HERODES UND MARIAMNE



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Die Personen:
Herodes
Mariamne, eine seiner Ehefrauen

Weiters drei Zwergwüchsige:
Malichos, der Mundschenk
Pollio, der Kopfrichter
Sameas, der Schlafwächter

Herodes und seine von ihm ermordete Frau Mariamne begegnen sich nach ihrem Tod auf einer Bühne wieder, als lebende Tote, und zwar in dem körperlichen Zustand, in dem sich die beiden unmittelbar vor ihrem Tod befanden. Mariamne war 25, als sie erdrosselt wurde, jung und gesund, Herodes starb mit 69 Jahren, von heftigsten Schmerzen geplagt, erblindet, von Geschwüren zerfressen. Herodes ist mit einem Kittel bekleidet, wie sie in Pflegeheimen gebräuchlich sind, sitzt in einem Rollstuhl. Mariamne trägt einen kurzen Rock aus rotlackiertem Leder, grüne Strümpfe, sie können auch weiß sein, schwarze Stöckelschuhe, ein entsprechendes Oberteil, das ihre Brüste betont und sich vorne öffnen lässt; pralle Figur, rotgeschminkte Lippen, volles schwarzes Haar. Herodes' Rede ist die eines alten und gebrechlichen Mannes; er stammelt, spricht gepresst, mit einer Lispelstimme, manchmal zischend. Mariamnes Rede dagegen ist kraftvoll, wütend, manchmal auch sinnierend. Die Bühne ist nur im Zentrum kegelförmig von einem kalten Licht ausgeleuchtet. Eine weiße Wasserkonsole mit kleinem Becken ist zu sehen. Die Konsole ist zu hoch, um von einem Rollstuhlfahrer erreicht zu werden. Ein Stuhl steht auf der Bühne.

Aus dem Dunkel ist Stöhnen und Fluchen zu hören. Ein alter Mann auf einem Rollstuhl wird sichtbar, der sich mühsam ins Zentrum der Bühne bewegt.

Herodes: "Wasser! Wasser! Meine Eingeweide brennen! ... Verflucht sei Gott, verflucht sei die Welt ... Malichos! ... Ma - ri - am - ne! ... Wasser ... Ma - ri - am - ne ... Wasser ... In welch verfluchtes Loch bin ich nur geraten!"

Auftritt Mariamne.

Mariamne vom Rande des Lichtkegels her: "Du hast mich gerufen? ..."
Sie tritt näher: "So sieht man sich wieder ... du bist alt geworden, du stöhnst, siehst schlecht aus, als würdest du gleich sterben ... Wie sitzt es sich in deinem Königsstuhl? Wo blieb die Krone, wo dein Diadem?"
Herodes: "Mariamne, Wasser. Meine Eingeweide brennen. Nur ein Glas Wasser ..."
Mariamne: "Kein Wasser vermag deinen Durst zu stillen."
Herodes: "Wasser ..."
Mariamne: "Soll ich nun auch noch deine Dienerin spielen? Du warst doch stets von Dienern umgeben, die dir jeden Wunsch vom Mund ablasen."
Herodes: "Wasser ..."
Mariamne: "Ruf doch Malichos, den Zwergwüchsigen, deinen Mundschenk, den du verschneiden ließt, um ihn ganz gefügsam zu machen!"
Herodes: "Er überlebte die peinliche Befragung nicht."
Mariamne: "Dann Pollio, den du besonders liebtest, dem du, plagten dich Schmerzen, Arme und Beine, selbst deinen Kopf anvertrautest."
Herodes: "Wasser ..."
Mariamne: "Also auch er?"
Herodes: "Er verriet mich!"
Mariamne: "Wie hätt er dich verraten können?"
Herodes: "Er wagte zu sagen, es sei ein Fehler gewesen, dich zu töten ..."
Mariamne: "Dann ruf doch Sameas. Hat er nicht deine Polster gerichtet, wachte er nachts nicht neben deinem Lager, selbst dann, lagst du über mir ...?"
Herodes: "Tot, tot, tot."

Mariamne geht zur Konsole, lässt Wasser in einen bereitstehenden Becher rinnen, trinkt, Herodes zugewandt, der sich ihr mühsam nähert.
Mariamne: "Du hast mich auch früher gerufen. Wann immer ein Verlangen dich überkam. War dein Verlangen gestillt, hatt ich wieder zu verschwinden. Riefst du mich nicht, war mir der Zutritt zu deinen Gemächern untersagt ..."
Herodes: "Wasser! ... Wasser ..."
Mariamne: "Du wagst es, mich um Wasser zu bitten!"
Herodes: "Nur dich hab ich geliebt ..."
Mariamne: "Eine seltsame Liebe nenn ich das. Elf Jahre war ich, als man mich mit dir verlobte. Aus dem Nichts kamst du, brauchtest eine aus dem Königsgeschlecht, die letzte Makkabäerin." Herodes: "Du hast mich doch geliebt ..."

Mariamne lacht auf: "Mag sein. Und wenn, so wars nur eine kurze Zeit. Ich war noch jung, in Liebesdingen unerfahren. Du hattest eine stattliche Figur, wusstest aufzutreten. Anfangs gab es Nächte, da wartete ich auf dich, genoss es, lag ich in deinen Armen, gabst du dich nicht mit Knaben ab. Ich ließ mich blenden. Du hast mich nur allzu schnell eines Besseren belehrt."
Herodes: "Über unsere leidenschaftliche Liebe wurde manches Buch geschrieben."

