Der Bauchnabel, kurz Nabel genannt (lat. Umbilicus, gr. Omphalos), diese
kleine, in der Regel höchst unterschiedlich geformte Hautverlappung, in der
Mitte unseres Körpers gelegen, funktionslos, nur Erinnerung daran, dass
unser Leben als parasitäre Wucherung begann, und dies auch dann, vermag sich
die befruchtete Eizelle nur einzunisten, hat sich die Gebärmutter darauf
vorbereitet. Da die befruchtete Eizelle nur für die ersten Tage seiner
Entwicklung über die erforderlichen Nährstoffe verfügt, tritt an die Stelle
des in den ersten Tagen stattfindenden Dotterkreislaufs ein
Plazentakreislauf. Nun verbindet die Nabelschnur (lat. Funiculus
umbilicalis) den Embryo bzw. Fötus über die Plazenta mit dem Blutkreislauf
der Schwangeren. Über die Nabelschnur holt sich dieser alles, was er zu
seiner Entwicklung benötigt, Nährstoffe und Sauerstoff, über sie gibt er die
Abbauprodukte wieder ab. Eine faszinierende und höchst komplexe Geschichte,
der mütterliche Leib als voll klimatisierte Station, als Küche und auch als
Entsorgungsanstalt. Wir alle haben einmal über mütterliche Lungen CO2
abgeatmet, über mütterliche Nieren ausgeschieden. Die menschliche
Nabelschnur ist etwa 50-60 cm lang, meist spiralig gewunden, übrigens
schmerzunempfindlich.
Dies verbindet den Menschen mit allen Säugetieren, abgesehen von dem an der
ostaustralischen Küste und in Tasmanien beheimateten Schnabeltier
(Ornithorhynchus anatinus), einer entwicklungsgeschichtlichen Groteske. Das
Schnabeltier legt Eier, ist aber doch ein Säugetier. Es zählt zu den
Kloakentieren, sind doch die Ausscheidungs- und Geschlechtsorgane nicht
voneinander getrennt. Schnabeltiere paaren sich im Wasser, wobei das
Männchen seinen Penis in die Kloake des Weibchens einführt. Etwa 12 bis 14 Tage
später legt das Weibchen meist drei weiße Eier, deren pergamentartige Schale
mehr an Reptilien- als Vogeleier erinnert. Nachdem das Weibchen die Eier
etwa 10 Tage lang bebrütet hat, schlüpfen die Jungen. Sie sind nackt, ihre
Augen geschlossen. Ihre Länge beträgt gerade einmal 25 Millimeter. Diese
Winzlinge lecken die Milch aus dem Haar der Mutter. Schnabeltiere haben
weder Brustwarzen, noch Zitzen. Sie schwitzen buchstäblich Milch.
Ironischerweise ist im deutschen Wort SchNABELtier das Wort NABEL enthalten,
dabei kennt es weder einen NABEL, noch eine NABELschnur.
Nach der Geburt und dem Abfallen der Nabelschnur verwächst der Nabel und
bildet in der Folge eine Art Narbe mit unterschiedlichsten optischen
Erscheinungsformen. Ob nun nach innen gestülpt oder konvex tellerartig nach
außen gedreht, ob ein Nabel nun gleichmäßige konzentrische Falten im Innern
aufweist oder unregelmäßige Verwachsungen kennt, all dies verdankt sich
allerlei Zufällen, neben genetischen Dispositionen der Beschaffenheit der
Bauchmuskulatur, der Pflege des Nabels nach der Geburt, heftigem Schreien in
den ersten Lebenstagen, unter Umständen Entzündungen, die Folge mangelnder
Hygiene oder eines Nabelbruchs sein können. Jeder Nabel ist in seiner
Erscheinungsform einzigartig wie der Fingerabdruck. Wie bei diesem vermag
seine Erscheinung keine Auskunft über Wesen und Charakter zu geben. Auch an
das komplizierte Wechselspiel zwischen Embryo / Fötus und Mutter /
Raumschiff erinnert er nur bedingt.
Der Nabel lässt nicht nur an die Geburt, sondern auch an den Tod denken.
Manche Säugliche drohen während der Geburt an ihrer Nabelschnur, die sie
lange genug genährt hat, zu ersticken. Nicht nur archaische Gesellschaften
kannten den Brauch, die abgefallene Nabelschnur zu bestatten. So fiel die
Geburt mit einem Begräbnis zusammen. Die Nabelschnur bedeutet Leben, und
doch weist sie auf jenen Augenblick hin, in dem dieses Verbindungsstück
entweder zerrissen, abgebissen oder mit nach bestem Wissen heutiger Medizin
abgeklemmt und mit einer Schere durchtrennt wird. Während die Nabelschnur
auf den Zeitpunkt der Trennung verweist, deutet der Nabel, wird er gezeigt,
auf Geschlecht und Sexualität, also auf eine Verbindung oder Vermischung.
