchspritzende Frau ist uns aus der christlichen Ikonographie vertraut. Man denke an Darstellungen, in denen die Jungfrau Maria in einem weiten Bogen Milch aus einer ihrer Brüste in den Mund des Heiligen Bernhard spritzt. Mit Erotik oder Sexualität hat das alles nichts zu tun. Es ist die Milch der Ermunterung und Tröstung.


Was für ein Gegensatz, schaut man sich die Bilderstrecke aus dem Winterkatalog 2001 von Sisley an. Die Hand einer jungen Frau drückt die Zitze einer Kuh. Milch spritzt heraus. Auf der nächsten Aufnahme rinnt Milch über die Beine der nun im Stroh liegenden Frau. Blättert man um, ist das Gesicht der jungen Frau zu sehen. Sie spritzt sich Milch aus einer Zitze in den geöffneten Mund. Das milchtriefende Gesicht scheint glücklich, die junge Frau in einem Zustand größter Lust. Das folgende Bild gibt den Blick auf ihr Höschen frei. Auch die Schenkel sind mit Milch bespritzt. Das lässt an die Protagonistin Marpha in Sergej Eisensteins Film Die Generallinie aus den Jahren 1926/29 denken. Die aus den beiden Rohren der Zentrifuge rinnende Milch bekleckert Marphas Gesicht und Hände. Auch sie scheint dabei höchste Lust zu empfinden. Eisenstein bediente sich in üppiger Weise der Fruchtbarkeitsmetaphorik. Die Technik hat er der Stadt, dem Mann, die Natur dagegen dem Land und der Frau zugeordnet. Mit Sexualität oder Erotik hatten seine Bilder nichts zu tun, mochte er sich auf der latenten Ebene solcher Bilder bedienen. Eisenstein war davon überzeugt, dass die Technik die Bauern aus der Armut führen würde. Was für eine absurde Vorstellung in der heutigen Welt: Eine Zentrifuge, die Glück verspricht!


Es ließen sich hier viele Beispiele anführen. Ich denke etwa an eine Zeichnung von Günter Brus aus dem Jahr 1970, auf der eine junge Frau eine Zitze einer Kuh in ihr Geschlecht einführt. All das sagt nichts über Kühe, noch weniger über das bäuerliche Geschlechtsleben. Dies gilt auch für den Jungbauernkalender, auf dem junge Bäuerinnen und junge Bauern nackt oder halbnackt posieren, und zwar in landwirtschaftlichem Ambiente. Auch hier werden Stereotypen reproduziert, bleibt die Frau dem Euter zugeordnet, während der Jungbauer mit künstlicher Besamung beschäftigt ist. An dieser Stelle ließe sich ein langer Exkurs zu urbanen Bildern schreiben, deren sich heutige Bauern oder die Agrarindustrie bedienen.

Postkartenmotive werden in der Regel auf den Adressaten, die Adressatin bezogen ausgewählt. Was der oder diejenige einer bestimmten Person damit mitteilen will, lässt sich nur vermuten, selbst dann, ist die Karte beschriftet. Auf einer der Karten, die eine angriffslustige Kuh zeigt, ist in Spiegelschrift zu lesen: „den 24. Tag liebe Rosa, heutemitag bin ich wider ins geschäft gedreten geht aber noch nicht ganz gut immer noch schmerzen, wirglich haben wir sehr kaltes Wetter wie geht es Dir mit freundlichem gruß Dein lieber Joseph sc bitte bald.“ Spiegelschrift wird dann benutzt, sollen Dritte eine Mitteilung nicht entziffern. Auf was beziehen sich die erwähnten Schmerzen? Auf die abgebildete Kuh wohl nicht. Auf einer anderen Karte mit demselben Motiv ist zu lesen: „Ungenannt doch wohl bekannt. W.W.J.“

Um das zu beantworten lohnte es sich, abgeschickte Postkarten mit demselben Motiv zu sammeln. Bei den von mir gesammelten Kuhpostkarten ist auffallend, dass der überwiegende Teil an Frauen adressiert ist: „Vbg., den 10. Oktober 1900. Wertes Fraulein Anna! Ich danke Ihnen bestens für Ihre werte Karte von heute Morgen. – Die Kouplets, welche ich meine, sind 2 Stk. Das eine handelt von einem Bader, der einen kranken Bauern zuerst zur Ader ließ, dann als dies nichts half, ihn schröpfte, dann die Haare schnitt und ihn rasierte. – Als der Bauer aber bald starb und seine Frau ihn beweinte, tröstete sie der Bader damit, daß der Bauer doch wenigstens sauber aus der Welt gegangen sei. – Das andere Kouplet geißelt die Frauen; es heißt darin u.a. Ich stelle heute den Vergleich, das Menschenleben ist ein großer Teich, wir armen Männer sind die Fischelein usw. und wohl jede Dame die hier sitzen thut, die hat auch manche große Wut doch ach ich bitt’ recht schön, es ist ja nur ein Gruß geschehen usw. Ich hoffe, daß Sie mir die Kouplets nun recht bald zusenden und werde mich dann bei Gelegenheit ...“ Oder auf einer um 1900 wohl zugesteckten oder hinterlassenen Karte ist zu lesen: „An the black nice girl [H] Waldvögelein with kind regards remains ...“ Aber es ist nicht anzunehmen, daß es sich bei dem black nice girl um eine Melkerin gehandelt hat. Der Abstand zwischen den bürgerlichen Sommerfrischlern und der bäuerlichen Bevölkerung war damals viel zu groß. In zeitgenössischen Reiseberichten, in denen etwa von Übernachtungen in Almhütten die Rede ist, finden sich keine hübschen Melkerinnen: „Jetzt traten wir ein und begrüßten die Sennerin. Sie war bereit uns zu behalten. Sie sah aber ganz anders aus als jene auf dem Theater. Es war eine alte, sehr kräftige Frau mit Runzeln im Gesicht, die schon 30 Sommer auf die Alpe gezogen war. Die Senner suchen eine besondere Ehre darin, ein recht schmutziges Hemd zu haben. Sie meinen, man erkenne darin die fleißigen Arbeiter. Die alte Sennerin schien ihrem Hemd nach sehr fleißig zu sein. Außer ihr war aber auch noch eine junge Sennerin da, eine Elevin, erst 16 Jahre alt, aber wie es schien auch so fleißig wie die 30malige. Ihr Röckchen war unten in lauter Streifen zerschlitzt, nicht künstlerisch, rein natürlich, von selbst. Auf den Alpen ist Alles reine Natur. Anfänglich glaubte ich, sie habe dunkle Strümpfe an, - es waren aber die lebendigen Beine.“