Mariamne: "Dass ich nicht lache. Dichter schreiben, um das Publikum zu unterhalten. Deine Liebe sei von Tag zu Tag heftiger in dir entbrannt. Nie habe ein Mann eine Frau so geliebt. Aber ich, ja ich, ich hätt dich nach Weiberart von oben herab behandelt, hätt dich meine schlechte Laune fühlen lassen, mich freimütiger benommen, als es einer Frau geziemt. Du aber, ja du, nun in einem lächerlichen Gefährt sitzend, hättst mich geduldig ertragen, ungeachtet der mir eingebornen Streitsucht, seist all meinen Wünschen nachgekommen, mehr noch, du habest mich überhäuft mit Zeichen deiner Liebe, mich, an Schönheit und Würde im Auftreten mit keiner Frau der Zeit vergleichbar. Meiner Schroffheit wegen hättst du nicht nur andre, sondern auch dich selbst gequält. Deshalb sei ich mitschuldig an den von dir begangnen Verbrechen ... Liebe! Was für ein Wort! Man sollt es streichen und durch Tod ersetzen."
Herodes: "Du willst mich töten?"
Mariamne: "Ich bin nicht von deiner Wesensart, muss nicht, um mir der Liebe gewiss zu sein, töten, was ich liebe."
Herodes: "Du liebst mich also noch?"
Mariamne: "Wie könnt ichs nach all dem, was du in mir erstickt! Nicht nur in mir. Wozu dich töten? Welchen Sinn hätts, einen Sterbenden zu töten? Nein, du bist kein Sterbender. Du bist tot. Tote kann man nicht töten. Auch ich bin tot, du kannst mich nicht noch einmal töten."
Herodes: "Nicht ich hab dich getötet."
Mariamne: "Du hast mich nicht getötet. Du ließt mich nur erdrosseln. Doch schon vordem raubtest du mir jeden Atem."
Herodes: "Mariamne ..."
Mariamne: "Du blickst ins Leere, siehst mich nicht, bist blind."
Herodes: "Wie eine Wand hängt die Nacht vor meinen Augen. Ich fiel in die Dunkelheit, in die Finsternis, in die schwarze Watte. Vor meinen Augen immer nur Dunkelheit und Dunkelheit. Nur noch Schatten, wie in der Totenwelt."
Mariamne: "Wir sind in der Totenwelt."
Herodes: "Dunkel ists um mich. Aber ich hörs. Es sind noch andre da. Ich hör Räuspern, hör, wie Leute sich auf Sesseln drehn. Ich seh zwar nur noch Schatten, aber mein Gehör ist besser als je zuvor."
Mariamne: "Es sind die Toten, die uns zusehn. Sie sitzen im Dunkeln. (Nach kurzem Innehalten) Erinnerst du dich an Aristobul ...?"
Herodes: "Unter den deinen trug mancher den Namen Aristobul ..."
Mariamne: "... sie alle fielen deiner Machtgier zum Opfer."
Herodes: "Denkst du an deinen Bruder oder an deinen Sohn?"
Mariamne: "Ich denk an Aristobul, meinen Bruder ..."
Herodes: "... den ich auf dein Bitten hin zum Hohen Priester machte ..."
Mariamne: "... um ihn dann bei der ersten Gelegenheit, die sich dir bot, aus dem Weg zu räumen. Während ich im Kindbett lag. Nach dem Laubhüttenfest. Es dämmerte bereits. Hast ihm an den Fischteichen, die bei der Hitze angenehme Kühlung gewährten, freundlich zugeredet, sich unter die Badenden zu mischen, wohl wissend, dass es seinen Tod bedeuten würde. Unter dem trügerischen Schein scherzhaften Treibens wurde er untergetaucht und nicht eher losgelassen, als er ertränkt war. Es war kein entstellter Traum. Aristobul trieb leblos auf dem Wasser des Fischteichs. Er wurde an Land gezogen. Da war kein Atem mehr in ihm. Kein Einatmen mehr und auch kein Ausatmen. Trotz seiner Jugend hast du ihn nicht geschont."
Herodes: "Es war ein Unfall."
Mariamne: "An Unfällen war dein Leben reich."
Herodes: "Wasser ... Mariamne, reich mir Wasser. Ich bitte dich ..."
Mariamne: "Ließt keinen Arzt rufen. Tot sei tot, meintest du. Tote würden nicht wieder lebendig. Ließt es nicht zu, seinen Kopf auf die Seite zu drehen, damit das Wasser aus ihm rinne, seinen Mund vom Schlamm zu befreien. Keiner wagte es, ihm wieder Atem einzuhauchen, sei es mit dem Mund oder durch kräftige Bewegungen der Arme. Tot sei tot. Ließt ihn rasch in die Burg bringen, wohl aus Angst, es könnt sich noch Leben in ihm regen."
Herodes: "... Wasser ..."
Mariamne: "Wasser, das in Aristobuls Lungen drang. Selbst dieses Wasser vermöchte deinen Durst nicht zu stillen."
Herodes: "Aristobul hat sterben müssen. Wenn solch ein Bruder selbst aufs Töten sinnt, dann gilt es dem zuvorzukommen."
Mariamne: "Aristobul war arglos, ein Knabe noch, dem zugewiesnen Amt noch nicht gewachsen. Gewiss dacht er nicht an deinen Tod."
Herodes: "Mag sein. Selbst wenns so gewesen wär, Aristobul selbst arglos, so droht er doch zur Waffe in den Händen meiner Gegner zu werden. Und diese Waffe musst ich zerbrechen, ehe sie mir gefährlich wurde."
Mariamne: "Vom Tisch in den Fischteich, aus dem Wasser ins Grab. Das Volk hat Aristobul geliebt. Du ertrugst es nicht."
Herodes: "Ich hätt mir einen solchen Sohn gewünscht. Er hatte alle Vorzüge. Klug war er, wenn auch das Kindliche noch nicht ganz abgestreift. Hab ich nicht nach seinem Tod den Knaben, den du mir gebarst, nach ihm benannt? Aristobul war aber nicht mein Sohn. Hätt ich ihn nicht töten lassen, früher oder später hätt er gegen mich aufbegehrt, der letzte deines Geschlechts."
Mariamne: "... vom Fischteich ins Grab."
Herodes: "Leicht fiels mir nicht."
Mariamne: "Auch Alexander und sein Bruder Aristobul, meine Söhne, es waren auch deine Söhne, mussten sterben."
Herodes: "... mussten sterben."
Mariamne: "Wie der greise Hyrkan, mein Großvater, der lange schützend seine Hand über dich hielt, der vor Gericht, als du wegen eines todeswürdigen Verbrechens angeklagt warst, dich aus der Lebensgefahr errettet hat, der ohne Stock nicht mehr zu gehen vermochte, Hyrkan, dem du bei Versammlungen und Gastmahlen den ersten Platz einräumtest, den du deinen Vater nanntest, wohl um ihn hinterlistig zu täuschen, ihn, in dessen Schuld du standst, dessen Milde bekannt war und der sich mit Staatsgeschäften nicht gern befasste, ihn, dem man die Ohren abschnitt. Ein Versehrter kann nicht der Hohe Priester sein."
Herodes: "Nicht ich wars, der seine Ohren abschneiden ließ!"
Mariamne: "Und doch kams dir sehr gelegen."
Herodes: "Auch er wurde mir zur Bedrohung."
Mariamne: "Ein all seiner Ämter beraubter Greis? Er hatte das achtzigste Lebensjahr bereits überschritten. Nicht weil er die Hand nach der Krone ausgestreckt hat, sondern weil sie ihm gebührt hätt, hast du ihn hinrichten lassen. Wer wurde dir nicht gefährlich? Ohne Hyrkan wärst du ein Nichts geblieben, bestenfalls ein Vermögender."
Herodes: "Meine Macht verdankte sich nicht Hyrkan. Gott hielt schützend seine Hand über mich. Die Decke des Speisezimmers stürzte in dem Augenblick ein, als ich die Tafel aufgehoben hatte und in mein Schlafgemach trat. Und so war es oft. Hielt man mich nicht für einen Liebling Gottes?"
Mariamne: "Gott! ... ach ... Es war wie so oft ein Zufall."
Herodes: "Und als ein Speer, der mich tödlich hätte treffen können, nur meine Lippen berührte?"
Mariamne: "Ein bedauerlicher Zufall."
Herodes: "Hyrkan schrieb an den Araberfürsten und bat ihn um sicheres Geleit für deine Mutter. Sie wollte fliehen."
Mariamne: "Das versteh ich wohl. Nicht Hyrkan hat dich verraten. Er wurde verraten, und zwar an dich. Du kanntest den Inhalt des Briefes, noch ehe der Araberfürst ihn erhielt. Der Bote, dem Hyrkan traute, überbrachte das Antwortschreiben nicht ihm, sondern dir. Deine Gunst schlug höher bei ihm an. Du wähntest überall Verrat, dabei wurden meist andere verraten, an dich. Und wie so oft fiel auch der, der Hyrkan verriet, dir zum Opfer."
Herodes: "Wer andre verrät, so musst ich denken, wird auch mich verraten. Es war nicht immer so. Einer, der mir einen Anschlag verriet, wurde auf offner Straße von der Menge in Stücke gerissen und Hunden zum Fraß vorgeworfen. Keiner wollts gewesen sein, keiner wollts gesehen haben. Den Leib einiger Weiber mit siedend heißem Blei beträufelt und schon kams ans Licht, wer die Tat ersonnen, wer sie ausgeführt."
Mariamne: "Die ließt du dann mit dem Tod bestrafen, schontest auch ihre Frauen und Kinder nicht. Stets fühltest du dich verfolgt, dabei warst du es, der verfolgte."
Herodes: "Wasser ..."
Mariamne: "Liebling Gottes!? Wärst dus, es würd dich nicht dürsten."
Herodes schweigt.
Mariamne: "Hält man dich hier gefangen? Kommst du nie raus? Nicht durch den Mund, durch die Nase atmen, durch die Nase, dann ists dir leichter. Durch die Nase atmen! (Mariamne wendet sich ab, bewegt sich im Bühnenraum, deutet mit Armen und Händen Atembewegungen an) Atem ist Leben. Einatmen - ausatmen, empfangen - geben. Dringt Schlamm in den Mund ... in die Kehle, den Sitz der Seele ... Ich atme ein, den modrigen Geruch der Fischteiche, das von Hyrkan vergossne Blut, salzige Tränen, all das Böse. Ich atme aus, den Geruch der Fischteiche, was mir geschah."
Kurze Stille.
Mariamne wieder an Herodes gewandt: "Deinen Bittgang hab ich nicht vergessen. Du musstest Abbitte leisten vor Marc Anton, dem Römer, des Frevels wegen, den du an Aristobul begingst. Deine Liebe hast du glänzend mir bewiesen, als du damals den Befehl gabst, mich zu töten, solltest du umkommen, gesetzt den Fall, dass ichs nicht selber täte. Du hättst es als Schmach empfunden, mich in den Armen eines andern zu wissen, gar in jenen des Marc Anton. Legtest bereit das blau gefärbte, golddurchwirkte Band, gefertigt aus Wolle schönster Schafe."
Herodes: "Eine Liebe, die das Leben höher als den Geliebten schätzt, war mir ein Nichts!"
Mariamne: "Ich sollt dir nacheilen in jene Sphäre, wo man ist und nicht mehr ist, als letzten Hauch zum letzten Hauch mich mischen, damit du auch im Jenseits ein Entzücken fändest." Herodes: "Zwei Menschen, die sich lieben, können einander gar nicht überleben, und wenn ich selbst auf fernem Schlachtfeld fiele: Man brauchte dirs durch Boten nicht zu melden, du fühltest es sogleich, wie es geschehn, und stürbest ohne Wunde mit an meiner! So dacht ich."
Mariamne: "Und doch hast den Henker hinter mich gestellt."
Herodes: "Ich musst an alles denken."
Mariamne: "An ein Wiedersehn nach dem Tod glaubtest du nicht. Nach dem Tode höre alles auf, so sprachst du. Ich sollt sterben, ob freiwillig oder durch des Henkers Hand, als Opfertier. Du wolltest mich tot sehen. Hätt ich mir selbst den Tod gegeben ... Mehr unterwerfen kann sich eine nicht, als sich selbst entleiben. ... Du kamst zurück, wurdest nicht getötet, ganz im Gegenteil, Marc Anton hat dich mit Ehren überhäuft."
Herodes: "Ich kam zurück. An wen hab ich mich zuerst gewandt? An dich. Dir wollt ich als dem mir teuersten Menschen vom glücklichen Ausgang meiner Reise berichten. Aber in deinem Gesicht war Abscheu, nicht Freude zu lesen. Du seufztest laut auf, zeigtest unverhohlen Ekel, als du mich wiedersahst."
Mariamne. "Wie hätt ich anders können! Heftig war dein Zorn. Aber nicht mich, meinen Bewacher Joseph ließt du töten, den Gatten deiner Schwester, deinen Schwager. Weil er mir deinen geheimen Auftrag verriet."
Herodes: "Befehle müssen befolgt werden, vor allem von jenen, die man ins Vertrauen gezogen hat. Ich musste ihn hinrichten lassen."
Mariamne: "Wie schlecht du doch die Menschen kanntest. Joseph war dir treu ergeben und befolgte genau, was du ihm wiest. Nur von deiner großen Liebe sprach er zu mir. Da ich oft genug meine Zweifel äußerte, sprach er aus, was du ihm auftrugst, dass du ohne mich nicht leben könnest und auch im Tod nicht von mir getrennt sein wollest. So wär dir dein Tod nur halb so bitter. Joseph verriet das Geheimnis, nicht in böser Absicht, sondern um mir deine Liebe zu beweisen. Wie hätt ich da nicht an deine grausame Gesinnung, an Aristobuls schmachvolles Ende denken sollen, in großer Sorge sein, was du mir, solltest du zurückkehren, antun würdest. Wärst du umgekommen, Joseph hätt deinen Befehl befolgt. Er hätt mich erdrosseln lassen. So treu war er dir ergeben."
Herodes: "Du hast ihn verführt."
Mariamne: "Das Bettlager fand sich nur in deinem Kopf. Nur in deinem Kopf küsst ich einen andern."
Herodes: "Joseph hat im Traum von dir gesprochen. Fuhr er aus dem Schlummer auf, nannt er ängstlich deinen Namen. Dass er dich liebte, war offenbar."
Mariamne: "So erzählte es dir Salome, und du hast ihr geglaubt."
Herodes: "Du hast dich Joseph hingegeben."
Mariamne: "Hätt ichs doch getan! Hätt ich doch verbotnen Umgang gepflegt! Nicht mit Joseph, wohl aber mit einem deiner Wächter. Unter ihnen fand sich manch hübscher Bursche. Es waren nicht nur Verschnittne. Vielleicht hätt mir einer zur Flucht verholfen."
Herodes: "Du lügst!"
Mariamne: "Wozu sollte ich heute noch lügen? Du hast keine Macht mehr über mich. Wenn einer verbotnen Umgang gepflegt hat, dann du. Hätt das Gericht das an mich, um mich gelegte Maß auf dich angewandt, tausend Tode hättest sterben müssen."
Herodes: "Du hofftest, man werde mich in Ketten legen und mit dem Tod bestrafen."
Mariamne: "Ich hatte allen Grund dazu. Ja, ich hoffte, du kämst um."
Herodes: "Und doch gebarst du mir noch drei weitere Kinder."
Mariamne: "Kypros, Salampsio und Archelaos. Nicht weil ich dich liebte, sondern weil du mich nahmst. Kaum war eins der Kinder geboren, schwoll mein Bauch schon wieder an ..."
Herodes: "Habe ich dir nicht immer wieder meine Liebe versichert und deine Gegenliebe zu entflammen versucht?"
Mariamne: "Hätt Marc Anton dich töten lassen, er hätt mir deinen abgeschlagnen Kopf geschickt. Freiwillig wär ich dir nicht nachgefolgt. Wozu auch? Nanntest mich Königin, hieltst mich aber wie eine Gefangene ... Joseph hätt mich mit seinem Schwert durchbohrt. Nein, erdrosselt hätt er mich. Mit dem blauen, golddurchwirkten Band. Dann hätt man mich mit dir bestattet, mit deinem Kopf, mit deinem Kopf. Das wär doch nun ein merkwürdges Wiedersehn gewesen: ich und du, ich und dein bluttriefender Kopf, der mich aus einer Schüssel anstarrte und zu mir spräche. Womöglich hätte man deinen abgeschlagnen Kopf zwischen meine Beine gelegt."
Herodes: "Wahr ists, ich ging zu weit. Aber hättest du mich geliebt, du hättest mir verziehn. Wär deine Liebe groß genug gewesen, mir alles zu verzeihn, was ich aus Liebe getan ..."
Mariamne: "Nach meines Bruders jähem Tod beschenktest du mich jeden Tag so reich, als hieltest neu um meine Hand an. Nicht anders wars nach Hyrkans Tod."
Herodes: "Galts dich zu ehren, war mir nichts zu kostbar."
Mariamne: "Die Perlen waren weiß und rein, das Gold glänzte. Und doch klebte Blut daran. Nun seh ichs erst. Was du mir schenktest, kostete manches Leben."
Herodes: "Aus Liebe tat ichs."
Mariamne: "Liebe, was für ein Wort aus deinem Mund. Zu erinnerlich sind mir deine Anfälle von Tobsucht. Du gerietst in heftigen Zorn, vermochtest deine Wut kaum zu bezwingen. Oft genug aus nichtigsten Gründen, meist aus rasender Eifersucht."
Herodes: "Ließ aber stets von meinem Zorn ab. Hab ich mich nicht oft genug für meine Heftigkeit entschuldigt? Brachen wir nicht in Schluchzen aus und hast du mich nicht innig umarmt?"
Mariamne: "Wie hätt ich dich innig umarmen können, den Mörder meines Bruders? Die Schwester lieben und den Bruder töten, das konnt nicht zusammengehn."
Herodes: "Oft genug warfst dus mir vor. Es schnitt mir ins Herz."
Mariamne: "Ich sagts auch, um dir ins Herz zu schneiden, um dir Aristobuls Tod stets ins Gedächtnis zu rufen. Sprach ich offen, stießt du mich weg von dir, rauftest dir dein Haar. Verfielst du in Zorn, und das war oft der Fall, sprangst du auf vom Lager, ranntest hin und her, deine Augen quollen aus ihren Höhlen und deine Adern an den Schläfen schwollen, laut schriest du auf, nun hätte ich den klaren Beweis geliefert. Den Beweis für was? Einmal für dies, dann für das, dich betrogen oder heimtückisch deine Ermordung geplant zu haben. Was für ein Vergnügen wärs mir doch, könnt ich dich noch einmal so toben sehn. Jetzt, da du mir ungefährlich geworden, keine Macht mehr über mich hast, schaffst dus nicht. An Kraft fehlts dir. Nicht nur an Kraft, auch an Dienerschaft."
Herodes drückt wiederholt auf einen Alarmknopf. Aus der Ferne ist ein schriller Alarmton zu hören: rrrt ... rrrt ... rrrt
Mariamne: "Kümmert sich niemand um dich?"
Herodes drückt den Alarmknopf. Aus dem Off: rrrrt ... rrrrt ... rrrrt ...
Mariamne: "Muss doch jemanden geben, wurdest doch gekleidet und in dieses seltsame Gefährt gesetzt. ... Nein, da ist niemand. Niemand kümmert sich um dich. Da ist kein Mensch. Wir sind allein. ... Wär doch schön, dich nun, ganz allein auf dich gestellt, auf dich allein gehockt müsste es heißen, schreiend und mit den Armen fuchtelnd den Henker rufen sehn. Es trät kein Henker ein!"
Herodes: "Bat ich dich nicht oft genug, mir zu verzeihn?"
Mariamne: "Fielst du vor mir auf die Knie, um meine Hände mit Küssen zu bedecken, dann wusst ich, so wirds nicht bleiben. Schon bald wirst du wieder nach dem Henker rufen. Ich kann dir nicht verzeihn. Mir tust du nicht leid."
Herodes: "Aber unrecht tust du mir."
Mariamne geht an den Bühnenrand, zum Publikum gewandt: "Kann man jemandem unrecht tun, der über Leben und Tod entschied, der keine Mühe damit hatte, mehr noch, der solches seiner Allmacht wegen brauchte? Kann man Gott unrecht tun? Nein, man kann ihn lieben oder hassen, unrecht kann man ihm nicht tun. (Wieder zu Herodes gewandt) Stets lebte ich im Wissen, dass du mich allzeit, und sei es einer Laune wegen, töten kannst."
Herodes: "Du ließts mich deutlich spüren. Es hat mein Begehren nur noch mehr geweckt."
Mariamne: "Dich das wissen zu lassen, war meine Macht, meine einzge Macht. Konnt nicht jeder Tag mein letzter sein? Ich war mir dessen stets bewusst, selbst dann, lag ich bei dir. Nahmst du mich, so konnt ich mir die zugedachte Todesart ausmalen. (Ans Publikum gewandt:) Wird er mich, so fragt ich mich, während einer seiner Tobsuchtsanfälle mit dem Messer töten? Unmöglich schiens mir nicht. Wird er mich, im Glauben, ich könnt ihm gefährlich werden, dem Henker überantworten, nach heftigstem Gebrüll? Natürlich dacht ich an das blaue, golddurchwirkte Band, daran, im Schlaf überrascht, niedergedrückt und erdrosselt zu werden. Nach dem Gesetz unserer Väter, dessen war ich mir sicher, wird er mich nicht richten lassen, auch nicht wegen Ehebruchs von der Menge steinigen lassen vor dem Scherbentor. ... (Wieder an Herodes:) Zu gut kannte ich dich. Es wird im Verborgnen geschehn, dessen war ich mir gewiss. Dass du mich vergiften würdest, das braucht ich nicht zu fürchten. Bis zum Schluss trank ich aus jedem Becher, den du mir reichtest."
Herodes: "Du dachtest an Gift."
Mariamne: "Hätt ich dich erstechen sollen, dir gar den Kopf abschlagen, wies manche hofften?"
Herodes: "Davor hatt ich keine Angst."
Mariamne: "Gift hast du mehr gefürchtet als den offnen Kampf, einen Anschlag seitens jener, die dich umgaben, dir nahe standen. Du glaubtest, selbst dein Bruder und deine Söhne hätten dich vergiften wollen."
Herodes: "Du wolltest mich vergiften. Wurdest auf frischer Tat ertappt."
Mariamne: "Auf frischer Tat?"
Herodes: "Einen Liebesstrank sollt Malichos, mein Mundschenk, mir reichen, mit Gift darin. Malichos sprachs. Du habest ihn beschenkt und beredet, mir den Becher zu reichen."
Mariamne: "Anders als sonst üblich, hießt du weder mich noch Malichos oder einen deiner Sklaven aus dem Becher trinken. War Gift darin?"
Herodes: "Ich war mir sicher."
Mariamne: "Du warst dir sicher, wie so oft."
Herodes: "Ich war mir sicher."
Mariamne: "Zweifel kanntest du nicht."
Herodes: "Es war ein Gifttrank."
Mariamne: "Es war Gift darin, das Gift deiner Schwester Salome. Dir den Becher zu bringen, sie trugs ihm auf, nicht ich."
Herodes: "War der Verschnittne nicht dein geheimster Vertrauter?"
Mariamne: "Malichos, dir ganz ergeben?"
Herodes: "Nur ihm war bekannt, was du auszuführen gedachtest."
Mariamne: "Wär ers gewesen, nicht von sich aus hätt er dir vom Gift gesprochen."
Herodes: "Peinlich ließ ich ihn befragen."
Mariamne: "Armer Malichos! Allein die Vorstellung tut mir weh. Und was kam ans Licht? Nicht das Geringste kam ans Licht, so furchtbar du ihn auch quälen ließt. Er wusst nur zu sagen, mein Hass auf dich gründe in jenem Geheimnis, das Joseph mir anvertraut. Du erhobst ein gewaltges Geschrei, riefst aus, Joseph würde niemals deinen Auftrag verraten haben, hätt ich mich ihm nicht hingegeben. Von Gift war nicht die Rede."
Herodes: "Auch andre sahens als erwiesen."
Mariamne: "Du hieltst Gericht über mich, zogst einige deiner Freunde bei, alle standen sie in deiner Gunst, erhobst höchst erregt Anklage gegen mich wegen des Gift- und Liebestranks. Ich durft mich nicht äußern, nicht einmal zugegen sein. Es war nicht einer vorgesehn, der für mich sprach. Rasch wart ihr euch einig."
Herodes: "Deine Mordabsicht ließ sich nicht bezweifeln."
Mariamne: "Du hättests besser wissen müssen. Ich erinnere mich noch gut, wie Malichos mit dem Trank eintrat. Es war um die Mittagszeit. Du hattest dich eben zur Ruhe gelegt. Und wie so oft überfiel dich dein Liebeshunger. Du riefst nach mir. Ich trat in dein Gemach, weigerte mich aber, bei dir zu ruhn, antwortete auf dein Begehren wie oft zuvor mit Schmähungen, warf dir vor, was du Hyrkan angetan, legte dir meines Bruders Tod zur Last, schrie dich an, wie könnt ich lieben den, der meinen Tod geplant. Hätt ich dich vergiften wollen, ich hätt das Lager mit dir geteilt, freudig, ganz im Wissen, nun seis das letzte Mal. Die heftgen Vorwürfe, die ich dir damals machte, passen nicht zu einem Liebestrank."
Herodes: "Wurd mir nicht oft nach dem Leben getrachtet?"
Mariamne: "Mit Gift?!"
Herodes: "Mit Gift."
Mariamne: "Viel seltner, als dus glaubtest. Und unter jenen, dies versuchten, dachten die wenigsten an den Thron, nur an ein Ende deiner Schreckensherrschaft. Manche von ihnen waren dumm genug, offen davon zu prahlen. So fiels nicht schwer, die Verschwörung aufzudecken."
Herodes: "Sie bekanntens freimütig, wohl wissend, dass sie unter Qualen sterben würden."
Mariamne: "Einmal unter ihnen auch ein alter Blinder, den du nicht zu fürchten brauchtest."
Herodes: "Aber da auch er ein Messer vorwies, war er des Todes."
Mariamne: "Von diesen hat nicht einer an Gift gedacht. Sie wollten dich bluten, dich verbluten, dich in deiner Schwäche sehn. Sie hassten dich. Gerne hätten sie gesehen, wie schmutzige Hunde, die durch die Gassen streunen, dein Blut auflecken."
Herodes: "An Gift dachten die, die mich umgaben, denen meine Liebe galt. Auch du suchtest mich zu vergiften. Tot umfallen sollt ich, mich in Krämpfen winden. (Herodes krümmt sich, dreht sich auf diese, dann auf jene Seite.) Wasser ... Wasser ..."
Mariamne: "Du glaubst wohl, ich würde dir Wasser reichen. (Mariamne hält kurz inne, wendet sich ab, geht zur Konsole, füllt einen Becher, kehrt zu Herodes zurück und reicht ihm den Becher.) Wasser ist jetzt nicht mehr, was es mir früher einmal war. Mags auch Blumen tränken und alle Welt erquicken, mich schauderts, seits den Bruder mir verschlang. Du aber trink, trink doch ..."
Herodes greift zuerst ins Leere, dann gelingt es ihm, den Becher zu fassen. Er trinkt begierig.
Mariamne schrill: "Es ist Gift darin."
Herodes verschüttet das Wasser. Der Becher fällt ihm aus der Hand.
Mariamne: "Hättst den Liebestrank trinken sollen, dann würd dich heut nicht dürsten. Von den Zehenspitzen wär die Kälte aufgestiegen, langsam. Wärst müde geworden, ganz schwer. Sanft wärst du entschlafen."
Herodes: "Also doch Gift!"
Mariamne: "Es war Gift im Becher. Gewiss. Nur wars nicht von mir. Deine Schwester hat es beigemischt."
Herodes: "Salome, nie hätt sies getan."
Mariamne: "Salome in ihrer Schlangennatur, die ihre Bosheit selbst dann nicht zu verbergen vermochte, gab sie sich freundlich. Sie wusste, dass du nicht aus dem Becher trinken würdest. Sie wollte mich, nicht dich treffen. In meinem Blut wollt sie dich baden sehn. Sonst würdest du niemals wieder rein! Ließ sie dich nicht durch Malichos warnen? Mocht auch alles dafür sprechen, dass sies war, nicht über sie, über mich hieltst du Gericht. All die, die du zu Rate zogst, stimmten deinem Urteil zu."
Herodes: "Auf Drängen der Salome hin, die du oft genug mit Spott und Hohn bedacht."
Mariamne: "Und doch warsts du, der die Entscheidung traf."

