Dieses Buch gehört Alma
Widmungen, Liebeserklärungen, Danksagungen, Entschuldigungen, Nachrufe, Epitaphe, Grabsteine


     widmungsgedicht

der vater
ist tot
die mutter
ist tot
ich schreibe
daß der vater
tot ist
daß die mutter
tot ist
du
schreibst dann
daß ich
tot bin
Ernst Jandl


Dieses Buch gehört Alma, Für Caroline / Für Barbara / Für Beverly / Für Mechthild / Für Rita / Für Hilary, Für Annette / Für Esther / Für Traudi / Für Gisela Maria / Für Doris.
Solche Büchern vorangestellte Widmungen können gleichermaßen Zuneigung, eine Dankesbekundung, aber auch eine Entschuldigung bedeuten. Vielleicht gilt die Widmung der Bewunderung, die Doris dem Autor entgegen gebracht hat. Möglicherweise hat Doris durch Tippen, das Lesen von Korrekturen oder ähnliche Arbeiten zum Entstehen des Buches beigetragen. Eine Widmung kann auch einer Entschuldigung gleichkommen, etwa als Entschuldigung dafür, so lange nicht ansprechbar gewesen zu sein, keine Zeit für sie oder die Kinder gehabt zu haben. Widmungenen erinnern daran, dass es - wie John Berger einleitend in einer seiner Widmungen bemerkt - in keiner Gesellschaft ein Produkt gibt, das sich der Anstrengung eines einzelnen Menschen verdankt: "Immer waren viele daran beteiligt." Wer immer Bücher oder Texte schreibt, weiß, dass es leiblicher Zuträger bedarf, anderer, die unterstützend die mühselige Arbeit begleiten. Widmung sind oft genug ein symbolisches Äquivalent für erbrachtes Verständnis oder konkrete, in der Regel unbezahlte Hilfeleistungen.

Zahllose Widmungen gelten der eigenen Familie, den Kindern, Geschwistern, Vätern oder Mütter: Für meine Eltern; Meiner Familie; Für Sara, mein eigenes lebendes Wunder; meiner Mutter in dankbarer Liebe und Verehrung; Meinem Vater. Dann gelten Widmungen vor allem Kollegen und Lehrern. Widmungen können sehr formal und schlicht gehalten, aber auch detailliert ausformuliert sein. Im besten Fall verschmelzen Widmungen mit dem eigentlichen Werk, etwa in Form einer Vorrede oder eines Kommentars. Eine der Widmungen von Günther Anders richtet sich an nicht näher genannte Personen: Jenen Staatsmännern, Industriellen, Wissenschaftlern und Publizisten, die zu denkfaul sind oder moralisch zu beschränkt, um sich die Folgen ihres Tuns vorzustellen, und die unfähig bleiben zu begreifen, daß sie durch ihre pausenlose Erpressung und Terrorisierung der Menschheit den von ihnen selbstgerecht verdammten Namen Terroristen als die Ersten verdienen. Die Steigerungsform findet sich dort, wo ein Autor jene nennt, denen er sein Werk keinesfalls zueignen will. Bereits Charles Sorel hat der zweiten Ausgabe seines Francion aus dem Jahr 1626 die Bemerkung vorangestellt: An die Großen: Nicht um Euch dieses Buch zu widmen, mache ich diese Epistel, sondern um Euch mitzuteilen, daß ich es Euch nicht widme.

Die Literaturgeschichte kennt Widmungen, die zu umfangreichen Einleitungskapiteln angewachsen sind. Als besonders schönes Beispiel sei die Widmung an Ninon in Emile Zolas Erzählungen genannt. Der Autor spricht darin eine frühere Geliebte an, die Leidenschaft vergangener Tage: "Vertraue ich unsere Gespräche dem Winde an, der vorüberweht, verletze ich das Geheimnis unserer Zärtlichkeiten, und die geschwätzigen Liebhaber werden auf dieser Welt durch die gleichgültige Kälte ihrer Vertrauten gestraft. Eine einzige Hoffnung bleibt mir; es wird in diesem Lande nicht einen einzigen Menschen geben, der unsere Geschichten lesen möchte." Zolas Intention ist freilich eine völlig gegenteilige. Er bedient sich des Geheimnisses, des Intimen, um möglichst viele Leser zu erreichen. Hinter Zolas Ninon stand zweifellos eine wirkliche Geliebte. Auffallenderweise wird Ninon in den ersten Erzählungen oft genug direkt angesprochen; allein dieser Passagen wegen lohnt es sich, Zolas Erzählungen heute noch zu lesen. Je länger man liest, um so seltener wird ihr Name erwähnt, um schließlich endgültig aus dem Text zu verschwinden. Schreiben als Abkühlung einer Leidenschaft: "Jetzt ist Dein Wunsch erfüllt, Ninon. Hier hast Du meine Erzählungen. Erhebe nicht mehr Deine Stimme in mir, die Stimme der Erinnerung, die mir Tränen in die Augen zwingt. Laß mein ruhebedürftiges Herz in Frieden, verschone mich in meinen Kampftagen, betrübe mich nicht mehr durch die Erinnerung an unsere müßigen Nächte. Willst Du ein Versprechen, so will ich Dich gerne wieder lieben, später, wenn ich vergeblich auf dieser Welt andere Geliebte gesucht haben und zu meiner ersten Liebe zurückkehren werde. Dann will ich wieder in die Provence kommen, und am Ufer des kleinen Flusses werde ich Dich wiederfinden. Winter wird es sein, süß-trauriger Winter mit hellem Himmel, und die Erde wird von der Hoffnung auf zukünftige Ernte erfüllt sein. Komm, eine ganze Jahreszeit wieder werden wir uns lieben; unsere friedlichen Abende in den geliebten Landen werden wiederkehren; wir werden unsern Traum erfüllen." In dieser Widmung lässt Zola seine Geliebte aus früheren Tagen, zu einer Kunstfigur stilisiert, endgültig hinter sich, hat doch die vor ein Massenpublikum zitierte Ninon nichts mehr mit Intimität zu tun.

