Das Hidden Museum
Das zweifelhafteste Museumsprojekt der Gegenwart
Günther Gstrein im Gespräch mit Bernhard Kathan
Weil eine 29jährige Britin an chronischer Müdigkeit litt,entschied sie sich für eine Selbstoperation. Sie stellte sich vor einen Spiegel und öffnete sich mit professionellen chirurgischen Instrumenten die Schädeldecke. Allerdings nicht zu tief, denn sie konnte noch den Notarzt anrufen. Gerne würden wir zur Selbstoperation anbieten: antiseptisches Material, blutstillende Tupfer, chirurgische Fräsen und Bohrer. An den Folgen und Erfolgen haben wir keinen Zweifel. Am Glauben fehlt es nicht, es fehlt an Geld, und zwar selbst für die einfachsten chirurgischen Geräte. An neugierigen Beobachtern bestünde kein Mangel. |
Keine Hinweistafeln, kein Logo, keine Kritiker, keine Klimaanlage, keine
Museumspädagogen, kein Aufsichtspersonal, keine Eintrittspreise, ein Museum
ohne Öffnungszeiten, Gäste, die größere oder kleinere Hindernisse zu
überwinden haben, um Teil eines Projektes zu werden, Künstler, die sich oft
nicht als Künstler verstehen, Kunstwerke, die sich durch diesen oder jenen
Einfluss in Luft auflösen, Kunstwerke, die gezeigt werden, ohne dass sie
jemand sieht, ein Museum, welches das Versteckte und Dazwischenliegende
betont. Und dies nun seit etlichen Jahren. Wie hat das Projekt begonnen?
Eigentlich ein Zufall. Ich habe meinen Vater in seinen letzten Lebensjahren
oft besucht. Er brauchte damals irgend eine Beschäftigung, die seinem Leben
wieder einen Sinn gab. Da es an Baumaterialien nicht mangelte, begann ich
mit ihm ein kleines Gebäude im Gebirge zu errichten. Das hat uns beiden Spaß
gemacht. Damals standen fast täglich Menschen mit einem Feldstecher am Rand
eines etwas höher gelegenen Parkplatzes und beobachteten unser Tun. Ich war
mir zwar bewusst, dass der öffentliche Raum in einem Dorf völlig anders
besetzt ist als in der Stadt, aber diesen Blick durch den Feldstecher
erlebte ich als schamlos und feindselig. In der Stadt hätte meine Arbeit
keinen Menschen interessiert. Entscheidend war der Versuch, dieser
destruktiven Neugier etwas Positives abzugewinnen. Ich begann mit kleinsten
Eingriffen, die in ihrer Funktion und Bedeutung für andere völlig
indifferent bleiben mussten, die sich nie eindeutig in den Kontext der Kunst
stellen ließen. Meist subtile Regelverletzungen. Dass sich jedes soziale
Regelwerk nur dann untersuchen lässt, wenn man seine Regeln verletzt oder
Regelverletzungen wie Konflikte in das Zentrum der Aufmerksamkeit rückt,
diese Grundannahme der Ethnomethodologie galt für die damaligen Arbeiten.
Ein Grundproblem vieler Projekte im öffentlichen Raum ist ja auch, lassen
sie sich der Kunst zuordnen, so sind sie kategorisiert und somit einer
gewissen Anästhesie unterzogen. Wie hat sich das Verhalten der Beobachter
verändert?
Einmal war ein gewisser Gewöhnungseffekt zu bemerken, dann wurde die
Aufmerksamkeit von anderen Ereignissen aufgesogen. Es läuft eben nur immer
eine Sau durch das Dorf. Andererseits wurde das Gebäude zumindest in meiner
Abwesenheit häufiger inspiziert. Menschen auf dem Land haben ein sehr gutes
Gefühl dafür, ob jemand anwesend oder abwesend ist. Sie können die
entsprechenden Zeichen lesen. Anfangs griff ich Konflikte auf, die sich auf
das Gebäude selbst oder die umliegende Landschaft bezogen, etwa den
dramatischen Zusammenbruch der kleinbäuerlichen Kultur, die dieses Dorf über
Jahrhunderte geprägt hat. Diesbezüglich kenne ich überhaupt keine
sentimentale Regung. Wer könnte das Ende bedrohlicher Armut oder vieler
Zwänge bedauern. Andererseits verschwinden auch viele erstaunliche
Leistungen eben dieser Kultur.