Aus dem Off sind Schritte zu hören, Schritte mehrerer, die sich nähern, laut anschwellen, dann abklingen und sich in der Ferne verlieren.
Herodes horcht: "Vom Tempel klingt es her."
Mariamne: "Nein, es sind die Toten."

Herodes nach längerem Schweigen: "Ich verstands wohl bald. Es war zu spät. Warum kann der Mensch nur töten, Tote aber nicht erwecken. Er sollte beides können ..."
Mariamne: "... oder keins!"
Herodes: "Du warst tot. Heftig war mein Schmerz und noch heftiger als früher entbrannte mein Verlangen nach dir. Ich rief deinen Namen, als wärst du noch am Leben, beweinte dich klagend, suchte durch Vergnügungen aller Art, durch Gastmahle und Trinkgelage meinen Schmerz zu ersticken, befahl meinen Dienern, dich beim Namen zu rufen, als ob du noch lebtest und es hören könntest. Thron und Krone hätt ich hingegeben, wär wieder Leben in dir erwacht. Wärs möglich gewesen, ich hätt mich selbst ins Grab gelegt, um dich aus dem deinen zu erlösen. Mit eignen Händen, so dacht ich mir, grübe ich mich ein."
Mariamne: "Ich sollt im Tod dir folgen, du mir nicht."
Herodes: "Eine Seuche brach aus und raffte nicht nur das niedre Volk, sondern auch manche meiner Freunde hin. Es hieß damals, dies sei Gottes Strafe für das an dir begangne Unrecht. Ich zog mich von all meinen Geschäften zurück."
Mariamne: "So hatt mein Tod doch etwas Gutes. Wenigstens für kurze Zeit wurde dem Morden Einhalt geboten."
Herodes: "Es trieb mich in die Wüste hinaus. Ich hoffte, die Jagd würde mich ablenken, mich meine Trauer vergessen lassen. Aber nach wenigen Tagen befiel mich eine schwere Krankheit, eine schmerzhafte Entzündung des Hinterkopfs."
Mariamne: "Hoffst du heut noch auf mein Mitgefühl? Nein, recht geschahs dir. Du tust mir nicht leid und hättest mir damals auch nicht leidgetan. Das Eitergeschwür an deinem Hinterkopf wollt nicht zur vollen Blüte kommen. Lange konntest du noch wüten."
Herodes: "Von Tag zu Tag gings mir schlechter. Die Ärzte gaben alle Hoffnung auf."
Mariamne: "Du hattest deinen Hofdichter. Dir genehm bog er die Welt zurecht, dir, dem Emporkömmling, dichtete er eine Geschichte an, nach der Gott dich gesandt habe, um der Juden König zu sein. Ihn ließt du auch von deiner Liebe schreiben. Nach meinem Tod hättest du dich in deiner brennenden Liebe verzehrt, hättest angeordnet, meinen Körper, meinen leblosen Körper in Honig zu legen, um seine Schönheit zu bewahren ... So wolltest dus sehn. Dass ich dich geliebt hätte, hat er nicht erwähnt, wohl aber all die Klagen, die ich dir an den Kopf warf. Dass ich mich geweigert hätt, bei dir zu ruhn."
Herodes: "In Samaria lag ich krank darnieder, dort, wo ich dich zur Frau nahm."
Mariamne: "So kenn ich dich. Stets suchtest du gewisse Orte auf, galt es, dich mit deinem Unglück zu versöhnen. Jedes Unglück hatte seinen festen Platz. Nur Menschen kanntest du nicht." Herodes: "Samaria. Erinnerst du dich? Der Krieg war noch nicht entschieden, Jerusalem fest in Antigonos' Hand."
Mariamne: "In erinnre mich an das Getös im Heerlager. Das Mahl war üppig. Du scheutest keinen Aufwand."
Herodes: "Ich gab mir alle Mühe."
Mariamne: "Aus gutem Grund. Du warst nicht des Volkes, du warst der Römer König. Um Jerusalem zu unterwerfen, brauchtest du eine aus königlichem Geschlecht. Dein Heer hatte sich bereits gesammelt. Nur kurz teilten wir das Lager. Schon gabst du Befehl zum Aufbruch. Du dachtest an einen andern Brautkranz. Nicht mich, Jerusalem wolltest du nehmen. Eindringen. Tief eindringen. Du drangst dann auch tief ein. Da floss mehr Blut als damals, als du mich das erste Mal nahmst."
Herodes: "Mag sein, aber ich liebte dich."
Mariamne: "Fast meint ich, du würdest 'Wasser' rufen."
Herodes: "Ich hab lang um dich getrauert. Unter all meinen Frauen ..."
Mariamne: "... es waren viele ..."
Herodes: "... habe ich nur dich geliebt. Nur du rangst mir Achtung ab. Nur dich habe ich begehrt ... Wasser ..."
Mariamne: "Was für eine Genugtuung, dich dürsten zu sehen, einen Toten, der um Wasser bittet, aber über keine Macht mehr verfügt. All die dir Dienstbaren haben sich in Luft aufgelöst. In Luft. (Herodes drückt wiederholt den Alarmknopf. Der Alarmton ist zu hören.) Nicht eine alte Dienerin steht dir zu Gebote. Du hättest weniger Paläste bauen, stattdessen nach dem Wasser des Lebens suchen sollen. Das Wasser des Lebens, das sind die andern. Andre kanntest du nicht"
Herodes bewegt sich mühsam auf Mariamne zu.
Mariamne: "Komm mir nicht zu nah, dein eitriger Gestank ist mir unerträglich."
Herodes: "Mich dürstet ..."
Mariamne: "Hättest Malichos, deinen Mundschenk, nicht ermorden sollen. Vielleicht stünde er nun neben dir und reichte dir den Becher, wie ers oft tat, dir ganz ergeben. (Hält kurz inne.) Dein Misstrauen war unersättlich. Was immer ich tat oder sprach, fiels nur etwas aus der Ordnung, wurde dir berichtet. Unerträglich war mir deine argwöhnische Bewachung."
Herodes: "Mein Misstrauen war wohlbegründet. Ließ deine Mutter nicht, um eure Schönheit zu preisen, Bildnisse von dir und deinem Bruder nach Alexandria schicken, um Aristobul die Königswürde zu verschaffen? Ließ sie nicht, um mit Aristobul nach Ägypten zu entkommen, zwei Särge anfertigen? Ich ließ sie, bestens unterrichtet, lange gewähren. Groß war mein Vergnügen, als ich die Särge, während sie nachts hinausgetragen wurden, öffnen ließ."
Mariamne: "Lebend Begrabene können nur in Särgen Reisen unternehmen."
Herodes: "Es war Verrat."
Mariamne: "Aristobul hat dich nicht verraten. Er wollt dir entkommen, fliehn. Er fürchtete um sein Leben. Als du die beiden Särge öffnen ließt, gabst du dich großzügig und milde, gewährtest Verzeihung. Dabei wars nur ein Aufschub. Du suchtest nach einer günstigern Gelegenheit. Nicht der geringste Verdacht sollt auf dich fallen. Vom Tisch ins Bad, vom Bad ins Grab. Ließt ihn ersticken in den Fischteichen."
Herodes: "Verrat, Verrat, Verrat!"
Mariamne: "Ich konnt dich nicht verraten. Nichts hast du mir anvertraut, nicht ein Geheimnis, nicht einen deiner vielen Ränke. Du bist mir fremd geblieben. Es gab keine Zweisamkeit. Streng dich nur an. Krümme dich vor Schmerz, dreh deine Runden. Ich glaub es nicht, aber es heißt, Bewegung halte den Menschen gesund. Während unserer kurzen Bekanntschaft, wirklich Gemahlin war ich dir nie, hast du mir Reglosigkeit auferlegt, mich in Gefangenschaft gehalten, abgesehen, ja abgesehen, schien es dir dienlich, mich aus der Requisitenkammer zu holen, wenn es galt, mich zu diesem oder jenem Anlass als königliche Gemahlin auftreten zu lassen, als Beiwerk oder Zierrat, als lebende Bestätigung deiner Herrschaft, als Gemahlin aus königlichem Geschlecht, wobei das Geschlecht wörtlich zu nehmen ist, sollten doch daraus deine Nachfahren entspringen, was weitere Bewegungen zur Folge hatte, die du mir zubilligtest, das Auf- und Abschwellen meines Leibes, all die Wehen, die ich zu erdulden hatte. ... Ich konnte dich nicht verraten."
Herodes: "Das Volk hing an dir, setzte all seine Hoffnung in dich ..."
Mariamne: "... zumal ich mäßigend auf dich einsprach, manche in Schutz nahm ..."
Herodes: "Sie wollten dich an meiner statt sehen ..."
Mariamne: "Ich hab nicht danach gestrebt ..."
Herodes: "Doch, das hast du. Deine Mutter dachte an Aristobul und als jener weg war, setzte sie auf dich. Sie ließ michs ständig wissen."
Mariamne: "Aber du warst dir sicher, dass ich dir nie gefährlich würd. So gut kanntest du mich."
Herodes: "Ich musste Klarheit schaffen. Das Volk sah in dir die Königin ..."
Mariamne: "Kaum warst du dir Cäsars Gunst sicher, ließt du mich töten. Brauchtest nur einen Vorwand ... Du sprichst von Liebe ... Dachtest an Geld ... Was immer ich besaß, das fiel mit meinem Tod an dich. Auch das, was Aristobul, Hyrkan und meine Mutter besaßen, das ganze Vermögen der Hasmonäer."
Herodes: "Es gibt kein herrenloses Gut."
Mariamne: "Ein Räuber warst du, kein König. Ein Dieb! Ein gemeiner Dieb. Tratst ins Haus nicht durch die Vordertüre. Stiegst nachts durch ein Fenster ein ..."
Herodes: "Was redest du?"

