Vladimir Kurtz: 20 % auf alle Artikel, außer Tierfutter


Was soll dieser Hund, alleine da auf dem Blatt, Hunde trifft man ja meistens alleine an. Obwohl sie Rudeltiere sind. Das beweisen die streunenden, herrenlosen Hunde des Südens.

Man würde mir nicht zutrauen, Hunde explizit zu mögen. Oder zu lieben. Wie der Hochdeutsche sagt.

Früher, das muss ich klarstellen, gab es das nicht, das Lieben, oder nur in den deutschen Schlagern mit Rex und Gildo, die übrigens trotz ihrer Namen keine Hunde, sondern deutsche Männer waren. Es gab also das gern und sehr gern haben und keine Hunde weit und breit, abgesehen vom Hund des Direktors der OeBB (Oensingen-Balsthal-Bahn) und dem scharfen Spitz eines alten Weibes in der Klus. Nur Herren und Spinner hielten sich Hunde. Arbeiter nicht. Arbeiter hielten Gemüsegärten und Kaninchen. Die Hunde, die mir in meiner Kindheit begegneten, war er scharf und bissig, ihre Halter mindestens mürrisch.

Den Katzen sah ich vom Zimmerfenster aus zu, wie sie sich - während die Vogelmutter auf Futtersuche war - an das Nest schlichen, um die Jungen zu fressen. Diese beiden Tierarten hinterließen nachhaltig einen schlechten Eindruck.

Im Maiacker, wo meine Großeltern wohnten, hielt einer im Waschhäuschen einen Affen hinter Gittern. Aber vielleicht träume ich das nur. In der Gärtnerei gab es einen Papagei, der in seinen Farben gut zu allerlei Blumen passte. Es gab Restaurants mit sprechenden Vögeln, die man Beo nannte, auch hie und da ein Aquarium.

Arbeiter hatten weder Zeit noch Platz noch Geld für Haustiere. Außer Kaninchen eben. Die Tiere meiner Kindheit: Gemsen, Eichhörnchen, Krähen und sonst allerlei Vögel, wildlebende Tiere. Ihre Scheu und ihr Flüchten gefielen mir sehr. Der Wald ob dem Maiacker war voller Geheimnisse und ohne unberechenbare, kläffende Hunde. Heute und genau heute sind wir soweit, dass wir jemanden nicht mehr fragen, ob er Kommunist, Anarchist oder Katholik sei, ob er die Beatles lieber habe als die Stones, heute wird man danach beurteilt, ob man Hunde oder Katzen lieber mag.

Hitler mochte Hunde lieber als Katzen, aber Hitler war (jaja, ist nicht, war) auch Vegetarier, was eigentlich beweisen sollte, dass diese Art von Wertung untauglich ist. Völlig untauglich. Der Widerspruch. Offenbar. Heute ist die Tierliebe der größte Ausdruck von Arroganz und Menschenhass. Letzthin las ich, dazu soll man wissen, dass zurzeit Ausverkauf ist, an einem Laden angeschrieben: 20 % AUF ALLE ARTIKEL, AUSSER TIERFUTTER. Da werde ich moralisch.

Die Verkaufsflächen für Tierfutter und Zubehör (Katzenbäume) im Coop und Migros nehmen laufend zu, während, ich kann es nicht genug und nicht ohne sadistischen Genuss immer wieder wiederholen, in Afrika Kinder verhungern und verdursten. Um meinem Zynismus freien Lauf zu lassen, sage ich jetzt, sollen sich alle diese vereinsamten Singles, die sich Katzen und Hunde halten, ein Kind halten. Immer mehr junge Familien der bewussteren Art halten sich Hunde (Labrador), um die Kinder mit deren Hilfe zu sozialisieren. Menschenliebe scheint in der Anlage des Menschen hinter der Tierliebe hinterherzuhinken. Streicheln der Tiere. Die ihnen innewohnenende Unschuld. In den Tieren wohnt nicht das Böse (Erbsünde) wie im Menschen, sie sind unschuldig. Und es ist vielleicht schön, von so viel Unschuld umgeben zu sein, abends wenn Feierabend ist, und die Frau unschuldig vom Kinderspielplatz, dem von Hunden verschissenen, zurückkommt, vollgepackt mit Tierfutterdosen, für die es sonderbarerweise keinen Ausverkaufsrabatt gab. Warum? Diese Frage schreie ich in die Welt hinaus.

