Das klassische Dichterzimmer verdankt sich einem autorenbezogenen
Verständnis von Literatur, ist einem genieästhetischen Konzept von Kunst
verpflichtet. Es trägt der Sehnsucht Rechnung, der Literatur und ihren
Schöpfern vermittelt durch Orte ihres Wirkens näher zu rücken, in ihre Haut
zu schlüpfen, ihre Gesten und Blicke nachzuvollziehen, zu wiederholen, den
Schöpfungsakt zu verstehen. Wohnungen erscheinen in diesem Zusammenhang als
Orte der Repräsentation, in denen sich schriftstellerisches
Selbstverständnis artikuliert, als Verlängerungen des Körpers, nach außen
gestülptes Denken, als Spiegel des jeweiligen Werkes, sind Orte der
Inszenierung. Posen des Autors, der Autorin werden wiederholt, tradiert. Der
Denkerstuhl vor ein Fenster gerückt. Auf einem Tischchen arrangierte
Rauchutensilien. Im Zentrum, häufig, der Schreibtisch als Ort des
schöpferischen Aktes. Objekte, die auf das Schreiben und Denken verweisen:
Federkiel, Füller oder Schreibmaschine. Die Brille. Beschriebenes Papier.
Darüber hinaus Gebrauchsgegenstände, im besten Fall von deutlichen
Gebrauchs- und Lebensspuren gezeichnet. Zerknitterte Pölster, eine
abgewetzte Couch, darauf, wie gerade hingeworfen, ein Überwurf. Kleiderbügel
und Nachttopf dort, wo es an Objekten fehlt. Dem Tod assoziierte Dinge.
Totenmaske, Totenhemd.
Jene Wohnung in der Rue Auguste Comte in Paris, in der Simone Weil mit ihren
Eltern lebte, viele ihrer Texte schrieb, Trotzki und anderen begegnete, ist
heute nicht mehr zugänglich. Sie wurde 1998 verkauft. John Berger verdanken
wir einen Text über Simone Weils Zimmer in dieser Wohnung. John Berger
beginnt mit einer Beschreibung des Schreibtisches: "Er mißt, glaube ich, 80
x 200 cm. Mehr oder weniger die Größe der Fläche, auf der man schläft, wenn
man Liegewagen fährt. Nicht aus Eiche, sondern wohl aus Birnenholz, das eine
wärmere Farbe hat. Darauf steht eine Tischlampe, ebenfalls aus Holz,
annähernd Bauhaus-Design, vielleicht aus den zwanziger Jahren, als die
Familie die Wohnung bezog. Eine bescheidene, funktionelle Lampe, die nahezu
handgefertigt aussieht, doch beharrlich in ihrer Verheißung von Modernität -
eine Verheißung, an die ihre Besitzerin keinen Moment lang geglaubt hat. Der
Tisch steht in dem Zimmer, in dem sie gearbeitet und geschlafen hat, wenn
sie zu Hause war. In ihrem Wanderleben muß sie an diesem Tisch mehr als an
irgendeinem anderen gelesen und geschrieben haben."
John Berger, zweifellos ein genauer Beobachter, liest die Räume jenen
Bildern entsprechend, die er von Simone Weil hat. In "ihrem" Zimmer stehend,
denkt er, wie es für die junge Simone Weil gewesen sein muss, hörte sie
während des Schreibens ihren Vater (er war Arzt) Patienten begrüßen oder
verabschieden. Dass der Ort nicht mehr derselbe ist, macht bereits das
Haustor deutlich: "Auf der Straße unten, über dem Eingang zu dem Wohnhaus
(heute muß man einen Tür-Code eintippen, um hineinzukommen), ist eine Tafel
angebracht, auf der steht: Simone Weil, Philosophin, lebte hier zwischen
1926 und 1942." John Berger blickt auch aus dem Fenster, hinunter auf den
Jardin du Luxembourg: "Du stehst am Fenster, du machst es auf, du lehnst
dich gegen das Geländer des Balkons, auf dem nicht mehr als vier Tauben
landen könnten, und du fliegst in deiner Vorstellung über Dächer und
Geschichte. Es ist genau die richtige Höhe für Flüge der Einbildungskraft:
die Höhe, in der Vögel zum anderen Ende der Stadt fliegen, zu den Mauern, wo
die Gegenwart endet und eine andere Epoche beginnt. In keiner anderen Stadt
der Welt sind derlei Flüge so elegant." Um die Bedeutung des Parks in Simone
Weils Leben wusste John Berger nicht. Möglicherweise ist sie als junges
Mädchen hier einem Exhibitionisten begegnet. Den Jardin du Luxembourg
verband sie mit ihrem Widerwillen, Gegenstand des Verlangens zu sein.