Herodes bewegt sich in seinem Rollstuhl mühsam einige Meter, starrt ins Leere.

Mariamne: "Du zeterst um dein Leben, als lebtest du noch. Du bist tot. Toter als tot, das gibt es nicht. Bist kein lebendig Begrabner, nicht gleichzusetzen mit jenen, die du zu solchen machtest. Du bist tot. Du müsstest mit dem Tod auf vertrauterem Fuß stehen, zählte es doch zu deinem Tun, Tag für Tag Leben auszulöschen, ob schuldig oder nicht."
Herodes: "Es hat mir kein Vergnügen bereitet."
Mariamne: "Wollt ich dir glauben, so wars dir auferlegt als große Bürde. So schwer scheint mir diese Bürde nicht gewesen zu sein. Es berührte dich nichts."
Herodes: "Dein Tod hat mich tief getroffen."
Mariamne: "So als hättst ihn selbst erlitten. Solches ist von vielen, dies so hielten wie du, überliefert. Keiner von ihnen verstand die Wut, die sich dann entlud, wurden sie in Fesseln gelegt und hingerichtet. Von einem solchen Schicksal bliebst du verschont. Aber angesichts deines nahen Endes verfielst du in ein ähnliches Jammern. Immer nur an andre hättst du gedacht, alles zum Bessern wenden wollen, ach, welch große Bürden man dir aufgebürdet habe. Dabei drehte sich alles immer nur um dich."
Herodes drückt mehrfach die Klingel, die aus dem Hintergrund zu hören ist, dann Schritte mehrerer, die einen Gang entlang gehen, hallende Schritte.
Herodes: "Ich hörs, es sind noch andre da. Sie werden mir zu trinken geben."
Die Schritte klingen ab, verlieren sich in der Ferne.
Mariamne: "Sie könnens nicht. Es sind die Schritte jener, die du in Fesseln legtest."
Herodes: "... Wasser ..."

Mariamne: "Hätten Voltaire und andere sich genauer mit dir befasst, mit deiner innern Mechanik, die dein ganzes Tun bestimmte, deine Arme und Beine in Bewegung setzte, deinen Mund, um diesen oder jenen Befehl zu erteilen, diesen oder jenen hinrichten zu lassen, sie hätten sehen müssen, dass du keine Mühe hattest, ohne mich zu leben. Ich könnt auf deinem Grab Hochzeit halten, so dachtest du. Du hieltst auf meinem Grab Hochzeit! Noch bevor du mich erdrosseln ließt, hattest du einen Ersatz für mich gefunden, nahmst dir, von sinnlicher Lust getrieben, eine andre Mariamne, zwar nicht aus königlichem Geschlecht, aber doch aus einer priesterlichen Familie stammend. Mein Tod fiel in eins mit eurer Vermählung. Um dieser Verbindung Gewicht zu verleihen, machtest du ihren Vater zum Hohen Priester. Das nennst du Liebe. Du wirst immer noch von Darmkrämpfen geplagt. Leid tust du mir nicht."
Herodes ringt nach Luft wie ein Erstickender.
Herodes: "Ich verstieß sie später."
Mariamne: "Ihrer niedern Herkunft wegen brauchtest du sie nicht zu töten."
Herodes: "Ich hab sie nicht geliebt. Sie kam mir nur gelegen ..."
Mariamne: "... gelegen! Es kam dir gelegen ..."
Herodes: "Wie sehr ich dich geliebt, schmerzlich wurds mir bewusst nach deinem Tod."
Mariamne: "... nachdem du mich morden ließt."
Herodes: "Ließ ich nicht einen Berg aufschütten, in Sichtweise von Jerusalem, deiner Brust nachgebildet? Tausende Sklaven waren nötig. Jahrelang trugen sie Steine und Erdreich herbei. Das Unterfangen, ganz dir geschuldet, verschlang mehr Gold und Silber als der neue Tempel. Deine Brust, ich hab sie noch deutlich vor Augen ..."
Mariamne: "Willst du mich zum Narren halten?"
Herodes: "Deine Brustwarze ließ ich als Palast gestalten, oben aufgesetzt."
Mariamne: "Nur eine deiner vielen Zwingburgen, die du übers ganze Land ausstreutest. Eine Festung unter vielen. Nicht äußern Feinden galten sie, du musstest dich vor deinen Untertanen schützen. In den Kellern Verliese, in denen Gefangene, dir Missliebige verhört, gefoltert und getötet wurden, während du dich wenige Stockwerke darüber deinem Vergnügen hingabst. Auch mich ließt du mich in eine solche Festung sperren, mich und meine Mutter, nicht unsrer Sicherheit wegen. Soweit mein Auge reichte, es war nur ödes Land zu sehn, Gebirgszüge mit tief abfallenden Schluchten. Aus den Verliesen waren Schreie von Gefolterten zu hören. Jerusalem mit seinen Türmen war nicht zu sehn."
Herodes: "Und doch hab ich nur an dich gedacht, als ich den Berg aufschütten und oben den Palast errichten ließ, an dich und deine Brust."
Mariamne: "Gewiss nicht an meine verschwendete Milch, nicht an das Blut, das ich im Kindbett verlor. Kypros, deine bösartige Mutter, die Weberin, die du zur Königsmutter machtest, die Zwietracht zwischen uns gesät, gabs dir ein. Die Erhebung, von der du sagst, sie sei meiner Brust nachempfunden, hast du sie je wirklich gefühlt, liegt genau an jener Stelle, an der während eurer Flucht der Wagen umstürzte, in dem die Weberin saß, deine Mutter. Du dachtest damals dran, dich selbst zu töten, um nicht in die Hände deiner Feinde zu fallen ..."
Herodes: "An dieser Stelle wurden wir von unseren Verfolgern eingeholt, von Kampferprobten des Antigonos, Bruder deines Vaters."
Mariamne: "Ich erinnre mich, war mit im Tross. Ein Kind noch. Deine Sorge galt mir damals nicht. Nicht mir galt dein Berg. Er galt den Brüsten deiner Mutter. Dort, in dürrer und unfruchtbarer Landschaft, ließt du dein Grabmal errichten. Zurück in den Schoß der Mutter. Du wirst es wissen, und doch sprech ichs aus. Geplündert wurde dein Grab. Nichts ist geblieben, spurlos verschwunden der Sarkophag, das mit Edelsteinen besetzte Paradebett aus Gold, die bunt bestickte purpurne Decke, das um deine Leiche gelegte Purpurgewand, das Königsdiadem und die goldne Krone, das in deine Rechte gelegte goldne Zepter. Es fand sich nicht ein einziges Knöchelchen, und sei es das Endglied eines kleinen Zehs. Du konntest keine Ruhe finden. Dein Grab musste geschändet, deine Knochen und all die Kostbarkeiten, in die du dich betten ließt, mussten in alle Winde zerstreut werden. Warst selbst ein Grabräuber. Nicht einer allgemeinen Not, sondern deiner Prachtsucht wegen hast du das Königsgrab geplündert, in dem die Gebeine Salomons und Davids lagen, raubtest die kostbaren Geräte, die man ihnen beigab."
Herodes: "Zwei meiner Leibwächter kamen um. Eine Feuerflamme schlug ihnen entgegen."
Mariamne: "Dein Grab ließ sich leichter plündern. Keine Feuerflamme schlug da entgegen, kein Gott hielt schützend seine Hand über dich. Du nanntest dich nur 'König', warst aber keiner, tatst nur so."
Herodes: "Wo blieb dein Grab?"
Mariamne: "Da gabs nichts zu plündern. Auch graben Archäologen nicht so tief. Und täten sies, die vielen Knochen ließen sich nicht scheiden."
Herodes: "Nur dich hab ich begehrt ..."
Mariamne: "Du nahmst dir doch jede Frau, die dir gefiel ... Wäre ich nicht dem königlichen Geschlecht entstammt, nie hättest du dich mit mir vermählt. Du hättest mich einfach genommen und ich wär namenlos geblieben wie viele andre. Du sprichst von Liebe. Doch mit jeder Frau, die du dir zur Gattin nahmst, machtest du nur deine Herrschaftsansprüche geltend, über all die Parteiungen. Ich, eine aus königlichem Geschlecht. Mariamne, die an meine Stelle trat, aus priesterlicher Familie. Malthake, eine Samariterin. Vier Griechinnen, zwei Anverwandte, beide Idumäerinnen. Als du an Königswürde noch nicht zu denken wagtest, da genügt dir Doris, die Tochter eines Geldwechslers. Kaum nahmst du mich zur Frau, da verstießt du sie."
Herodes: "Ich verstieß sie deinetwegen."
Mariamne: "Und hießt sie später wieder zurückkehren mit ihrem missratnen Sohn, deinem Erstgebornen."

Mariamne schiebt Herodes an den Bühnenrand, so nah, dass er in seinem Rollstuhl herunterzustürzen droht.
Mariamne an das Publikum gewandt: "Die Macht, die er einst besessen, man sieht sie ihm nicht an. Oder doch. Nicht zufällig ringt er nach Luft. Er ist an der eignen Macht erstickt. (Herodes schwer atmend.) Fühlte sich ständig bedroht. Gemetzel, in Auftrag gegebne Morde, heimtückische Morde, Gerichtsverfahren, einmal nach römischem Recht, dann nach dem Gesetz unserer Väter. Oft genug wusst ers zu richten, dass die, die ihn hassten, die Freveltat begingen."
Herodes dagegen redend: "Schone niemanden! Denn sie hassen dich alle und hoffen auf deinen Tod. Und böt sich ihnen eine Gelegenheit, sie fielen über dich her. Wozu sich Gedanken machen, obs ihnen gefällt oder nicht. Sollen sie doch reden was sie wollen. Achte einzig auf deine Sicherheit. Traue niemandem. Nur so wirst du ihrer Herr sein. Nur so werden sie dich ehren. Machst dus anders, wirst du Opfer eines Anschlags und ein schmachvolles Ende finden. Kein Mensch lässt sich gern regieren. Nur solange er in Angst lebt, macht er dem Stärkern den Hof, fasst er hingegen Mut, dann rächt er sich am Schwächern."
Mariamne: " Durch Glück und Gewalt nach oben geschwemmt, ein Neureicher, der wie alle Neureichen schlechten Geschmack und Prachtsucht mit Stil und Adel verwechselte. Was die Schönheit eines Bauwerks betrifft: Nicht auf Größe, nicht auf verschwenderisches Gehabe, sondern auf Augenmaß kommt es an. In kaum einer der Wandelhallen, die er sich errichten ließ, hielt er sich länger auf. Und hätt er, sagen wir einmal, zweihundert oder dreihundert Jahre gelebt, er hätt noch zahllose weitere Wandelhallen errichten lassen. Das ganze Land wär zu einer Zwingburg geworden, voller Wandelhallen, Badeanlagen und Verliese. Um ein Volk zu nähren, braucht es Flächen, auf denen Rinder und Schafe weiden, Äcker und Gärten. Um ein Volk glücklich zu sehn, Räume, in denen sich atmen lässt." (Zu Herodes gewandt:) "Du hast nichts gelernt."
Herodes: "Es lässt sich länger leben, kommt man jenen zuvor, die einem gefährlich werden könnten."
Mariamne: "... ja, du hast ein beachtliches Alter erreicht. Sieh dich doch an! Was ist aus dir geworden?"