Aber heute scheint das HIDDEN MUSEUM weit von diesen Anfängen entfernt.
Ich wusste es damals nicht, aber eines der Projekte, welches sich in
besonders dichter Weise mit Neugier beschäftigte, hat zu einer grundlegenden
konzeptionellen Verschiebung geführt. Im Innenraum waren Gesichter von
Bankräubern zu sehen, aufgenommen mit Hilfe von Überwachungskameras. Die
Fotos habe ich mir aus dem Internet zusammengesucht. An der Decke war eine
Kamera montiert, die, ausgerüstet mit einem Bewegungssensor, Aufnahmen
machte, sofern jemand von außen durch das Fenster blickte. Technisch war
dies gar nicht so einfach. Aber einige der Bilder waren dann doch brauchbar.
Auf manchen Bildern sind nur Schemen und Schatten zu sehen, auf anderen
Aufnahmen sind die Gesichter wieder ganz gut zu erkennen. Ursprünglich
beabsichtigte ich, die so entstandenen Aufnahmen in einem nächsten Schritt
zu zeigen. Ich entschied mich dann aber, Menschen nicht wegen ihrer Neugier
bloßzustellen. Das HIDDEN MUSEUM kennt kein Gründungs- oder Eröffnungsdatum,
aber heute sehe ich in diesem Verzicht ein entscheidendes Datum. Es blieb
das Interesse für unterschiedlichste Formen der Neugier, das Bemühen um
Kontextualität und Ortsbezug, letzteres zumindest in dem Sinn, dass in jeder
Arbeit eben dieser Ort mitgedacht werden muss. Weiterhin blieb das Projekt
Barrieren und Hürden verpflichtet, weiterhin bemühe ich mich um Indifferenz
und Brüche.
Indifferenz zählt doch eher zu den wesentlichen Merkmalen der
Boulevardpresse als zu jenen guter Kunst. Jede in BILD abgedruckte
Geschichte muss mehrere Lesarten zulassen, und sei es die einer ironischen
Distanzierung.
Vieldeutigkeit meint in meiner Arbeit etwas ganz anderes. Die
Boulevardpresse will große Personengruppen ansprechen und das ist nur
möglich, wenn die Berichte mehrdeutig gehalten sind. Wirkliche Ausnahmen von
dieser Regel beziehen sich durchwegs auf gesellschaftliche Randgruppen, auf
Einzelpersonen, die dem reinigenden Fraß vorgeworfen werden können,
Tierquäler etwa oder Sittenstrolche. Das HIDDEN MUSEUM ist ein absolutes
Minderheitenprojekt, was allerdings keine Frage universitärer Bildung ist.
Im Gegensatz zur Boulevardpresse gibt es keine Identifikationsangebote. Es
wird keine Moral behauptet. Es liegt an den Rezpienten, dieses oder jenes zu
sehen.
Also eine unsichere Sache?
Im HIDDEN MUSEUM ist alles unsicher, so unsicher wie die Welt, in der wir
leben. Alle Erscheinung bleibt trügerisch. In bestimmten Bereichen gibt es
jedoch keine Täuschung. Wenn bei einem Essen in Butter und wenigen
Melissenblättern gewendete Lammhoden aufgetragen werden, dann sind es
wirklich Lammhoden, und es gibt keinen Grund, diese als etwas anderes
auszugeben.
Manche, mit denen ich gesprochen habe, halten das HIDDEN MUSEUM für ein
Internetprojekt. Es gibt eine Internetseite. Dann gibt es einen wirklichen
Ort, ein wirkliches Gebäude. Ließen sich diese Projekte nicht einfach im
Internet realisieren, zumal das Museum ja keine Öffnungszeiten kennt und nur
schwer erreichbar ist.
