Hundemensch (Canis lupus sapiens): Wissenschaftlich irrtümliche Bezeichnung. Gattungsgeschichtlich ist der H. den Canidae zuzuordnen. Das Vorhandensein eines Zungenbeins, Voraussetzung seiner Sprachbegabung, verdankt sich wie sein erstaunlich großes Gehirn evolutionsgeschichtlichen Zufällen, die weitgehend unerforscht sind. Knochenfunde belegen eindeutig seine tierische, hundeähnliche Gestalt. Die Bezeichnung verdankt sich dem aufrechten Gang wie dem hochkomplexen Symbolsystem der H.en, welches bislang nur beim Menschen bekannt ist. Eine größere Population von H.en wurde 1918 vom Völkerkundler → Martin Degusin in der → Dalassiwüste entdeckt und beschrieben. Mochte sich Degusin in manchen seiner Beobachtungen auch geirrt haben, so scheinen neuere Forschungen diese doch weitgehend zu bestätigen. Für die beschriebene Sprachbegabung spricht neben dem Vorhandensein eines Zungenbeins das nachgewiesene → FOXP2-Gen, welches auch beim Menschen hinsichtlich seiner Sprachbegabung von Bedeutung ist. Anatomische Studien haben die von Degusin beschriebenen Gangarten bestätigt. Der H. bewegte sich gleichermaßen auf vier Beinen wie auch aufrecht gehend. Oberschenkelknochen und Schienbein wie die Morphologie des Kniebereichs lassen auf beachtliche Kräfte und Belastungsfähigkeit schließen. Auch die Ausbildung von Daumen, die ihm den Gebrauch einfachster Werkzeuge erlaubten, konnte durch neuere Studien bestätigt werden.

Technik im eigentlichen Sinn war den H.en unbekannt. An die extremen Lebensbedingungen der Wüste bestens angepasst bedurften sie keiner Kleidung. Es fanden sich keine Hinweise für die Verwendung von Nadeln. Wohl aber wurden in mehreren Höhlen zu Fäden verdrillte Pflanzenfasern entdeckt, die so in der Natur nicht vorkommen. Ungeklärt ist, welcher Funktion sie dienten. Feuer war den H.en unbekannt bzw. beherrschten sie den Umgang damit nicht. Fleisch wurde ausschließlich roh verzehrt. Naturhöhlen machten jede Architektur überflüssig, sieht man vom Scharren geeigneter Schlafmulden ab. Allerdings verfügten die H.en über ein ausgeprägtes Raumverständnis, wiesen sie doch den natürlich vorkommenden Höhlen unterschiedliche Funktionen zu. Räume, in denen getrocknetes Fleisch oder Früchte aufbewahrt wurden, waren strikt von jenen Höhlen getrennt, die bei größter Hitze oder lang andauernden Regenfällen benutzt wurden. Die H.en differenzierten zwischen rein und unrein, lebendig und tot. Die klimatischen Bedingungen erlaubten keinen Ackerbau, bestenfalls das Sammeln von wild wachsenden Früchten oder Sämereien. → Isotopenmessungen von Kollagen in den Knochen von H.en deuten darauf hin, dass Fleisch die hauptsächliche Quelle für Protein war. Analysen des Darminhalts mumifizierter Tiere ergaben, dass Kleinsäuger, Insekten, Reptilien, Sämereien wie eine bislang unbekannte Frucht zum Nahrungsangebot zählten. Die H.en dürften eine einfache Vorratswirtschaft betrieben haben. Neben dem Einlagern von gesammelten Früchten sei das Lufttrocknen von Fleisch erwähnt. Gefäße wie Kalebassen oder Tonkrüge waren ihnen unbekannt. Einfachste Geräte, Schabesteine, Drill- und Schwirrhölzer seien genannt, wurden einzig zu kultischen Zecken verwendet wie sich überhaupt alle Kulturleistungen der H.en nahezu ausschließlich dem → Kultus verdankten, dem Herbeisingen der Regenzeit, also der Wiederkehr der Zwergazellen, sowie dem Verhältnis der Lebenden zu den Toten. Schabesteine dienten tattooartigen Mustern, mit denen die H.en ihr Fell, sei es im Jahreszyklus, sei es bestimmter Anlässe wie des Festes des Erwachsenwerdens oder eines Todesfalles wegen zu schmücken wussten. Die diesbezüglichen Ornamentierungen