Recyclinghof
Um zu vermitteln wie sehr unser ganzes Leben von Abfällen durchdrungen ist,
wäre es am einfachsten und überzeugendsten, einen Recyclinghof zu einem
Ausstellungsraum zu erklären. Erstaunlicherweise hat dies noch niemand
gemacht, sieht man von Tagen der offenen Tür ab, mit denen kommunale
Betriebe neu errichtete Anlagen zu eröffnen pflegen. Viel zu aufgeräumt. Man
muss den Lärm erfahren, kreischende Bagger, den Lärm von Pressmaschinen,
Laufkränen, Eisenteilen, die auf Berge von Eisen fallen, hören, den Gestank
einatmen.
Auf der einen Seite trägt der Mensch immer noch einen genetischen Rest in
sich, der ihn wie Fliegen das Ausgeschiedene, den Kot aufsuchen lässt, so
als könnte er sich davon ernähren. Auf der anderen Seite, und das steht
keineswegs im Widerspruch zum eben gesagten, gilt das Ausgeschiedene, das
Weggeworfene, Abfall also, nach wie vor als obszön. Nicht zufällig sind
Unternehmen, die sich mit Abfällen beschäftigen, von Mauern, manchmal von
hohen Hecken umgeben. Zumeist liegen sie in peripheren Gebieten, oft in
Enklaven, die durch Flüsse, Gleisanlagen oder Autobahnen gebildet werden.
Ist man auf die Unterstützung eines solchen Unternehmens angewiesen, ist es
gar nicht so einfach, in einem Recyclinghof einen Film zu drehen. Mehrfach
wurden Zusagen von Betreibern wieder zurückgenommen. Dies lässt an
Schlachthöfe wie ähnliche Orte denken. Auch da wird alles getan, um die
Öffentlichkeit draußen zu halten. Die Faszination, die Abfall auslöst wie
die Befriedung jener Bedrohung, die vom Ausgeschiedenen ausgeht, wird heute
in Museen geleistet, und zwar mit Hilfe von Isolierung wie auratischer
Aufladung. Man denke an Damien Hirst und viele andere. Da wird Abfall, das
Ausgeschiedene, welches gleichermaßen auf Sexualität und Tod verweist, zum
Gegenstand erbaulicher Betrachtung.
Da ersteres unmöglich (Besucher könnten verletzt werden), zweiteres anderen
überlassen bleiben soll, bleibt nur der Versuch, das Leben eines
Recyclinghofes einzufangen und in einen anderen Raum zu transportieren,
freilich um den Preis, dass die Besucher nicht stolpern können und mit ganz
anderen Gerüchen zu tun haben.
Die Vorgaben: In einem Raum soll eine Videogeschichte zu einem Recyclinghof
gezeigt werden. Der Raum hat eine Größe von 9 x 6m. Er ist abgesehen von
einer offen stehenden Doppeltüre abgedunkelt. Seit vielen Jahren hat niemand
mehr einen der Vorhänge zurückgezogen. Stuckaturen an der Decke wie vom
Denkmalamt an manchen Stellen freigelegte Farbschichten machen deutlich,
dass dieser Raum einmal bessere Zeiten kannte. Der Film soll auf die
rückwärtige Wand projiziert werden. Im Eintrittsbereich des vollkommen
leeren Raumes befindet sich eine Sitzbank. Filme in Ausstellungen haben ganz
anderen Regeln zu gehorchen als etwa jenen des Kinos. Ausstellungsbesucher
bewegen sich anders. Sie warten nicht auf den Filmbeginn. Sie müssen
jederzeit einsteigen und aussteigen können. Zu sehen ist eine sehr langsame
Kamerafahrt durch einen großen Recyclinghof. Die Kamera bewegt sich 360° um
die eigene Achse. Der Standort ist optimal gewählt, irgendwo zwischen
Schrottbergen, denen man Namen geben möchte: Elektrokabelberg, Höhe, so und
so viele Meter, Baustahlberg, Höhe, so und so viele Meter, Autowrackberg,
Höhe, so und so viele Meter etc. Riesige Bagger, mit sehr langen mit
Greifzangen ausgestattet, wirken dagegen klein, die Menschen im Bild
geradezu winzig. Beeindruckend auch der Lärm, den man erstaunlicherweise bei
der Betrachtung des Filmes viel deutlicher wahrnimmt als auf dem Gelände
selbst. Das mag auch Folge der Dunkelheit sein. Nur selten lösen sich
einzelne Objekte, Kühlschränke etwa, aus dem Bild. Aber es geht nicht um
einzelnes, sondern um Massen, also um die Totale. Es wird nichts erklärt.
Dem Film ist keine Musik unterlegt. Die Geräusche sind beeindruckend genug.
Tatsächlich lassen sie, lässt man Vorurteile hinter sich, an eine
Komposition, ein Musikstück denken. Die Aufnahmen entstanden während der
regulären Betriebszeit. Mit choreographischen Direktiven hätte sich die
Wirkung steigern lassen. Das verboten die verfügbaren Mittel ebenso wie die
Überlegung, dass nur das gezeigt werden soll, was zu sehen ist.
Konzept:
Bernhard Kathan
Video:
Daniel Jarosch, MoziBrews, Recyclinghof, 2012
Schloss Lind 2012, im Rahmen der Ausstellung "Trennungen"