Während es moderne Kommunikationstechnologien erlauben, mit entferntesten
Menschen in Verbindung zu treten, sind nachbarschaftliche Verhältnisse
schwieriger geworden. Einhegungen, gleichgültig, ob es sich um Zäune, Mauern
oder beschnittene Hecken handelt, belegen deutlich, dass das Häusl in
Abgrenzung zur Nachbarschaft gedacht wird. Das "Geviert", von dem Martin
Heidegger in seinem 1952 vor Architekten gehaltenen Vortrag Bauen Wohnen
Denken spricht, endet für den Häuslbauer an den eigenen Grundstücksgrenzen.
Dabei wirkt jedes Gebäude zwangsläufig über diese Grenzen hinaus. Während in
den 1950er Jahren Zäune dazu dienten, Grundstücke oft nur symbolisch
abzugrenzen, dienen lebende Zäune, die an die Stelle von Maschendraht oder
schmiedeeisernen Gittern getreten sind, dazu, die eigene Welt von der
Außenwelt abzuschirmen. Man beklagt den Lärm von Rasenmähern oder anderer
Geräte, ohne daran zu denken, dass der eigene Rasenmäher von anderen
gleichfalls als Störung erlebt werden kann. Mitscherlich schreibt, so
entstehe ein Zustand der Gereiztheit, in dem alle möglichen Verstimmungen
vom bösen Nachbarn hergeleitet würden, obgleich sie ganz andere Ursachen
hätten.
In letzter Zeit sind Gabionen, mit Steinen gefüllte Drahtkörbe, in Mode
gekommen. Ein Hersteller: "Mit einer angegebenen Montagezeit von drei
Minuten pro Steinkorb dürften diese Fertiggabionen wohl unübertroffen sein.
Neben dem Geschwindigkeits-Vorteil durch Vorfertigung zeichnen sich die
Fertiggabionen von TRACO durch hohe Stabilität aus - selbst in leerem
Zustand: Durch den Einsatz von sechs Millimeter starkem Stahldraht werden
die Steinkörbe so stabil, dass sie in mehreren Lagen bis zu einer Höhe von
fünf Metern übereinander gestapelt werden können, ohne sich zu verformen.
Und durch die Verzinkung wird der Stahl effektiv für viele Jahrzehnte vor
Korrosion geschützt. [...] Das Grundmaterial für die Füllung sind faustgroße
Natursteinstücke, die mit einer Presskraft von 20 t gerüttelt und verdichtet
werden. Sie bilden die Basis für die mechanische Stabilität des Systems.
Befüllt ist der Steinkorb mit den Deutschen Natursteinklassikern von TRACO.
Auf Wunsch werden die sichtbaren Frontseiten mit besonders dekorativen
Mauersteinen ausgestattet." Im Gegensatz zu Hecken haben Betonmauern wie
Gabionen den Vorteil, dass sie keiner Wartung bedürfen. Hecken wuchern und
müssen regelmäßig beschnitten werden.
Hecken wie Gabionen behaupten von sich, naturnah zu sein. Auch das Unterholz
eines Waldes bestehe meist aus dichten, teils unüberwindbaren Gewächsen.
Hecken hätten Tradition. Es wird auf Buchshecken in Bauerngärten oder auf
Hecken verwiesen, die offene Fluren in Kulturlandschaften gliedern. Während
letztere tatsächlich zahlreichen Tieren und Kleinstlebewesen Lebensraum
bieten, Voraussetzung für das Vorkommen vieler Falterarten sind, ist die
Artenvielfalt einer Thujenhecke bescheiden. Eine Kirschlorbeerhecke, hart an
die Grundstücksgrenze gesetzt und regelmäßig beschnitten, hat mit einer
Wildhecke nicht viel gemein. Hecken in bäuerlichen Kulturlandschaften hatten
andere Funktionen. Sie dienten der Bodenbefestigung, dem Windschutz, als
Zäune oder auch als stets nachwachsendes Brennholz.
Ob Gabionen oder Hecken, wir haben es mit Mauern zu tun. Aber es wird nicht
gemauert, nicht einmal aufgeschichtet, selbst dann nicht, wird auf eine
Gabione eine andere gesetzt. Katalogsangeboten entsprechend wird eingekauft.
