Roman Bauers „Der Tod des Marat“
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Zwei großformatige Arbeiten Roman Bauers haben mich auf den ersten Blick beeindruckt. Die mit groben Strichen hingepinselten Gemälde sind während der Ausgangsbeschränkungen der Corona-Zeit entstanden. Das eine zeigt einen auf einem Bett sitzenden Mann. Der Raum ist leer, sein Blick ist gegen eine schwarze Wand gerichtet. Neben dem Eisengestell des Bettes tut sich ein Loch im Boden auf. Auf dem zweiten Gemälde ist eine männliche Figur in einer Badewanne zu sehen. Der rechte Arm hängt schlaff über den Wannenrand. Auf der Wasseroberfläche scheinen sich kleine Menschenfiguren wie auf einer Eislauffläche eines zugefrorenen Sees zu tummeln. Rechts im Bild eine große weibliche Figur, die im Weggehen sich noch einmal umwendet, um den Mann in der Badewanne zu betrachten. Unübersehbar diente Jacques-Louis Davids 1793 entstandenes Gemälde „Der Tod des Marat“ als Vorlage. Zwar zitiert Roman Bauer Jacques-Louis Davids Gemälde, aber um eine Kopie handelt es sich gerade nicht. Um das zu sehen empfiehlt es sich, das „Original“ oder die Vorlage genauer zu betrachten.
Bekanntlich verschaffte sich Charlotte Corday, um das Blutregime der Jakobiner zu beenden, unter falschen Angaben am 13. Juli 1793 Zutritt zu den Privatgemächern des Revolutionsführers und erstach den Wehrlosen in der Badewanne, in der sich dieser einer quälenden Hauterkrankung wegen aufzuhalten und zu schreiben pflegte. Es war keineswegs ungewöhnlich, empfing Marat die vierundzwanzigjährige Charlotte Corday in der Badewanne, zumal die Wanne durch eine Platte, die als Arbeitsfläche diente, abgedeckt war und der Oberkörper des Kranken unter Tüchern verschwand, also nur sein Gesicht, sein rechter Arm wie die beiden Schultern sichtbar waren.
Solchen wie anderen Nebensächlichkeiten schenkte Jacques-Louis David keine Aufmerksamkeit. Da er nicht nur ein Parteigänger Marats, sondern mit diesem auch befreundet war, muss er die Wohnung gut gekannt, sich mit ihm öfters neben der Badewanne sitzend unterhalten haben. David soll zwei Tage nach dem Mord die Wohnung, in der der tote Marat aufgebahrt lag, aufgesucht haben. Zu diesem Zeitpunkt habe die Leiche wegen des heißen Wetters bereits Zeichen der Verwesung gezeigt. David war als Mitglied des Nationalkonvents zugegen, als die Leiche der Charlotte Corday in der Charité von Medizinern untersucht wurde, was verständlicherweise keine die Tat betreffende Erkenntnisse zu Tage förderte, aber immerhin zur Feststellung führte, die Tote sei im Zustand der Jungfräulichkeit gestorben. Für David muss all das sehr eindrücklich gewesen sein. Man denke an den Gestank, an den Torso der jungen Frau, an den aufgebrochenen Körper, an die Untersuchung ihres Geschlechts mit all den dafür notwendigen Bewegungen, Handgriffen und Schnitten.
In Davids Gemälde ist von all dem nicht das Geringste zu sehen. Statt dessen liegt der sterbende Marat geradezu befriedet in der Badewanne, mag sich das Wasser auch rot gefärbt haben. Keine Spur von einem Todeskampf, ganz im Gegenteil, wirkt das Gesicht des Sterbenden doch entspannt. Nicht einmal das Tuch, das Marat sich um seinen Kopf gewickelt hatte, ist in Unordnung geraten. Tatsächlich schrie Marat um Hilfe wie er sich gewiss auch aufbäumte, keinesfalls in der dargestellten Haltung verharrte.