Um auf die Wertung zurückzukommen - bei mir waren es übrigens die Beatles - der Hund kam als Nutzhund in mein Leben. Nutzhunde sind der Reihe nach: Hirtenhund, Jagdhund, Wachhund, Kampfhund, Blindenhund, Lawinenhund, Polizeihund. Neuerdings Gehörlosenhund. Schoßhunde hielten sich nur die Aristokraten, das niedere Volk aß seine Hunde. Die Wachhunde auf den Bauernhöfen waren auch Spielhunde für Kinder.

Noch heute benutzen Berufsstände Hunde als Symbol der Abgrenzung, Berufung zu Höherem oder anders gesehen zu Niederem. Ich denke dabei an die Huren mit ihren kleinen Hündchen, die sie auf dem Arm tragen, oder an die Junkies mit ihren Straßenhunden, denen sie ein Halstüchlein anlegen, sie ansonsten frei in den Städten streunen lassen.

Zu den Katzen. Der einzige Nutzen der Katze ist das Mausen. Ich kann mir nicht vorstellen, dass in minergiegebauten Neubauwohnungen noch Mäuse zu finden sind. Es geht also um den Akt der Fütterung in regelmäßigen Abständen als sozialbindende Handlung in einer individualisierten Gesellschaft. Aber so gesehen ist das traditionelle Füttern (Hitsch im Prättigau), sei es in der Vorwinterung oder in einem neuen Stall, der jetzt auch schon wieder alt ist, von der Katzenfütterung der reifen, schönen Frau (Sheba) nicht mehr zu unterscheiden. Würde Hitsch auf die Rindviecher verzichten, die keinen wirtschaftlichen Nutzen mehr haben, außer dass man Subventionen beziehen kann, so wäre das der Gesellschaft zum Vorteil. Seine bodenverdichtenden und schadstoffausstoßenden und lärmenden Maschinen und Motoren, die vielen Hektoliter Bschütti und Gase produzierenden Kühe wären dann weg. Zurück bliebe die Hofkatze ... und die Überlegung einer Mäusezucht als letzte reale Markt-Lücke des Schweizerbauern: die Haustierfutterproduktion.

Mit den Widersprüchen zwischen Hund, Beatles (John Lennon) und Anarchie (Fürst Kropotkin, Gegenseitige Hilfe in der Tier & Menschenwelt) muss der werte Leser selber fertig werden.

PS. Der Hund, allein auf dem Blatt, lebt in Tende. Tende ist berühmt für seine steinzeitlichen Höhlenzeichnungen. Wanderfreudige Esoteriker gehen den Weg zwischen Stonhenge und Tende (Tenda). Der Hund war übrigens sehr stilvoll, ohne blöd zu wedeln, einfach interessiert. Kurz darauf brach ein frühsommerliches Gewitter von großer Heftigkeit über das Dorf herein.