Gabionen lassen sich mit roten, grünen, grauen Steinen füllen, und sollte
jemand über genügend Geld verfügen, dann kann er sich Marmor aus diesem oder
jenem Erdteil herbeischaffen lassen. Zwar wurden auch in früheren
Jahrhunderten Steinblöcke über große Entfernungen transportiert, in der
Regel stammte das Material aber aus der unmittelbaren Umgebung. Wir
assoziieren Mauern mit Befestigungsanlagen, aber die ersten Mauern fallen
mit den Anfängen von Ackerbau und Viehzucht zusammen. Es musste nicht nur
gerodet werden. Es galt vor allem Steine aus dem Feld zu räumen. In
Kulturlandschaften, die bereits vor Jahrtausenden besiedelt wurden, lässt
sich dies heute noch erkennen. Viele Hügelkanten gäbe es nicht, hätten nicht
Menschen über viele Generationen hinweg in beiläufigem Tun Steine an
Feldrändern aufgehäuft. Zusammengetragene Steine konnten als Trockenmauern
zum Zweck von Feld- oder Wegbegrenzungen aufgeschichtet werden. Zwangsläufig
machte man sich dabei topographische Gegebenheiten zu Nutze. Die Bauweise
war dabei vom verfügbaren Steinmaterial abhängig. Stets war es ein
gemeinschaftliches Tun, gleichgültig, ob es freiwillig oder erzwungen
geschah. Wer denkt schon beim Anblick mancher Kirchen daran, dass hier auch
Kinder angehalten waren, bei jedem Gang ins Dorf einen Stein auf die
Baustelle mitzunehmen, sicher oft Steine, die beim Umpflügen an die
Oberfläche befördert worden waren und dann aus dem Feld geräumt werden
mussten. Spätestens hier fügt sich zum Praktischen das Symbolische. In
solchen Mauern waren all jene präsent, die Steine herbeigeschafft hatten.
Ein steiniger Boden ist kein fruchtbarer Boden. Aus Unfruchtbarem, aus
Steinen also, wurden Bauwerke errichtet, um darin um Fruchtbarkeit, um eine
reiche Ernte zu beten und die dafür nötigen Opfer zu bringen. Zwangsläufig
dachten sich Menschen, die so bauten, Bauwerke in einem horizontalen und
vertikalen Gefüge, welches weit über den manifesten Baukörper hinausreichte.
Das machen etwa Beinhäuser deutlich, in deren Mauern menschliche Knochen und
Schädel eingemauert sind. Während Mauern Beständigkeit behaupten, lässt ein
solches Mauerwerk nicht vergessen, dass unser Leben höchst temporär ist,
dass wir nicht zuletzt von dem leben, was andere vor uns geschaffen haben.
Im heutigen Bauen spielen weder das unmittelbare Umfeld noch topographische
Gegebenheiten eine Rolle. Nach dem Zweiten Weltkrieg wurde ein breites
Steinsortiment für Massen zugänglich. In die damalige Zeit fällt auch der
Übergang von selbst errichteten zu gewerblich und industriell produzierten
Mauern, zu Kunststeinen mit diesen oder jenen Mustern. Normierte Ziegel gab
es lange zuvor. Festungsanlagen, ja ganze Städte wurden so errichtet. Der
entscheidende Bruch ist dort zu sehen, wo die Orte der Herstellung mit jenen
der Verwendung so weit auseinanderklaffen, dass das verwendete Material
geschichtslos, nur noch hinsichtlich seiner Materialqualität und der
anfallenden Kosten beurteilt wird.
Betrachtet man Gartenmauern der letzten fünfzig Jahre, dann muss man
feststellen, dass wir es mit einer raschen Abfolge von Moden zu tun haben,
an deren vorläufigem Endpunkt Gabionen zu nennen sind, die ihrerseits schon
bald wieder als überholt gelten und durch andere Moden ersetzt sein werden.
Gleichgültig, ob wir es mit Mauern, Hecken oder hölzernen Gartenzäunen zu
tun haben, es sind industriell gefertigte Produkte. Mit der Mode ist die
Kurzlebigkeit angesprochen. Gabionen lassen sich in kürzester Zeit
aufstellen. Hecken sollen in wenigen Jahren die gewünschte Höhe erreichen.