Um das Vorstellungsvermögen von Menschen zu aktivieren, bedarf es wirklicher
Orte. Das HIDDEN MUSEUM ist zuerst einmal ein Referenzraum, der durch
vielfältigste Regeln und Bedingungen definiert ist. Ein Projekt kann noch so
skizzenhaft sein, aber es braucht einen konkreten Raum, will man wirkliche
Erfahrungen machen. Dieser Raumbezug spielt eine entscheidende Rolle. Im
Netz bleibt vieles unverbindlich, letztlich vage. Es ist letztlich auch eine
Frage der Sinnlichkeit. Sinnlichkeit bedarf des ganzen Körpers.
Die im HIDDEN MUSEUM realisierten Projekte sind im Internet dokumentiert.
Wozu ist dies nötig bei soviel behaupteter Konkretheit.
Das Internet ist ein tolles Präsentationsmedium. Ich finde es ziemlich
absurd, heute noch Kataloge aus Mitteln von Kulturabteilungen zu fördern.
Für das HIDDEN MUSEUM bildet die Internetausgabe das eigentliche Portal des
Museums. Kontaktaufnahme ist nur über das Internet möglich, sofern jemand
nicht mich oder einen anderen Freund des Projekts kennt. Was im Internet zu
sehen ist, ist allerdings weniger eine Dokumentation im eigentlichen Sinn,
vielmehr ein Versuch, den Möglichkeiten des Mediums entsprechend, bestimmte
Fragen in oft spielerischer Weise weiterzudenken. Grundsätzlich ist diese
Seite sehr einfach gehalten. Inhalten wird klar der Vorzug gegenüber
HTML-Spielereien gegeben. Auch wenn sich die Texte auf einzelne Projekte
beziehen, so stehen sie doch gleichwertig neben diesen. Kunst wird nicht
erklärt. Es sind brüchige Text-Bildmontagen.
Ich war einmal Gast im HIDDEN MUSEUM und weiß, dass Du im Widerspruch zu
Deiner Zurückhaltung auf der anderen Seite in Deine Besucher investierst. Du
kochst, lässt kochen, beschäftigst Dich mit Speiseabfolgen und so fort.
Nicht zu vergessen die kunstvoll gedeckten Tafeln, die Bezüge zum jeweiligen
Projekt kennen.
Wir haben vergessen, dass unser Magen ein großes Auge ist, ein sehr subtiles
Auge. Bei jedem Projekt bemühe ich mich um Gäste, oft um Menschen, die ich
nicht kenne, auf deren Arbeit ich irgendwie aufmerksam wurde, und von denen
ich mir denke, dieses oder jenes Projekt könnte für sie spannend sein. Wen
immer ich einlade, den verstehe ich als Gast im eigentlichen Sinn. Ein Platz
muss freigehalten werden, ein Gast zahlt keinen Eintritt, er ist geladen. Im
Gegensatz zum üblichen Kulturbetrieb bemühe ich mich also nicht um
Menschenmengen, sondern um einzelne Menschen. Raumgröße, Kochtöpfe,
vorhandenes Besteck und Geschirr bilden ein sehr gutes Regulativ.
Selbstverständlich gibt es keine Reden, kein übliches Kunstgeflunker. Ich
achte auf die Rahmenorganisation, den Rest überlasse ich der
Selbstorganisation der Beteiligten.
In Deiner Arbeit geht es auch immer wieder um Warenästhetik, Werbung,
Besitz, Konsum und ähnliches. Wie kann man sich damit in einer Gegend
beschäftigen, wo sich Fuchs und Hase gute Nacht sagen, in der sich kein
einziges Werbeplakat findet. Ich sah jedenfalls nur Obstbäume, Wiesen und
Zäune.