Unterhalb seines Schlüsselbeins ist die Einstichwunde dargestellt. Vor der Wanne liegt die Tatwaffe, ein Messer. In seiner rechten Hand hält Marat eine Schreibfeder, in der linken einen Brief, auf dem die Worte zu lesen sind: „13. Juli 1793. Marieanne Charlotte Corday an den Bürger Marat. Dass ich sehr unglücklich bin, reicht aus, ein Recht auf Ihr Wohlwollen zu haben.“ Es scheint, als habe er in seinem Lesen und Schreiben nur kurz innegehalten, sich zurückgelehnt. Auffallenderweise ist die Mörderin aus dem Bild gerückt, nur der Brief, den Marat in Wirklichkeit nie erhielt, die Stichwunde und das Messer deuten auf sie. Im Gegensatz zu zeitgenössischen Stichen, die das Boulevardeske betonen, ist keine wild entschlossene Corday, die auf den wehrlosen Mann einsticht, zu sehen. David wollte den Toten auratisch hervorgehoben wissen. Brief und Messer lassen an Attribute denken wie wir sie von Darstellungen christlicher Märtyrer kennen. Dabei hat David den sterbenden Marat nicht nur als Märtyrer der Revolution ins Bild gesetzt, sondern, da dieser, statt Charlotte Corday abzuweisen, ihr Einlass gewährt hatte, als diesseitige Christusfigur. So stilisiert er den Mord zu einem Akt der Selbstaufopferung. Unübersehbar sind Bezugnahmen auf Darstellungen des toten Christus. Kunsthistoriker verweisen dabei vor allem auf den rechten über den Rand der Badewanne hängenden Arm, der sich ähnlich bei Michelangelos „Pietà“, Carvaggios „Grablegung Christi“, bei Rubens wie anderen findet. Nicht zuletzt die Stichwunde weist Marat als diesseitigen Christus aus, wird sie doch buchstäblich zur Seitenwunde. Mit den von Charlotte Corday zugefügten Verletzungen hat diese wenig gemein, muss sie doch mit aller Kraft zugestoßen, also eine weit größere Wunde verursacht haben. Während ihr Stich neben Aorta und Lunge die linke Herzkammer durchbohrte, ist die Wunde auf der anderen Brustseite, auf der üblicherweise die Seitenwunde Christi zu sehen ist, dargestellt. Um die Seitenwunde zur Geltung zu bringen, bedurfte es eines entblößten Oberkörpers, was zudem die Verletzlichkeit betont und auf die Selbstaufopferung verweist. Und als wäre das nicht genug, deutet David das Bad um. Es tritt an die Stelle des Grabes Christi, lässt es doch Vorstellungen von Auferstehung, zumindest eines ideellen Weiterlebens anklingen. Tatsächlich genoss Marat einige Jahre kultische Verehrung. Kruzifixe und Heiligenbilder wurden mit seinen Büsten und Statuen ersetzt. Es entbehrt nicht einer gewissen Ironie: Während Marats Verehrung nicht lange währte, wurde Charlotte Corday schon bald als Heilige betrachtet, als neue Jean d’Arc.
Dass Marat in der Badewanne ermordet wurde, der Mord auch noch von einer jungen Frau begangen wurde, ist bezüglich seiner Verbildlichung als Glücksfall zu betrachten. Wäre es Charlotte Corday gelungen, so wie von ihr ursprünglich geplant, Marat am 14. Juli, dem Jahrestag des Sturms auf die Bastille, in aller Öffentlichkeit zu erstechen, wohl kaum hätte sich dieses Ereignis so tief eingeschrieben.
Jacques-Louis Davids „Der Tod des Marat“ wurde oft aufgegriffen. Insbesondere ist hier auf Edvard Munch zu verweisen, der David nicht nur mehrfach zitiert, sondern zwei seiner Gemälde auch noch gleichlautend betitelt: „Der Tod des Marat“. Auch hier haben wir es mit einer mordenden Frau zu tun, allerdings mit einer Hassliebe, in der sich der Künstler, der ohnehin ein schwieriges Verhältnis zu Frauen hatte, von der sechs Jahre jüngeren Geliebten Tulla Larsen erotisch angezogen, gleichzeitig jedoch bedrängt und seiner Freiheit beraubt fühlte. 