Ich war gerade einen Monat in Indonesien. Davon drei Wochen auf Bali und zum
Schluss auf Java, wo ein Performance Art Festival stattfand, das mich
einlud. Einmal Hinduismus und dann kürzer, Islam - optisch (im öffentlichen
Raum) miterlebt. Bei einer balinesischen Familie das Neujahrsfest NYEPI (Tag
der 24stündigen Stille) mitgemacht, davor zwei Tage Feiern auf Straßen. Mich
beschäftigt die hinduistische Schauweise: keine Winkel (wie im
Katholizismus). Da sind vor allem Tore wichtig. Es sind gespaltene, schmale
Tore, immer Durchgangssituationen. Überall Schreine, in den Häusern, in
jedem Dorf. Und dann diese eigenartigen, bemerkenswerten (National)Tempel.
Das Offene und Durchzugshafte ist Kennzeichen (auch wegen der subtropischen
Temperatur, denke ich). Verpflichtend sind tägliche kleine Opfergaben am
Morgen (Aufgabe der Frauen), um die Götter wie die auch Dämonen gleichfalls
zu besänftigen. Es ist eine Kultur ständigen Ausbalancierens. Womöglich
liegt der Stress dort darin, beim Opfern etwas falsch zu machen. In der
animistischen Vorstellung könnte z.B. ein Vogel eine herumirrende Seele
eines Verwandten sein, die Böses will. Die Präsenz der Hauptgötter und
-Göttinnen wird symbolisiert durch erhöhte Sessel in den Tempeln. Hier
nehmen die Gottheiten unsichtbar Platz, während die Menschen für sie die
zahlreichen Tempelfeste feiern. Diese Anwesenheitskultur ist zugleich eine
Transformationskultur, jedenfalls nicht durch das Auge repräsentiert (wie im
Katholizismus), sondern durch Tor und Sessel. Diese Stimmung beherrscht den
Tag. Alles ist sehr üppig - die Menschen leben mit Göttern und Dämonen auf
du und du. Die Leute wirken entspannt und sind zudem manuell sehr begabt .
Die religiösen Riten kennen ihre Theater- und Musikformen, ihre Tänze,
Umzüge, Kleidungen. Alles ist ohne Höhepunkt, aber prächtig ausgestattet.
Alles dauert sehr lange, verständlich, läuft es doch auf Trance hinaus. Ihre
Malereien kennen Bilder, deren Inhalte fast Muster bilden. So kann man die
eigene europäische (heute minmalistische - ich spreche nicht von
katholischen Dörfern oder Traditionsresten) Kultur dazu in Relation setzen
und studieren, was solcherart gebundene kollektive Gesellschaften von den
unseren unterscheidet, wenn sich die Egos ausdifferenziert haben. Du hast
natürlich recht, wenn du sagst, dass dieser fehlende Bezug einen
Wahrnehmungsverlust hinsichtlich Natur und Umgebung zur Folge hat, einen
wuchernden Konsum, damit einhergehende Zwänge, fast ähnlich wie bei den
gebundenen Gesellschaften mit ihrer Religion. Auch dort greift die moderne
Zeit. China produziert billige Waren, die überall auftauchen. Die Jungen
verlassen die Reisfelder. Aber zu Nyepi landet auch heute noch kein
Flugzeug, fährt kein Taxi einen Touristen, eine Touristin. Die Insel soll
ganz leer scheinen, die Straßen menschenleer, damit die Dämonen, die tags
vorher verjagt wurden, die Insel dort unbewohnt vorfinden. Ich habe vorher
Interviews mit Menschen gemacht, was sie zu NYEPI machen. Auf Java ist Allah
zuhause, wir waren in Solo, Nordjava, in ein Zentrum für Bewegung geladen
(Amerta-Movement, www.lemahputih.com), das sich von buddhistischen und
altjavischen Kenntnissen ableitet. Der moslemische Alltag erinnert
stimmungsmäßig eher an die Dörfer unserer Kindheit, das Einmummen, das
strafende Auge (dort wohl eher das Ohr, durch die Stimme des Muezzin
vertreten, der immer durch die Gegend schallt), auch das Winkelhafte,
Verschreckte. Zumindest in meiner Assoziation. Alle Eingottglaubensregeln
und Ausschließlichkeitsgötter neigen zur Zwangsverbreitung ähnlicher Normen
des Eingeschlossenen, ganz anders als die Mehrgottreligionen und
animistischen Naturreligionen. Sie sind vitaler und sinnlicher,
andockfähiger und lassen dem Menschen Optionen offen.
Gertrude Moser-Wagner, bildende Künstlerin, Projektkünstlerin, Wien
www.moser-wagner.com