Das folgende Projekt war Gegenstand eines günstigen Berichts der
Armeekommission des Senats (Commission de l'Armée du Sénat) im französischen
Kriegsministerium im Mai 1940. Die sich überstürzenden Ereignisse haben
jeden Durchführungsversuch außer Frage gestellt.
Anbei ein Brief, in dem Joë Bousquet, ein ehemaliger Kämpfer des anderen
Krieges und schwer kriegsinvalid, seine Meinung zu diesem Projekt zum
Ausdruck bringt. 1918 an der Wirbelsäule verletzt und als Folge dieser
Verletzung an Paraplegie leidend, hat er seither sein Bett nicht mehr
verlassen. Seine Kriegserfahrung steht ihm viel näher als jenen, die nach
1918 wieder ein normales Leben aufgenommen haben; andererseits ist seine
Meinung die eines reifen Mannes. Damit ist seine Ansicht wertvoll.
Dieses Vorhaben betrifft die Bildung einer Sondereinheit von
Krankenschwestern an vorderster Front. Eine solche Einheit wäre sehr mobil
und sollte sich prinzipiell immer an den gefährlichsten Orten aufhalten, um
mitten in der Schlacht Erste Hilfe zu leisten.
Man könnte den Versuch mit einem kleinen Kern von zehn Frauen oder gar noch
weniger beginnen; und man könnte so schnell, wie man will, damit beginnen,
weil fast keine Vorbereitung nötig ist. Grundkenntnisse der Krankenpflege
würden ausreichen, da im Gefecht außer Verbänden, Druckverbänden und
vielleicht Injektionen nur wenig gemacht werden kann.
Die dafür unerlässlichen Charaktereigenschaften zählen zu jenen, die man
sich nicht aneignen kann. Frauen auszuschließen, die sich bewürben ohne sie
zu haben, wäre ein einfach zu lösendes Problem. Die Kriegsgräuel sind heute
in der Vorstellung aller derart gegenwärtig, dass man eine Frau, die sich
freiwillig für solch eine Tätigkeit meldet, sehr wahrscheinlich als geeignet
betrachten kann.
Dieses Vorhaben mag, weil es neu ist, auf den ersten Blick undurchführbar
erscheinen. Doch ein wenig Aufmerksamkeit erlaubt anzuerkennen, dass es
nicht nur durchführbar, sondern auch sehr einfach zu verwirklichen ist; dass
im Fall eines Mißerfolgs die Unannehmlichkeiten fast gleich null sind; dass
im Fall eines Erfolgs die Vorteile wirklich beträchtlich sind.
Es ist einfach durchzuführen, weil für einen ersten Versuch ein ganz kleiner
Kern von Freiwilligen ausreicht. Keinerlei Organisation wäre erforderlich
aus eben dem Grund, dass die Anzahl zunächst sehr klein wäre. Wenn der erste
Versuch gelänge, würde sich jener ursprüngliche Kern nach und nach
vergrößern; Organisation wäre in jenem Maße nötig, wie es die Dimensionen
der Einheit erforderten. Zudem könnte eine solche Einheit gerade wegen der
Art ihrer Aufgabe in keinem Fall sehr groß sein; es ist auch nicht nötig.
Der Versuch könnte nur durch die Unfähigkeit der weiblichen Mitglieder einer
solchen Einheit, ihre Aufgabe zu erfüllen, fehlschlagen.
Es sind nur zwei Dinge zu befürchten: zum einen, dass den Frauen im Gefecht
der Mut abhanden kommt; zum anderen, dass ihre Anwesenheit unter den
Soldaten nachteilige Auswirkungen auf die Sittlichkeit hat. Das eine wie das
andere wird jedoch nicht der Fall sein, wenn der Charakter der Frauen, die
sich als Freiwillige melden, ihrer Entschlossenheit entspricht. Niemals
würden es die Soldaten an Respekt gegenüber einer Frau fehlen lassen, die
Mut in der Gefahr beweist. Die einzig zu treffende Vorsichtsmaßnahme
bestünde darin, den Kontakt zwischen diesen Frauen und den Soldaten nur im
Gefecht, nicht aber in Zeiten der Waffenruhe zu gestatten.