Die Warenstruktur bestimmt das soziale Leben. Es ist unmöglich, sich mit
gesellschaftlichen Fragen zu beschäftigen, ohne sich auf ökonomische
Tatsachen zu beziehen. Die Warenwelt zeigt uns den schönen Menschen. Die
Menschen in der Werbung sind jung, ihre Haut ist glatt, ihre Zähne sind
weiß. Sie weisen keine Gebrechen auf, keine Fettwülste, nicht das geringste
Zeichen von Vergänglichkeit. Wo immer sich Menschen an Orten des Konsums
zusammenballen, begegnen wir hässlichen Menschen. Konsum besetzt das
Begehren, lässt letztlich kein wirkliches Begehren zu. Begehren setzt Mangel
voraus. Heute werden die Menschen buchstäblich durch die Objekte des Konsums
geformt. Touristen wirken besonders hässlich, müde und leer. Es scheint, als
seien sie nie ganz da, ortlos. Selbst die aufregendste Gemäldegalerie vermag
ihnen ihre Häßlichkeit nicht zu nehmen. Das HIDDEN MUSEUM widersetzt sich
allen Regeln des bloßen Konsums. Übrigens, wer nimmt denn heute noch ein
Wort wie Kapitalismus in den Mund; wie könnte man dies auch in einer Zeit
von shareholdern, Kleinaktionären und Börsenspekulanten, in einer Zeit, in
der fast alles dem Geldverkehr unterworfen ist.
Kannst Du der Werbung auch etwas Positives abgewinnen?
Ich dokumentiere sicher mehr Werbung als Kunst. Werbung ist den Konflikten
heutiger Menschen in der Regel näher als die Kunst, auch wenn ihre Antworten
schamlos eben diese Konflikte und Nöte missbrauchen. Werbung besetzt den
öffentlichen Raum. Nur gut, daß sie immer wieder durch neue Werbung ersetzt
wird. Was dagegen als Kunst gilt, behauptet meist seinen Platz. Oft völlig
langweilige und belanglose Arbeiten. Zur Werbung gesellt sich Kunst als
visuelle Umweltverschmutzung. Man müßte viele Friedhöfe anlegen, um all die
Brunnen, Büsten, Plastiken und Skulpturen zu entsorgen, die unseren Blick
auf Orte verstellen. Ich bin sicher, erst auf einem solchen Friedhof würden
sie wieder Sinn ergeben. Das HIDDEN MUSEUM hält keinen Platz besetzt,
überlässt alles raschen Zerstörungs- und Zersetzungsprozessen. Kunst vermag
bestenfalls Fragen zu formulieren, aber Antworten hat sie keine, schon gar
keine, die in zwanzig, hundert oder tausend Jahren noch gültig sein könnten.
Alles andere fällt in die Kategorie von Verschönerungsvereinen. Das HIDDEN
MUSEUM fühlt sich der Kurzlebigkeit der Werbung verbunden, aber das ist auch
schon alles.
Werbung scheint der heutigen gesellschaftlichen Wirklichkeit näher als der
Museumsbetrieb?
Seit ihren Anfängen haben Museen sich dem Fremden oder Vergangenen gewidmet.
In vielen Museen wird heute versucht, das, was gezeigt wird, in Beziehung
zur Welt der Besucher zu setzen. Das ist schwierig und droht bereits an den
Grundwidersprüchen des Museums zu scheitern. Museen sind meist gereinigte
Enklaven gesellschaftlicher Wirklichkeit. Dies auch dann, wenn sie sich
gerade mit Schmutzigem beschäftigen. In unseren Museen verdichtet sich das
Prinzip der Entmischung. Es erstaunt nicht, dass gerade die Großaktionäre
der Schlachthöfe in Chicago im neunzehnten Jahrhundert in Kunst und
Geschichte investierten. Museen und Schlachthöfe leben gleichermaßen vom
Prinzip der Entmischung. Im Schlachthof gibt es keine Kunst. All das, was zu
möglichen Reibungsverlusten führt und nicht dem eigentlichen Zweck der
Anlage dienlich ist, wird sauber abgeschieden. In Museen wiederum wird nicht
geschlachtet. Die Verbindung findet sich auf einer anderen Ebene, nämlich
auf jener einer Übersetzungsleistung, die mit Hilfe des Geldes geschieht.