Wir wissen nicht, was mit den Einrichtungsgegenständen nach dem Verkauf der
Wohnung geschah, was mit dem Schreibtisch und der hölzernen
Schreibtischlampe. Möglicherweise befinden sich diese Objekte heute in einem
musealen Depot, um damit zu gegebener Zeit eine Ausstellung zu bestücken
oder gar ein Simone Weil-Zimmer einzurichten. Würde letzteres geschehen,
dann hätten wir es nicht nur mit einer Dislokation, sondern mit einer
Rekonstruktion, besser Konstruktion zu tun. Stellvertretend dafür sei die
rekonstruierte Wohnung Franz Grillparzers genannt.
Die Grillparzer-Wohnung befindet sich in einem frei stehenden Kubus im
zweiten Stock des Wien-Museums am Karlsplatz. Durch einen Eingang, daneben
ein historischer Glockenzug, gelangt man in ein dunkles Vorzimmer. Vor eine
Tür gerückt eine Vitrine mit allerlei Erinnerungsstücken. Darunter Brille,
Federkiel, Zigarrentasche, Tabakdose Moliéres, Siegelring Friedrich
Schillers. Weiter in einen schmalen Raum, Bücherschränke säumen die
Längswände. Eine geöffnete Tür gibt den Blick frei in einen größeren
Wohnraum. Durch die Horizontkammern zweier Fenster fällt künstliches
Tageslicht auf das Mobiliar. Ein Flügel, ein Schreibpult, ein Bett, eine
Sitzecke. Ein lederner Lehnsessel. Die Dielenbretter sind blank gescheuert.
Wieder ein Schrank vor eine Tür geschoben. Absperrungen aus Plexiglas
hindern den Eintretenden sich in die Tiefe des Raumes zu bewegen.
Hier also hat Franz Grillparzer gelebt. In diesem ledernen Lehnsessel
pflegte er, ein Buch am Schoß, in Lektüre vertieft, seine Besucher zu
empfangen, in ihm ist er auch gestorben. Grillparzer - dies verschweigen die
Zimmer, die eigentlich nur Ausschnitt eines größeren Wohnambientes sind -
hat nicht allein gelebt. Mit ihm lebten Katharina, Josepha und Anna Fröhlich
sowie die Haushälterin Susanna Kirsch und Katze. 1849 war der Dichter als
Untermieter Anna Fröhlichs in die Spiegelgasse 21 eingezogen und ist dort
bis zu seinem Tod geblieben. Die Fröhlich-Schwestern hatte Grillparzer schon
als junger Mann kennengelernt und stand mit ihnen auf sehr vertrautem Fuß.
Mit Katharina Fröhlich, die als Grillparzers "ewige Braut" in die
Literaturgeschichte eingegangen ist, hatte sich der Dichter 1821 verlobt,
sich dann aber nie dazu entschließen können sie zu heiraten. "Ich habe schon
deshalb nicht heiraten können, weil ich den Gedanken nicht ertragen hätte,
daß es einen Menschen gibt, der das Recht hat, wann immer es ihn beliebt, in
mein Zimmer zu kommen". Am 11. Jänner 1844 notiert er in seinem Tagebuch:
"*** hat mir heute [...] meinen kranken Fuß verbunden, ein Hemde geflickt
und einen Zahn ausgerissen. Letzterer war freilich schon wacklich."
Aus bürgerlichem, aber verarmten Hause stammend, waren die
Fröhlich-Schwestern früh darauf angewiesen, sich ihren Lebensunterhalt
selbst zu verdienen. Lediglich Barbara Fröhlich, die vierte Schwester, eine
Malerin, hat geheiratet. Musikalisch gut ausgebildet, künstlerisch begabt,
waren die Schwestern begehrte Musikerinnen und Musiklehrerinnen. Josepha
brach eine viel versprechende Bühnenkarriere ab. Sie gaben Konzerte,
fungierten als Vermittlerinnen. Das Fröhlichsche Haus war ein Mittelpunkt
der Wiener Musikkultur. Katharina, der eine große Begabung im
schauspielerischen Bereich nachgesagt wird, verzichtete, Grillparzer zu
Liebe, auf eine Karriere im öffentlichen Leben.
