Inhaltliche Leere mit Trash überspielen
Zur LUMAGICA im Innsbrucker Hofgarten
Wem gehört der öffentliche Raum, wer entscheidet über seine Nutzung? Diese allgemeine Frage stellt sich zum xten Mal anlässlich des Lichtspektakels im Hofgarten, welches sich LUMAGICA nennt und eine „zauberhafte, magische Reise durch die Zeit“ verspricht, die Dunkelheit erstrahlen und die Sinne verzaubern soll. Auch dieses Jahr wird der Hofgarten mehr als zwei Monate mit unsäglichen Gebilden möbliert, mit „mächtigen Hirschen, Löwen und Elefanten, zierlichen Eiskristallen und mystischen Fabelwesen“, nicht zu vergessen mit einigen Dinosauriern aus Plastik, einer altertümlichen Lokomotive oder zwei Rittern. Das ginge ja noch durch, handelte es sich um einen beliebigen Ort, nicht um einen denkmalgeschützten Bundesgarten.
Mit einer Zeitreise hat all das nicht das Geringste zu tun. Eine Zeitreise kann man unternehmen, hat man etwa das Glück, liest einem jemand Goethes „Wilhelm Meisters Wanderjahre“ vor. Da kriegt man ein Gefühl für das frühe 19. Jahrhundert, für die Architektur, für Gartenanlagen oder gesellschaftliche Konventionen. Man hört die Kleider rauschen und es ist einem, als nähme man Teil an einem Gespräch bei flackerndem Kerzenschein. Bei einer solchen Lektüre wird vieles im Kopf lebendig und es bedarf nicht einmal irgendwelcher die Zeit betreffender Objekte. Auch bei Adalbert Stifter wie vielen anderen finden sich eindrückliche Beschreibungen von Licht und Dunkelheit, etwa wie Licht in einen dunklen Raum einfällt und etwas zum Leuchten bringt, was sich in einem hell ausgeleuchteten Raum gänzlich unserer Wahrnehmung entzöge. Wie flach nimmt sich dagegen ein aus blinkenden Lämpchen bestehender Elefant aus, mag er seinen Rüssel noch so hoch heben. Kaum hat jemand das Ding gesehen, steuert er sie es das nächste Unding an, um die selbe Leere zu empfinden.
„Vom Nützlichen durchs Wahre zum Schönen“, so Goethe in den „Wanderjahren“. Nützlich ist da nichts, das Wahre liegt einzig in der Geschäftemacherei („crossmediale Marketingkampagnen“) und nach Schönheit wird man vergeblich suchen. Zwei gegen einander kämpfende Exoskelettritter sind auf einer Freifläche mit Kugeln, die an Fußbälle denken lassen, positioniert, weshalb man nicht recht weiß, ob sie statt zu kämpfen nicht doch lieber Fußball spielten. Soll man lachen oder weinen? Ich neige zum Letzteren, stehen die beiden doch vor dem Taschentuchbaum, was den Lichtdekorateuren gewiss nicht aufgefallen ist.
Wir haben es mit einer unsäglichen Infantilisierung zu tun, zumal die bunt zusammengewürfelten Glitzerobjekte einem schlecht gemachten Kinderbuch entnommen scheinen. Es ist von Einzigartigkeit die Rede. Dabei ist derselbe Plunder, wenn auch mit einigen Anpassungen, in anderen Städten, selbst in Japan zu sehen. Der Unsinn verdankt sich der MK Illumination Handels GmbH mit Firmensitz in der Trientlgasse: „Die bemerkenswerte Wirkung von Licht präsentieren wir in unterschiedlichsten Bereichen. Diese reichen von Städten, Kommunen und Gemeinden, über Retail Real Estate, Freizeit und Tourismus, Travel Retail, Corporate Business, bis hin zu Freizeitparks, Kirmessen, Festivals und Großhändlern. Wir setzen Qualitätsstandards in der Branche. Unsere Lichtprodukte und Lichtdesigns sind sicher, legal, effizient und nachhaltig. Die phänomenale Wirkung von Licht ist Inspirationsquelle für unser internationales Designteam. Ästhetisch visuelle Faktoren unterstützen die Dramaturgie und Identität eines Ortes und schaffen somit ein echtes Erlebnis. Mit Liebe zum Detail und in feinster Handwerkskunst entstehen in unserer hauseigenen Manufaktur wahre Schmuckstücke mit höchstem Designanspruch.“
Es ist von „wahrhaften Lichterlebnissen“, „festlicher Atmosphäre“, „echten Glücksmomenten“, „unvergesslichen Momenten“, „wahren, echten Erlebnissen“, „emotionalen Gesamtkunstwerken“ und so weiter die Rede. Von einem „echten Erlebnis“ zu sprechen, ist ein Unsinn. Entweder erlebt man etwas oder erlebt etwas nicht. Dagegen gibt es sehr wohl unechte Erlebnissen, nämlich dann, wenn die Befriedigung von Sehnsüchten oder Wünschen versprochen wird, diese aber nur als Transmissionsriemen der Bewirtschaftung dienen, was bei Lichtspektakeln wie dem im Hofgarten zweifelsohne der Fall ist.