Selbstverständlich müssten diese Frauen mutig genug sein. Sie sollten das
Opfer ihres Lebens gebracht haben. Es wäre unabdingbar, dass sie stets
bereit wären, an den härtesten Orten zu sein, sich derselben oder noch
größerer Gefahr auszusetzen als die Soldaten, die ihr am meisten ausgesetzt
sind; dass sie sich über Verletzte und Sterbende beugen, ohne von
Angriffsgeist getragen zu sein.
Wenn aber der Versuch gelänge, dann entspräche der Nutzen dem Aufwand. Der
Aufwand ist eher scheinbar als real angesichts der kleinen Anzahl dieser
Freiwilligen und vor allem des ersten Kerns, die, um es noch einmal zu
sagen, geringer als zehn sein könnte. Es ist wahrscheinlich und fast sicher,
dass sich ohne Mühe zehn ausreichend mutige Frauen finden lassen.
Für jene, die sich in der Folge dem ursprünglichen Kern anschlössen, wäre
das Nacheifern ein sehr starker Anreiz.
Falls während des ersten Versuchs Frauen im Gefecht versagten oder nicht
genügend Zurückhaltung im Umgang mit den Soldaten zeigen würden, wäre
lediglich die Einheit aufzulösen, die Frauen ins Hinterland zurückzuschicken
und die Idee aufzugeben.
Da der Versuch nur mit sehr wenig Aufwand und ohne Werbung durchgeführt
worden wäre, wären die Unannehmlichkeiten gleich null, ausgenommen die
Verluste, die sich ereignet haben könnten.
Doch wären diese Verluste, was die Anzahl betrifft, im Kontext des Krieges
verschwindend, man kann sagen, vernachlässigbar. In der Tat wird bei einer
Kriegshandlung der Tod von zwei oder drei Menschen kaum als Problem gesehen.
Im Allgemeinen gibt es keinen Grund, das Leben einer Frau, vor allem wenn
sie schon ihre erste Jugend hinter sich hat, ohne verheiratet oder Mutter zu
sein, als wertvoller als das Leben eines Mannes zu betrachten; umso weniger,
als sie das Todesrisiko akzeptiert. Es wäre einfach, aus einer solchen
Gruppe Mütter, Gattinnen und junge Mädchen unter einer bestimmten
Altersgrenze auszuschließen.
Die Frage der körperlichen Widerstandsfähigkeit ist weniger wichtig, als sie
auf den ersten Blick scheint, sogar wenn diese Einheit dazu angehalten wird,
unter sehr rauen klimatischen Bedingungen zu arbeiten. Gemäß der Art der
Aufgabe wäre es einfach, lange und häufige Ruhezeiten zu gewährleisten.
Diese Frauen müssten nicht anhaltende Ausdauer beweisen, wie das bei
Soldaten der Fall ist. Es wäre einfach, ihren Einsatz an ihre Möglichkeiten
anzupassen.
Der motorisierte Charakter des modernen Kriegs mag zunächst als ein
Hindernis erscheinen. Denkt man aber darüber nach, dann werden die Dinge
dadurch im Gegenteil wahrscheinlich sogar erleichtert.
Wenn die Infanterie in Lastwagen ins Gefecht geschickt wird, kann es nicht
schwer sein, dafür zu sorgen, dass bei so und soviel Plätzen einer für eine
Frau reserviert wird. Das bedeutet zwar ein Gewehr weniger, doch ginge von
der Anwesenheit dieser Frau eine materielle und moralische Wirkkraft aus,
die diesen Nachteil als belanglos erscheinen ließe.
Es ist zu befürchten, dass es, sollte der Versuch mit einem kleinen Kern
gelingen, auf Grund der Schwierigkeit der Aufgabe unmöglich sein könnte, die
Rekrutierung zu erweitern.
Aber sogar wenn eine solche Einheit niemals aus mehr als einigen duzend
Mitgliedern bestehen sollte, was nicht sehr wahrscheinlich ist, wären die
Vorteile nichtsdestotrotz beträchtlich.
Desgleichen, wenn nach einer gegebenen Zeit die Sterblichkeitsrate zu hoch
für die Fortführung des Versuchs erschiene, so blieben doch die Vorteile des
durchgeführten Versuchs, die den Nachteil der Verluste weit überwiegen
würden.
So verringert sich die Zahl der Einwände, die beim ersten Blick auf ein
solches Projekt auftauchen, nach aufmerksamer Prüfung auf ganz wenige Dinge,
man könnte sagen, auf fast gar nichts. Im Gegenteil, die Vorteile sind umso
eindeutiger und scheinen umso größer, je näher man sie untersucht. Der erste
und augenscheinlichste liegt in eben jener Aufgabe, welche die Frauen
normalerweise bewältigen müssten.