Eine eigenwillige Wohngemeinschaft, in der Grillparzer mit den Schwestern
lebte. Diese führten den Haushalt, übernahmen geschäftliche Angelegenheiten
und Botendienste für den Dichter. Sie waren seine Krankenwärterinnen, seine
Empfangsdamen. Gemeinsam wurde musiziert, Karten gespielt, gegessen. Als
Grillparzer 1863 im Römerbad stürzte und sich dabei verletzte, reisten Katti
und Peppi ihm nach, um ihn zu pflegen, während Anna in Wien die Stellung
hielt, den besorgten Wienern über den Zustand des Dichters Bericht
erstattete und mit ihren Schwestern diesbezüglich eine rege Korrespondenz
führte. Bereits zu Lebzeiten des Dichters sahen sie sich als dessen
Denkmalpflegerinnen. Doch auch er sorgte sich um die Frauen, unterstützte
sie immer wieder in beruflichen Angelegenheiten und hinterließ ihnen
schließlich seinen gesamten Nachlass.
Im Mai 1878 wandte sich Katharina Fröhlich, sie war damals achtundsiebzig
Jahre alt, mit dem Wunsch an den Bürgermeister von Wien, nach ihrem Tod die
gesamte in ihrer Hand liegende Erbschaft Grillparzers, also sämtliche
Handschriften, seine Handbibliothek, seine Briefschaften und Dokumente sowie
seinen gesamten Hausrat der Stadt Wien zu stiften. Sie knüpfte ihr Angebot
an die Bedingung, "daß dieser gesamte Nachlaß des Dichters ungetheilt in
einem entsprechenden Raume des neuen Rathauses, welcher den Namen
‚Grillparzerzimmer' führen möge, aufgestellt, verwahrt und der Besichtigung
der Besucher in entsprechender Weise zugänglich gemacht werde." Man begann,
vermutlich unter der Aufsicht der Schwestern, den Besitz Grillparzers zu
inventarisieren. 1884, nach dem Tod der der Schwestern, wurden die
Habseligkeiten Grillparzers im neu errichteten Rathaus deponiert. Über
Jahrzehnte waren sie im Rathaus in den so genannten Grillparzerzimmern
ausgestellt und bildeten später den Mittelpunkt dreier
Gedächtnisausstellungen. Während des Zweiten Weltkrieges ausgelagert, wurde
das Grillparzerzimmer 1960 rekonstruiert und originalgetreu im neuen Museum
der Stadt Wien am Karlsplatz aufgebaut. Als man 1900 das Haus in der
Spiegelgasse abriss, wurden die Wohnräume vermessen und gezeichnet.
Wandverkleidungen und Böden wurden abgetragen, inventarisiert und deponiert.
Bei der Rekonstruktion der Räume achtete man akribisch auf jedes noch so
kleine Detail. Sie sollten in jenem Zustand zu sehen sein, in dem sie sich
im Todesjahr des Dichters befanden. Bauliche Unregelmäßigkeiten wurden
nachgebildet, die Dielenbretter sollten in der richtigen Reihenfolge liegen,
Gebrauchsspuren, die man Grillparzer zuordnete, sollten gewahrt bleiben,
während die Lebensspuren der Schwestern aus der Erzählung gelöscht wurden.
Da und dort war während der Kriegsjahre manches verloren gegangen. Da das
Unternehmen aber keine Leerstellen zuließ, musste das eine oder andere
Versatzstück aus dem Wohnbereich der Hausgenossinnen herhalten und sich
unauffällig in den Gesamtkomplex fügen.