Gegen alle anderen Behauptungen hat das Lichtspektakel im Hofgarten nicht das Geringste mit dem Hofgarten zu tun. Es findet sich da keine wie immer geartete Auseinandersetzung mit der Geschichte der Anlage, mögen hier vor langen Jahren auch Hirsche gehalten worden sein. Ohne wirkliche Bezugnahme wurde möbliert. Der Hofgarten bot sich als Kulisse, vor allem seiner Altstadtnähe wegen an. Auch handelt es sich um ein umschlossenes Gelände handelt, Voraussetzung der Publikumsbewirtschaftung. Hier findet sich denn auch die eigentliche Bezugnahme auf den „Tiergarten als Heimat der kaiserlichen Menagerie“, nur dass nun nicht Hirsche, sondern eintrittzahlende Personen bewirtschaftet werden.
Ob überzeugende künstlerische Raumeingriffe oder beste Architektur, stets haben wir es mit einer intensiven Beschäftigung mit räumlichen Vorgaben zu tun. Die Art und Weise wie die „emotionalen Gesamtkunstwerke“ im Hofgarten „inszeniert“ sind, belegt das Gegenteil. Weder ist da eine Beschäftigung mit seiner Geschichte, noch eine Auseinandersetzung mit der Gartenanlage erkennbar. Und wie sollte man sich da noch erwarten können, dass die Betreiber sich die Frage nach der Funktion und Nutzung eines öffentlichen denkmalgeschützten Gartens beschäftigten. Höchst parasitär wird ein kulturgeschichtliches Juwel zu einem bloßen Ambiente herabgewürdigt. Dass sich kaum jemand daran zu stoßen scheint, belegt nicht das Gegenteil. Schlechter Geschmack ist bekanntlich mehrheitsfähig. Dabei ist die Welt nur durch Schönheit zu retten, wenn auch nicht selten durch ein irritierendes Innehalten, durch die Betonung des Eigentlichen. Wer immer sich an den unverstellten winterlichen Hofgarten erinnert, der hat eine Vorstellung von Schönheit.
Im Hofgarten ließe sich vieles aufgreifen, manches, an dem man zumeist achtlos vorbei geht, etwa an all den Blattformen. Man hat es nicht nur mit phantastisch anmutenden Gebilden zu tun. Ein Blatt eines Tulpenbaumes ist nicht nur in ästhetischer Hinsicht ein Wunderwerk. Es könnte, so man es genauer betrachtete, in Zeiten knapp werdender Ressourcen als Modell bezüglich geringstmöglichem Aufwand und größtmöglicher Effizienz dienen. Es bedurfte Jahrmillionen, um ein solches Optimum zu erreichen. Statt auch nur ein Blatt vom Boden aufzuheben und einmal genauer zu betrachten, schickt sich in der Nähe des Tulpenbaumes ein lächerlicher Bär an, auf einen Baum zu klettern. Der Biologe Adolf Portmann hat sich auch mit den Blättern des Tulpenbaumes beschäftigt. Der Wirkung wegen hat er eines der Blätter auf dunklem Grund fotografiert. Im Gegensatz zu den selbstbehaupteten Lichtkünstlern wusste Portmann um das Geheimnis von Hell und Dunkel, um die Bedeutung des Lichts.
Liest man sich durch literarische Zeitreisen, stets ist der Ausgangspunkt, die Welt mit ihren Problemen und Konventionen von Bedeutung. Immer haben wir es mit dem Bemühen zu tun, Welt oder gesellschaftliche Wirklichkeiten zu antizipieren. Dieser Ausgangspunkt wird hier dagegen konsequent ausgeblendet, findet sich doch nicht ein Hinweis auf all die Szenarien, die uns heute tatsächlich bedrohen. Da ließe sich mit Licht und Finsternis arbeiten, nur müsste man auch der Finsternis ihren Platz lassen.
