Ist eine blinde LIPPENPRODUCTION. Idee &
Koordination: Günter Gstrein;
Text: Gisela Steinlechner.
Menschen kommen Ihnen auf einem Schneeweg
entgegen,
und ihnen ist bei Ihrem Anblick, als sähen sie den Unsichtbaren. (E.J.)
Auftauen und Verdauen
Die Bildfläche ist ein weißes Schneefeld und der
auf ihr Auftauchende ein Insasse, der seinen Ausgang nützt, um endgültig aus
allem Inwendigen und Eingesessenen zu verschwinden. Was dabei zum Vorschein
kommt, ist eine Figur, ein Fotomotiv, ein Andachtsbild, eine Schreibmetapher.
J.L.:
Höchste Fee! Der Tod im Schnee!
R.W.:
Passen Sie auf, wir geraten in wüstes Fahrwasser.
Wenn nämlich der Schnee schmilzt, würde die Figur dann
nicht auf die Bildfläche hinabsinken, gewissermaßen auf Grund gesetzt werden?
Vielleicht auch vom Fahrwasser auf dem Bildgrund hin- und hergeschoben
werden?
F.B.: -
Ja, und da wäre vermutlich eine Art Gehsteig, herausgehoben aus
seiner naturalistischen Umgebung, aus dem die Figuren sich herausbewegten,
als ob sie Fleisch entstiegen, und zwar Figuren, die, wenn möglich,
bestimmte Personen auf ihrem täglichen Rundgang darstellen.
Im Garten vor dem Museum (es ist nicht im Bild) ist eine
Figur aufgetaucht, ein Spaziergänger auf seinem täglichen Rundgang,
möglicherweise ist er auch schon wieder verschwunden. Stückchenweise, in den
Mägen verschiedener Vögel, sein Als-ob-Fleisch hat sich in ein Geschwader
fliegender Cassiber verwandelt. E.H.:
auch an die Vögel ist gedacht; die
in ihren Futterhäuschen das Futter für die Tage der Träume erhalten.
Aufnahme in den Wäldern, Fluren und Auen erhalten.
Während der Insasse in diesem
unwiderstehlichen
Bild angekommen ist, verschwindet er von den anderen Schauplätzen. In seinem
Zimmer (E.J.:
Hätte es mich nicht wittern müssen, zurückhalten, als ich in den Schnee hinauswollte?)
versinken die Gegenstände, mit denen er umgegangen ist. Ein Tisch, ein Stuhl,
eine Streichholzschachtel, ein Teller.
Man kann in das Futterhäuschen nicht hineingehen, nur
von außen hineinschauen (sich sattsehen).
Jemand fragt:
Wie lange wird es dauern, bis das Eis schmilzt?
Bis wieder Blicke getauscht werden?
Bis die Leiche freigegeben wird?
Wir haben Zeit, meine Liebe, mein Lieber.
E.H.:
Der Schnee kann auch mit Musikstimmung betrachtet
werden.
Inzwischen aber: Wer hat von meinem Tellerchen
gegessen?
Wer hat von den Flaschen aus meinem Gebinde genommen? Wo mich das Eis doch
noch gar nicht freigegeben hat. Wo ich doch erst aus meinem
eigenen Fleisch
herauswachsen wollte,
mit Melone und Regenschirm? (F.B.)
Sieht so aus, als würde er weniger, der
Spaziergänger.
Die Geflügelten verstehen sich aufs Abräumen und aufs Entkernen, in ihren
Kröpfchen verschwindet der ganze Christbaumschmuck, das herausgehängte
Innere.
E.J.: -
Soso, eine Göttin soll also für Sie
die Arbeit übernehmen und die rauhe Schale Ihres Äußeren endlich
durchstoßen? O je, sie ist ja ein wahrer Geier, pickt plötzlich nach der
gerösteten Leber auf Ihrem Teller!
Das Samenkorn ist die Anstalt, in der die
Blumenkinder zurückgezogen leben.