Herodes ringt nach Atem, windet sich, droht aus dem Rollstuhl zu fallen.
Mariamne: "Tust mir nicht leid. Ließt nicht nur mich ersticken. Nun weißt du, wie es ist, wenn einem die Luft wegbleibt. Durch die Nase atmen, dann ists dir leichter. Keine Angst! Du wirst nicht ersticken. Ach, könntest dus nur. Aber nein, du bleibst in deiner Atemnot gefangen, wirst ewig spüren, wies mir war ... Der letzte Hauch bleibt dir verwehrt. Ein Schuldiger kann sich nicht einfach aus dem Leben stehlen. Bist du ganz allein? Ich dacht immer, du fändest dich in großer Gesellschaft, zwischen andern, die röcheln und nach Atem ringen, oder aber sich am Boden winden, deren Blut nicht versiegen will, mögen sie ihre Todesangst herausschreien oder still und stumpf am Boden kauern, wie kleine Kinder heulen, die nicht wissen, was ihnen geschieht, es aber besser wissen müssten, haben sie doch wie du ein solches Hinscheiden selbst an andern oft genug betrieben. Doch ich seh dich allein, ganz allein."

Aus der Ferne sind Bläser zu hören. Leise heben sie an, zuerst fast unmerklich, dann die unterschiedlichen Stimmen deutlich vernehmbar. Mehr rezitierender und drohender Klagegesang als Trauermarsch.
Herodes: "Horch! Was hör ich da?"
Mariamne: "Es sind die Stimmen jener, die du gemordet."
Herodes: "Nein, vom Tempel klingt es her ..."
Mariamne: "Lang gibts schon keinen Tempel mehr ... Er fiel in sich zusammen wie all das, was du gebaut, wie ein Kartenhaus, darunter viele Knochen. Wos einst blühte, wachsen Disteln nun."
Herodes: "Vom Tempel tönt es her ..."
Mariamne laut: "Aus dir schreits ..."
Herodes: "Ich ertrags nicht. Es schmerzt in meinen Ohren!"
Herodes hält sich die Ohren zu. Die Musik schwillt kurz laut an, bricht dann aber abrupt ab.
Stille.

Mariamne: "Bald nach meinem Tod ließt meine Mutter töten, Jahre später meine Söhne Alexander und Aristobul. Waren auch deine Söhne. Wie mich ließt du sie erdrosseln ..."
Herodes: "Ganz schlugen sie dir nach. Es war dein Blut."
Mariamne: "Nicht das Blut wars. In meine Arme legt ich meine Kinder. Mein Atem teilt sich ihnen mit."
Herodes: "In Rom ließ ich sie erziehen."
Mariamne: "Sie wurden gute Reiter und Bogenschützen, kundig wurden sie im römschen Recht. Doch nie vergaßen sie meinen Atem, auch nicht, dass du mich ihnen entrisst."
Herodes: "Deinen Hass gegen mich haben sie aufgesogen, hast ihnen deinen Hass eingepflanzt."
Mariamne: "Alexander schries dir an den Kopf, was du an mir verbrochen. Als du ihn in Ketten legtest, bezichtigte er sich selbst, leugnete nicht den ihm zur Last gelegten Anschlag. Man müsse ihn nicht foltern. Er gestehe alles, bedeut es auch seinen Tod. Er habe dich ermorden wollen, dich, seinen Vater, mit Gift. Trotz aller Verhöre und Nachforschungen, das Gift fand sich nie. Er bezichtigte sich sogar, verbotnen Umgang mit deiner Schwester Salome gepflegt zu haben, mit einer Frau, die um vieles älter war. Salome sei in der Nacht zu ihm gekommen und hab ihn gezwungen, ihr beizuwohnen. Bezichtigte die besten deiner Freunde, Teil der Verschwörung zu sein. Gab an, das Sehnen des Volks liefe darauf hinaus, dich aus dem Weg zu räumen, um von deiner Schreckensherrschaft befreit zu sein. Er übertrieb nur, was du hören wolltest, damit dus verstündest. Beschämen wollt er dich."
Herodes verzweifelt: "Es war ein Geständnis."
Mariamne: "Willkürlich zusammengefügt aus dem, was jene sprachen, die man streckte, denen man Eisen ins Fleisch stieß, deren Haut man mit Fackeln versengte. Auf bloßen Verdacht hin ließt du gefangen nehmen, so zwei deiner Leibwächter, die du ihrer Körperstärke und ihres schlanken Wuchses wegen lang in Ehren hieltst, nur deshalb, weil sie mit Alexander ausritten, was seit langem ihre Aufgabe war. Mit kleinen Geschenken hatte er sie bedacht. Zeichen seines Dankes. Wären sie doch nie mit ihm ausgeritten! Hätten sie doch seine Geschenke zurückgewiesen! Lange hielten sie der Folter stand, gaben aber endlich an, Alexander habe sie bereden wollen, dich auf der Jagd zu töten. Leicht könne man glaubhaft machen, du seist vom Pferd gestürzt, es wär nicht das erste Mal gewesen, du seist unglücklich gefallen und dein eigner Jagdspieß habe dich durchbohrt. Da die beiden mehrere Namen nannten, wurden auch die Genannten der Folter unterworfen, die ihrerseits unter Qualen wieder andere nannten ... Und so gings in einem fort."
Herodes: "Ich wollt die Wahrheit wissen."
Mariamne: "Selbst Schuldlose gestehen Verbrechen, die sie nicht begangen haben, nur um sich etwas Ruhe zu verschaffen und Atem zu holen ... sie erfinden sogar Verbrechen, die mit dem Tod bestraft werden, ist ihnen doch ein rascher Tod lieber als ein Todeskampf, der nicht enden will. ... Du wagst es, von Wahrheit zu sprechen! ... Deine Wahrheit war Verstellung. Nur verstellt kam sie einher. Ludst du einen zu Tisch und lobtest ihn vor allen, dann musste er um sein Leben fürchten. Auch der, den du in ein hohes Amt hobst. Und sprachst du eine böse Absicht gegen jemanden aus, so kams als Scherz daher. Alle sollten lachen ... Und sie lachten, sei es, weil es einen andern traf, sei es aus Furcht vor dir. Auch jener lachte, dem es galt. Wie hätt er anders können, zumal du ihn an dich drücktest wie einen besten Freund. Was hieß es schon, sagtest du einem, er sei dir Bruder?"

Auftritt Malichos. Bewegt sich räderschlagend auf die Bühne. Bleibt zwischen Herodes und Mariamne stehen, betrachtet Herodes, wendet sich von ihm ab und Mariamne zu.
Herodes: "Was hör ich?"
Mariamne wendet sich um: "Malichos! Du hier?"
Malichos nickt.
Mariamne: "Kamst du seinetwegen?"
Malichos schüttelt verneinend den Kopf, spricht nicht, schlägt sich mehrfach mit der flachen Hand auf den Mund.
Herodes: "Malichos? ... mein Mundschenk?"
Mariamne: "Ja, Malichos, dein Mundschenk. Er ist gekommen. Du kannst ihn nicht sehn. Er kann dir kein Wasser reichen. Würds auch nie tun, so ers könnt."
Herodes: "Malichos ...?"
Mariamne: "Kann nicht sprechen. Ließt ihm siedendes Pech in den Mund gießen. Was hätt er schon gestehen können? Nichts, was er selbst gemacht, nur das, was er gesehn oder gehört. Sein zerschlagnes Gesicht schmerzte dich nicht."
Herodes: "Malichos ..."
Mariamne: "Malichos. Komm zu mir ... Ich bitte dich."
Mariamne setzt sich auf den Stuhl. Malichos nähert sich ihr. Mariamne fasst nach seinen Schultern, zieht ihn an sich, liebkost ihn. Malichos setzt sich auf Mariamnes Schoß, schlägt seine Arme um ihren Hals.
Kurze Stille.
Mariamne zu Malichos: "Es war um die Mittagszeit, als du mit dem Becher eintratst. Sprachst zu ihm, wies dir Salome auftrug ..."
Wieder an Herodes gewandt: "Ich hab noch nicht zu Ende gesprochen. Du wagst es, von Wahrheit zu sprechen?"

Herodes: "Alexander wollt mich während der Jagd heimtückisch ums Leben bringen."
Mariamne: "Du gingst nicht mehr zur Jagd, warst in vorgerücktem Alter. Im Pferdestall fand sich nicht vergraben das angegebne Gold."
Herodes: "Wohl aber königliche Jagdspieße, zum hinterhältgen Anschlag gedacht."
Mariamne: "Es gab nicht wenige davon. Auch standen sie neben deinen Söhnen auch andren zur Verfügung."
Herodes: "Und der Brief, in dem vom Anschlag die Rede war?"
Mariamne: "Briefe lassen sich fälschen. Wie wars denn? Gefälschte Briefe galten als Wahrheit, wahre Briefe als Fälschungen."
Herodes: "Auch den, der der Fälschung bezichtigt, ließ ich einem strengen Verhör unterziehen."
Mariamne: "Wie hätt ers auch gestehen können. Er fürchtete um sein Leben, sagte, was du hören wolltst. Nur halfs ihm nicht. Ihn wie alle andren, die unter der Folter gegen Alexander und seinen Bruder zeugten, ließt du vorführen und von der Menge steinigen. Dich hätt man auf die Folter spannen sollen. Nur so wär die Wahrheit ans Licht gekommen. Anders sprächst du heut."
Herodes: "Hab ich nicht gezögert, obwohls keinen Zweifel mehr geben konnt, dass sie sich gegen ihren Vater verschworen?"
Mariamne: "Nur um deine Wut noch mehr zu steigern, die letzte Regung eines Mitgefühls zu ersticken. Warst ganz außer dir, schriest und brülltest wie ein wildgewordnes Tier, warfst deine Hände in die Höh, stampftest mit den Beinen, balltest die Fäuste, ließt die Augen rollen, warfst dich zu Boden, sprangst wieder auf. In deinem Zorn kanntest du kein Maß, dünktest dich erhaben über Recht und Gerechtigkeit."
Malichos bringt mit seinen Händen, mit seinem ganzen Körper das Gesprochene zum Ausdruck.
Mariamne: "Den Beisitzern ward nicht gestattet, in Zweifel zu ziehn, was dir sicher schien. Die beiden hätten deinen Tod geplant. Wie sich doch alles wiederholte, als hätt mans Schmieden überantwortet, die einen Spieß nach dem andern hämmern, ohne hinzusehn, weils ihnen eingegeben ist. So wie du dein Urteil über mich fälltest, so verbotst du auch Alexander, seine Sache zu vertreten. Sein bloßer Anblick hätt bei andern Mitgefühl erweckt, und wär ihm das Wort erteilt worden, leicht hätt er deine Anklage zu entkräften gewusst."
Herodes: "Ich musst ein Ende setzen."
Mariamne: "Von einem geplanten Verbrechen stand in den Schriftstücken nichts zu lesen, nur davon, wie sie dir entkommen könnten. Von Flucht war die Rede. Aus all dem meintest du eine Verschwörung herauszulesen."
Herodes: "... Schmähungen, die mir galten."
Mariamne: "Du empfandests als Schmähungen, dabei warens treffliche Beschreibungen deiner selbst. Dass hier ausgesprochen, was jeder dachte, steigerte noch deine Raserei. Es war, als hätt Wahnsinn dich befallen. Schriest noch lauter, bis sich deine Stimme überschlug. Noch hast du gezögert, Alexander und seinen Bruder hinzurichten. Nicht deiner Söhne wegen. Die Meinung Roms war dir wichtig."
Herodes: "Wasser ... Wasser ..."
Mariamne: "Sahst Alexander mit gezücktem Schwert auf dich zustürzen. Mit gezücktem Schwert. Nur war da keiner. Wusstest nicht mehr zwischen schlechten Träumen und der Wirklichkeit zu scheiden. Die von dir geschaffne Welt war selbst ein böser Traum. Hätt doch Alexander dich erstochen. Nicht aus Rache sag ichs. Besser würds dir gehn, nicht so erbärmlich sähst du aus. Auch würd kein Durst dich plagen, müsstest nicht nach Atmen ringen. Du sahst Gespenster."
Herodes: "Von Gespenstern und Taugenichtsen war ich umgeben."
Mariamne: "Von allen fühltest du dich bedroht, wittertest Verrat. (Malichos vergräbt seinen Kopf in Mariamnes Nacken. Verharrt ruhig, aber so, als gälte das Gesprochene ihm.) Um jeden Aufruhr zu ersticken, hieltst du deine Untertanen zu beständger Arbeit an. Dem verdankt sich wohl auch der Berg, von dem du meintest, du hättest ihn nach meiner Brust aufschütten lassen."
Herodes: "Es war der Sklaven Arbeit."
Mariamne: "Du wusstest zwischen Sklaven und Freien nicht mehr zu scheiden."
Herodes: "Sklaven warens."
Mariamne: "Wie viele Sklaven kamen um?"
Herodes: "Ich hab sie nicht gezählt."
Mariamne: "Schweig!"
Mariamne wendet sich ab, geht zum Bühnenrand. Ans Publikum gewandt: "Und da er fürchtete, es könnt sich trotzdem Unmut regen, verbot er, dass mehr als zwei sich unterhielten, ob vor dem Haus oder drinnen. Wer immer sich widersetzte, den ließ er töten. Niemand war mehr sicher, hatte er doch überall seine Zuträger, sei es in der Stadt oder auf den Landstraßen."
Herodes bitter: "War mir nicht Erfolg beschieden? Ruhe trat ein."
Mariamne: "Grabesstille, trotz der Schreie der Gefolterten. Grabesstille. In den Gassen wurds still. Aus der Ferne war der Lärm der Steinbrecher zu hören, die Felsen abtrugen und zu Blöcken formten, stetes Hämmern, auch Schreie der Antreiber. (An Herodes gewandt, der sich in seinem Rollstuhl ihr mühsam nähert:) Ließt viele gefangen setzen. Warst aber selbst ein Gefangner, warst gefangen in dir. Die Schreie der Gefolterten, es waren deine Schreie. Sie schrien das, was du in dir erstickt."
Herodes: "Was sprichst du da?"
Mariamne: "Wagts einer, dir offen ins Gesicht zu sprechen, war einer mutig genug wie Teron, dir das zu sagen, was alle still verschwiegen, dass es keine Wahrheit mehr gäbe, dass das Recht von den Menschen gewichen, dass Lüge und Bosheit triumphierten und alles in ein solches Dunkel gehüllt sei, dass man den größten Frevel nicht mehr sähe, dass du von Sinnen seist, nicht sehen würdest, wie Freunde und Verwandte von dir sich abkehrten, dann gerietst du in Rage und sahst in dem, was dir gesagt, nur grobe Schmähung. Du ließt Teron, der offen zu dir sprach, Mitleid mit dir empfand, in Gewahrsam nehmen, ihn, deinen Waffenbruder und Gefährten, der in dir stets den Höhern sah und dir den Schild hob, wenn du ihn fallen ließt."
Herodes: "Mich packt ein Grauen."
Mariamne: "Und wie so oft fand auch nun sich einer, der zu melden wusste, was du hören wolltest, dein Barbier, der täglich mit dir Umgang pflegte. Teron habe ihn überreden wollen, dich mit dem Schermesser zu töten. Ließt Teron und all jene, die er in seiner Rede nur beiläufig genannt, der Folter unterziehn ..."
Malichos auf Mariamnes Schoß sehr aufgeregt, hat seine Arme um ihren Hals gelegt, als drohte er sie zu ersticken.
Mariamne erschrocken: "Was ist dir?"
Malichos schlägt sich auf seinen Mund. Mariamne greift nach seiner Hand, hält sie zärtlich fest, drückt seinen Kopf an sich.
Mariamne: "... er ließ dir flüssiges Pech in den Mund gießen, deine Glieder strecken ... (Nach einem kurzen Innehalten wieder an Herodes:) So sehr Teron auch litt, er wiederholte nur, was er dir bereits gesagt. Als sein Sohn ihn so übel zugerichtet sah, auch ahnte, was ihm selbst bevorstand, versprach dir dieser, die volle Wahrheit zu bekennen, würd von seinem Vater abgelassen. Als du ihm dein Wort gabst, sagt er, wies auch andre taten, das, was du eben hören wolltest. Teron habe Hand an dich legen wollen. Seltsam, dass ers nicht tat, als er unter vier Augen zu dir sprach, einer, der das Kriegshandwerk so gut beherrschte."
Herodes: "War ich nicht König? Ein König ist das Recht. Kein Gesetz steht über ihm. Ein König kann nur recht haben."
Mariamne: "Am Ende war alle Rede falsch. Es gab keine Wahrheit mehr. Lüge wurd zur Wahrheit und Wahrheit wurd zur Lüge. (Malichos bäumt sich auf.) Du warst ein Unrechtskönig! Du wusstest jeden Zweifel, der in dir keimen hätte können, zu ersticken. Um recht zu haben, wie du es nennst, ließt du Teron, seinen Sohn und dreihundert dir treu ergebne Soldaten in einer öffentlichen Versammlung richten und vom Volk zu Tode steinigen. Unter den Getöteten fand sich auch der Barbier. So vom Blutrausch angestachelt, ließt du meine Söhne dorthin führen und erdrosseln, wo du mich zur Frau nahmst. Nicht was sie wollten oder taten, ihr Tod gab dir recht. Sie konnten nur schuldig sein, wären sie doch sonst nicht getötet worden. Tot konnten sie dir nicht länger widersprechen!"
Herodes: "Salome wurd nicht müde, mich zu warnen. Hätt ich sie geschont, sie hätten deinen Tod gerächt. Suchten nicht einmal ihren Hass zu verbergen. Unschuldig seist du hingerichtet worden."
Mariamne: "Hatten sie nicht recht? Den Zorn der beiden, den hast du nicht verstanden ... Aus dir selbst sprachs, was du ihnen vorwarfst. Wie du, so dachtest, würden sie die Welt sich richten. Nicht in der äußern Welt, in deinen Kopf wars eingeschrieben, dass sie ihre Mutter rächen würden, nicht anders, als du es machtest, als dir die Mörder deines Vaters in die Hand fielen. Ließt sie alle morden, schontest selbst ihre Kinder nicht. Und wie rächtest du deinen Bruder Phasael, dem sein Mörder den Kopf abschlagen ließ? Kaum in deine Gewalt gelangt, ließt du den Kopf vom Rumpf des Mörders trennen, um ihn deinem jüngern Bruder zum Geschenk zu machen. Hast auch andern abgeschlagne Köpfe schicken lassen, einmal als Geschenk, dann als Drohung. Von solcher Sinnesart waren meine Söhne nicht."
Herodes: "Sie schmähten mich. Unerträglich seis ihnen, mit den Mördern ihrer Mutter unter einem Dach zu leben."
Mariamne hebt Malichos auf den Boden, steht auf, geht auf Herodes zu, fasst nach dem Rollstuhl, schiebt ihn mit großer Kraft an und lässt ihn auf die Bühnenwand zurollen. Malichos setzt sich verkehrt auf den Stuhl, verschränkt seine Arme auf der Lehne und legt seinen Kopf darauf. Verharrt ruhig.