Statt dessen haben wir es mit Kitsch zu tun. Nach Birgit R. Erdle wird so das Fremde, Unübersichtliche und Bedrohliche der Wirklichkeit zur Überschaubarkeit und Gemütlichkeit einer „Wohnküche“ eingeebnet, zum stimmungsvollen und eindeutig Heimatlichen: „Alles Weltliche – Menschen, Gegenstände, Situationen, Ereignisse – wird verhäuslicht, zu Vertrautheit reduziert und simplifiziert. [...] Die harmonisierende Einswerdung mit dem Objekt und die gefahrlose Bequemlichkeit der Rezeption ruft im Wahrnehmenden einen Zustand bewusstloser Gestimmtheit hervor. Die Struktur des Kitsches legt eine affirmative, nicht-analytische, von Passivität und Apathie getragene Rezeptionsweise nahe und erhält so auch eine kollektivierende Funktion.“
In der Winterzeit, wenn die Tage kürzer werden und es länger dunkel ist, bringe uns Lichterglanz Wärme und Zuversicht. Dem lässt sich mit Hugo Kükelhaus entgegenhalten: „Das Licht aber ist Licht, wenn es leuchtet in der Finsternis – je schwächer, desto leuchtender ist es. Was aber tun wir heutigentags? Wir verraten, gerade zu Weihnachten, das Fünkchen wie nie zuvor im Jahr. Dieses aber müssen wir nennen: die Verfinsterung und Erblindung durch Totalität.“ Der heutige Mensch, so Kükelhaus, sei in der hellen Finsternis angekommen. Man kann noch so viele Kilometer mit LED-Lämpchen bestückte Kabel verlegen, ohne das Geringste vom Wesen des Lichtes zu verstehen. Dass wir es mit einer enormen Lichtverschmutzung und all den damit verbundenen Problemen zu tun haben, sei nur nebenbei angemerkt.
Wirklich einprägsame Lichterfahrungen, da mag man an die eigene Kindheit oder auch an literarische Texte denken, sind völlig anders organisiert. Meist ist wirkliche Dunkelheit von Bedeutung, durchwegs hat man es mit einer klaren Trennung von Lichtquelle und Beobachterstandort, mit einer Annäherung zu tun, nicht zuletzt mit existenziellen Fragen, etwa der Angst, sich zu verirren und verloren zu gehen, mit Hoffnung. Lichtspektakel wie jenes im Hofgarten sind dagegen völlig distanzlos, sie behaupten Poesie und produzieren nichts anderes als Stimmung. Die illuminierten Objekte lassen an Fliegenfänger denken, die von Besuchern wie von Motten umschwirrt werden.
Jedes Stadtmarketing wird bestrebt sein, möglichst viele Gäste anzuziehen. Das lässt an nächtliche Beleuchtungen denken, die von Insekten umschwirrt werden. Wie solche Lichtquellen Insekten in der Regel abträglich sind, so dürften auch die durch Lichtspektakel angelockten Gäste sich in keineswegs nährenden Achterschlaufen drehen. Auch ökonomisch betrachtet ist so ein Spektakel fraglich, ist doch zu bezweifeln, dass solches längerfristig einen „Mehrwert schafft“. Statt dessen müsste das Stadtmarketing längerfristig auf Qualität und Differenz setzen, was mit Spektakeln, die mehr oder weniger überall zu sehen sind, keineswegs der Fall sein kann. Es mangelt nicht an Künstlern, die sich sehr ernsthaft mit Licht beschäftigen. Solche Eingriffe wären im Hofgarten spannend. Aber wäre es so, dann würden sich Fragen aufwerfen, und seien es Fragen nach der menschlichen Existenz. Die inhaltliche Leere wird hier dagegen mit Masse überspielt wie man sich denn auch mit billigstem Trash zufrieden gibt. Und da Licht allein zu platt daherkäme, „gibt es auch etwas für die Ohren“, nämlich Lärm: „sphärische Klänge, die zum Träumen verführen.“
Man mag einwenden, das Lichtspektakel finde nur in den Abendstunden statt, tagsüber sei der Hofgarten frei zugänglich. Aber auch so hat der winterliche Hofgarten sehr viel seiner Schönheit verloren. Man kann ja nicht mehr durchgehen, ohne von der Erbärmlichkeit seiner Möblierung angewidert zu sein.
Nicht zuletzt ist das Fehlen jeder Diskussion bezüglich der Nutzung des Hofgartens zu beklagen. Wäre es anders, zweifellos gäbe es bessere Eingriffe. Holen wir uns den Hofgarten zurück!
© Bernhard Kathan 2024