"Da hab’ ich so ein schönes taschenbuch geschenkt bekommen: solide schwarz
gebunden mit einem langzeitgummi verschließbar, voller leerer seiten. ein
reisetagebuch.
aber ich schreib’ kaum etwas hinein, wenn, dann zweitnotizen.
denn lieber schreib ich briefe.“
Aramis
Aramis legte seinen Briefen oft genug Sämereien und getrocknete Pflanzen
bei, Rosenblüten, Mistelblätter, Salbei, Buchs, Lilienblüten oder Eicheln.
In seinen letzten Jahren ging es oft um das Erwachen und Absterben der
Natur. Brachen Knospen und Blüten auf, so gab ihm das Hoffnung, begannen im
Spätsommer die ersten Pflanzen abzusterben, so dachte er bereits an lange
Winter: 26.7.08: "heute herbstsonne. schon fallen braune blätter des
knöterichs. der wilde wein färbt sich rot. die beeren auf den sträuchern
auch"; 17.8.06: "im schatten entfärbt es sich und zeigt alle wunden des
sommers. auch gilbt schon da und dort einiges. bedeckt den boden. letzte
rispen blühen am knöterich"; 27.8.2009: "immer mehr laub sprenkelt das
verdorrende gras. viel gelbes laub in den heckenrosenbüschen. es herbstlt
unübersehbar"; 21.9.05: "vor mir ein platanenzweig dessen blätter sich im
trockenen bizarr rollen"; 2.10.06: "der letzte wilde wein leuchtet";
9.10.06: "leichter blätterabfall. ein letztes stiefmütterchen in einem
sommertopf erblüht. altweibersommer"; 19.10.05: "die Eschen, Ahörner ganz
entlaubt. blätter nur noch an Hollunder, Linde und den hartlaubigen
sträuchern. wind fegt, kalter wind, das licht klar und fast schneidend".
Aramis schrieb in einem seiner Briefe, er führe ein zyklisches Leben, er sei
ganz der Demeter verpflichtet: "gewiss lebe ich in einer art zyklischer
binnenzeit". An anderer Stelle: "mir setzt der herbst ja immer zu. alle
arbeiten werden doppelt so schwer. aber ich helfe mir mit der
zeiteinteilung. da ich ja nun keine sozialen verpflichtungen habe, kehre ich
zu meinen rhythmen zurück, welche weitgehend jene der natur sind. das hilft
kräfte sammeln und bewahren." Einmal schrieb er, er spiele verstecken, indem
er dies und jenes zeige. Ich verstand diese Bemerkung erst nach seinem Tod,
als er nicht mehr unerwartet aus einem Raum auftauchen oder ebenso
unerwartet irgendwo verschwinden konnte. Da erschien mir manches wie ein
Abwehrzauber. Mancher Abwehrzauber findet sich auch in seinen Gärten. Und
doch haben sie bei mir einen ganz anderen Eindruck hinterlassen. Dies hat
nicht zuletzt damit zu tun, dass die Vegetation eben zyklisch organisiert
ist, sich jährlich einmal abstirbt, um dann mit neuem Wachstum zu beginnen.
Räume kann man nur anfüllen, ein Garten dagegen führt ein Eigenleben, ein
Gegenüber. Weniger dem Museum, den Gartenflächen galt in den letzten Jahren
seine Leidenschaft: "mit noch etwas zittrigen händen: seit tagen von früh
bis spät in den gärten um das haus. vor allem die wiesen kämmen, laub rechen
und im tragtuch auf baumscheiben und kompostplätze verteilen. am abend von
sonne verbrannt, wind durchweht, auf erfüllte weise müde. oh, aufbrüche des
frühlings! kein seufzertagebuch mehr zu führen, ich werde wohl schweigsamer
werden über den sommer ..."
Das Internet sprach in seinen Anfangsjahren neben anderem nicht nur den
leichten Zugang zu Information, sondern auch die Möglichkeit, sich zu
artikulieren und an Diskussionsprozessen teilzunehmen. In der Zwischenzeit
finden sich im Internet eine Unzahl von Diskussionsforen. Liest man sich
durch einige dieser Foren, macht sich ziemlich schnell Ernüchterung breit.