Da sie sich an den gefährlichsten Ort aufhalten und die Soldaten ins Gefecht
begleiten, was gewöhnliche Krankenträger, Sanitäter und Krankenschwestern
nicht tun, würden sie in vielen Fällen Leben von Soldaten retten, indem sie
jenen, die fallen, einfache, aber doch unmittelbare Hilfe leisten.
Die moralische Unterstützung, die sie all jenen zukommen ließen, um die sie
sich kümmern, wäre in gleicher Weise unschätzbar. Sie würden den Todeskampf
erleichtern, indem sie die letzten Nachrichten der Sterbenden an ihre
Familien entgegennehmen; sie würden durch ihre Anwesenheit und Zusprüche die
Leiden der oft langen und so schmerzhaften Wartezeit verringern, die
zwischen dem Moment der Verletzung und der Ankunft der Krankenträger vergeht.
Wenn es nur das gäbe, wäre das schon ein ausreichender Grund, um eine solche
Einheit aus Frauen zusammenzustellen. Dieser Vorteil allein ist schon
beträchtlich und wird durch fast keinen Nachteil eingeschränkt. Aber es gibt
noch andere Vorteile, die mit der Ausführung dieses Projektes einhergehen
und die aus dem Blickwinkel der allgemeinen Kriegsführung vielleicht von
höchster Bedeutung sind.
Um sie schätzen zu können, muss man sich daran erinnern, bis zu welchem Grad
moralische Faktoren im derzeitigen Krieg wesentlich sind. Sie spielen eine
viel größere Rolle als in der Mehrzahl der vergangenen Kriege. Die Tatsache,
dass Hitler der erste war, der dies verstanden hat, ist einer der
Hauptgründe seines Erfolgs.
Hitler hat niemals die grundlegende Notwendigkeit, die Phantasie anzuregen,
aus den Augen verloren; die der Seinen, der feindlichen Soldaten und der
unzähligen Zuschauer der Auseinandersetzung. Die der Seinen, um ihnen den
Impuls weiterzumachen einzuprägen. Die der Feinde, um unter ihnen die größte
Verwirrung hervorzurufen. Die der Zuschauer, um sie zu überraschen und zu
beeindrucken.
Eines seiner besten Mittel zu diesem Zweck, sind Spezialeinheiten wie die
SS, Gruppen aus Fallschirmjägern, die als erste auf Kreta eingedrungen sind,
und noch andere.
Diese Einheiten bestehen aus Männern, die für spezielle Aufgaben ausgesucht
worden sind, nicht nur bereit, ihr Leben zu riskieren, sondern auch zu
sterben. Da liegt das Wesentlichche. Sie werden von einer anderen Eingebung
als die Masse der Armee angetrieben, eine Eingebung, die einem Glauben
ähnelt, einem religiösen Geist.
Nicht dass der Hitlerismus den Namen einer Religion verdiente. Aber ohne
jeden Zweifel ist er ein Religionsersatz, und dies ist einer der Hauptgründe
seiner Stärke.
Die Männer sind gegenüber dem Leiden und dem Tod, was sie selbst und den
ganzen Rest der Menschheit betrifft, gleichgültig. Die Quelle ihres
Heldenmuts ist äußerste Brutalität. Die Einheiten, die sie zusammenführen,
entsprechen vollkommen dem Geist des Regimes und den Absichten ihres
Anführers.
Wir können Hitlers Vorgangsweisen nicht nachahmen. Zunächst weil wir in
einem anderen Geist kämpfen und mit anderen Absichten. Dann, weil jede
Nachahmung das Ziel verfehlt, wenn es darum geht, die Phantasie anzuregen.
Nur das Neue regt an.
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Aber wenn wir diese Vorgangsweisen weder nachahmen können noch sollen,
sollten wir doch Entsprechendes haben. Dies ist eine vielleicht
lebenswichtige Notwendigkeit.
Wenn sich die Russen bisher besser vor den Deutschen gehalten haben als die
anderen Völker, dann ist einer der Gründe vielleicht, dass sie
psychologische Verfahren besitzen, die denen von Hitler vergleichbar sind.
Wir dürfen auch die Russen nicht nachahmen. Wir müssen Neues hervorbringen.