Das HIDDEN MUSEUM verweigert sich dieser Entmischung. Es spiegelt das, was
unmittelbar zu sehen ist. Es saugt auf, verdaut und transformiert: Wie der
geöffnete Magen eines erlegten Tieres über Verhalten und Bewegungen in den
letzten Stunden seines Lebens Auskunft gibt, so wird das Präsentierte nicht
von allen Lebensspuren gereinigt. Museen und Galerien sind sichere Orte,
Enklaven der Erbauung, Ersatzorte für fragwürdig gewordene Religionen. Ihre
Ränder sind scharf, nicht allein aus sicherheitstechnischen Gründen; feste
Mauern oder auch Schuppen aus Glas, die über der Betonhülle montiert sind.
Das HIDDEN MUSEUM bewirbt sich?
Über die Internetseite, die wiederum mit Postkarten beworben wird. Bei den
Postkarten wird am üblichen Postkartenformat festgehalten; auf der Rückseite
ist der Titel des Projekts, der oder die Künstlerin, evt. der Fotograf sowie
die Internetadresse angegeben. Es soll alles vermieden werden, was an
übliche Werbung denken lassen könnte. Gegen alle Werberegeln wird auf diesen
Karten die Internetadresse gleichbleibend in sehr kleiner Zeichengröße
angegeben. Je zwei Stück ein und derselben Karte werden in einem neutralen
Kuvert ohne Absender verschickt. Der Umschlag trägt, auch wieder in sehr
kleinen Buchstaben, einzig den Aufdruck hidden.museum. Anfangs habe ich die
Gestaltung der Postkarten den beteiligten Künstlern überlassen. Keine der
Postkarten verfügte über ein übliches Format, eine dieser Karten war fast so
groß wie ein Schuhkarton. Heute achte ich diesbezüglich auf strikte
Zurückhaltung und vorgegebene Regeln, dies auch aus praktischen Gründen. Die
Empfänger der Karten sollen die Möglichkeit haben, diese selbst zu
verschicken. Neben ihrem Informationswert kommt den Karten so auch ein
Gebrauchswert zu.
Im HIDDEN MUSEUM realisieren auch andere Künstler Projekte. Gleichzeitig
verstehst Du das HIDDEN MUSEUM selbst als Kunstprojekt. Wie funktioniert
diese Zusammenarbeit? Du hast vor Jahren aufgehört, Bilder zu malen und mit
dem üblichen Kunstbetrieb gebrochen.
Ja, auch wenn mich in der letzten Zeit doch immer wieder das Bedürfnis
überkam, Pinsel und Farben wieder hervorzuholen. Das Problem war ja auch
nicht das Malen selbst, sondern ein Kunstbetrieb, der einen, will man davon
leben, zu einer Art Dekorateur herabwürdigt. Der Umgang mit potentiellen
Käufern und Galeristen hat mir nicht gefallen. Ich hatte es satt, Leuten
zuzuhören, in der Hoffnung, sie würden mir ein Bild abkaufen. Ich habe dann
auch angefangen, dieses Publikum zu verachten. Zurück zu Deiner Frage. Wenn
ich vom HIDDEN MUSEUM spreche, dann meine ich weniger den manifesten
Baukörper als die damit verbundenen Vorstellungen. Natürlich ist es zuerst
einmal mein Projekt, weil ich für diese ganze Rahmenbewirtschaftung sorge
oder die konzeptionelle Arbeit für das Gesamtprojekt bei mir liegt. Ich lade
Künstler ein und so weiter. Auf der anderen Seite denke ich, dass es für die
Künstler, die hier irgend eine Arbeit realisieren, sehr viel Spielraum gibt.