Stellvertreter, plastisch
Zum Beispiel die Vogelscheuche: eine der
menschlichen Erscheinung nachgebildete Schreckgestalt. Sie soll die zum
Fressen Gekommenen, aber nicht Geladenen, vertreiben. An ihren Platz gestellt
(gepflockt) vertritt sie den Feldwebel bei der Arbeit. Sein Körper ist durch
eine alte Hose und ein im Wind flatterndes Hemd vertreten. Das Knirschen und
Klappern loser Materialien vertritt seine Stimme,
Habt Acht!
raschelt es im Feld. Doch für wen findet das alles statt? Wessen Fantom ist die
Vogelscheuche?
Sehen die Vögel im Aufgestellten den Abwesenden? Oder
ist der für sie an einem Gestell aufgehängte
Schrecken nicht vielmehr
jener, der die Menschen anfällt, wenn sie sich in ihren verlassenen Hüllen
gegenübertreten. Nimmt doch die auf den ersten Blick erfaßte Leere unter der
baumelnden Kleidung unverzüglich und unweigerlich das fantasmatische Dunkel
des eigenen uneinsehbaren Körpers in sich auf.
M.M.:
I know quite well that back there is
only"darkness crammed with organs".
Da, wo bei der Vogelscheuche
nichts ist,
ist unser Landeplatz, dort sitzen wir unserem eigenen Bildnis auf.
Stellvertreter, verwandelt
Nichts flattert mehr an der Figur, die losen Hüllen sind ganz und gar in
einer kompakten Gestalt aufgegangen. Vögel nehmen auf
ihr Platz, angezogen vom Fett und den Körnern zerreißen sie das Bild. Sie
fressen sich satt am Augenscheinlichen, dem Futter. Wir befinden uns
im
Freien,nichts ist hier sicher. R.W.:
Man nennt das, glaube ich, Erde,
auf dem ich stehe. Ich glaube unsere Magd macht sich nicht viel aus mir. Über mir
dieser Himmel.
So greifen Sie doch zu! Machen Sie sich etwas aus der
Figur – ein Fotomotiv, einen Popanz, ein
memento-mori-Bild. Doch
passen Sie auf, wir geraten in ein Leichenbegängnis: hier das Denkmal des
Unbekannten Soldaten, dort das Bildnis eines Unbedankten Abtrünnigen oder das eines
Aussichherausgewachsenen Unsichtbaren. Man kann sie zurücktragen wie ein
Leergut, nur wohin? C.L.:
Ein Ei sehen behauptet sich nie in der
Gegenwart. ... Wenn man das Ei sieht, ist es schon zu spät: Gesehenes
Ei, verlorenes Ei.
Gesehen – Verloren – Gefunden: dafür müßte es
doch eine Stelle geben, ein Auffangbecken, das noch nicht übergelaufen ist
von Bedeutungen. Dort wollen wir ablegen, bitteschön. Den Hut, den Mantel, die
menschliche Gestalt. Eßbar, aber undurchschaubar.
Mitwirkende SprecherInnen:
Elfriede Jelinek:
er nicht als er. (zu, mit Robert Walser). Ein Stück. Frankfurt/M.
1988
Jürg Laederach: Roberts Wille. In: W.H.Gass/J.Laederach: Über
Robert Walser. Zwei Essays. Salzburg 1997.
(Die Metapher des Dichters,
der
auf eine Schneepapierfläche fällt und sie mit seinem Körper beschriftet, ist
unwiderstehlich. So hoch denke ich selber nie.)
Robert Walser in: Carl Seelig: Wanderungen mit Robert Walser. Frankfurt/M 1990
Francis Bacon, in: David Sylvester: Gespräche mit Francis
Bacon. München 1982.
(Ich hoffe Figuren machen zu können, die aus ihrem eigenen
Fleisch herauswachsen, mit Melone und Regenschirm, und ich hoffe, sie zu
Figuren zu machen, die so ergreifend sind wie eine Kreuzigung.)
Ernst Herbeck: Im Herbst da reiht der Feenwind. Gesammelte Texte. Salzburg 1992
Maurice Merleau-Ponty: The Prose of the World. 1973
Robert Walser: Felix-Szenen. In: Aus dem Bleistiftgebiet. Bd. 3. Frankfurt/M.
1992
Clarice Lispector: Das Ei und das Huhn. In: Die Nachahmung der Rose. Frankfurt/M. 1993