Die Fähigkeit hervorzubringen ist selbst ein Zeichen moralischer Vitalität,
dazu geeignet, die Hoffnungen jener Völker, die auf uns zählen,
aufrechtzuerhalten und die der Feinde zu schwächen.
Schwerlich kann man den Nutzen von Spezialeinheiten in Zweifel ziehen, deren
Mitglieder allesamt bereit sind zu sterben. Nicht nur kann man solchen
Einheiten Aufgaben anvertrauen, denen andere weniger gut gewachsen wären;
auch ist ihr Bestehen für die Armee eine starke Anregung und eine
Inspirationsquelle. Dazu ist nur nötig, dass sich der Opfergeist durch Taten
ausdrückt und nicht durch Worte.
Im unserem Zeitalter ist Propaganda ein wesentlicher Erfolgsfaktor. Sie hat
Hitler erfolgreich gemacht. Seine Feinde haben sie ebenfalls nicht
vernachlässigt.
Doch während man viel über Propaganda im Hinterland nachdenkt, denkt man
weniger an die Propaganda an der Front. Sie ist ganz genauso wichtig. Sie
verlangt jedoch nicht dieselben Vorgehensweisen. Im Hinterland wird
Propaganda mit Worten gemacht. An der Front müssen die Worte durch Taten
ersetzt werden.
Spezialeinheiten, die durch absolute Opferbereitschaft motiviert sind,
bedeuten in jeder Hinsicht Propaganda durch die Tat. Solche Einheiten
handeln notwendigerweise aus einer religiösen Eingebung; nicht im Sinn einer
Anbindung an eine bestimmte Religionsgemeinschaft, sondern in einem viel
schwieriger zu definierendem Sinn, dem gleichwohl nur dieses Wort zukommt.
Es gibt Umstände, unter denen eine solche Eingebung einen wichtigeren
Siegesfaktor darstellt als die rein militärischen Faktoren selbst. Man kann
sich davon überzeugen, indem man die Siegesmechanismen sei es von Jeanne
d'Arc, sei es von Cromwell untersucht. Es könnte wohl sein, dass wir uns
derzeit in Umständen solcher Art befinden. Unsere Feinde werden von einem
Götzendienst, einem Ersatz religiösen Glaubens, angetrieben. Unser Sieg
hängt vielleicht vom Vorhandensein einer vergleichbaren, aber authentischen
und reinen Eingebung ab. Und nicht nur von der Existenz einer solchen
Eingebung, sondern auch von ihrer Repräsentation durch geeignete Symbole.
Eine Inspiration kann nur dann etwas bewegen, wenn sie zum Ausdruck kommt,
und das beileibe nicht in Worten, sondern durch Taten.
Die SS bildet einen vollkommenen Ausdruck der Hitlerschen Inspiration. Wenn
man anscheinend unparteiischen Berichten glaubt, kultiviert sie an der Front
Brutalität aus Heroismus, und sie treibt diesen bis an die extreme Grenze
dessen, was man mit Mut erreichen kann. Wir können der Welt nicht zeigen,
dass wir mehr wert sind als unsere Feinde, indem wir ihren Grad an Mut
übertreffen, denn das ist nicht möglich, was das Ausmaß betrifft. Aber wir
können und müssen zeigen, dass wir eine andere Art von Mut besitzen, der
anspruchsvoller ist und seltener. Der ihre ist von einer brutalen und
niedrigen Art, er geht aus dem Willen zur Macht und Zerstörung hervor. Da
unsere Ziele von den ihren verschieden sind, ist unser Mut auch das Resultat
einer ganz anderen Eingebung.
Kein Symbol kann unsere Eingebung besser zum Ausdruck bringen als die hier
vorgestellte weibliche Einheit. Die einfache Beharrlichkeit einiger
humanitärer Dienste sogar im Zentrum des Gefechts, am Höhepunkt der
Verrohung, wäre eine schallende Herausforderung jener Verrohung, die der
Feind gewählt hat und die er uns aufdrängt. Die Herausforderung wäre umso
offensichtlicher, als diese humanitären Dienste von Frauen vollbracht und
von mütterlicher Zärtlichkeit umhüllt wären. Tatsächlich gäbe es nur eine
Hand voll solcher Frauen, und die Zahl der Soldaten, um die sich kümmern
könnten, wäre verhältnismäßig klein, aber die moralische Wirkkraft eines
Symbols hängt nicht von der Quantität ab.
