Thuje, Riesenzypresse, Raketenwacholder
Industrie zur Vermeidung unerwünschter Nachbarschaften


Foto: Bernhard Kathan


Jedes zusätzliche Schloss an der Eingangstür, mit dem man auf das neueste Gerücht über fremdländisch aussehende Verbrecher mit Dolchen in ihren Mänteln reagiert, jede weitere Revision des Speiseplans, mit der man auf den neuesten "Lebensmittelskandal" reagiert, lässt die Welt noch gefahrvoller und furchterregender erscheinen und löst noch mehr defensive Verhaltensweisen aus - die leider ihrerseits dazu beitragen, dass die Angst sich selbst reproduziert.

Zygmunt Baumann


Während es moderne Kommunikationstechnologien erlauben, mit entferntesten Menschen in Verbindung zu treten, sind nachbarschaftliche Verhältnisse schwieriger geworden. Einhegungen, gleichgültig, ob es sich um Zäune, Mauern oder beschnittene Hecken handelt, belegen deutlich, dass das Häusl in Abgrenzung zur Nachbarschaft gedacht wird. Das "Geviert", von dem Martin Heidegger in seinem 1952 vor Architekten gehaltenen Vortrag Bauen Wohnen Denken spricht, endet für den Häuslbauer an den eigenen Grundstücksgrenzen. Dabei wirkt jedes Gebäude zwangsläufig über diese Grenzen hinaus. Während in den 1950er Jahren Zäune dazu dienten, Grundstücke oft nur symbolisch abzugrenzen, dienen lebende Zäune, die an die Stelle von Maschendraht oder schmiedeeisernen Gittern getreten sind, dazu, die eigene Welt von der Außenwelt abzuschirmen. Man beklagt den Lärm von Rasenmähern oder anderer Geräte, ohne daran zu denken, dass der eigene Rasenmäher von anderen gleichfalls als Störung erlebt werden kann. Mitscherlich schreibt, so entstehe ein Zustand der Gereiztheit, in dem alle möglichen Verstimmungen vom bösen Nachbarn hergeleitet würden, obgleich sie ganz andere Ursachen hätten.

In letzter Zeit sind Gabionen, mit Steinen gefüllte Drahtkörbe, in Mode gekommen. Ein Hersteller: "Mit einer angegebenen Montagezeit von drei Minuten pro Steinkorb dürften diese Fertiggabionen wohl unübertroffen sein. Neben dem Geschwindigkeits-Vorteil durch Vorfertigung zeichnen sich die Fertiggabionen von TRACO durch hohe Stabilität aus - selbst in leerem Zustand: Durch den Einsatz von sechs Millimeter starkem Stahldraht werden die Steinkörbe so stabil, dass sie in mehreren Lagen bis zu einer Höhe von fünf Metern übereinander gestapelt werden können, ohne sich zu verformen. Und durch die Verzinkung wird der Stahl effektiv für viele Jahrzehnte vor Korrosion geschützt. [...] Das Grundmaterial für die Füllung sind faustgroße Natursteinstücke, die mit einer Presskraft von 20 t gerüttelt und verdichtet werden. Sie bilden die Basis für die mechanische Stabilität des Systems. Befüllt ist der Steinkorb mit den Deutschen Natursteinklassikern von TRACO. Auf Wunsch werden die sichtbaren Frontseiten mit besonders dekorativen Mauersteinen ausgestattet." Im Gegensatz zu Hecken haben Betonmauern wie Gabionen den Vorteil, dass sie keiner Wartung bedürfen. Hecken wuchern und müssen regelmäßig beschnitten werden.

Hecken wie Gabionen behaupten von sich, naturnah zu sein. Auch das Unterholz eines Waldes bestehe meist aus dichten, teils unüberwindbaren Gewächsen. Hecken hätten Tradition. Es wird auf Buchshecken in Bauerngärten oder auf Hecken verwiesen, die offene Fluren in Kulturlandschaften gliedern. Während letztere tatsächlich zahlreichen Tieren und Kleinstlebewesen Lebensraum bieten, Voraussetzung für das Vorkommen vieler Falterarten sind, ist die Artenvielfalt einer Thujenhecke bescheiden. Eine Kirschlorbeerhecke, hart an die Grundstücksgrenze gesetzt und regelmäßig beschnitten, hat mit einer Wildhecke nicht viel gemein. Hecken in bäuerlichen Kulturlandschaften hatten andere Funktionen. Sie dienten der Bodenbefestigung, dem Windschutz, als Zäune oder auch als stets nachwachsendes Brennholz.

