Alls escht gschtorba.
Dialektgedichte
Meine häufigen Aufenthalte in Fraxern haben mich sehr oft in die Sprache
meiner Kindheit zurückfallen lassen. Auf Hochdeutsch lässt sich vieles der
Welt der kleinen Bauern nicht ausdrücken. Artefakte der kleinbäuerlichen
Kultur geben nur sehr begrenzt Auskunft über Leben und Lebensorganisation.
Im Gegensatz dazu vermag die Sprache vieles deutlich zu machen. Harold
Garfinkel wusste darum, als er Sozialwissenschaftlern empfahl, die von ihnen
untersuchte Welt in der Sprache der Beschriebenen zu beschreiben. Bereits
Franz Michael Felder notierte, das Studium der Sprache eines Volkes bedeute
das Studium des Volkes selbst. Eine erstaunliche Feststellung für einen
Bauern seiner Zeit. Nicht zufällig fällt bei ihm die Sprachanalyse mit
seinen sozialreformerischen Aktivitäten zusammen. Als Zuträger des Deutschen
Wörterbuches der Brüder Grimm beschäftigte er sich mit Bregenzerwälder
Sprichwörtern und Redensarten. Mir fielen auffallend viele Lamentationen
ein. Die kleinen Bauern hatten nicht nur viel zu klagen, sie schämten sich
ihrer Klagen nicht. Die katholische Kirche bot ihnen diesbezüglich reichlich
Folien. Und freilich kannten solche Lamentationen ihre ironischen
Brechungen, was etwa in den vielen Flüchen deutlich zum Ausdruck kommt. Es
gibt das Klischee, Bauern seien stumm und schweigsam gewesen. In vielerlei
Hinsicht mag dies zutreffen. Über das Selbstverständliche muss man nur
bedingt sprechen. Wer jeden Tag in den Stall geht, braucht diesbezüglich
wenig Worte. In mancherlei Hinsicht war die bäuerliche Sprache dagegen
wesentlich üppiger war als unsere. Man denke allein an die vielen Worte, mit
denen sich ganz unterschiedliche Arten des Weinens bezeichnen leißen. Man
denke auch an topographische Bezeichnungen oder an die vielen Worte, die für
unterschiedlichste Gefäße verwendet wurden. Innerhalb eines Nachmittags
fielen mir etwa 80 unterschiedliche Bezeichnungen für Gefäße ein. Bei nicht
wenigen gefäßartigen Geräten, an die ich mich erinnern kann, sind mir die
Bezeichnungen entfallen. Verlieren infolge industrieller
Lebensmittelproduktion oder allein durch den Umstand, dass Wasser aus einer
Leitung kommt, ursprünglich verwendete Gefäße ihre Funktion, dann
verschwinden zwangsläufig auch die entsprechenden Bezeichnungen. Oder denken
wir an Worte, mit denen das Ausscheiden oder das Ausgeschiedene aus dem Mund
bezeichnet wurde: spöza, spötz, spodara, usspodara, chodara, an chodr,
triala, trenza, schumma, rotz, breacha, kotza, kozate. Für wichtige Bereiche
des menschlichen Lebens fand ich kaum Worte. Dies gilt etwa für das
Geschlechtsleben. Ob es tatsächlich an diesbezüglichen Worten mangelte oder
dies damit zu tun hat, dass ich noch ein Kind war, als ich diese Welt
verließ, vermag ich jetzt nicht zu sagen. Manche der Gedichte, durchwegs
Sprachspiele, drängten sich aus meinen Kindheitserinnerungen, andere
wiederum verdanken sich Tonbandaufnahmen, die ich vor Jahrzehnten gemacht
habe und die ich mir letzthin wieder einmal anhörte. Eine unterhaltsame
Arbeit, mit der ich noch lange fortfahren könnte. Aber ich habe nicht die
Absicht, Mundartdichter zu werden.
Bernhard Kathan, Herbst 2011
Texte, Stimme: Bernhard Kathan
Tontechnik: Martin Lauterer
Graphik: Peter Chiochetti
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