Mariamne laut, schrill: "Hatten sie nicht recht?"
Herodes kleinlaut: "Sie trachteten nach meinem Thron!"
Mariamne: "Hieß wohl dir nach dem Leben trachten."
Herodes: "Überheblich waren sie, pochten stets auf ihre königliche Abstammung, dachten dabei nicht an mich, ihren Vater, der ich doch König war, sondern stets nur an dich und dein Geschlecht."
Mariamne: "Sie wussten ihre Zunge nicht im Zaum zu halten. Das ist noch lange kein Vergehn, das des Todes würdig wär."
Herodes: "Sie prahlten damit, die Söhne meiner andern Frauen zu Dorfschreibern zu machen. Ihres Studiums wegen seien sie ganz dazu geeignet. Ihre Schwestern aber, so sie diese je mit den Schmucksachen ihrer Mutter prunken sähen, würden sie in Lumpen stecken."
Mariamne: "Um meine Kleider gings ihnen nicht. Sie ließen nicht vergessen, wie du mich behandelt und ihnen ihre Mutter nahmst. Heut trag ich andre Kleider, wie auch du. Schade, dass du mich nicht sehen kannst. Die Zeit ist vorbei, in der ich bodenlange Röcke tragen musste. Nun kann die Hitze meines Leibes frei verdampfen. Es ist mir, als wär mir meine Stimme gerade erst gegeben."

Malichos, immer noch auf dem Sessel sitzend, bewegt seinen Oberkörper gleichbleibend vor und zurück, so wie wir es von hospitalisierten Kindern kennen.
Herodes: "Ich war zu schwach, um meine Liebe zu ersticken."
Mariamne: "Dafür ließt du mich ersticken."
Herodes: "Oft nahm ich mir vor, dich deines Stolzes wegen zu strafen, doch immer wieder gab ich meiner Liebe nach. Ich fürchtete, mich selbst zu strafen."
Mariamne. "Du hast dich dann auch selbst bestraft. Aber nicht um Liebe gings. Du brauchtest mich als Widerpart, jemand, der offen zu dir sprach. Nach mir warst du nur noch von Höflingen umgeben. Ich sah dir zu. Warst du auf der Jagd, sah ich Jüngre, die behänder als du waren, geschickter im Schießen, das Wild verfehlen, aus Angst, es könnt dich kränken. Manche machten sich kleiner, als sie waren, gingen gebückt, um dich nicht an Größe zu überragen."
Herodes: "Das sahst du nicht."
Mariamne: "Glaubs mir oder glaubs nicht. Was kümmerts mich. Wie viele Leben hats gekostet, als einer unter der Folter davon sprach, du hättest dir dein Haar schwarz färben lassen, um jünger zu erscheinen, als du warst?"
Herodes: "Ich kann mich nicht erinnern."
Mariamne: "Und doch ists wahr. Ich war selbst zugegen, teiltest du das Lager mit einer, die mir folgte, ganz zu schweigen von jenen, die du einfach nahmst. Sie alle heuchelten dir nur Liebe, nicht eine war dir Widerpart. Sprachen, was du hören wolltest."
Herodes: "Malthake nicht, die Samariterin."
Mariamne: "Sie ließ sich blenden, war stolz, eines Königs Frau zu sein."
Herodes: "Sie liebte mich."
Mariamne: "Und doch verstießt du auch sie."

Malichos springt vom Sessel, nähert sich Herodes, schiebt diesen auf der Bühne herum, dreht ihn einmal dem Publikum, dann wieder Mariamne zu. Herodes lässt es mit sich geschehen. Herodes: "Du tust mir unrecht ... Galt nicht all mein Streben dem Ausgleich? Nicht nur an Juden hatt ich zu denken. Es lebten da auch Griechen, Römer, Syrer, Idumäer, Nabatäer, Samariter und viele andre mehr. Römer, die dein Geschlecht ins Land rief."
Mariamne: "Deren Gnade du deine Königswürde verdanktest. Mit Lakaien umgabst du dich und warst selbst doch nichts als ein Lakai. Du suchtest römischer zu sein als Römer, griechischer als Griechen, jüdischer als all die Juden. Du ließt den Tempel neu errichten, großartiger als zuvor. Aber was setztest du daneben? Eine Burg mit vier Ecktürmen, die den Tempel überragten und von allen Seiten einsehbar machten. Du dachtest an Wachmannschaften und Ausfallstore in den Tempel, an unterirdische Gänge, um fliehn zu können, sollt das Volk sich erheben und die Burg in seine Gewalt bringen. Das Amt des Hohen Priesters war dir verwehrt. Deshalb machtest du zu Hohen Priestern dir Genehme. Um ganz sicher zu gehn, ließt du die Festgewänder des Hohen Priesters in der Burg verwahren. Hieltst du die Gewänder unter Verschluss, konnte an Festtagen kein Opfer stattfinden. Du hättest von Hyrkan lernen können."
Herodes: "Vergiss nicht die Zwistigkeiten unter euch, den Krieg, den Hyrkans Bruder gegen ihn geführt, nicht minder, als dieser vergiftet war, dessen Sohn, dein Vater, und nach dessen Hinrichtung sein Bruder Antigonos."
Mariamne: "Den du hinrichten ließt."
Herodes: "Dies geschah nicht auf meinen Befehl."
Mariamne: "Aber auf dein Betreiben hin. Mit seinem Blut wolltest du dich nicht besudelt wissen."
Herodes: "Wär ich Antigonos in die Hände gefallen, nicht anders wär er mit mir verfahren. Wer ließ Hyrkan die Ohren abschneiden? Antigonos, der Bruder deines Vaters wars. Was unterscheidet uns?"
Mariamne: "Hätt man dich gefangen genommen, nicht anders als Antigonos hättst um dein Leben gebettelt."
Herodes, letzteres überhörend: "Denk an deine Mutter. Kaum lag ich krank, trachtete sie die Burg in ihre Hand zu bringen. Wer in ihrem Besitz ist, beherrscht die ganze Stadt, das Volk. Sie irrte sich. Die Hauptleute, mir treu ergeben, teilten mir ihren Anschlag mit. War das nicht Hochverrat?"
Mariamne: "Mag sein. Vergiss die Demütigungen nicht, die du ihr erwiesen hast. Um Ausgleich gings dir nicht, nur um deine Herrschaft. Den einen warfst du Brocken hin, andre ließt du morden."
Herodes: "Ich glich dem Mann in der Fabel, den ein Löwe vorn, ein Tiger hinten packt, dem Geier mit Schnäbeln und mit Klauen von oben drohen, und der auf einem Schlangenklumpen steht. Gleichviel! Ich wehrte mich, so gut ich konnt, und gegen jeden Feind mit seiner Waffe."
Mariamne: "Worte, die dir Hebbel in den Mund gelegt hat ... "
Herodes: "Ich wollt ein einig Volk, zusammenführen, was fremd sich war. An ein befriedetes und blühendes Land dacht ich. Hab ich nicht versucht, all die Zwistigkeiten zu befrieden?"
Mariamne: "Indem du Söhne der Mörder mit Töchtern der Ermordeten vermähltest, den Söhnen der Ermordeten Töchter der Mörder zur Frau gabst. Im Blut der gebornen Kinder sollt sich das Blut der Opfer und ihrer Mörder mischen. Das nenn ich eine seltsame Versöhnung. Ich wurde gleich mit meinem Mörder vermählt. Mit dir."

