LA 09 Franzensfeste
Die Reproduktionsabteilung




In der Fortpflanzungsmedizin kulminieren nahezu alle ethischen Probleme der Biotechnologie. Mit Hilfe der Präimplantationsdiagnostik lassen sich bestimmte genetisch bedingte Erkrankungen vermeiden. Aber man muss nur etwas weiterdenken, und schon werfen sich ganz andere Fragen auf. Man kann sich etwa fragen, welche Folgen die umfassende Medikalisierung eines von Experten nach ökonomischen Kriterien bewirtschafteten Lebens für die Gesellschaft wie den einzelnen Menschen hat. Aber wie lassen sich Laien zumindest einige der damit verbundenen ethischen Probleme vermitteln? In einer Ausstellung ist all das nur in einer Art Pillenform möglich. Bedauerlicherweise wurde manches von der zuständigen Verwaltungsbehörde gestrichen. Die Abtreibung durfte wie die Pränataldiagnostik mit ihren Spätaborten nicht thematisiert werden. Dies hat nicht zuletzt damit zu tun, dass die Reproduktionsmedizin dem Sexuellen zugeordnet wird. Eine Kollegin aus dem Museumsbereich meinte spöttisch, jetzt befänden wir uns in der „Erotikabteilung“. Was für ein Missverständnis! Die moderne Reproduktionsmedizin hat – wie bereits von den frühen Eugenikern gefordert – Fortpflanzung und Geschlechtsliebe endgültig entkoppelt. Sie hat die Gebärmutter, Ivan Illich sah dies sehr früh, in eine Art „pränataler Parkgarage“ verwandelt. Eine Kollegin beklagte, dass die Vasektomie unerwähnt geblieben sei. Fortpflanzung ginge doch Mann und Frau etwas an. Nun, der weibliche, nicht der männliche Körper bildet den Austragungsort der Reproduktionsmedizin. Soviel zur einen Seite. Die andere drängte sich durch die Festungsanlage selbst auf. Sieht man von einem Nebentrakt ab, in dem zeitweise Dirnen untergebracht gewesen sein sollen, war die Festung 160 Jahre lang einzig dem männlichen Geschlecht vorbehalten. Solche Orte haben ihre eigenen sexuellen Phantasien zur Folge. Bereits das Bauwerk mit seinen zahllosen Gewölben und Öffnungen ließe sich mühelos in der Metaphorik des Sexuellen deuten, als Phantasma männlichen Gebärens, mochte all das auch ins Sachliche, ins Maschinelle umgeleitet worden sein. Und wie in der Reproduktionsmedizin die Technik den Körper nicht nur rahmt, sondern auch zurichtet, so hat diese Festung, ich habe sie stets als Maschine gedacht, die Körper der sich darin bewegenden Männer nicht nur gerahmt, sondern auch zugerichtet, nicht viel anders als dies mit dem jungen Leutnant Giovanni Drogo in Dino Buzzatis Roman „Die Festung“ geschieht.

Die konzipierte Objektabfolge: Wachsmoulage, die Folgen einer Abtreibung mit Stricknadel zeigend; um 1900. Sammlung: Pathologisch anatomisches Bundesmuseum, Wien. Text. Präsentation: Flachvitrine / Quick, 4. November 1970, Cover: „100 Prozent Sicherheit für die Frau. Tatsachenbericht. Sexualmord in Deutschland“, Frauenmuseum Meran. Aktuelle Pillenpackung des Unternehmens Bayer Schering Pharma. Präsentation: Flachvitrine Fortsetzung / Heute gebräuchlicher Verhütungskoffer. Österreichische Gesellschaft für Familienplanung. Text. Präsentation: Flachvitrine Fortsetzung / Maria Winter, Abtreibung oder Verhütung der Schwangerschaft, o. A.; Ludwig Haberlandt, Die hormonale Sterilisierung des weiblichen Organismus, Jena 1931. Text. Präsentation: Flachvitrine Fortsetzung / Schlafzimmer aus den 1960er Jahren. Private Leihgabe. Text. Präsentation: freistehend. / Schwämmchen; historische Spritze, wie sie Lazzaro Spallanzani bei seinem Besamungsexperiment verwendet haben könnte. Sammlung: Pathologisch anatomisches Bundesmuseum, Wien. Text. Präsentation: Flachvitrine / Totgeburt, anencephale Missbildung, Hydrocephalus. Sammlung: Anatomisches Museum Innsbruck. Text. Präsentation: frei stehend auf Flachvitrine / „Die Entwickelung des Menschen vor der Geburt“, Leporello aus: Oskar Hoffmann u.a. (Hg.), Universum des Himmels, der Erde und des Menschen, Dresden-Radebeul und Leipzig 1910. Text. Präsentation: Flachvitrine Fortsetzung / „Kindstötung“, Illustration aus einer französischen Handschrift, 15. Jahrhundert. Text. Präsentation: Flachvitrine Fortsetzung / „Wickelkind“, Cartapesta, farbig gefasst, Glasaugen. Süditalien, Ende 18. Jahrhundert. Sammlung: H. Mayr. Text. Präsentation: Flachvitrine Fortsetzung / „Was gibt es Schöneres als anderen ein Kind zu schenken“, Folder. Hidden Museum in Zusammenarbeit mit dem Anderen Heimatmuseum, 2007. Text. Präsentation: Flachvitrine Fortsetzung / Serie von Mariendarstellungen. Entstehungszeit und Herkunft unbestimmt. Sammlung: Diözesanmuseum Hofburg Brixen. Text. Präsentation: hängend in großer Glasvitrine / Artavazd Pelechian: Das Leben, 1993, 7’, experimenteller Dokumentarfilm. Präsentation: Monitor vor Hockern in Nische.

Bernhard Kathan 2009


photo: bernhard kathan