Offensichtlich scheint es meist an analytischem Denken, an
Diskussionsdisziplin, an Argumentationshierarchien oder auch Selbstreflexion
zu mangeln. Es wäre jedoch zu einfach, dies auf eine ungenügende Ausbildung
oder fehlende Diskussionserfahrung zurückzuführen. Es ist das Medium selbst,
welches Struktur und Inhalte bestimmt. Tatsächlich sind Diskussionsstruktur
und Beitragsverhalten in sehr unterschiedlichen Internetforen erstaunlich
ähnlich.
Der ORF etwa versteht sein Diskussionsforum als offene und demokratische
Plattform: "Rund um die Uhr wird hier über aktuelle Themen diskutiert. Alle
können lesen - alle können publizieren. Bitte bleiben Sie sachlich und
bemühen Sie sich um eine faire und freundliche Diskussions-Atmosphäre." Das
Internet macht es leicht, Unmut zu formulieren, ohne sich nach den Gründen
heftiger Empfindungen oder nach den Adressaten zu fragen. Das Internet
bildet, trotz aller Möglichkeiten, die es sonst bietet, auch so etwas wie
eine Art Fäkalraum, eine Bedürfnisanstalt. Ein Forum erlaubt es, bereits
wenige Augenblicke nach der Eingabe das Ergebnis eigener Absonderungen
narzistisch zu bewundern. Reinigende Defäkation, geruchs-, geschichts-,
beziehungs- und distanzlos.
Für die User geht es in der Regel nicht um Kriege, nicht um Innenpolitik,
gesellschaftliche Skandale oder Katastrophen. Das eigentliche Anliegen
besteht darin, unter dem Vorwand inhaltlicher Auseindersetzung andere zu
Reaktionen zu nötigen. Jeder behauptet seine Welt, seine Weltsicht.
Auffallend ist das Missverhältnis zwischen der Belanglosigkeit der
transportierten Inhalte und der affektiven Beteiligung, mit der diese
vorgetragen werden. Die Dramen, die es zu beklagen gibt, erweisen sich bei
genauerem Lesen nicht selten als Gelegenheiten, die eigene enge Welt stabil
zu halten. Viele Beiträge lassen an rasch zusammengezimmerte Flöße denken,
die jederzeit zu kentern drohen. Aber vom Untergang ist niemand bedroht.
Erweist sich ein Gefährt als unbrauchbar, wird aus dem reichlich vorhandenen
Treibgut an Informationen rasch ein neues Floß gebastelt.
Alle Antworten scheinen vorgegeben, bereits formuliert, ehe das Ereignis
stattfand und auch nur eine Zeile im Netz zu lesen war. Ob sich Mitteilungen
auf die Ereignisse in Israel, auf die Innenpolitik, auf Pornoskandale oder
Tierdramen beziehen: Es gibt keine wirkliche Welt; diese dient nur noch als
Futter für die eigenen Projektionen. Es geht nicht um Partizipation an der
Welt, sondern um die Verhäuslichung einer bedrohlich gewordenen Welt.
Sandkastenspiele im Bildschirmformat.
All diese Kommentare haben etwas Ätherisches, Flüchtiges. Die vagen Ergüsse
lassen sich mit einem einzigen Click in das Nichts der Bits und Bytes
verabschieden. Flüchtig sind auf elektronischem Weg vermittelte
Informationen auch dort, wo sie sich letztlich nur bedingt archivieren
lassen. Viele Texte lesen sich, als seien sie in die Luft gesprochen. Es
gibt keine wirklichen Adressaten, auch wenn sich die User gegenseitig
ansprechen oder auf Äußerungen reagieren. Es fällt auf, dass in
Internetforen wirkliche Fragen an die Angesprochenen fast vollkommen fehlen.
Bezeichnenderweise finden sich viele Phantasienamen. Genaugenommen bleiben
die meisten Teilnehmer anonym, letztlich in ihrer häuslichen PC-Welt
gefangen. Internetforen haben nichts mit Öffentlichkeit zu tun, wie die
Meinungsforschung spiegeln sie bestenfalls Stimmungslagen. Eine Analyse der
in Internetforen verwendeten Decknamen wäre sicher eine spannende
sprachwissenschaftliche Untersuchung. Warum nennt sich jemand "meinenur",
ein anderer "blindekuh", wieder ein anderer "derunmündigebürger",
"whatimean" und so fort.