Es ist klar, dass das nicht meine Projekte sind, auch wenn ich manchmal
meine Qualitäten als Hebamme entfalte. In der Regel gibt es diesbezüglich
auch keine Schwierigkeiten, bestenfalls falsche Erwartungen im Vorfeld. Es
muss vorab klar sein, dass ich weder Galerist bin, noch Sponsor, dass ich
weder Kunst kaufe noch sammle. Es geht um Austausch, an dem ich mich in
erster Linie durch Arbeit beteilige. Auf die einzelnen Projekte bezogen ist
die Frage der Autorenschaft überhaupt kein Problem, auf das Gesamtpropjekt
bezogen dagegen sehr wohl. Auch wenn von den einzelnen hier realisierten
Arbeiten bestenfalls Artefakte zurückbleiben, so hat jede dieser Arbeiten
eine nachhaltige Wirkung auf das Gesamtprojekt. Jede Arbeit, die hier
entsteht oder gezeigt wird, ist auch immer ein Eingriff in den Baukörper
selbst, der sich dadurch ständig verändert, und dies, obwohl Kunst hier
weder gesammelt noch deponiert wird.
Die Betten in den Krankenhäusern teilen mit, dass andere in ihnen lagen oder
starben. Das Vergangene, mag es auch unsichtbar sein, bleibt, mag seine
Wirkung auch nachlassen, auf eigentümliche Weise noch lange Zeit wirksam.
In positiver Weise gilt dies für das HIDDEN MUSEUM. Jedes noch so kleine
Projekt bestimmt diesen Ort. Leztlich werden so auch frühere Ereignisse, die
an diesem Ort geschehen sind, überlagert. Die Fundamente des Gebäudes
bestehen aus Steinen, die von Zwangsarbeitern behauen wurden. Es ist also
kein neutraler Ort, wenngleich nur sehr wenige Menschen wissen, wer diese
Steine bearbeitet hat, noch weniger sich an das Lager mit den
Zwangsarbeitern erinnern können oder wollen. Neben vielem anderen bestimmt
auch diese Tatsache den Ort, das Projekt. Früher konnten sich die Menschen
nur schwer vorstellen, daß sich das eine vom anderen trennen ließe. Tote
konnten herumgeistern, ihren Spuk und Schabernack treiben. Nun, da diese
Vorstellung ihren Schrecken verloren hat, gefällt mir dieses Bild. Manchmal
stelle ich mir vor, wie die Kriegsgefangenen an den Steinen beschäftigt sind
und sich über die erste Frühlingssonne freuten. Ich stelle mir auch vor, daß
einige von ihnen vor sechzig Jahren genau an diesem Punkt standen und die
Landschaft betrachtet haben, vermutlich nach Fluchtmöglichkeiten schauend,
die es allerdings nicht gab.
Es gibt eine Reihe von anderen Kleinstmuseen oder ähnlichen Kunstprojekten.
Wo liegt für Dich der entscheidende Unterschied?
Fast alle diese Projekte orientieren sich an einem sehr traditionellen
Kunstbegriff, der sich um den Künstler und sein Werk dreht. Ich habe schon
etliche Skulpturenparks oder auf den ersten Blick ähnliche Projekte besucht
und ich habe neben einigen Ausnahmen die meisten als langweilige Anhäufungen
empfunden. Dabei ist mir klar, dass sehr viel Arbeit in diesen Geschichten
steckt. Leider geht es fast nie um Inhalte oder Erfahrungen, immer nur um
Wirkungen. Von einem bekannten Künstler wird angenommen, er erzeuge eine
größere Wirkung als ein unbekannter. Für mich stehen Fragen und Zweifel im
Vordergrund, auch das Wissen, Wirklichkeit zu beschreiben und abzubilden,
die sich mit den üblichen Mitteln nicht bennen lässt. Die Möglichkeiten sind
im Rahmen dieses Projektes zwar bescheiden, aber sie sind gegeben. Ich denke
immer wieder, wer immer das HIDDEN MUSEUM besucht, der sollte das Gefühl
haben, dieser Tag oder diese Tage haben sich als markantes Ereignis in das
Leben eingegraben. Ich, selbst ziemlich ausgehungert, als Nährender. Das hat
schon etwas von einer Ironie.