Mut, der nicht durch den Willen zu töten angeheizt wird, der im Moment
größter Gefahr das fortgesetzte Schauspiel der Verwundungen und Todeskämpfe
unterstützt, ist gewiß von einer selteneren Qualität als jener der
fanatisierten jungen SSler.
Eine kleine Gruppe von Frauen, die Tag für Tag Mut dieser Art zeigen, wäre
ein derart neuer Anblick, derart bezeichnend und von einer derart klaren
Bedeutung, dass er die Phantasie mehr beeindrucken würde, als das bisher die
verschiedenen von Hitler erdachten Verfahren getan haben. Hitler allein hat
bisher die Phantasie der Massen in Beschlag genommen. Man müsste diese jetzt
stärker bewegen als er. Dieses weibliche Korps bildete zweifellos eines der
Verfahren, die dazu geeignet wären, dies zu erreichen.
Obschon aus unbewaffneten Frauen zusammengesetzt, würde dieses Korps
zweifellos Eindruck auf die feindlichen Soldaten machen, und zwar in dem
Sinne, dass die Anwesenheit der Frauen und ihre Auftreten auf eine neue
Weise die Reichweite unserer moralischen Ressourcen und unserer
Entschlossenheit spürbar machen würden.
Das Bestehen dieses weiblichen Korps würde keinen geringen Eindruck auf die
Öffentlichkeit im allgemeinen machen, in den Ländern, die am Kampf
teilnehmen, und in denen, die uns unterstützen. Seine symbolische Tragweite
würde überall begriffen werden. Dieses Korps einerseits und die SS
andererseits würden durch ihren Gegensatz ein Bild bieten, das jeder Parole
vorzuziehen wäre. Das wäre die offenkundigste Darstellung der zwei
Richtungen, zwischen denen sich die Menschheit heute entscheiden muss.
Noch größer wäre zweifellos der auf unsere Soldaten ausgeübte Eindruck.
Die feindlichen Soldaten haben, von einem rein militärischen Standpunkt aus,
die Überlegenheit, ihren Familien entrissen und seit zehn Jahren zum Krieg
ausgebildet worden zu sein. Eine Veränderung ihres Umfelds verwirrt sie
nicht. Sie haben sozusagen niemals ein anderes Umfeld gekannt. Der Wert
eines Heimes ist ihnen unbekannt. Sie haben nie etwas anderes als Gewalt,
Zerstörung und Eroberung eingeatmet. Dieser Krieg, wie hart er auch sein
mag, bedeutet für sie kein Entrissensein, sondern eine Fortsetzung und eine
Erfüllung.
Für die französischen, englischen, amerikanischen jungen Männer bedeutet er
Entrissensein. Sie haben stets in einem friedlichen Heim gelebt haben und
begehren schlicht, es wiederzufinden, nachdem sie dessen Fortbestand durch
den Sieg gesichert haben.
Das angreifende Land zieht immer mit einem beträchtlichen moralischen
Vorteil los, schließlich wurde der Angriff vorbereitet und vorausgeplant.
Die jungen Männer unserer Länder sind aus ihrem wirklichen Leben durch den
deutschen Angriff herausgerissen und brutal in ein Umfeld befördert worden,
das nicht das ihre ist, vielmehr das ihrer Feinde. Um ihre Heimstätten zu
verteidigen, müssen sie damit beginnen, sie zu verlassen und fast zu
vergessen, da sie sich an Orten aufhalten, wo sie nichts finden, was sie
daran erinnert. Die Kriegsumgebung hindert sie daran, den Beweggrund für den
Kampf im Denken gewärtig zu halten. Der Angreifer erlebt genau das
Gegenteil. Es ist also nicht erstaunlich, dass der Angreifer mehr Tatkraft
besitzt.
Deswegen trifft die Tatkraft des Angreifers nur dann auf eine in gleichem
Maße intensive Tatkraft, wenn jene, die sich verteidigen, sich zuhause
befinden, in der Nähe ihrer Heimstätten, und aus Furcht, diese zu verlieren,
fast verzweifeln.
Es ist weder möglich noch wünschenswert, unsere Soldaten in junge fanatische
Bestien zu verwandeln, ähnlich den jungen Hitleranhängern. Doch kann man
ihre Tatkraft auf ein Maximum steigern, indem man in ihrem Denken die
Heimstätten, die sie verteidigen, so intensiv wie möglich vergegenwärtigt.