© Vladimir Kurtz, 2013

Zu den Texten von Vladimir Kurtz

Lese seine Alpjournale stets mit größtem Vergnügen. Beste Popliteratur, mit klugen Miniaturen zu Natur, Gesellschaft, Literatur, vor allem immer wieder über das Altern. Kurtz hat so ziemlich alle Berufe ausgeübt, die man sich vorstellen kann. War Bergkehrichtmann, vierfacher Genossenschaftsgründer, Metzger, Bauer, Hotelbetreiber, Koch, um nur einige Beispiele zu nennen, die mir in Erinnerung geblieben sind. Seit Jahren verbringt er mit seinem Hund Tito, einem Widergänger des bekannten Tito, den Sommer als Hirt auf Mutterkuhalmen. Und so dreht sich denn auch einiges um das Auskommen mit Tito. Nach einem so klugen Hirten wird man suchen müssen. Kurtz zählt für mich zu jenen immer selteneren Menschen, die nicht nur über eine Ausbildung, sondern über Bildung verfügen. An Popliteratur denke ich deshalb, weil banale Sprachabfälle, Werbetexte, Produktaufschriften etc. seine Texte durchziehen. Autoren wie Vladimir Kurtz fallen durch alle Raster. Zu alt. Zu eigenwillig. Zu viel Selbstironie, die manchmal ganz schön bitter sein kann. Bei seinen Alpjournalen handelt es sich um während des Sommers entstandene Notizen, die er dann nach der Alpzeit zu einem Heftchen für Freunde macht. Aus einer zufällig aufgeschlagenen Seite:

„Wir haben vor heute noch nach Chur zu reisen. Diverse kleine Probleme, die Welt ruft sich in Erinnerung, ein Buch, mein Platanov, ‚Tschewengur - Die Wanderung mit offenem Herzen’ - wird zurückgerufen, seine Frist ist abgelaufen und schon Fr. 10 Buße haben sich angehäuft, der Computer, wissen Sie, ja dieses gute Buch ist nach 20 Jahren Vergessenheit plötzlich etwas. 20 Jahre ruhte es unbeachtet mit seiner Geschichte über den vollkommenen Kommunismus in der Landschaft Tschewengur im Keller der Kantonsbibliothek in Chur, die lieber die Anthroposophen hervorgrabscht und diese unter Glasvitrinen ausstellt. Diese Buße ist die Banalität des Bösen so wie heute die Fairtrade-Banane die Banalität des Guten ist, doch erstere der Banalitäten hat Potenzial, wenn ich innert 5 Tagen den Platanov nicht bringe und büßend die Ausleihfrist verlängere, dann kostet es 20 Franken und so weiter bis hin zur Hinrichtung durch den Strang im Hof der Kantonsbibliothek. Wahrscheinlich unter dem Applaus der aus den Bürofenstern glotzenden Fremdenpolizisten und ihren Sekretärinnen. / Ich bin zurück, erschöpft, habe die Buße anstandslos bezahlt. Sie haben eine Buße, hat die Frau am Schalter gesagt. Frauen werden es sein, die das Urteil vollstrecken. / Des alten Bauers Kuh hat gekalbert, am Abend nachdem er am Morgen in der Frühe nach ihr geschaut hat. Sie schaut zum Kalb und das Kalb hüpft schon munter zwischen dem Farnkraut. Die Tauben füttern ihre Jungen, fliegen hin und her. Da und dort liegt noch der Nebel in Tobeln. Vom Nebel auserwählte Tobel. Sie wissen es wohl, heimlich für sich. / Innert Kürze haben zwei große Kühe gekalbert auf dem Rossboden. Das freut mich natürlich, genau so wie ich mich freue an den kleinen Ameisen, den vielen, wie sie ihre Eier vor meiner Haustüre herum transportieren. Neues Leben, Wunder der Schöpfung, sage ich zu Tito. Er meint, der Tod, Vladimir, irgendwie muss es ja weitergehen, deshalb die Geburt, du musst nicht alles so positiv sehen. Ehrlich gesagt, machen mich Ameisen nervös. Zurück zum Anfang des Tagebuches, in den Süden, diesmal Sizilien ...“ Und so weiter und so fort. Zweifellos werden sich unter den Künstlern und Schriftstellern, die in einigen Jahrzehnten für unsere Zeit stehen werden, einige finden werden, die heute vollkommen unbekannt sind. Vladimir Kurtz wird noch zu entdecken sein. Vielleicht wird er in zwanzig Jahren als Paul Scheerbart Graubündens gehandelt werden.

Bernhard Kathan, 2013

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