In diesem Augenblick kommt der Rollstuhl, den Malichos vor sich herschiebt, vor Mariamne zu stehen. Malichos wendet sich ab, bewegt sich ziellos auf der Bühne, geht plötzlich in die Hocke und beginnt stereotyp zu wippen. Immer wieder schlägt er sich mit einer Hand auf seinen Mund.
Mariamne: "Oft genug warf ich dir Aristobuls Tod vor. Doch sein Tod allein wars nicht. Ich musst auch an andre denken, die du töten ließt. Ich konnts nicht ertragen."
Herodes: "Was zählt das Unglück weniger, gehts um das Glück des ganzen Volks?"
Mariamne: "Wann sah ich das Volk je glücklich? Vielleicht beim Opferfest, wenn du dreihundert Ochsen schlachten ließt. Glücklich war es nicht. Nicht um das Glück des Volkes gings dir, nur um dein eignes."
Herodes: "Habe ich nicht, als die Aufständischen in den Tempel zurückgedrängt waren, Kampfpausen einlegen lassen, um die Darbringung der täglichen Opfer zu ermöglichen, auch die Herbeischaffung von Opfertieren gestattet? Habe ich nicht alles getan, um dem entsetzlichen Blutbad Einhalt zu gebieten?"
Mariamne: "Trotzdem wurden die meisten, seis in den Gassen, in den Häusern oder im Tempel, in dichten Haufen niedergemacht, weder Kinder, noch Greise oder Frauen geschont."
Herodes: "Hab ich nicht die fremden Soldaten ..."
Mariamne: "... die du riefst!"
Herodes: "... hab ich nicht die fremden Soldaten, sei es durch Bitten oder Drohungen, teils mit Waffengewalt gehindert, das Heiligtum zu betreten, das zu sehn, was nur dem Hohen Priester einmal im Jahr erlaubt ist? Habe ich nicht die Plünderung verhindert, indem ich jedem der Soldaten aus eignen Mitteln seinen Lohn anwies?"
Mariamne: "Wolltst deinen Thron nicht auf Ruinen baun. Ein verwüstetes Land braucht keine Paläste, ein Land ohne Menschen keinen König. Wer sollt einem solchen König dienen?!"
Herodes: "Hab ich nicht nach dem Erdbeben die Abgaben gesenkt? Hab ich nicht während der großen Hungersnot Getreide in Ägypten gekauft, um die Hungernden zu nähren? Tat ich nicht alles, um die Not zu lindern? Ließ ich nicht alles Gold- und Silbergerät, das sich im Königspalast fand, einschmelzen?"
Mariamne: "Nicht aus Mitgefühl geschahs. Du dachtest an den Nutzen, an den Vorteil, den du daraus zogst. Als es dir gelang, die Not der Hungernden zu lindern, wussten nicht wenige dich zu loben, deren Hass dir vordem entgegenschlug. Unter ihnen fanden sich jene, die dir die eignen verrieten ... Zwar entging dir Geld. Dein angehäuftes Vermögen nahm aber doch nie ab. Im Gegenteil. Du wusstest das Verlorne stets an andern Stellen zu beschaffen. Was du mit vollen Händen zuteiltest, das erpresstest du von andren. Wie viele deiner vermögenden Gegner hast du hinrichten lassen? Siebenundvierzig Mitglieder des Hohen Rates, alle vermögend, ließt du beseitigen. Was sie besaßen, das fiel an dich, große Mengen Gold und Silber, ertragreiche Ländereien, die Balsamgewinnung, der Handel mit Asphalt, der Geldwechsel, der Handel mit Waren aller Art. Hyrkan musste sterben, nicht weil er dir gefährlich wurde. Du dachtest an seine Dattelpflanzungen. Aus Angst vor dir bedacht dich mancher mit einer Schenkung. So ließ sich leicht Wohltäter spielen, ließen sich auch die Römer, denen du alles verdanktest, die du aber fürchteten musstest, bei Laune halten. Marc Anton, Octavian. Du kanntest nur Kaufen oder Töten. Töten und Kaufen, das eine liegt nahe beim andern. Deine vermeintliche Gutherzigkeit war nur die Kehrseite deiner Grausamkeit. Du brauchtest den Verrat. Auch mich hast du reich beschenkt, mit bestickten Kleidern, kostbarem Schmuck, hattest trotzdem keine Mühe, mich erdrosseln zu lassen. All das, was du mir einst schenktest, das fiel an dich zurück. Meinen Schmuck und all die Kleider schenktest du dann jenen, die an meine Stelle traten, die du, nicht anders als mich, in deine Gemächer riefst."
Herodes: "Keine dieser Frauen musst ich töten."
Mariamne: "Weshalb auch. Nicht eine von ihnen hat aufbegehrt."
Herodes: "Das unterschied sie von dir."
Mariamne: "Mein Stolz, wie auch mein Zorn, er war mir abverlangt."
Herodes: "Meine Eingeweide brennen ... Wasser ..."
Mariamne: "Nicht nach Wasser, nach Milch verlangst du! Nur Milch vermöchte deinen Durst zu stillen."
Mariamne nähert sich Herodes, öffnet ihr Oberteil, greift mit ihrer Rechten nach ihrer linken Brust. Sie beugt sich über Herodes, als wollte sie ihm die Brust reichen.
Mariamne: "Du siehst sie nicht, siehst nur Schemen und Schatten. Sähst du meine Brust, dann müsstest sagen, dem Berg, den du aufschütten ließt, gleicht sie nicht."
Herodes versucht nach der Brust zu greifen, fährt ins Leere. Mariamne wendet sich abrupt ab.
Mariamne: "Nein! Mich berührst du nicht. Milch und Blut müssen geschieden sein ..."
Herodes schweigt.

Mariamne: "Zu unsrer Zeit gabs Töpfer, Schmiede, Färber, Weber, Gerber, andre noch. Ein weitres Gewerbe fügtest du hinzu, das der Schinder, die du als Wahrheitssucher sahst, da sie in Eingeweiden wühlten, streckten, Knochen brachen oder Fleisch verbrannten. Zutage kam zumeist nur das, was dir selbst ein böser Dämon eingab. Und hatt einer nichts zu sagen, so hieß es, er sei verstockt und deshalb schuldig. Wirklich zu wüten begannst du erst nach meinem Tod, gabs doch niemanden mehr, der dich in Schranken wies. Wer immer dir verdächtig schien, dem wiest du heimlich einen Zuträger an. Es hieß zwar, du hättest dich nachts als einfacher Mann verkleidet unter die Menschen gemischt, um mehr über sie zu erfahren. Ich glaubs nicht. Hättst dich selbst unter die Menschen gemischt, andres hättst du erfahren. Bald hegtest Argwohn gegen alle Welt. Misstrautest jenen, die dich oft aufsuchten. Blieb dagegen einer deinen Gastmahlen fern, so geriet er erst recht unter Verdacht, weshalb du ihn vorsichtshalber umbringen ließt. Vorsichtshalber! Vor - sichts - halber!!! Wie eine Seuche griffs um sich. Deine Höflinge, nicht einer von ihnen fühlte sich noch sicher, begannen sich gegenseitig zu beschuldigen, jeder in der Hoffnung, so den Anschuldigungen andrer zuvorzukommen. Hatt aber einer einen andern beiseitegeschafft, so geriet er selbst in Verdacht und verfiel derselben Strafe. Nicht wenige verfingen sich in Netzen, die sie andern gelegt. Es wüteten gegeneinander selbst solche, die sich früher die besten Freunde waren. Es war, als hätte Raserei den Hof befallen."
Herodes: "Ich habe Durst. ... Wasser ..."
Mariamne: "Wasser ... Dein Durst ist unstillbar, so unstillbar, wie dein Durst nach Macht es war. Solchen Durst vermöcht selbst das viel vergossne Blut nicht zu stillen. Hättest von den Baumeistern, mit denen du dich umgabst, die deine Wasserleitungen und Zisternen schufen, manches lernen können. Wasser fließt nicht bergauf."
Herodes zischend, schräg in seinem Rollstuhl hängend: "Das weiß doch jedes Kind."
Mariamne: "Du schienst es nicht zu wissen, glaubtest, nicht den Gesetzen unterworfen zu sein, tatst (Malichos vergräbt seinen Kopf in Mariamnes Nacken. Verharrt ruhig, aber so, als gälte das Gesprochene ihm.)als Aufruhr ab, was in dir seinen Ausgang nahm. Deine Baumeister hättens dir erklären können. Sind Gefäße durch Röhren verbunden, so tritt da aus, was dort eingefüllt. Und wird viel eingefüllt, so bringts das Fass zum Überlaufen. Das fernab vergossne Blut mischt sich in die Wasserfontänen deiner Wandelhallen. Doch du sahst das Rot nicht, rochst nicht das Salz der Tränen, die an andern Orten flossen."
Herodes: "Wasser ..."
Malichos nach wie vor wippend.

Mariamne: "Wir sind hier in einem Theater. Das fügt sich gut. Du warst ein Meister, galt es, etwas in Szene zu setzen. Du brauchtest Bühnen, Darsteller, denen nur die Aufgabe zukam, deine Größe und Erhabenheit zum Ausdruck zu bringen. Wie viele Vorschriften hatte ich doch zu befolgen, war ein Auftritt mit dir vorgesehen. Es begann mit der Wahl der Kleider. Einmal sollte ich mein Haar geschlossen, dann wieder offen tragen. Den Schmuck durft ich nicht selbst wählen, und stands dir im Sinn, dann wurde ich mit soviel Schmuck behängt, dass mich die Last zu erdrücken, zu ersticken drohte. Du wiest mir den Sitzplatz an. Wirklich sprechen durft ich nicht. Benahm ich mich dagegen, tratst du, von anderen unbemerkt, unter dem Tisch gegen mein Bein. Solltest ein Buch schreiben: 'Über Kleidung und Sittlichkeit einer Königin'."
Herodes: "Wie einst, so spottest du auch nun."
Mariamne: "Vieles hatt im Verborgenen, im Geheimen zu geschehn. Mich ließt du im Dunkeln erdrosseln. Niemand sollts sehn. Einige deiner Leibwächter fielen in meine Kammer, es waren Galater, die nur deine Befehle verstanden, nicht aber unsere Sprache. Marc Anton hat sie dir geschenkt, diese Heimatlosen. Warfen sich über mich. Noch ehe ich verstand, wie mir geschah ..."
Herodes ringt nach Luft.
Mariamne: "Es ist dir, als würdest du gleich ersticken. Durch die Nase atmen ..."
Herodes versucht sich immer wieder aufzurichten, um nach Luft zu schnappen. Malichos lässt sich nach vorne fallen.
Mariamne: "... mit raschen Griffen legte mir einer das blaue, golddurchwirkte Band um meinen Hals, während die andern mich niederdrückten, festhielten und ich, kaum dass ich michs versah, auf dieser Bühne hier aufwachte und mich nun meinem Mörder, einem Greis gegenüberseh, der nach Atem ringend ständig 'Wasser' schreit, aber den gereichten Becher nicht zum Mund zu führen vermag ... In der Dunkelheit, hinter dem Vorhang, dagegen auf der Bühne, vor dem Vorhang. Mich ließt du im Dunkeln töten. Niemand sollt es sehn. Andres musst in aller Öffentlichkeit geschehn, so die Grablegung meines Bruders Aristobul! Um den Anschein zu erwecken, an seinem Tod nicht die geringste Schuld zu tragen, spartest du nicht an Kosten, nein, es musst mit aller nur erdenklichen Pracht vonstatten gehn. Ein Paradebett durft nicht fehlen. Dem Trauerzug schritten zahllose Sklaven mit Räucherwerk und Spezereien voran. Soldaten bildeten ein Spalier, als würd der König selbst zu Grab getragen. Ließt Aristobul auch viele Kostbarkeiten beigeben, vergossest Tränen, als ob deine Teilnahme von Herzen gekommen wär."
Herodes: "Du belästigtest mein Ohr mit frevelhaften Reden."
Mariamne: "Ja, du warst mächtig. Und doch hast du in einer Kulissenwelt gelebt. Kulissen ließt du um dich herum errichten. Und was dir im Sinn stand, das stammte nicht von dir. Wolltest es den Mächtigern gleichtun. Nachahmung hast du mit Gestaltung verwechselt ..."
Herodes: "Der Tempel war aus festem Stein gebaut. Sie waren nicht zu zählen, die Schiffe, die in Cesarea einliefen, ihre Fracht löschten, um schon bald schwerbeladen wieder auszulaufen."
Mariamne: "Mag sein. All der Pomp, den du entfaltet hast, täuschte über das Biedere in dir hinweg, das Biedere deines Lebens. Jetzt in deiner Schwäche kommt es zur Geltung ... Selbst in deiner Grausamkeit warst du bieder. Nichts fiel aus dem Rahmen. Auch deine größten Verbrechen nicht. (ans Publikum gewandt) Mag ein Leben noch so lang währen, erst im Abgang, im Nachhinein erhellt es sich. Dem menschlichen Leben sind Grenzen gesetzt. Man kann nicht endlos einen Palast nach dem andern errichten, nicht endlos Gold und Silber anhäufen. Plötzlich wurd auch er, der stets so tat, als träf der Tod nur andre, von Krankheit ergriffen. Es begann mit einem unerträglichen Jucken. Raufte sich das Haar, kratzte sich im Gesicht, an Armen und Beinen. Geschwüre in den Eingeweiden quälten ihn, grausame Schmerzen in den Därmen. Wie bei Wassersüchtigen schwollen seine Beine an, aufgetrieben von einer wässrigen, durchscheinenden Flüssigkeit. Aus seinem Unterleib quoll Eiter, an den Schamteilen ein fauliges Geschwür, von Würmern zerfressen ... (an Herodes gewandt) So züchtigte dich Gott für deine Freveltaten. Deine Atemnot! Raubtest andern ihren Atem. Dein Durst. Ließt andere dürsten." (Wieder zum Publikum gewandt:) "Krämpfe in allen Gliedern. Der Gestank seines Atems war jedem unerträglich, der ihm nahekam. Fern blieben seine Frauen. Er rang nach Atem, bäumte sich auf, um nicht zu ersticken. Wandte sich einmal auf diese, dann auf jene Seite. Blickte ins Leere mit erloschnen Augen, und doch entging ihm nichts. Die warmen Bäder zu Kallirrhoe brachten ihm keine Linderung. In eine mit warmem Öl gefüllte Wanne gesetzt, verdrehte er seine Augen wie ein Sterbender. Nur das Geschrei seiner bestürzten Diener brachte ihn wieder zu sich. Als ihm berichtet wurde, sein ältster Sohn, Doris' Sohn, Antipater, habe sich freudig geäußert, als er hörte, er läg im Sterben, da schrie er auf und schickte Leibwächter, um ihn auf der Stelle zu töten. Auf der Stelle. (An Herodes gewandt:) Nach Atem ringend und von eitrigen Geschwüren zerfressen, nur wenige Stunden, bevor du endlich starbst. Bei dir hatte alles auf der Stelle zu geschehn. Nur selten gabs ein Innehalten, ein Zaudern oder Abwägen. Riefst du mich in deine Gemächer, auf der Stelle musst es sein. Auch, galt es einen, ob schuldig oder nicht, hinzurichten. Du lagst im Sterben, als du nach dem Henker riefst."
Herodes: "Ich erinnre mich. Meine Schmerzen steigerten sich ins Unerträgliche. Nach einem Apfel hab ich verlangt ..."
Mariamne: "An einem Apfel ist schon mancher erstickt ...."
Herodes: "... dann nach einem Messer, um den Apfel zu schälen, doch in der Absicht, mich zu erstechen."
Mariamne: "Wie damals, als du fürchtetest, in Antigonos Hände zu fallen."
Herodes: "Beinah wärs mir gelungen. Ich glaubte mich unbeobachtet, sah einen der Diener nicht, der in einer dunklen Ecke stand. So erhob sich, als das Messer gegen mich ich wandte, ein Geschrei, als ob ich schon gestorben wär. Zumindest glaubte es mein Sohn Antipater, den hinzurichten ich lange gezögert habe. Freute sich über meinen vermeintlichen Tod, glaubte gar, nun die Königswürde anzutreten."
Mariamne: "Wie mich ließt du auch ihn erdrosseln."
Herodes: "Er hat nichts andres verdient."
Mariamne: "Mit einem golddurchwirkten Band? Wohl nicht, da genügt ein weggeworfner Strick."
Herodes: "Er war es, der mich angestiftet hat, Alexander und Aristobul, deine beiden Söhne, dem Henker auszuliefern. Ein Fehler wars."
Mariamne: "Nicht einer trauerte um ihn, schlug er dir doch nach, nur monströser, in seinem Intrigenspiel reicher als du und auch hinterhältiger. Sein Tod gab dir neuen Lebensmut. Dabei lagst im Sterben. Und doch ists schad drum, dass du ihn hinrichten ließt. Nur er hätte das von dir begonnene Werk zu Ende führen können. Nicht der kleinste Winkel wär verschont geblieben. Das ganze Land hätt er in Gift und Blut getaucht."
Herodes: "Ich mags nicht hören."
Mariamne: "Mehr noch als dir fehlt ihm jeder Adel, und noch mehr als du sah er im Tod andrer eigne Größe."
Herodes: "Schweig!"
Mariamne: "Er hat nur getan, was du ihm in den Mund gelegt."
Herodes: "Wasser ..."
Mariamne: "Wie viele Zisternen und Aquädukte ließt du errichten? Hättest einen Aquädukt, und sei es nur ein kleines Rinnsal, ins Jenseits legen sollen. Durch Fels hätt man nicht schlagen müssen. Es hätt nur eines Funkens Mitleids bedurft. Dann würd dich jetzt nicht dürsten. Ich werd nicht von Durst gequält. Eine einzige menschliche Handlung hätt dich retten können, eine einzige Handlung, aus der nicht geschrien hätt, es wird mir dienlich sein."
Herodes: "Wasser ..."
Mariamne: "Wasser! Das hab ich nun oft genug gehört. Besser gefiels mir, sagtest du: 'Ich werd euch alle erwürgen, erdrosseln, die Luft zum Atmen nehmen.´ " (Herodes lacht laut auf.) Du willst zur Ruhe kommen ...? Hättest dir Octavian, dessen Vasall du warst, zum Vorbild nehmen sollen. Er starb nicht so wehleidig wie du. Als es mit ihm zu Ende ging, bat er seine engsten Vertrauten zu sich, nein, er ließ sie nicht töten, nein, sein Tod sollt nicht durch den ihren aufgewogen werden. Vielmehr sprach er scherzend zu ihnen das, was er sonst nie sagen durft, bat um Beifall, wie dies einem Schauspieler gebührt, der von der Bühne abtritt. Dann schloss er seine Augen und verschied."