Ob Gabionen oder Hecken, wir haben es mit Mauern zu tun. Aber es wird nicht gemauert, nicht einmal aufgeschichtet, selbst dann nicht, wird auf eine Gabione eine andere gesetzt. Katalogsangeboten entsprechend wird eingekauft. Gabionen lassen sich mit roten, grünen, grauen Steinen füllen, und sollte jemand über genügend Geld verfügen, dann kann er sich Marmor aus diesem oder jenem Erdteil herbeischaffen lassen. Zwar wurden auch in früheren Jahrhunderten Steinblöcke über große Entfernungen transportiert, in der Regel stammte das Material aber aus der unmittelbaren Umgebung. Wir assoziieren Mauern mit Befestigungsanlagen, aber die ersten Mauern fallen mit den Anfängen von Ackerbau und Viehzucht zusammen. Es musste nicht nur gerodet werden. Es galt vor allem Steine aus dem Feld zu räumen. In Kulturlandschaften, die bereits vor Jahrtausenden besiedelt wurden, lässt sich dies heute noch erkennen. Viele Hügelkanten gäbe es nicht, hätten nicht Menschen über viele Generationen hinweg in beiläufigem Tun Steine an Feldrändern aufgehäuft. Zusammengetragene Steine konnten als Trockenmauern zum Zweck von Feld- oder Wegbegrenzungen aufgeschichtet werden. Zwangsläufig machte man sich dabei topographische Gegebenheiten zu Nutze. Die Bauweise war dabei vom verfügbaren Steinmaterial abhängig. Stets war es ein gemeinschaftliches Tun, gleichgültig, ob es freiwillig oder erzwungen geschah. Wer denkt schon beim Anblick mancher Kirchen daran, dass hier auch Kinder angehalten waren, bei jedem Gang ins Dorf einen Stein auf die Baustelle mitzunehmen, sicher oft Steine, die beim Umpflügen an die Oberfläche befördert worden waren und dann aus dem Feld geräumt werden mussten. Spätestens hier fügt sich zum Praktischen das Symbolische. In solchen Mauern waren all jene präsent, die Steine herbeigeschafft hatten. Ein steiniger Boden ist kein fruchtbarer Boden. Aus Unfruchtbarem, aus Steinen also, wurden Bauwerke errichtet, um darin um Fruchtbarkeit, um eine reiche Ernte zu beten und die dafür nötigen Opfer zu bringen. Zwangsläufig dachten sich Menschen, die so bauten, Bauwerke in einem horizontalen und vertikalen Gefüge, welches weit über den manifesten Baukörper hinausreichte. Das machen etwa Beinhäuser deutlich, in deren Mauern menschliche Knochen und Schädel eingemauert sind. Während Mauern Beständigkeit behaupten, lässt ein solches Mauerwerk nicht vergessen, dass unser Leben höchst temporär ist, dass wir nicht zuletzt von dem leben, was andere vor uns geschaffen haben. Im heutigen Bauen spielen weder das unmittelbare Umfeld noch topographische Gegebenheiten eine Rolle. Nach dem Zweiten Weltkrieg wurde ein breites Steinsortiment für Massen zugänglich. In die damalige Zeit fällt auch der Übergang von selbst errichteten zu gewerblich und industriell produzierten Mauern, zu Kunststeinen mit diesen oder jenen Mustern. Normierte Ziegel gab es lange zuvor. Festungsanlagen, ja ganze Städte wurden so errichtet. Der entscheidende Bruch ist dort zu sehen, wo die Orte der Herstellung mit jenen der Verwendung so weit auseinanderklaffen, dass das verwendete Material geschichtslos, nur noch hinsichtlich seiner Materialqualität und der anfallenden Kosten beurteilt wird.

Betrachtet man Gartenmauern der letzten fünfzig Jahre, dann muss man feststellen, dass wir es mit einer raschen Abfolge von Moden zu tun haben, an deren vorläufigem Endpunkt Gabionen zu nennen sind, die ihrerseits schon bald wieder als überholt gelten und durch andere Moden ersetzt sein werden. Gleichgültig, ob wir es mit Mauern, Hecken oder hölzernen Gartenzäunen zu tun haben, es sind industriell gefertigte Produkte. Mit der Mode ist die Kurzlebigkeit angesprochen. Gabionen lassen sich in kürzester Zeit aufstellen. Hecken sollen in wenigen Jahren die gewünschte Höhe erreichen. Heute lässt sich eine grüne Wand als Sichtschutz theoretisch am Tag der Pflanzung fertigstellen. Es ist nur eine Frage des Preises. Das Wurzelwerk wird in einem Erdballen geliefert: Thuje, Buchs, Riesenzypresse, Raketenwacholder, Fichte, Eibe, Kirschlorbeer, Stechpalme, Hain- und Rotbuche, immergrüner Liguster (mittelstark wachsend und nach zwei bis vier Jahren absolut dicht), Blutberberitze, Feldahorn, Hartriegel (wächst relativ schnell und dicht), etc.