In der Regel strotzen die meisten Textbeiträge von Fehlern. Orthographie,
Grammatik, Groß- und Kleinschreibung werden nicht sehr genau genommen. Kaum
einer der User scheint das, was er deponiert, auf mögliche Fehler und
inhaltliche Widersprüche hin zu lesen. Kein Wunder also, dass man immer
wieder auf Beiträge stößt, in denen sich User gegenseitig Ungenauigkeit
vorwerfen. Auffallender Weise wird das Medium selbst, das Setting, also die
Rahmenbedingungen des Deponierens wie der Auseinandersetzung kaum
reflektiert. Bei anderen wird eingeklagt, wozu man selbst nur bedingt fähig
ist, fähig sein kann. Statt Wohlwollen, Neugier oder Kritik: Nörgelei und
Gehacke: "hör endlich mit dem schwachsinn auf!!!", "lern rechnen", "alles
unsinn", "kapier doch was!!!", "das lernst du noch in der oberstufe" und so
fort.
Egon Friedell sah im Brief den vollendetsten, geistigen Ausdruck des
Menschen des achtzehnten Jahrhunderts. Für seine Zeit reklamierte er die
Postkarte, nicht ohne hinzuzufügen, wenn einmal "das Problem der drahtlosen
Telegraphie" derartig gelöst sein werde, dass "jedes Haus eine selbsttätig
telegraphische Station" habe, so werde jeder gesunde Mensch hierin das
normale Verständigungsmittel erblicken. Verständlicherweise bedienen wir uns
jener Mittel, welche den geringsten Energieaufwand erfordern. Allerdings
übersehen wir dabei schnell, dass jede neue Technologie des
Informationstransfers nicht nur Form und Inhalt, sondern auch das Verhältnis
jener, die sich des neuen Mediums bedienen, neu bestimmt.
Wie Postkarte und Telefon haben Emails das Schreibverhalten grundlegend
verändert. Email ist ein sehr schnelles Medium, es betont die rasche
Beantwortung. Mitteilungen sind oft sehr knapp gehalten. In vielen Emails
finden sich Abkürzungen wie mfg = "mit freundlichen Grüßen"; l. = "Lieber
...."; lg = "Liebe Grüße" etc. Nach dem Medientheoretiker Wieland Elfferding
sind wir denn auch endgültig in der Hallo-Gesellschaft angelangt: "Die Leute
sagen morgens ‚Hallo'. Diese Hallo-Gesellschaft ist nicht meine. Man wünscht
sich nichts Bestimmtes mehr. Kein Mensch weiß, was Hallo bedeutet. Es meint
alles, also nichts. Gewiss, Grußformeln sind Formeln und stereotyp. Unser
Bergführer findet ‚Guten Tag' oder, wie es klingt, ‚Tack', scheußlich.
Vielleicht hat er recht. Also ist ‚Guten Tag' wenigstens noch bestreitbar,
man kann darüber nachdenken. ‚Hallo' ist die Gedankenlosigkeit als solche."
Kommunikation bedarf, will sie funktionieren, nach wie vor des menschlichen
Körpers, ein Mindestmaß an Unmittelbarkeit. Nun ließe sich einwenden, dass
neue Kommunikationstechnologien wie das Internet es erlaubten, auf eine
bislang unbekannte Form mit anderen Menschen in Beziehung zu treten, etwa
Menschen zu finden, welche bestimmte sexuelle Vorlieben teilen, sich mit
anderen, die man nie sah, über Geheimnisse zu unterhalten, über die man nie
mit den engsten Freunden sprach. Wir kennen das Phänomen von Nähe, die erst
durch Distanz möglich ist. Im Internet kann jemand sehr weit von jemand
anderem entfernt sein, und dies auch dann, wenn der andere in der
Nebenwohnung lebt; nur darf man sich dessen nicht bewusst sein. Es wäre
allerdings falsch, daraus so etwas wie die Möglichkeit komplexer Beziehungen
abzuleiten. Solche Kontakte funktionieren in der Regel meist nur deshalb,
weil dich die Akteure nicht kennen, weil sich die eigenen Projektionen nur
bedingt überprüfen lassen.