Komischerweise fallen mir in diesem Gespräch immer wieder Überlegungen zum
Thema Tod ein. Du hast Dich in anderen Arbeiten immer wieder damit befasst.
Bezogen auf das HIDDEN MUSEUM denke ich diesbezüglich nur an die letzten
Lebensjahre meines Vaters. Ich möchte Deine Bemerkung eher umdrehen. Aus
vielen Gründen, nicht nur aus finanziellen, dauert hier alles wesentlich
länger als im üblichen Kulturbetrieb. Das gibt mir das Gefühl, nie in meinem
Leben das zu schaffen, was ich mir vorgenommen habe. Ich pflanze auch immer
wieder Bäume, ziehe sie aus kleinen Samen. Es dauert lange, bis Nusstrieb
die Höhe von 5 Metern erreicht hat, noch viel länger, um von einem Baum
sprechen zu können. Kaum einer der Bäume, die ich zu meinen Lebenszeiten
gepflanzt habe, werde ich je als ausgewachsenen Baum sehen können. Und dann
ist ein junger Baum auch eine verletztliche Sache. So können etwa Hasen
während des Winters seine Rinde fressen. Ähnlich das HIDDEN MUSEUM. Wie ein
Glassarg wird es im Herbst geschlossen, um im Frühjahr zu sehen, ob
Schneewittchen verwest ist oder geraubt wurde. Denken wir doch lieber an rot
durchblutete Wangen.
Es gibt auch einen Mueumsgarten.
Mit all seinen Problemen. Über sehr dichtem Lehm liegt nur eine sehr dünne
Humusschicht. Dazu kommen klimatische Probleme. Für die meisten Menschen ist
es kein schöner Garten. Es ist eine Frage der Lesbarkeit. Kleingedrucktes,
Dinge, die sich nicht entziffern lassen, obwohl sie Bedeutung besitzen. Dort
ein liebevoll gehegtes Unkraut, Pasolinis Grab in Casarsa entnommen, da ein
Eichenschössling, gezogen aus einer Eichel, die ich in Gabriele Münters
Garten auflas, dort wächst wiederum ein unscheinbarer Kirchner, da gibt es
wiederum mehrere Giftpflanzen, die auf einer Seite einer trivialen Erzählung
aus den zwanziger Jahren aufgelistet sind. Dass manche Pflanzen des Gartens
auf wichtige Künstler des zwanzigsten Jahrhunderts verweisen, weiß nur, wer
mit der Geschichte vertraut ist. Wenn etwas Erde vom Grab von Kurt
Schwitters in eben diesem Garten verstreut wurde, dann vermag selbst ich
nicht mehr zu sagen, was hier noch auf Schwitters verweist. Möglicherweise
wurden so einige Unkräuter eingeschleppt, mit Sicherheit einige
Mikroorganismen. Es finden auch andere Substanzen Eingang in diesen Garten,
etwa der Kaffeesatz einer onkologischen Station. Krankenschwestern trinken
viel Kaffee.
Welche Künstler haben die Ehre?
Wenige. Immer nur Personen, mit denen ich mich beschäftige. Man kann sich im
Laufe eines Jahres oder eines Lebens nur mit wenigen wirklich beschäftigen.
Pasolini auf jeden Fall, Schwitters auch. Bei den Autoren zählt für mich
etwa Maurice Renard dazu, ein begabter Dilettant. Werfel und andere. Diese
Einfügungen geschehen ohne Anstrengung. Ich fahre nicht durch Europa in der
Absicht, Erde von Gräbern zu sammeln. Die Erdprobe von Schwitters wurde mir
zugeschickt, eingeschweißt in eine Plastikfolie.
Der Garten als Metapher?