Der Ort ist als Gedenkstätte gedacht. Eng geknüpft an die Vorstellung von
einem Dichtergenie wird von der auratischen Aufladung seiner Gegenstände
ausgegangen. Es herrscht eine dichte bedeutungsgeladene Atmosphäre. Der
Blick soll nicht auf das konkrete Objekt gerichtet werden, sondern ein
diffuser Gesamteindruck soll den Betrachter überwältigen, in Andacht
versetzen. Das Ganze trägt kultische Züge. Dabei wird das Dichterleben
selbst zum Kunstwerk stilisiert. Das Ambiente muss in sich geschlossen,
lückenlos und stimmig sein. Dabei wird selektiv vorgegangen, es wird
ausgeschieden, ausgewählt, betont, gelöscht, der Vorgang der Selektion
selbst jedoch bleibt im Verborgenen. Es wird nach Übereinstimmungen gesucht
zwischen Lebenszeugnissen und Werk. Man sieht, dass "die Stuben ordentlich
gehalten wurden", sie sind "ein schönes Zeugnis für die Bedürfnislosigkeit
eines großen Geistes". Die Bibliothek des Dichters legt Zeugenschaft darüber
ab, "wie bald sich der Geschmack des Jünglings geläutert hatte". Die Bücher
sind "durchwegs sauber erhalten, frei von Randbemerkungen und
Verunstaltungen durch Unterstreichungen einzelner Stellen". Politische,
soziale und historische Kontexte müssen zu Gunsten des in sich geschlossenen
Gesamtbildes ausgeblendet werden, das Ambiente muss von Banalem und
Alltäglichen gereinigt sein. Heute wäre die Errichtung einer derartigen
Kultstätte undenkbar, würde doch die Konstruiertheit der Inszenierungen nur
zu offensichtlich. Die Inszenierung des Dichterbildes zeugt weniger vom
konkreten Leben des Künstlers als den Bedürfnissen einer Gesellschaft zum
Zeitpunkt der Inszenierung.
Diese Technik des bürgerlichen Erinnerns führt geradewegs zurück in die Zeit
Grillparzers. Erinnerungsstücke, Portraits, Freundschaftsgaben,
Reiseandenken zierten die Stuben des 18. und 19. Jahrhunderts und zeugten
von bürgerlicher Emanzipation sowie lebensgeschichtlicher
Selbstvergewisserung. Dichter, die dieses Lebensgefühl besonders
artikulierten, wurden im 19. Jahrhundert als Kultfiguren verehrt. Man
pilgerte zu Dichtergräbern, Dichtergeburts- und Sterbeorten, Kultstätten
also, die inzwischen auch den öffentlichen Raum besetzten, und sammelte
"Reliquien". Grillparzer begab sich 1826 auf eine - wenn auch ironisch
gebrochen - "echt katholische Reliquien - Andacht", will heißen, er reiste
nach Weimar, um der Enge des restaurativen Klimas in Wien zu entkommen, sich
durch die Begegnung mit Goethe neue schöpferische Kraft zu holen. Auf seiner
Reise besuchte er nicht nur die Literaten seiner Zeit, er suchte auch
"literarisch berühmt gewordene Örtlichkeiten" auf und besichtigte
diesbezügliche "Merkwürdigkeiten". In Berlin trieb es ihn in die
"Weinhandlung zu Lutter und Wegner, wo sonst der phantastische Hoffmann
seine Abende zubrachte." In Weimar beeindruckte ihn Schillers Wohnhaus, vor
allem ein in dessen Studierstube das Lesen lernender Knabe, den er sich,
umgeben von der auratischen Atmosphäre, als künftigen Schiller phantasierte.
Dass er Goethe nicht genug beeindruckt hat, um in dessen Schriften erwähnt
zu werden, beschäftigte ihn, hatte er so doch einen wichtigen Meilenstein
der imaginierten Dichterbiographie verfehlt.
Liest man Zeugnisse von Zeitgenossen, so kann man sich des Eindrucks nicht
erwehren, dass Grillparzer die von ihm bewohnten Räume als Teil seiner
Selbstinszenierung verstand. Grillparzer im Lehnstuhl, beinah immer lesend,
den Blick zur Tür gerichtet. Das Fenster kulissenhaft im Rücken, den
Schreibtisch im Blickfeld - bedeutungstragendes Zeichen in der eigenen
Lebenserzählung. Der biographischen Selbstsetzung bedarf es immer auch eines
Zuhörers. Eines Zuhörers, der die Zeichen richtig zu deuten weiß. In den
Fröhlich-Schwestern fand Grillparzer wohl auch ideale Komplizinnen in der
Fortschreibung des eigenen Lebens. Schon zu seinen Lebzeiten prägten die
Schwestern das Dichterbild. Sie bewirteten die Bewunderer und Gäste
Grillparzers und warteten ihnen im Nebenzimmer mit Anekdoten und
Charakterbeschreibungen auf. Wie mochte Katti wohl das Ende des Armen
Spielmann verstanden haben, in dem die imaginäre Geliebte des Künstlers dem
eben verstorbenen ein Denkmal setzt, "die Geige mit einer Art Symmetrie
geordnet neben dem Spiegel und einem Kruzifix gegenüber an der Wand"?