Gute Architektur weiß nicht nur um den manifesten Baukörper, sie weiß auch um Zwischenräume, um Leerstellen, um Beziehungen zwischen Menschen. Verschwindet ein Haus hinter einer meterhohen Hecke, dann wird all das negiert. Nicht zufällig haben Hecken oft genug Nachbarschaftskonflikte zur Folge. In Ratgebern wird empfohlen, Hecken gemeinsam mit Nachbarn zu planen und anzulegen. Wie sollte dies gelingen, dienen Hecken doch dazu, mit Nachbarn nichts oder möglichst wenig zu tun zu haben. Häuslsiedlungen wirken trostlos, weil sie scharf zwischen privatem und öffentlichem Raum unterscheiden, wobei den als "öffentlich" wahrgenommenen Verkehrsflächen die Qualitäten eines eigentlichen öffentlichen Raumes fehlen. Zufahrtsstraßen erfordern kein auf den Raum bezogenes Tun. Eine Straße, die nur eine Zufahrt bildet, vermag keinen öffentlichen Raum zu bilden. Einen wirklich öffentlichen Raum, sei es in der Stadt oder in einem Dorf, kann es nur geben, prallen unterschiedlichste Bedürfnisse aufeinander. Der öffentliche Raum setzt Durchmischung voraus, sei es die von unterschiedlichen Menschen, Tätigkeiten oder Interessen. Heutige Straßen, der Beschleunigung dienend, setzen auf Entmischung, auf die räumliche Differenzierung der unterschiedlichen Fortbewegungsarten. Autobahnen bilden als Raum genau das Gegenteil von dem, was unter einem öffentlichen Raum zu verstehen ist. Zu öffentlichem Raum wird eine Autobahn erst dann, gerät der Verkehr ins Stocken, sind Menschen angehalten, miteinander in Kommunikation zu treten. Im Gegensatz zu allen Behauptungen bildet die virtuelle Welt eines nicht, nämlich einen öffentlichen Raum, verständlich, ist sie doch nach den Regeln des Straßenverkehrs und der Marktwirtschaft organisiert.

Moderne Technologien versprechen unbegrenzte Kommunikationsmöglichkeiten, vorausgesetzt, man verfügt über entsprechende Hard- und Software. Die versprochene Nähe zu anderen erweist sich freilich oft als fraglich, wie auch oft vergessen wird, dass wir es mit einer maschinell organisierten Nähe zu tun haben. Die Kommunikationsversprechen gehen einher mit einer boomenden Industrie zur Vermeidung unerwünschter Bekanntschaften. Nicht wenige Softwarehersteller leben davon. In Baumärkten finden sich zahllose Angebote, die dazu dienen, der als unangenehm erlebten Nähe anderer entgegenzuwirken. Dazu zählen Alarmanlagen, Lichtsysteme, mit deren Hilfe sich die Anwesenheit von Bewohnern simulieren lässt, während das Haus leer steht. Bewegungsmelder lassen Lampen aufleuchten, nähert sich jemand dem Haus.

Das Klima in Häuslsiedlungen ist von Misstrauen geprägt. Man sieht zwar nur selten Menschen, fühlt sich aber ständig beobachtet. Verdächtig ist bereits der Unbekannte, der fotografiert. Auch in entlegenen Siedlungen ist die Polizei erstaunlich schnell zur Stelle. Die Bewohner phantasieren, man würde ihre Häuser auskundschaften, um dann wiederzukehren und einzubrechen. Dass sich kein Einbrecher so verhält, zählt wenig. Ein Polizist meinte, in der Siedlung, in der ich fotografiert habe, sei schon öfters eingebrochen worden, das Misstrauen der Menschen sei verständlich. Tatsächlich nehmen aber die meisten Gewaltdelikte in Häusln ihren Ausgang im Inneren. Fragliche Grenzziehungen.

Bernhard Kathan, 2010

Das Andere Heimatmuseum
Schloss Lind
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