Die Künstlerin Hanna Sjöberg fand vor Jahren in einer Strandhütte, wo sie
ihre Kindheitssommer verbracht hatte, einen Ordner mit Tausenden von
Negativen, dazwischen kurze, mit der Schreibmaschine getippte Angaben zu den
Aufnahmen, die ihr Großvater, der schwedische Agronom Bengt Ljunggren in den
fünfziger und sechziger Jahren des letzten Jahrhunderts gemacht hatte.
Ljunggren dokumentierte Kollegen auf Studienreisen, bei Untersuchungen und
Aktionstagen. Meist notierte er Ort und Anlass, oft auch abgebildete
Personen namentlich: "März 1959:
Wildkaninchenausrottungsversuch, Furillen /
April 1959:
Staatsgeologe kontrolliert Rollproben / Juli 1959:
Versuchsflächenernte / Juli 1961: S
chafzuchtberater Nors in Hall /
Schafzuchtseminar für Nutztierzuchtberater." Bengt Ljunggren verfasste im
Rahmen seiner agronomischen Tätigkeit von 1955 bis 1965 Protokolle für die
Landwirtschaftskammer Gotland. Diese Protokolle geben Auskunft über den
agrartechnologischen Optimismus der Zeit. Dank Insektiziden und Pestiziden
wie anderer technologischer Möglichkeiten schienen zumindest in absehbarer
Zeit die Probleme der Landwirtschaft beherrschbar: "Seit Mitte der 30er
Jahre ist in den Erbsenpflanzungen kein so starker Befall durch Blattläuse
mehr zu verzeichnen gewesen. Um den Befall einzudämmen, musste
Flugzeugverstäubung mit so starken Mitteln wie Parathion eingesetzt werden.
/ Dank des schönen Herbstwetters gaben die Mohrrüben hohe Erträge von guter
Qualität. Die totale Anbaufläche für Mohrrüben lag bei über 100 Hektar. Eine
Neuerung ist der Verkauf gewaschener Mohrrüben in Plastiktüten, mit dem AB
Gotlands Trädgårdsprodukter begonnen hat." Es geht um Gurken, Karotten, die
Einflüsse der Witterung auf den Ackerbau, um Möglichkeiten, Erträge nicht
nur zu sichern, sondern zu steigern, es geht um Fischerei, Lachsbestände,
Schafhaltung und Schweinezucht. Roland Albrecht schreibt, Bengt Ljunggrens
Fotos dokumentierten den Fortschrittsoptimismus der Zeit: "Die
wissenschaftliche Landwirtschaft, im neunzehnten Jahrhundert entstanden,
durch zwei große aufeinander folgende Kriege unterbrochen, gebremst, zeigt
nun ihre ganze Kraft, ihre ganze Stärke und Herrlichkeit. Die bisherige
Mühsal der Landwirtschaft schien überwindbar, man versprach
Produktionssteigerungen ungeahnten Ausmaßes. Das Versprechen wurde
eingehalten. Massentierhaltungen waren nun möglich, die Mühsal des
Kleinbauernwesens konnte aufgegeben werden, die Wohnhäuser wurden von den
Stallungen getrennt, Hühner in Käfigen wurden nur noch in Tausenden gezählt,
sie kamen gefroren, lange haltbar auf den Markt und lösten die frisch
geschlachteten Hühner ab. In den Fotografien Bengt Ljunggrens zeigt sich
eine von der Natur abgekoppelte Landwirtschaft, die Natur ist Material, mit
dem vernünftig umgegangen werden muss." 50 Jahre danach sind all diese Fotos
als Zeitdokumente höchst spannend. Die Versprechen einer wissenschaftlich
begründeten Landwirtschaft haben in der Zwischenzeit manche Ernüchterung
erfahren. Man denke an DDT, BSE oder andere Tierseuchen.
Die Fotos, die Bengt Ljunggren im Rahmen seiner beruflichen Tätigkeit
gemacht hat, werfen viele Fragen auf. Manche von ihnen wirken geradezu
rätselhaft. Sicher dürfte er den Fortschrittsoptimismus seiner Behörde nur
bedingt geteilt haben. Hanna Sjöberg spürt in ihrer Ausstellung solchen
Fragen nach. Sie macht dies, indem sie die Fotos in oft irritierende
Nachbarschaften setzt und so die Betrachter einlädt, selbst Deutungsarbeit
zu leisten. Hanna Sjöberg entwickelt ein Puzzel und macht so deutlich, dass
sich sehr viele Schnittstellen finden lassen, an denen sich wie es
Christiane Zintzen kürzlich formuliert hat neue Sinngefüge ergeben: "es ist
wie ein kinderspiel oder so eine art memory oder kartenlegen: du legst dir
die bilder in immer neuen formationen auf, und eine je andere geschichte
entsteht."
Bernhard Kathan, 08/07
Ein genauerer Text zu Bengt Ljunggrens Fotografie wie Hanna Sjöbergs
Beschäftigung damit wird in der Zeitschrift Fotogeschichte. Beiträge zur
Geschichte und Ästhetik der Fotografie erscheinen (Herbstheft 2008).
http://www.hannasjoeberg.se