Dichtergedenkstätten wirken heute muffig, verstaubt, und das, obwohl sie in
einem permanenten Idealzustand gehalten werden. Sie harren aus wie jemand,
der Besuch erwartet und alles darauf richtet, das Zimmer genau in jenem
Zustand zu erhalten, in dem es sich den Blicken der Eintretenden
präsentieren soll. Eine Art Inszenierung, aber der Bewohner fehlt. Lediglich
die Putzfrau wird es hin und wieder entstauben, manchmal müssen Glühbirnen
ausgetauscht werden, damit das Tageslicht nicht verlischt. Das Bett ist seit
Jahren kalt. Die Dinge, alle funktionstüchtig, haben ihre Funktion verloren.
Es geht ihnen jedes Leben ab. Eifersüchtig wacht das Zimmer über seine
Geschlossenheit, schützt sich vor Eindringlingen von außen. Vor
Verschmutzung, vor Bewegung im Arrangement. Unmöglich einen Gegenstand zu
verschieben. Alles ist fixiert auf einen eingefrorenen Augenblick, ähnlich
einer Fotografie. Der Blick durch das Fenster ist blind, die Türen lassen
sich nicht öffnen. Die Lüsternheit durchs Guckloch zu blicken, in die
Privatheit eines fremden Lebens vor- und einzudringen, Neugierde und
Schaulust sind in der zeitlichen Distanz schal geworden. Was können wir
diesem Leben noch abringen? Wie mögen die Zeitgenossen Grillparzers das
Zimmer im Rathaus erlebt haben, als man die Dinge noch berühren durfte, die
Zeichen noch in Beziehung zu setzen wusste?
Die Fröhlich-Schwestern werden im Widerspruch zu den historischen Tatsachen
in der rekonstruierten Grillparzerwohnung nur beiläufig erwähnt. Im Rahmen
der Intervention "Männerwelten Frauenzimmer", einem Ausstellungsprojekt, in
dem die Dauerausstellung des Wien Museums von Roswitha Muttenthaler und
Regina Wonisch 2005 auf ihre verborgenen und sichtbaren Geschlechterdiskurse
hin befragt wurde, war auch die Grillparzerwohnung Gegenstand einer
diesbezüglichen Intervention. Die Fröhlich Schwestern, die abgesehen von
einem Verweis auf Katharina Fröhlich als Stifterin unsichtbar geblieben
waren, wurden zumindest vorübergehend wieder eingeführt. Dies geschah zum
einen mit Hilfe von Objekten der Fröhlich-Schwestern, die aus dem Depot
geholt wurden und sich in die geschlossene Objektwelt des Dichters mischten,
zum anderen durch zwei Klanginstallationen, die auf Textmontagen von Briefen
Grillparzers wie der Fröhlich-Schwestern basierten.
Die Problematik von Dichterzimmern liegt weniger in den Dichterzimmern
selbst als in der Behauptung von Authentizität. Tatsächlich haben wir es
stets, und zwar in jedem Museum, mit Konstrukten zu tun. Im zeitlichen
Abstand fällt das nur allzu schnell auf, insbesondere dadurch, dass solche
Räume häufig nur noch Langeweile auszulösen vermögen. Das gilt neben vielen
anderen Beispielen auch für das Christine Lavant-Zimmer, welches im Robert
Musil Literaturmuseum in Klagenfurt zu sehen ist (Siehe die beiden
Abbildungen). Da kann man nur sagen, sehr ordentlich. Mögen auch alle
Gegenstände original sein, so wie es dieses Zimmer behauptet, hat Christine
Lavant nicht gelebt. Wir haben es einzig mit Artefakten zu tun, die einer
Übersetzungsleistung bedürfen. Man muss sich mit Verwerfungen und Brüchen
beschäftigen, nicht zuletzt mit jenen der Präsentation.
Iris Kathan, 2010
Spiegelgasse 21 - 11'40"
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