waren festgelegt, erlaubten keine individuelle Gestaltung. Sie gaben Auskunft über das Alter, jede sich ändernde Stellung innerhalb des Clans, was etwa beim Tod eines Angehörigen der Fall war. Starb ein Kind während oder nach der Geburt, so wurde der Name der Mutter durch eine Silbe erweitert, dieser Einschnitt unter Verwendung von Schabesteinen, wohl auch der Schneidezähne, in ihr Fell eingearbeitet. So auch in allen anderen Fällen, die eine neue Stellung eines Mitglieds innerhalb des Clans zur Folge hatten. Zweifellos diente diese Art der Fellpflege auch dem Gefühl geselligen Zusammengehörens. Schabesteine wurden auch für die Herstellung von → Schwirrhölzern verwendet, denen, sie durften nur von männlichen Mitgliedern eines Clans in weiter Entfernung von den Schlafplätzen nachts berührt und zum Klingen gebracht werden (für weibliche Mitglieder hätte ihr Klang den Tod bedeutet), eine kultische Funktion zukam. Auch die Benutzung von → Zahnstochern gilt als gesichert. Die komplexe Mythologie der H.en wurde mündlich, vor allem in Form von Gesängen tradiert. Degusin hat sich eingehend mit der → polyphonen, an Riten des Alltags gebundenen Musik der H.en beschäftigt. Neben Dankesliedern an die Natur waren vor allem Beschwörungsgesänge, die dem Herbeilocken der Zwerggazellen wie der Befriedung der Verstorbenen dienten, von Bedeutung. Die Rundgesänge, an denen sich alle Stammesmitglieder beteiligten, lassen sich durch kurze, aneinander gereihte, von Pausen löchrig durchsetzte Tonlaute und Jodelmotive charakterisieren, die endlos variiert werden konnten. Die vielsträhnigen, in kühnen metrischen Verhältnissen verlaufenden Gesänge, eine hin- und herwogende, suggestiv leiernde Vokalmusik, blieben stets aufeinander bezogen. Neben kollektiven Gesängen dokumentierte Degusin eine Vielzahl von Liedern, in denen einzelne Gefühlen wie Wohlbefinden, Sehnsucht oder Trauer Ausdruck verliehen. Überhaupt muss man sich die Welt der H.en als fortwährenden Gesang vorstellen. Sie schliefen mit Gesängen ein, wachten mit Gesängen auf. Die → Kunst der H.en war ausschließlich ornamenthaft und kannte keine gegenständlichen Abbildungen. In der Regel handelte es sich um Einritzungen, die mit natürlich vorkommenden Pigmenten wie etwa einem roten Kalkstein zur Geltung gebracht wurden. Es fanden sich auch manganhaltige Pigmentklumpen. Nach wie vor geben einige → Höhlenzeichnungen aus prähistorischer Zeit, die sich in der als "rote Grotte" bezeichneten Höhle fanden, Rätsel auf. Auf ihnen sind eindeutig Hunde dargestellt. Die H.en verfügten über ein komplexes → Sozialverhalten. Sie lebten gesellig. Offensichtlich gingen die H.en bei ihren Beutezügen planmäßig vor. Ihr Jagdverhalten verdankte sich einem ausgeklügelten Rollenspiel, in dem rangniederen Tieren die Funktion von Treibern, ranghöheren Tieren die Funktion von → Beuteschnappern zukam. Fundstellen belegen, dass die H.en Zwerggazellen immer wieder an denselben Stellen auflauerten. Die erlegten Tiere wurden zum Teil an Ort und Stelle verzehrt, zum Teil getrocknet und in den von den H.en benutzten Erdhöhlen gelagert. Schädel erlegter Zwerggazellen fanden sich nahezu ausschließlich in Höhlen, die der Bestattung dienten. Dort fanden sie sich ornamentartig angeordnet, was neben einem symbolischen Verständnis für eine Art → Totenkult spricht. Nach Degusin war das Jagdverhalten der H.en zutiefst rituell organisiert. Die Zwerggazellen, in der Vorstellungswelt der H.en von größter Bedeutung, durften nicht einfach angefallen und zerfleischt werden. Ihr Tod musste durch einen mächtigen, aber zärtlichen Genickbiss erfolgen. Die Paarungszeit der H.en fiel in den