Was wäre dazu besser, als sie bis ins Gefecht, bis zu den Schauplätzen der
größten Brutalität, von etwas begleiten zu lassen, das ihnen eine lebendige
Erinnerung der Heimstätten schafft, die sie verlassen mussten, eine nicht
nur bewegende, sondern auch erhebende Erinnerung? In keinem Moment hätten
sie dann den deprimierenden Eindruck, von all jenen, die sie lieben,
getrennt zu sein.
Dieses weibliche Korps würde genau diese konkrete und begeisternde
Erinnerung an die fernen Heimstätten aufrechterhalten.
Die alten Germanen, jene halb-nomadischen Volksstämme, welche die römischen
Armeen nie unterjochen konnten, hatten den begeisternden Charakter
weiblicher Präsenz im härtesten Gefecht erkannt. Sie hatten den Brauch, ein
junges Mädchen, von der Elite der jungen Krieger umgeben, an sie vorderste
Front zu stellen.
Heutzutage finden es auch die Russen, sagt man, vorteilhaft, Frauen bis in
die Kampflinien hinein dienen zu lassen.
Die Mitglieder dieses weiblichen Korps könnten nach Bedarf Dienste aller Art
leisten, über die Versorgung der Verwundeten hinaus. In den kritischsten
Augenblicken, wenn die Offiziere und Unteroffiziere von der Vielzahl der zu
erledigenden Aufgaben überrollt werden, würde ihnen, abgesehen von der
Waffenführung, die natürliche Unterstützung der Frauen in allen Arbeiten
zuteil, in allem, was mit Zusammenführung, Sammeln und der Weitergabe von
Befehlen zu tun hat. Angenommen sie bewahrten kaltes Blut, würde ihr
Geschlecht in solchen Momenten aus ihnen Instrumente großer Wirkkraft machen.
Zweifellos wird man sie mit Sorgfalt auszuwählen haben. Frauen laufen immer
Gefahr einen Störfaktor zu bilden, wenn sie nicht ein Quantum an
kaltblütiger und männlicher Entschlossenheit besitzen, die sie daran
hindert, ihre Rolle zu vergessen, egal in welcher Situation sie sich auch
befinden mögen. Diese kaltblütige Entschlossenheit ist in einem Menschen
selten mit der Zärtlichkeit vereint, die es braucht, um im Angesicht des
Schmerzes und des Todeskampfs Trost spenden zu können. Aber obwohl dies
selten sein mag, ist es nicht unauffindbar.
Eine Frau kann nur dann den Willen aufbringen, sich für die hier skizzierte
Tätigkeit anzubieten, wenn sie gleichzeitig diese Zärtlichkeit und diese
kaltblütige Entschlossenheit besitzt, oder wenn sie wenig ausgeglichen ist.
Aber jene, für die Letzteres gilt, wären leicht noch vor dem Zeitpunkt des
Einsatzes im Gefecht abzulehnen.
Anfangs würde es genügen, zehn Frauen zu finden, die einer solchen Aufgabe
wirklich fähig sind. Diese Frauen gibt es bestimmt. Es ist einfach sie zu
finden.
Mir scheint es unmöglich, eine andere Art und Weise zu finden, diese wenigen
Frauen so wirkungsvoll einzusetzen wie in einer solchen Einheit. Und unser
Kampf ist derart hart, derart lebenswichtig, dass man für ihn soweit als
möglich jedes menschliche Wesen mit maximaler Effizienz einsetzen muss.
Addendum. - Hier ein Auszug aus dem Bulletin of the American College of
Surgeons vom April 1942:
"Die sofortige Anwendung von einfachen prophylaktischen oder therapeutischen
Verfahren kann oftmals den Schock dort verhindern oder den milden Schock
verwinden helfen, wo die Anwendung aller derzeit bekannten Methoden sich als
vergeblich erweisen kann, wenn der Schock lange angedauert hat."
Laut amerikanischem Roten Kreuz verursachen "shock", "exposure" und
Blutverlust, Dinge, die man nur durch sofortige Versorgung heilen kann,
verhältnismäßig die meisten Todesfälle im Gefecht.
Das amerikanische Rote Kreuz hat ein System von Plasmainjektionen
entwickelt, das auf dem Schlachtfeld im Fall von Schock, Verbrennungen und
Blutverlust eingesetzt werden kann.
Simone Weil, 1942
Übersetzung: Catharine Eibl; CM Jansa