1902 kam es zum dramatischen Höhe- wie Endpunkt der Beziehung, als sich in einem Streit ein Schuss aus einem Revolver löste und Munch ein Fingerglied verlor. Wer von beiden den Schuss ausgelöst hat, das wurde nie geklärt. Munch muss den Verlust eines Fingergliedes wohl als eine Art Kastration empfunden haben. In der Folge verarbeitete er diese Erfahrung, indem er sich als Marat, seine Geliebte in der Rolle der Charlotte Corday darstellte. In zwei in den Jahren 1906 und 1907 entstandenen Gemälden liegt ein Mann, unschwer als Edvard Munchs Alter Ego zu erkennen, nackt ausgestreckt auf einem weißen, mit Blutflecken bedeckten Laken. Während David die Mörderin aussblendet, ist die vermeintlich tödliche Frau nun zentral ins Bild gerückt, nackt und frontal dem Betrachter zugewandt, buchstäblich bloßgestellt. Während wir es im Fall Corday mit einem politischen Geschehen zu tun haben, stilisiert Munch den Vorfall zu einem Kampf der Geschlechter. Dabei wirkt die dargestellte „Mörderin“, Personifizierung der schrecklichen, vampirhaften Unberechenbarkeit des Weiblichen, des gleichermaßen Verführerischen wie Angsteinflößenden, auffallend leblos. Obwohl prominent ins Bild gesetzt ist sie mehr Leerstelle als handelnde Person. Mit Marats Ende hatte all das wenig gemein. Dort ein geplanter und konsequent durchgeführter Anschlag, eine junge Frau, die ihr Opfer gar nicht persönlich kannte, da ein kompliziertes, geradezu verklumptes Verhältnis, das an Banalität nichts zu wünschen übrig ließ. Beziehungskonflikte solcherart gibt es tausendfach, während die Tötung des Marat einzigartig war, mag es auch vergleichbare Attentate gegeben haben oder immer noch geben. Die Identifikation Munchs mit Marat ist nachvollziehbar, ist aber auch Ausdruck einer parasitären Selbstüberhöhung, auf jeden Fall einer Selbstinszenierung, was nicht zuletzt ein fotografisches Selbstportät vermuten lässt, auf dem der Künstler in einer Badewanne sitzend in die Kamera blickt. Sein Oberkörper ist entblößt, Tuch hat er sich jedoch keines um seinen Kopf gewickelt. Die Pose war von Bedeutung, es ging ihm nicht darum, das Bild nachzustellen.
Munch hat sich über Jahre mit dem Thema beschäftigt, so auch in einem Gemälde mit dem Titel „Auf dem Operationstisch“. Er malte sich nackt auf einem weißen Tuch liegend. Das Tuch ist blutverschmiert, ein großer roter Fleck ist unschwer als Herz zu deuten. Links im Bild ist eine Krankenschwester zu sehen, die den Patienten betrachtet, eine mit Blut oder Blutwasser gefüllte Schüssel in ihren Händen haltend. Hinter dem Operationstisch scheinen sich drei Ärzte zu unterhalten, als wären sie ganz unbeteiligt. Auf einem an der Wand hängenden Gemälde sind mehrere Personen abgebildet, die den auf dem Operationmstisch liegenden Künstler zu betrachten scheinen. Womöglich hat Munch weniger an ein Gemälde, sondern an eine Glasscheibe gedacht, hinter der sich Zuschauer befanden. Mit dem tatsächlichen Eingriff hat das Gemälde wenig gemein. Wozu sollte ein Patient für eine Operation an einer Hand völlig entkleidet werden? Das Gemälde bringt vor allem Be- und Empfindlichkeiten zum Ausdruck. Stellt sich Munch nackt dar, dann bezeichnet dies die empfundene Blöße oder Bloßstellung.
Die Arbeit an dem sehr persönlichen Motiv soll Munch ausgelaugt haben. Nur schwer ist auseinanderzuhalten, ob seine Erschöpfung auf die Arbeit an den beiden Gemälden, die übrigens mit raschen Strichen ausgeführt sind, oder auf den Verlust des Fingergliedes bzw. der Geliebten zurückzuführen ist, wobei für zweiteres spricht, dass der Künstler zumindest eines der beiden Gemälde als Produkt dieser Beziehnung betrachtete: „Du darfst gern den Feinden mitteilen, daß das Kind nun geboren und getauft ist.“
In diesem wie anderen Gemälden haben wir es trotz der Bezugnahmen auf Davids „Der Tod des Marat“ stets mit Liegen und Betten zu tun, nicht aber mit einer Badewanne. Erst 1930, also lange Jahre nach dem dramatischen Vorfall, taucht die Badewanne auf. Auf einem der Gemälde ist das Badewasser grün, der Körper des Munch-Marat dagegen rot. Die einstige Geliebte ist wie in all den Arbeiten zuvor aufrecht stehend statisch ins Bild gesetzt, nun allerdings bekleidet und mit vor der Brust gefalteten Händen, alles andere als eine „Männin“ oder ein „männermordendes Ungeheuer“. Munch scheint zu diesem Zeitpunkt die große narzistische Kränkung überwunden zu haben.