Wer in eine ernsthafte Auseinandersetzung mit anderen treten will, muss zu
Feder und Papier greifen. Die Zeitverzögerung, welche der traditionelle
Postverkehr mit sich brachte, hat sich allemal günstig auf die vermittelten
Inhalte ausgewirkt. Wohl ohne Mühe ließe sich nachweisen, dass sich mit
jedem Beschleunigungsschub auch jene Zeit verringert hat, die für das
Schreiben einer Mitteilung verwendet wird. Und dieser Prozess setzte nicht
erst mit den neuen Kommunikationstechnologien, sondern mit ihren Vorläufern
im neunzehnten Jahrhundert ein. Je schneller ein Medium, um so mehr scheint
der Inhalt an Bedeutung zu verlieren. Das Verschicken und Empfangen von
Botschaften auf elektronischem Weg hat aufgrund der geringen Mühe, die es
macht, zu einer Entwertung der Botschaften geführt. Die Bereitschaft, Emails
zu beantworten, hat, erinnert man sich an Briefe, abgenommen. Viele Emails
werden nur noch überflogen. Dies hat auch damit zu tun, dass Sinnlichkeit
und Konkretheit des Papiers abhanden gekommen sind. Die Mühe, einen Brief zu
schreiben oder einen Brief zur Post zu tragen, bedeutete auch so etwas wie
eine Mindestanstrengung. Nicht zufällig wirken manche Emails sehr
distanzlos. Mag sein, dass - wie Kafka es formulierte - Briefe auf ihren Weg
von Gespenstern ausgetrunken werden, dass, durch den zeitlichen Abstand
bedingt, Inhalt und Wirklichkeit nicht mehr zusammenpassen. Aber gerade
diese Distanz betont nicht nur die gegenseitige Fremdheit, sie schafft auch
Abstand des Schreibenden zu sich selbst. Im herkömmlichen Brief war immer
auch ein Nachdenken über sich selbst angelegt, er war ebenso an sich selbst
wie an einen anderen gerichtet. Das Schreiben eines Briefes bedeutet immer
auch ein Antizipieren der Welt. Wie hätte sich das Bürgertum ohne seine
Briefkultur entfalten können! Der Brief kannte eine Reihe von Gesten, die im
elektronischen Briefverkehr ihren Sinn verloren haben.
1810, ein Jahr nach der Erfindung des galvanischen Telegraphen durch den
bayrischen Anatomen Dr. Thomas von Sömmering, veröffentlichte Heinrich von
Kleist in den Berliner Abendblättern seinen satirischen Text "Nützliche
Erfindungen: Entwurf einer Bombenpost". Wenn es von nun an möglich sei,
einen guten Freund, den man unter den Antipoden habe, zu fragen, wie es ihm
denn ginge, habe dieser schon geantwortet, noch "ehe man eine Hand umkehrt,
ohngefähr so, als ob er in einem und demselben Zimmer stünde." Leider eigne
sich diese Erfindung nicht zum Versenden von Briefen, Berichten, Beilagen
und Paketen. Deshalb schlägt Kleist "zur Beschleunigung und Vervielfachung
der Handels-Communikationen [...] eine Wurf- oder Bombenpost vor; ein
Institut, das sich auf zweckmäßig, innerhalb des Raums einer Schußweite,
angelegten Artillerie-Stationen, aus Mörsern oder Haubitzen, hohle, statt
des Pulvers, mit Briefen und Paketen angefüllte Kugeln, die man ohne alle
Schwierigkeit mit den Augen verfolgen und, wo sie hinfallen, falls es kein
Morastgrund ist, wieder auffinden kann, zuwürfe; dergestalt, daß die Kugel,
auf jeder Station zuvörderst eröffnet, die respektiven Briefe für jeden Ort
herausgenommen, die neuen hineingelegt, das Ganze wieder verschlossen, in
einen neuen Mörser geladen, und zur nächsten Station weiter spedirt werden
könnte."
Leider hat niemand ernsthaft versucht, Kleists Idee von den "Briefbomben"
(inzwischen hat das Wort eine andere Bedeutung) praktisch anzuwenden. Heute
hätte es etwas für sich, auf Feldern herumzurennen, um postalische
Wurfpakete einzusammeln. Es wäre darauf zu achten, nicht von herabfallenden
Bomben erschlagen zu werden. Briefe könnten wieder in die Irre gehen, in
einem Sumpfgebiet ("Morast"!) unauffindbar sein, manchmal oft nach langer
Zeit ihren Adressaten erreichen. Jede so erhaltene Botschaft hätte wieder
etwas von einer Botschaft im eigentlichen Sinn.
