Photographie: Gertrude Moser-Wagner            
Pura Luhur.
Dschungeltempel am Fuße des
Berges Batu Karu, Bali.
Foto: Gertrude Moser-Wagner



Ich war gerade einen Monat in Indonesien. Davon drei Wochen auf Bali und zum Schluss auf Java, wo ein Performance Art Festival stattfand, das mich einlud. Einmal Hinduismus und dann kürzer, Islam - optisch (im öffentlichen Raum) miterlebt. Bei einer balinesischen Familie das Neujahrsfest NYEPI (Tag der 24stündigen Stille) mitgemacht, davor zwei Tage Feiern auf Straßen. Mich beschäftigt die hinduistische Schauweise: keine Winkel (wie im Katholizismus). Da sind vor allem Tore wichtig. Es sind gespaltene, schmale Tore, immer Durchgangssituationen. Überall Schreine, in den Häusern, in jedem Dorf. Und dann diese eigenartigen, bemerkenswerten (National)Tempel. Das Offene und Durchzugshafte ist Kennzeichen (auch wegen der subtropischen Temperatur, denke ich). Verpflichtend sind tägliche kleine Opfergaben am Morgen (Aufgabe der Frauen), um die Götter wie die auch Dämonen gleichfalls zu besänftigen. Es ist eine Kultur ständigen Ausbalancierens. Womöglich liegt der Stress dort darin, beim Opfern etwas falsch zu machen. In der animistischen Vorstellung könnte z.B. ein Vogel eine herumirrende Seele eines Verwandten sein, die Böses will. Die Präsenz der Hauptgötter und -Göttinnen wird symbolisiert durch erhöhte Sessel in den Tempeln. Hier nehmen die Gottheiten unsichtbar Platz, während die Menschen für sie die zahlreichen Tempelfeste feiern. Diese Anwesenheitskultur ist zugleich eine Transformationskultur, jedenfalls nicht durch das Auge repräsentiert (wie im Katholizismus), sondern durch Tor und Sessel. Diese Stimmung beherrscht den Tag. Alles ist sehr üppig - die Menschen leben mit Göttern und Dämonen auf du und du. Die Leute wirken entspannt und sind zudem manuell sehr begabt . Die religiösen Riten kennen ihre Theater- und Musikformen, ihre Tänze, Umzüge, Kleidungen. Alles ist ohne Höhepunkt, aber prächtig ausgestattet. Alles dauert sehr lange, verständlich, läuft es doch auf Trance hinaus. Ihre Malereien kennen Bilder, deren Inhalte fast Muster bilden. So kann man die eigene europäische (heute minmalistische - ich spreche nicht von katholischen Dörfern oder Traditionsresten) Kultur dazu in Relation setzen und studieren, was solcherart gebundene kollektive Gesellschaften von den unseren unterscheidet, wenn sich die Egos ausdifferenziert haben. Du hast natürlich recht, wenn du sagst, dass dieser fehlende Bezug einen Wahrnehmungsverlust hinsichtlich Natur und Umgebung zur Folge hat, einen wuchernden Konsum, damit einhergehende Zwänge, fast ähnlich wie bei den gebundenen Gesellschaften mit ihrer Religion. Auch dort greift die moderne Zeit. China produziert billige Waren, die überall auftauchen. Die Jungen verlassen die Reisfelder. Aber zu Nyepi landet auch heute noch kein Flugzeug, fährt kein Taxi einen Touristen, eine Touristin. Die Insel soll ganz leer scheinen, die Straßen menschenleer, damit die Dämonen, die tags vorher verjagt wurden, die Insel dort unbewohnt vorfinden. Ich habe vorher Interviews mit Menschen gemacht, was sie zu NYEPI machen. Auf Java ist Allah zuhause, wir waren in Solo, Nordjava, in ein Zentrum für Bewegung geladen (Amerta-Movement, www.lemahputih.com), das sich von buddhistischen und altjavischen Kenntnissen ableitet. Der moslemische Alltag erinnert stimmungsmäßig eher an die Dörfer unserer Kindheit, das Einmummen, das strafende Auge (dort wohl eher das Ohr, durch die Stimme des Muezzin vertreten, der immer durch die Gegend schallt), auch das Winkelhafte, Verschreckte. Zumindest in meiner Assoziation. Alle Eingottglaubensregeln und Ausschließlichkeitsgötter neigen zur Zwangsverbreitung ähnlicher Normen des Eingeschlossenen, ganz anders als die Mehrgottreligionen und animistischen Naturreligionen. Sie sind vitaler und sinnlicher, andockfähiger und lassen dem Menschen Optionen offen.

Gertrude Moser-Wagner, bildende Künstlerin, Projektkünstlerin, Wien

www.moser-wagner.com

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