Bei Munch verweist das blutbefleckte Bett auf Sexualität in ihrer ganzen Ambivalenz, die bereits in Jacques-Louis Davids „Der Tod des Marat“ anklingt, hieß dieser doch die junge Bittstellerin in einen Raum eintreten, der dem Privaten zugeordnet war, mochte dies auch gar nicht so ungewöhnlich gewesen sein. Genau das muss Munch dazu verleitet haben, auf das David’sche Sujet zurückzugreifen. Wandelt sich bei ihm das Bett zur Badewanne, dann verweist dies allerdings weniger auf Sexualität und Tod, sondern auf Reinigung.
Die Reinigung im Bad hilft uns im Alltag, Abstand zu gewinnen, Zurückliegendes zu vergessen. Wasser reinigt, spült ab, wäscht weg. Dies gilt für dramatische Einschnitte des Lebens ebenso wie für alltägliche Erfahrungen, ob wir getauft werden oder uns von den verschmutzenden Erfahrungen des Alltags reinigen, ob wir in ein Grundwasserbecken hinuntersteigen, um uns dort einer rituellen Reinigung zu unterziehen oder uns bloß unter die Dusche stellen. Wasser ist formlos, mehr noch, mit Hilfe von Wasser lässt sich jede Form auflösen. Es reinigt von zähen, anhaftenden, klebrigen Verschmutzungen. Duschen reinigt mehr als ein Vollbad, welches mehr an ein Einweichen des Körpers denken lässt. Wer in der Badewanne liegt, suhlt sich im eigenen Schmutz, der nur durch nachträgliches Duschen entfernt werden kann. Das Bad verspricht Reinigung, kann sich aber rasch zur tödlichen Falle wandeln.
In Alfred Hitchcocks Psycho (USA 1960) duscht sich Marion Crane, um alles Zurückliegende wegzuschwemmen, um ein neuer Mensch zu werden. Unter der Dusche soll das neue Leben beginnen. Hitchcock lässt es hier enden. Norman Bates ersticht Marion Crane in Frauenkleidern. Wenn auch eine etwas seltsame, so doch wieder eine mordende Frau. Bemerkenswert die Spiralbewegung, in der das mit Wasser vermischte Blut im Abflussloch verschwindet. Hitchcock hatte womöglich die Angst mancher Kinder im Sinn, vom abfließenden Wasser durch den Abfluss in die unheimlichen Tiefen der Kanalisation gezogen zu werden.
Tote in der Badewanne. Wir alle kennen solche Geschichten. Man denke an Uwe Barschel, der 1987 im Genfer Luxushotel Beau-Rivage tot in der Badewanne des Zimmers 317 aufgefunden wurde. Oder an Seneca oder Petronius, die sich in der Badewanne die Pulsadern aufschnitten. Menschen, die tot in einer Badewanne aufgefunden werden, wirken, als seien sie bereits in Auflösung begriffen.
Noch mehr gilt dies für Menschen, die in Seen oder Flüssen ertrunken sind. In John Everett Millais’ Gemälde „Ophelia“ (1852) ist das nicht der Fall, scheint es doch, als schlafe die auf dem Wasser treibende Ophelia nur, ganz im Gegensatz zu Shakespeares Beschreibung im „Hamlet“, auf die sich der Künstler bezog: „… Ihre Kleider verbreiteten sich weit und trugen sie sirenengleich ein Weilchen noch empor, indes sie Stellen alter Weisen sang, als ob sie nicht die eigne Not begriffe, wie ein Geschöpf, geboren und begabt für dieses Element. Doch lange währt’ es nicht, bis ihre Kleider, die sich schwer getrunken, das arme Kind von ihren Melodien hinunterzogen in den schlamm’gen Tod.“ Wenn Millais’ Ophelia an den Tod denken lässt, dann weniger des Wassers wegen, auf dem sie treibt, sondern weil sie wie eine der im 19. Jahrhundert massenhaft produzierten Wachspuppen, die im 19. Jahrhundert in vielen Kirchen in Glasschreinen zu sehen waren, inszeniert ist, wie Schneewittchen im gläsernen Sarg.