Es findet sich kein besseres Bild für das enge Nebeneinander von Ordnung und
Wildwuchs. Dann ist ein Garten etwas sehr Konkretes. Die Beschäftigung zeigt
unmittelbare Folgen.
Ist das HIDDEN MUSEUM eigentlich versichert?
Der Baukörper ist gegen Flugzeugabstürze oder Vandalenakte versichert, nie
aber Kunst, die hier gezeigt oder realisiert wird. Alle diese Arbeiten haben
etwas Filigranes, Verletzliches. Wie könnte man auch etwas versichern, was
im Augenblick der Fertigstellung den Keim des Zerfalls in sich trägt. Lassen
sich Gedanken versichern, lässt sich das versichern, was zwischen den Dingen
liegt? Lassen sich Fragen versichern? Nein.
Das HIDDEN MUSEUM verfügt über keine Postanschrift. Ich habe gesehen, dass
selbst ein etwas weiter höher liegendes Wasserreservoir über eine Hausnummer
verfügt und dabei ein vollkommen fensterloses Objekt ist, in dem kein Mensch
zu wohnen vermag. Wie ist das HIDDEN MUSEUM behördlich definiert?
Laut Bauverhandlung handelt es sich nicht um ein Museum, sondern um ein
Wirtschaftsgebäude. Das ist auch gar nicht so schlecht. Ich wirtschafte eben
in Sachen Kunst und Leben. Die Kubatur ist bescheiden, der Baukörper höchst
einfach. Aber Du hast keine Vorstellung, wie gefräßig so ein Gebäude sein
kann, vor allem dann, wenn es ein Museum ist. Ich kenne in meinem Leben
nichts so gut wie dieses Gebäude. Jeden Balken, selbst den kleinsten
Dachziegel (Biberschwanz) hatte ich in den Händen.
Träume sind ein guter Indikator dafür, was uns beschäftigt. Träumst Du von
Deinem Museum?
Es gibt kaum eine Nacht, in der sich das HIDDEN MUSEUM nicht in einen meiner
Träume mischt. Manchmal wird es ein Raub der Flammen, manchmal sehe ich es
von Hecken bewachsen, die es in Wirklichkeit nicht gibt, manchmal drängen
sich Fragen oder Lösungen für formale oder technische Probleme in meine
Träume. Auch Gewalttätiges oder Sexuelles kann sich in solche Träume
mischen. All dies ist Ausdruck meiner Beschäftigung. Gleichzeitig weiß ich
aber auch, dass dieses Projekt Zurückhaltung, vor allem aber Abwesenheit
erfordert. Da denke ich oft an den Imker, dessen Völker seiner Zuwendung
bedürfen, die aber nie gedeihen würden, stocherte er jeden Tag zwischen den
Waben herum. Engagement und Zurückhaltung. Eine sehr schwierige Balance, die
man in keiner Schule lernt.
Diese Zurückhaltung, diese Verweigerung hat etwas für sich. Wie kann sich
dieses Projekt finanzieren?
In der Regel sind es vollkommene Low-Budget-Projekte. Die Zusammenarbeit mit
anderen Künstlern funktioniert über eine Art Tauschgeschäft. Ich organisiere
dies und das, lade Gäste ein, sorge für deren Bewirtung, in der Regel
schreibe ich einen Text.
Du hast mit Deinem Vater begonnen. Er scheint ja im HIDDEN MUSEUM sehr
präsent. In einem Raum hängt eine große Aufnahme, die ihn als Sterbenden
zeigt.
Ich mochte ihn sehr. In dieses Projekt ist viel von seinen Begabungen
eingeflossen. Anders als die mit Feldstechern bewaffneten Menschen kannte
seine Neugier keinen boshaften Zug. Er hatte viele Fragen, die immer auch
ein Antizipieren der eigenen Welt bedeuteten. Er verfügte über ein völlig
anderes Raum- oder Materialverständnis, aber was seine Offenheit anlangt,
hat er mich in seinen letzten Lebensjahren oft beschämt.