Heute lässt sich eine grüne Wand als Sichtschutz theoretisch am Tag der
Pflanzung fertigstellen. Es ist nur eine Frage des Preises. Das Wurzelwerk
wird in einem Erdballen geliefert: Thuje, Buchs, Riesenzypresse,
Raketenwacholder, Fichte, Eibe, Kirschlorbeer, Stechpalme, Hain- und
Rotbuche, immergrüner Liguster (mittelstark wachsend und nach zwei bis vier
Jahren absolut dicht), Blutberberitze, Feldahorn, Hartriegel (wächst relativ
schnell und dicht), etc.
Gute Architektur weiß nicht nur um den manifesten Baukörper, sie weiß auch
um Zwischenräume, um Leerstellen, um Beziehungen zwischen Menschen.
Verschwindet ein Haus hinter einer meterhohen Hecke, dann wird all das
negiert. Nicht zufällig haben Hecken oft genug Nachbarschaftskonflikte zur
Folge. In Ratgebern wird empfohlen, Hecken gemeinsam mit Nachbarn zu planen
und anzulegen. Wie sollte dies gelingen, dienen Hecken doch dazu, mit
Nachbarn nichts oder möglichst wenig zu tun zu haben. Häuslsiedlungen wirken
trostlos, weil sie scharf zwischen privatem und öffentlichem Raum
unterscheiden, wobei den als "öffentlich" wahrgenommenen Verkehrsflächen die
Qualitäten eines eigentlichen öffentlichen Raumes fehlen. Zufahrtsstraßen
erfordern kein auf den Raum bezogenes Tun. Eine Straße, die nur eine Zufahrt
bildet, vermag keinen öffentlichen Raum zu bilden. Einen wirklich
öffentlichen Raum, sei es in der Stadt oder in einem Dorf, kann es nur
geben, prallen unterschiedlichste Bedürfnisse aufeinander. Der öffentliche
Raum setzt Durchmischung voraus, sei es die von unterschiedlichen Menschen,
Tätigkeiten oder Interessen. Heutige Straßen, der Beschleunigung dienend,
setzen auf Entmischung, auf die räumliche Differenzierung der
unterschiedlichen Fortbewegungsarten. Autobahnen bilden als Raum genau das
Gegenteil von dem, was unter einem öffentlichen Raum zu verstehen ist. Zu
öffentlichem Raum wird eine Autobahn erst dann, gerät der Verkehr ins
Stocken, sind Menschen angehalten, miteinander in Kommunikation zu treten.
Im Gegensatz zu allen Behauptungen bildet die virtuelle Welt eines nicht,
nämlich einen öffentlichen Raum, verständlich, ist sie doch nach den Regeln
des Straßenverkehrs und der Marktwirtschaft organisiert.
Moderne Technologien versprechen unbegrenzte Kommunikationsmöglichkeiten,
vorausgesetzt, man verfügt über entsprechende Hard- und Software. Die
versprochene Nähe zu anderen erweist sich freilich oft als fraglich, wie
auch oft vergessen wird, dass wir es mit einer maschinell organisierten Nähe
zu tun haben. Die Kommunikationsversprechen gehen einher mit einer boomenden
Industrie zur Vermeidung unerwünschter Bekanntschaften. Nicht wenige
Softwarehersteller leben davon. In Baumärkten finden sich zahllose Angebote,
die dazu dienen, der als unangenehm erlebten Nähe anderer entgegenzuwirken.
Dazu zählen Alarmanlagen, Lichtsysteme, mit deren Hilfe sich die Anwesenheit
von Bewohnern simulieren lässt, während das Haus leer steht. Bewegungsmelder
lassen Lampen aufleuchten, nähert sich jemand dem Haus.
Das Klima in Häuslsiedlungen ist von Misstrauen geprägt. Man sieht zwar nur
selten Menschen, fühlt sich aber ständig beobachtet. Verdächtig ist bereits
der Unbekannte, der fotografiert. Auch in entlegenen Siedlungen ist die
Polizei erstaunlich schnell zur Stelle. Die Bewohner phantasieren, man würde
ihre Häuser auskundschaften, um dann wiederzukehren und einzubrechen. Dass
sich kein Einbrecher so verhält, zählt wenig. Ein Polizist meinte, in der
Siedlung, in der ich fotografiert habe, sei schon öfters eingebrochen
worden, das Misstrauen der Menschen sei verständlich. Tatsächlich nehmen
aber die meisten Gewaltdelikte in Häusln ihren Ausgang im Inneren. Fragliche
Grenzziehungen.
Bernhard Kathan, 2010
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