Was aber, kam es wirklich zu einer Begegnung mit einer Melkerin, einer Kuh-Frau? Während des Ersten Weltkrieges hatte Robert Musil, er war im Fersental stationiert, ein Verhältnis mit der jungen Bäuerin Magdalena Lenzi, die er Grigia nannte, „Grigia, mit langem I und verhauchtem Dscha, nach der Kuh, die sie hatte, und Grigia, die Graue, rief.“ Als Treffpunkt ihrer intimen Begegnungen diente ihnen ein Heustadl: „Der Einfall, zusammen in den Heustall zu gehn – man öffnet ein schweres hölzernes Tor, man zieht es zu, und bei jedem Grad, um den es sich in den Angeln dreht, wächst die Finsternis, bis man am Boden eines braunen, senkrecht stehenden Dunkels hockt – freute ihn wie eine kindliche List. Er dachte an die Küsse zurück und fühlte sie schnalzen, als hätte man ihm einen Zauberring um den Kopf gelegt. Er stellte sich das Kommende vor und mußte wieder an die Bauernart zu essen denken; sie kauen langsam, schmatzend, jeden Bissen würdigend, so tanzen sie auch, Schritt um Schritt, und wahrscheinlich ist alles andere ebenso; er wurde so steif in den Beinen vor Aufregung bei diesen Vorstellungen, als stäken seine Schuhe schon etwas im Boden.“


Seine Geliebte war für Musil so unstandesgemäß, dass er sich nicht einmal die Mühe gab, in seiner Erzählung Grigia, in der er diese Episode verarbeitete, ihren wahren Namen zu verschweigen. Wie ihre Kuh, die den Hang hatte, talwärts zu streben, kannte sie ihren Eigensinn. Für ihn stand sie den Tieren näher als dem Menschen. Hat Grigia einen viel zu schweren Rückenkorb zu tragen, so setzt sie, mögen sich ihre Knie biegen, ihre Halsadern anschwellen, auf ein Zeichen hin wie ein „still gewordenes Tier“ ein Bein vor das andere. Müht sie sich mit einem Heupack ab, den es einzutragen gilt, so muss Musil an einen Pillendreher denken, der eine Kugel vor sich her rollt, die viel größer als er selbst ist. Und gibt sie sich ihm im Heu hin, dann ist es ihm, als läge er auf einem Käfer: „Die Frauen schließen die Augendeckel und machen ein ganz steifes Gesicht, eine Schutzmaske, damit man sie nicht durch Neugierde stört; sie lassen sich kaum ein Stöhnen entreißen, regungslos wie Käfer, die sich tot stellen, konzentrieren sie alle Aufmerksamkeit auf das, was mit ihnen vorgeht. Und so geschah es auch; Grigia scharrte mit der Kante der Sohle das bißchen Winterheu, das noch da war, zu einem Häuflein zusammen und lächelte zum letztenmal, als sie sich nach dem Saum ihres Rockes bückte wie eine Dame, die sich das Strumpfband richtet.“ Während Grigia den Namen einer Kuh trägt, gab Musil dem Mann, der sich in seiner Erzählung mit Grigia in Heuställen trifft, den Namen Homo, also Mensch. Als Grigia das Verhältnis beendet, trifft sich Homo ein letztes mal mit ihr in einem aufgelassenen Bergwerksstollen. Er kommt darin um. Musil phantasierte sich als Opfer der Grigia. Tatsächlich endete das Verhältnis einfach deshalb, weil er an einen anderen Frontabschnitt versetzt wurde. Der Abschied dürfte ihm nicht schwer gefallen sein. Dank seiner Notizen, in denen er Magdalena Lenzi ähnlich wie ein Insekt beschrieb, konnte er diese bei Gelegenheit eigenen Vorstellungen entsprechend zu neuem Leben zu erwecken: „Geh ea!“, „Geh aua!“, „Wos, Teufi, do geh hea“, „I glock an bei Ihm!“, „Reut’s ihn? Viel reut’s ihn?“ „Denken tut er was ganz andres, i seh’s ihm eini“, „auf’s g’schwindige Wiederseh’n“. Musil blieb die Welt der Magdalena Lenzi fremd. Traf er sich mit ihr im Heu und war von draußen das Poltern schwerer Schuhe auf dem Steinweg zu hören, dann wusste sie die Schritte stets richtig zu deuten, während ihm das Blut „bis in den Hals“ pochte. Wie läse sich die Begegnung, hätte Magdalena Lenzi Notizen gemacht? Wie hätte sie seinen Körper, seine Bewegungen, sein Verhalten oder seine Äußerungen beschrieben?

© Bernhard Kathan, 2016

Die Ilustrationen zu Musils Erzählung Grigia verdanken sich Alfred Zangerl
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