Darf man den Bauchnabel eines anderen berühren, dann ist es zum Geschlecht
nicht weit.
Pubertierende Mädchen sind meist stolz auf ihren Nabel und zeigen ihn oft
genug, nicht selten mit Piercings geschmückt. Ältere Menschen empfinden
ihren Nabel eher als privaten Teil ihres Körpers. Manche finden ihren Nabel
hässlich. Während der Schwangerschaft kann der Nabel für die Schwangere in
störender Weise nach außen drücken.
Das Gesicht in Rene Magrittes Gemälde Le Viol (Die Vergewaltigung, 1934)
zeigt eine groteske Verschiebung. Brüste sind an die Stelle der Augen
getreten, die Scham an die Stelle des Mundes. Der Nabel und ein daneben
gesetztes Pünktchen, wohl ein Muttermal, bezeichnen die Nase. Magrittes
Gemälde lebt von der Irritation, davon, dass etwas als etwas anderes
behauptet wird, ohne jedoch dies wirklich zu sein. Um ein Porträt handelt es
sich gerade nicht, mag Magritte auch alle wesentlichen Elemente der
Porträtmalerei bemühen.
Dagegen arbeitet die in Australien lebende Künstlerin Saba Skabernè an
Porträts von Bäuchen und Nabeln. In ihren Arbeiten tritt der Nabel
tatsächlich an die Stelle des Gesichts. Saba Skabernè, sie hat sich bereits
früher mit anderen Körperstellen beschäftigt, etwa mit dem Ohr, sieht den
Nabel als Mitte der menschlichen Körpers. In ihren Nabelporträts porträtiert
sie Menschen, nicht anders, als hätte sie es mit Gesichtern zu tun. Dabei
geht es immer um konkrete Personen. Es sind Porträts von Freunden,
Bekannten, Angehörigen (darunter der Nabel der Mutter), jungen und älteren,
dicken und dünnen Menschen. Zu Porträts von Schwangeren fügen sich die von
Neugeborenen und solche, die post mortem entstanden sind. Saba Skabernès
eigener Nabel fehlt. Er müsse fehlen, bedürfe es doch eines anderen, um ihn
wirklich zu sehen. Da bricht sie mit der Porträtmalerei, deren Geschichte
zahllose Selbstporträts kennt.
In bester Tradition der Porträtmalerei steht sie jedoch dort, wo sie mit
Sitzungen beginnt, in denen sie Bleistiftskizzen und Zeichnungen anfertigt.
Die so dokumentierten Formen moduliert Saba Skabernè in der Folge in Ton.
Während der Bräutigam im Hohen Lied (73) den Nabel der Braut als runde
Schale bewundert ("nicht mangle der Würzwein!"), haben wir es nun mit
gewölbten Tonscheiben zu tun, mit Informationsträgern. Diese wirken durchaus
seriell, sieht man von den unterschiedlichen Formen der Nabel ab. Die
Scheiben machen einen weichen Eindruck, lassen an formbares Material denken,
etwa an Silikon. Dabei sind sie aus gebranntem Ton, also hart, ohne jede
Elastizität. Nach dem Brennvorgang werden sie monochrom mit Autolacken
gespritzt; die Farbwahl erfolgt intuitiv auf die einzelne Person bezogen.
Saba Skabernès Porträts haben wenig mit Sexualität zu tun, sie verweisen
vielmehr darauf, dass wir alle in die Welt geworfen sind und unser Wesen
sich entscheidend der Traumatisierung verdankt, durch einen engen
Geburtskanal heraus gepresst worden zu sein. Eine richtige Vertreibung aus
dem Paradies. Aber die Fruchtblase musste platzen, die Nabelschnur musste
zerreißen, um zu dem zu werden, was wir sind. Der Nabel bildet buchstäblich
jenen Ansatz, dem der Mensch sein Antlitz verdankt. Wie anders wären wir,
wären wir in einem Ei mit harter Schale zur Welt gekommen!
Bernhard Kathan, 2007
PS.: Werden aus dem Blut der Nabelschnur heute Stammzellen gewonnen, dann
verspricht diese Leben, hat sie auch ihre eigentliche Funktion eingebüßt.