Das Projekt, neben einer Serie von "Wetterberichten", in denen sich Aramis'
Befindlichkeiten spiegeln, sind vor allem Diasporen zu sehen, greift ein
wichtiges Moment aus seinem Leben auf, freilich ohne seine Arbeitsweise und
Ästhetik zu kopieren. Seinem an mich gerichteten Abschiedsbrief legte er
neben getrockneten Blüten auch eine Eichel bei. Zweifellos dachte er dabei
nicht nur an einen x-beliebigen Samen, sondern auch an die Eichel des
männlichen Gliedes, an das Pflanzholz und anderes. Von den Diasporen ist es
nicht weit zur Diaspora, also hin zu Menschen, die durch diese oder jene
Umstände zerstreut werden. Aramis verbrachte sein ganzes Erwachsenenleben,
aus welchen Gründen auch immer, in der Diaspora, in Enklaven, in denen er
sich stets gegen Modeströmungen und den gesellschaftlichen Konsens
einrichtete. Obwohl in Eremitagen lebend, betrachtete er sich als Nomaden.
Aramis litt unter dem Verstreutsein, unter dem Verstreutsein jener, mit
denen er sich gedanklich verbunden fühlte: "eine gemeinschaft von
ungleichzeitigkeiten und verstreuten, eine gemeinschaft der einsamen."
Nicht zufällig interessierte er sich für Simone Weil, die sich früh mit
Fragen der Entwurzelung des modernen Menschen befasste. Wer sich intensiv
mit einem Garten beschäftigt, muss sich an einen Ort binden, sich selbst
einwurzeln. Mochte Aramis Samen auch für das nächste Frühjahr sammeln, so
war er sich der metaphorischen Bedeutung bewusst, hoffte er doch, das eigene
Tun möge sich fortpflanzen in Form von Gedankensamen, die da und dort auf
fruchtbaren Boden fallen könnten. Er musste aber die Erfahrung machen, dass
es schwierig ist, Menschen zu finden, "die einen faden weiterspinnen, den
wir ausgelegt." - "dank für den schönen brief, der tröstlich ist, da man
sein schicksal dann nicht so vereinzelt weiss - und traurig, da man doch so
vereinzelt bleibt."
Andere zu finden, die den ausgelegten Faden weiterspinnen, ist abseits von
Werbung und etablierten Medien eine schwierige Sache. Nicht zuletzt deshalb
schrieb Aramis Briefe, sehr viele Briefe. Er wünschte sich Zirkulare,
dachte, dass sich das Geschriebene ähnlich dem Kula-Tausch fortpflanzen
möge. Mehr und mehr enttäuscht, hoffte er, dass die Arbeiten zumindest in
kleinen Kreisen zirkulieren sollten: "das war ja auch am ende der
feudalherrschaft so, als handschriftliches in den salons zirkulierte, oder
verbotene drucke unter der hand weitergegeben wurden. ich bin immer
interessiert an Deinen schriften und vermittle sie auch weiter."
Nicht zufällig legte er seinen Briefen auch Briefe von anderen bei. Im
Gegensatz zu Facebook oder Twitter dachte er an konkreten Raum, an konkrete
Personen. Aramis betrachtete den Luxus eines solchen Tausches als eine der
letzten möglichen Behauptungen "gegen eine Welt", in der zunehmend all das
verödet, was den Menschen zu einem Menschen macht: "alles zersetzend. nun,
ich muß allein, mit wenigen zerstreuten, das alles so sehen." Sein
Vermächtnis wird sich weniger in seinen musealen Installationen als in
seinem radikalen Bemühen um den konkreten Raum, um konkrete Personen finden.
Briefe (=Samen) werden abgeschickt. Werden sie nicht beantwortet, sind sie
also auf unfruchtbaren Boden gefallen. Aber vielleicht beginnt dann doch da
und dort ein neuer Keim zu treiben. Es ist zu hoffen.
Bernhard Kathan, 2011
das ANDERE heimatmuseum, bauStelle schloss lind
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