Herodes: "Hab manches oft genug bereut. Wirds nicht aufgewogen durch das, was ich gelitten, was ich zu tragen hatt?"
Mariamne zum Publikum gewandt: "Nicht viel anders sprach er kurz vor seinem Tod, im Theater von Jericho, vom Bett aus, da er zu schwach war, um zu stehn, wie viel Leid er des Volkes wegen erduldet, was er alles auf sich genommen, wie er aus eignen Kosten den Tempel neu erbauen, ihn mit prachtvollen Weihegeschenken schmücken ließ. Niemand hätts ihm gedankt. Dachte an ein Fähnlein ins Jenseits oder an gute Nachred. Stellte sich selbst das beste Zeugnis aus, den Vornehmsten unseres Volkes gegenüber, die er zusammenrief und die um ihr Leben fürchten mussten. Kaum hatte er seine Klagen beendet, ließ er einige Eiferer bei lebendigem Leib verbrennen. Zu früh hatten sie sich über seinen Tod gefreut, schlugen mit Äxten ab den goldnen Adler, den er über einem der Tempeltore hatte anbringen lassen. Es war ihm, als hätten die Hiebe ihm selbst gegolten." (An Herodes gewandt:) "In derselben Nacht verfinsterte sich der Mond. Du erinnerst dich, wars doch ein böses Zeichen. Warum ließt du mich nicht verbrennen? Feuerholz ist schnell aufgeschichtet, noch schneller ein gefesseltes Opfer in die Glut geworfen."
Herodes: "Ich liebte dich. Ich hätts nicht ertragen."
Mariamne zum Publikum gewandt: "Dabei war ihm keine Tötungsart zu grausam. Liebe, ich kanns nicht hören. Den Tod vor Augen, so als wollt er dem Tod selbst drohen, ersann er eine besonders ruchlose Tat. Er befahl aus allen Ortschaften die angesehensten Männer zu sich unter der Drohung, jene hinrichten zu lassen, die nicht kämen. Ließ sie alle in der Rennbahn einschließen. Das Volk werde seinen Tod wie ein Freudenfest feiern. Aber nicht unbetrauert und unbeklagt wollt er sterben, unwürdig seis doch eines Königs. Deshalb befahl er, die in der Rennbahn Eingeschlossnen sofort nach seinem Tod niederzumachen. So würd er wider Willen in jeder Familie beweint. Stets gabs andre, die seinen Tod aufwiegen sollten. (Mariamne wendet sich vom Publikum ab und geht auf Herodes zu) Üblicherweise legen Menschen angesichts ihres nahen Endes all ihren Hass ab ..."
Herodes: "Salome, meine Schwester, wussts zu verhindern ..."
Mariamne: "Erst als kein Atem mehr in dir war, dein Gesicht sich blau verfärbte. Sie wollt den Hass nicht auf sich laden, der dir gegolten hätt. Mitleid wars nicht geschuldet, war sie doch meist noch unerbittlicher als du."
Herodes: "Sie hätten niedergemacht werden müssen, all die Eingeschlossnen in der Rennbahn. Oh, wie ich sie hasste, die Vornehmsten der Juden. Sprachen sies auch nie aus, so ließen sie mich doch stets spüren, nicht einer der ihren zu sein, so sehr ich mich auch mühte, all ihre Gesetze, die nur rein und unrein kannten, streng zu beachten, strenger noch als einer der ihren, als wär ich nicht König, als stünd das Gesetz über mir. Ein Volk von Irren, das in ständgem Streit lag. Nur was den Tempeldienst betrifft, da waren sie sich einig, oder auch nicht. Ihr Gott, der Unnahbare, hatt viele Gesichter. Wie sies eben brauchten. In ihrem Hass auf mich waren sie sich einig, selbst die, die vor mir auf die Knie fielen und dennoch Ränke wider mich schmiedeten. Ich wollt sie in ihrem Blut liegen sehn, all die Heuchler."
Mariamne: "Dein Leben sollt in einem großen Blutfest enden. Du hast dirs ausgemalt, wie sie liegen sollten, die Greise, in ihrem eignen Blut, mit abgeschlagnen Armen, Beinen oder Köpfen, mit herausgerissnem Gedärm. Ins Jenseits sollten sie dich begleiten. Wohl gerne hättst du das Schauspiel noch selbst erlebt. Was für ein Glück, dass du vordem starbst."
Herodes: "Von Gespenstern war ich umgeben."
Mariamne: "Bist es heute noch. Von Toten, die dir zum Opfer fielen. Wärs denen möglich, Gericht zu halten über dich, sie würden ... nein, sie könntens nicht, fehlt doch den Toten alle Kraft. Sie könnten nicht nach Steinen greifen. Wärs aber möglich, so wärs dein Glück. Nun bleibst gefangen, so wie du starbst. Musst dich winden und krümmen, nach Atem ringen und nach Wasser schrein, und nie wirds zu Ende sein. Nicht durch den Mund, durch die Nase atmen ... (Herodes versucht sich zu erheben, fällt aber immer wieder in seinen Rollstuhl zurück.) So sehr du dich anstrengst, du wirst es nicht schaffen. Wirst nie mehr gehen können. Konntest schon damals nicht mehr gehen, als du befahlst, all die Leute im Stadion niederzumachen ..."

Sameas und Pollio bewegen sich räderschlagend auf die Bühne. Malichos springt auf, kaum dass er die beiden sieht, und bewegt sich ebenfalls räderschlagend auf sie zu. Kurze Berührung, dann hüpfen, hüpfen, hüpfen, hüpfen ...
Herodes hält sich die Ohren zu, windet sich.
Plötzlich halten die drei inne.
Kurze Stille.
Herodes: "Was war das?"
Mariamne: "Sameas und Pollio sind gekommen."
Herodes: "Pollio? Um mir den Kopf zu richten?"
Mariamne: "Könnt ers, so wollt ers nicht. Ließt seine Knochen brechen."
Herodes: "Sameas wird über meinen Schlaf wachen."
Mariamne: "Du kennst keinen Schlaf mehr, kannst nicht in böse Träume fallen. Wach bleibst du in deinem bösen Traum gefangen."
Stille.

Malichos, Sameas und Pollio bilden ein Dreieck, indem sie sich schräg stehend mit ihren erhobenen Händen gegenseitig stützen.

Herodes nestelt an den Knöpfen seiner Kleidung, greift nach seinem Kopf, als würde er nach seiner Krone fassen. Tastet den Rollstuhl, seine Knie ab, als suchte er nach der Krone, dem Zepter oder sonst einem Gegenstand.

Herodes: "Wasser!"
Mariamne: "Milch ... Blut ... Milch ..."
Herodes: "... Wasser ..."
Mariamne: "Milch ... Blut ... Milch ... Blut ... Milch ... Wasser ..."
Herodes: "Wasser ..."
Mariamne: "... Blut ..." Herodes: "Ich hab dich geliebt ..."

Die drei Zwergwüchsigen lösen sich voneinander und lassen sich fallen.

Herodes weint.

Mariamne: "Sind doch noch einige Tropfen Wasser in dir."
Herodes: "Hab ich nicht deinen Tod bitter beklagt!"

Kurzes Innehalten.

Mariamne bewegt sich auf Herodes zu, bleibt ganz nahe vor ihm stehen.
Mariamne: "Du hasts bedauert. Ich zweifle nicht. Du hast vor allem dich bedauert, dein traurig Los."
Mariamne beugt sich über Herodes: "Dein traurig Los."
Herodes' Hände suchen Mariamnes Gesicht. Herodes tastet, so wie es Blinde tun, Mariamnes Gesicht ab. Sie lässt es mit sich geschehen, wendet sich dann plötzlich ab.
Mariamne: "Nein. Du bist kein Sehender, wies die Blinden unter unsern Vätern waren. Bist in dir selbst gefangen. Nein ... nein."

Mariamne wendet sich ab, kniet nieder, legt sich auf den Rücken, breitet ihre Arme aus.
Stille.

Herodes wirr monologisierend: "Meine Kräfte schwinden ... Durst ... Wasser ... Ist da keiner, der mir hilft? ... Nicht sterben ... Gibt es niemanden unter den Lebenden, der mir hilft? Ach ... Malichos! ... Malichoooos! ... Ich hab Durst ... Bist dus oder träumt mir? ... Ist da niemand? Niemand? Niemand hier ... Kein Haben ... drei Millionen ... kein Haben ... Du ... er ... sie ... es ... Alle vergiften ... Alle einschließen und niedermetzeln ... In ihrem Blut sollen sie liegen ... Ihr Leben für meines ... Nur nicht sterben ... Von der Burgmauer seh ich, wie sich Menschen drängen ... Schlagen das große Tor ein ... Legen Feuer an das Tor ... Will denn keiner löschen? ... Es verbrennt mich ... Nicht jetzt sterben ... Wasser ... Löscht! ... Alle vernichten, die mir nach dem Leben trachten. Vernichten! ... Leben ... Streut Salz aufs rohe Fleisch ... ... Streckt und brennt, bis sie die Wahrheit sprechen. Hängt sie höher ... Nur nicht sterben ... Pollio! Bring mir mein Zepter ... Pollio, leg meinen Kopf zurecht, richte meine Glieder! ... Pollio ... Sameas! Wächter meines Schlafs! Leg mir ein Polster unter meinen Nacken ... Wache über mich ... Kälte und Finsternis ... "

Herodes verstummt und verharrt zusammengeknickt in seinem Rollstuhl.

Mariamne aus der Stille: "Möcht liegen und schlafen, möcht liegen und schlafen, vergessen, all das, was du mir und andern getan."

Die Zwergwüchsigen nähern sich ihr langsam, turnend, mit größter Vorsicht, untersuchend, so als ob sie sich fragten, ob sie noch lebe oder gestorben sei, knien sich nieder, Pollio am Kopfende, Sameas und Malichos links und rechts neben ihrem Oberkörper.
Pollio hebt Mariamnes Kopf leicht an, wendet ihn sanft einmal in diese oder jene Richtung.
Mariamne: "So hast dus ihm gemacht."

Mariamne langsam, mit Pausen, jedes einzelne Wort betonend, ins Nichts sprechend: "Milch ... Blut ... Wasser ... Milch ... Tränen ... Wasser ... Blut ... deine Einsamkeit ... Milch ... Wasser ... Blut ... hast niemanden mehr ..."

Stille.

Mariamne liegt still. Pollio verharrt ruhig. Sameas und Malichos liegen an Mariamne geschmiegt.
Das Bild bleibt stehen.

Stille.

Der Vorhang fällt.