Beginn der Trockenzeit. Die Jungen wurden zu Beginn der Regenzeit, die mit einem reichen Nahrungsangebot einherging, zur Welt gebracht. Das → Paarungsverhalten scheint an eine Reihe von Tabus geknüpft gewesen zu sein, wenngleich Heranwachsenden diesbezüglich größte Freiheiten zugestanden wurden wie die H.en überhaupt dem sinnlichen Erleben (man denke an den Genickbiss) größte Beachtung schenkten, diese durch die berauschende Wirkung bestimmter Früchte ebenso zu steigern suchten wie durch Enthaltsamkeit. H.en im fortpflanzungsfähigen Alter paarten sich fernab aller Blicke nachts in den Dünen. Sie lebten in langjährigen monogamen Beziehungen. Heiraten innerhalb des eigenen Clans war tabu. Ein Mann aus dem Clan A (diesseits des Berges, auf dem die Ahnen wohnen) konnte nur eine Frau aus dem Clan B (jenseits des Berges, auf dem die Ahnen wohnen) heiraten. Degusin beschreibt die Gesellschaft der H.en als matrilinear. Ein Mann konnte nur in die Familie einer Frau einheiraten, wobei er bestenfalls so etwas wie ein Gastrecht erhielt und jederzeit wieder verstoßen werden konnte. Mochte Letzteres auch zutreffen, so scheint doch höchst fraglich, ob die Gesellschaft der H.en matrilinear organisiert war, kannten sie doch weder so etwas wie Ackerbau, noch einen wirklichen Werkzeuggebrauch. Bestenfalls lässt sich von einer engen Bindung an die Mutter sprechen, von Funktionen, die Männern, von Funktionen, die Frauen zustanden. Alle kultischen Handlungen fielen in den Aufgabenbereich von erfahrenen männlichen Mitgliedern eines Clans, die ihre männlichen Nachkommen in die Riten einweihten. Degusin konnte an einigen → Initiationsriten teilnehmen. Offensichtlich wurden heranwachsende männliche Jugendliche Erfahrungen wie Hunger, Durst oder dem Alleinsein ausgesetzt und in geheimes Wissen eingeführt. Dabei konnte es sich durchaus um nahe Verwandte, selbst um Väter handeln, die von den Initianten allerdings nie als solche wahrgenommen wurden, sei es der Dunkelheit, der verstellten Stimmen oder der Farben wegen, mit denen die Priester ihren Körper bemalten. Bei Degusin finden sich keine Hinweise auf Initiationsriten, die den Mädchen galten. Den erwachsenen Frauen fiel die Sorge um die Jungen wie die rudimentär entwickelte Vorratswirtschaft zu. Durch ihre Kulturleistungen sind die H.en In der Tierwelt einzigartig. Die He.en werfen viele Fragen auf: Wie konnte sich ihre Kultur überhaupt entwickeln? Warum blieb die Population über lange Jahrhunderte weitgehend konstant? Warum investierten sie ihr Potenzial nie in Technik? Die H.en wurden Opfer der reichen → Erdölvorkommen in der Dalassiwüste. 1986 wurden in der Dalassiwüste reiche Öl- und Erdgasvorkommen entdeckt. Viele Hundemenschen fielen Baumaschinen zum Opfer. Wurden sie nicht in ihren Schlafmulden von großen Baumaschinen erdrückt, so verloren sie ihre Lebensräume. Die Wasserquellen versiegten oder wurden verseucht. Die Zwerggazellen blieben aus. Offensichtlich gab es seitens der Hundemenschen Widerstand. Mit ihren starken Kiefern zerstörten sie Leitungen und Rohre. Um dieses geschäftsschädigende Verhalten zu verhindern, brachten die in der Dalassiwüste engagierten Ölkonzerne → objektsuchende Drohnen zum Einsatz. Zwar gelang es so, Angriffe auf die Infrastruktur zu reduzieren, aber weiterhin wurden Rohre durchgebissen, was erhebliche Gewinneinbußen zur Folge hatte. Die Lösung war einfach: Gas. Dem Gas waren Stoffe mit euphorisierender Wirkung beigemischt. Tierschutzgerechtes Töten. Die Hundemenschen trokelten trunken in ihren Tod. Der H. gilt als ausgestorben.

© Bernhard Kathan, 2014


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