Millais begann beim Gemälde mit der landschaftlichen Rahmung, die er in freier Natur malte. Während des Sommers wurde er von Mücken wie anderen Widerwärtigkeiten geplagt. Nach einem Wintereinruch im Spätherbst ließ er sich eine Strohhütte errichten. Mochte Millais selbst kleinsten Details größte Beachtung geschenkt haben, so nahm er es doch nicht genau. Während Shakespeare an der entsprechenden Stelle Hahnfuß, Nesseln, Maßliebchen und Kuckucksblumen nennt, sind auf seinem Gemälde Vergissmeinnicht, Nelken, Mohn, Blutweiderich und Heckenrosen zu erkennen. Millais verlor sich in der peniblen Darstellung von Details und wurde keinesfalls der von Shakespeare in wenigen Zeilen skizzierten Dramatik gerecht. Im gekonnt gepinselten Vergissmeinnicht gerinnt der Tod zum Kitsch, zu einer gemütlichen Gestimmtheit, auch in der vom Modell eingenommenen Pose. Es hätte gröberer Striche bedurft. Kein Wunder, dass Millais’ Gemälde zu den bekanntesten Gemälden des 19. Jahrhunderts zählt.
Die Entstehungsgeschichte des Gemäldes ist gut dokumentiert. Die Künstlerin Elizabeth Siddal posierte für das Bild mit einem bestickten Kleid in einer Badewanne. Um das Wasser warm zu halten, soll Millais Öllampen unter die Badewanne gestellt haben. Einmal, ganz in seine Arbeit vertieft, habe er das Erlöschen der Öllampen nicht bemerkt, weshalb das Wasser in der Wanne erkaltet sei. Um Millais nicht aus seiner Inspiration zu reißen, habe Siddal ohne zu klagen im erkalteten Wasser ausgeharrt und sich dabei eine Lungenentzündung zugezogen. Ob all das zutrifft oder nicht, auf jeden Fall waren solche Erzählungen dem zeitgenössischen Künstlerbild verpflichtet, nicht zuletzt dem Bemühen, dem Gemälde doch noch so etwas wie Leben einzuhauchen: „Wir haben es nicht nur mit einem Gemälde zu tun, sondern mit einer wirklichen Erfahrung, mit menschlichem Leben.“ Was macht es da schon, dass die Ophelia des Gemäldes nichts mit jener des „Hamlet“ gemein hat?
Siddal starb zwar nicht an der Lungenentzündung, nahm sich aber 33jährig mit einer Überdosis Laudanum das Leben. Bevor sie beerdigt wurde, legte ihr der Künstler Dante Gabriel Rossetti, sie war mit ihm verheiratet, ein Manuskript mit seinen Gedichten in den Sarg. An eine Abschrift hatte er nicht gedacht. Sieben Jahre später ließ er in der Absicht, die Gedichte doch noch zu veröffentlichen, die Tote exhumieren. Das Manuskript zeigte nur leichte Spuren von Wurmfraß. In der Folge verbreitete sich das Gerücht, Siddals Körper sei unverwest, ihr Haar sei weitergewachsen und habe den ganzen Sarg ausgefüllt, wobei sich solche Vorstellungen offensichtlich Millais’ Gemälde verdankten, treiben doch Ophelias Haare aufgelöst im Wasser. Dass Rossetti mit der Veröffentlichung seiner aus dem Grab geretteten Gedichte keinen Erfolg hatte, sei nur nebenbei erwähnt. Bemerkenswerter ist die Überlagerung von Tod und Geburt, die Austauschbarkeit von Bett, Badewanne, Sarg und Grab.
Zwar spielen die beiden Gemälde Roman Bauers auch mit dem breiten Assoziationsfeld, das sich zwischen den Klammern Badewanne und Bett auftut, aber weder wird in ihnen etwas heroisiert, noch selbstmitleidig inszeniert. Schon gar nicht haben wir es mit einem Beziehungskonflikt zu tun, sondern mit einer zwar indifferenten, aber doch bedrückenden äußeren Bedrängnis. Es tritt keine mordende Charlotte Corday auf und wenn die kleine weibliche Figur links im Bild als solche bezeichnet wird, dann haben wir es mit einer Krankenschwester zu tun, die mehr oder weniger hilflos ist, so sehr sie sich auch mühen mag, mit einer Krankenschwester an vorderster Front, hat sich doch die Badewanne zum Militärhelm gewandelt. Wie in einem Beckett’schen Stück wird das Sterben zu einem Seinszustand. Übrigens entstehen solche Gemälde Bauers mehr oder weniger aus sich heraus, vom ersten Strich bis zum letzten Punkt, wobei das Endprodukt als eine von vielen Schichten zu betrachten ist. Wenn er anfange zu malen, denke er nichts, sehe dann aber, was da alles aus ihm herauskomme.
© Bernhard Kathan, 2024