Ein Autor mag ein Buch mit dem Gedanken beginnen, dieses einer bestimmten Person zu widmen, dann während des Schreibens dieses doch einer anderen Person zueignen. Bereits Laurence Sterne spielt in seinem Tristram Shandy darauf an, wenn er der an den Anfang des Buches gestellten Widmung später mehrfach andere folgen lässt. Freilich darf hier nicht unerwähnt bleiben, dass Widmungen zu seiner Zeit eine völlig andere Funktion hatten. Da es noch kein Urheberrecht im heutigen Sinn gab, waren Autoren oft genug auf Gönner angewiesen. Umgekehrt kommen Widmungen auch nicht immer gelegen. Sie können auf die Ablehnung desjenigen stoßen, dem das Buch gewidmet ist. Oskar Panizza etwa widmete seinen gegen Wilhelm II. gerichteten Gedichtband Parisjana einem früheren Freund. Dieser wandte sich empört an den Herausgeber: "Es hilft nichts, mit Panizza muß sauber aufgeräumt werden und so schnell wie möglich", der Gedichtband sei "Material für den Irrenarzt", Panizza "in der gebildeten Welt ein todter Mann." Der vermeintliche Freund verfasste darüber hinaus noch ablehnende Rezensionen, die die Staatsanwaltschaft auf den Gedichtband aufmerksam machten, was für Panizza einen internationalen Haftbefehl wegen Majestätsbeleidigung zur Folge hatte.

Widmungen sind zumeist etwas höchst Privates, sie können aber auch Gegenstand eines öffentlichen Diskurses werden. Als 1960 Hannah Arendts Buch Vita activa - Oder vom tätigen Leben erschien, schrieb sie Martin Heidegger: Du wirst sehen, daß das Buch keine Widmung trägt. Wäre es zwischen uns je mit rechten Dingen zugegangen - ich meine zwischen, also weder Dich noch mich -, so hätte ich Dich gefragt, ob ich es Dir widmen darf; es ist unmittelbar aus den ersten Marburger Tagen entstanden und schuldet Dir in jeder Beziehung so ziemlich alles. Hannah Arendt dachte wohl auch daran, dass Martin Heidegger in der 1941 herausgegebenen Neuauflage von Sein und Zeit, das Werk erschien erstmals 1927, die an seinen Mentor Edmund Husserl gerichtete Widmung gestrichen hatte: Edmund Husserl in Verehrung und Freundschaft zugeeignet. Jüdische Wissenschaftler wurden nicht nur von den Universitäten vertrieben, man tilgte in Neuauflagen an sie gerichtete Widmungen. Husserl musste diese symbolische Tilgung nicht mehr erleben. Er starb bereits drei Jahre zuvor. Heidegger verteidigte sich später mit dem Argument, die Streichung sei auf Druck des Verlegers geschehen.

Kurz vor seinem Tod besprach Max Weber die im Druck befindlichen und geplanten Veröffentlichungen. Dabei dachte er auch an Widmungen. Wirtschaft und Gesellschaft, erst nach seinem Tod erschienen, ist folgende Widmung vorangestellt: Dem Andenken meiner Mutter / Helene Weber geb. Fallenstein / 1844 - 1919. Den ersten Band seiner Gesammelten Aufsätze zur Religionssoziologie ist seiner Frau Marianne Weber 1893 "bis ins Pianissimo des höchsten Alters" gewidmet. Die Widmung des zweiten Bandes lautet: Mina Tobler zugeeignet, die des dritten Bandes Else Jaffé-Richthofen zugeeignet, mit der ihn am Ende seines Lebens eine "rauschhaft innige" Liebesbeziehung verband. Weber dachte auf seinem Sterbebett also an die vier wichtigen Frauen seines Lebens. Wie hätte er sich entschieden, hätten sich nur drei Werke im Druck befunden, wie, wären es fünf gewesen?

Auffallend häufig finden sich Widmungen in Büchern, deren Gegenstand alles andere als erbaulich ist. Etwa: Für Barbara: Die Widmung wäre an sich nicht besonders auffallend, im Zusammenhang mit dem Titel erfährt sie jedoch eine neue Bedeutung. Der Buchtitel lautet: Der Gestank von Wien. Wie kann man einer Frau, die man liebt, der man danken möchte, ein Buch widmen, welches von Gestank handelt? Bücher, die vom Tod handeln, scheinen Widmungen geradezu zu evozieren. Aries stellte seiner Geschichte des Todes die Widmung voran: Für PRIMEROSE in utroque tempore semper una, Simone de Beauvoir der Beschreibung des Todes ihrer Mutter ein einfaches: Meiner Schwester. Mit Widmungen, die solchen Büchern vorangesetzt sind, ließen sich ganze Räume füllen.

Wird in einer Widmung etwa einer Frau gedacht, die 1902 in Brandenburg geboren wurde und 1944 in Birkenau umkam, dann bedarf es keiner Deutung. Solche Widmungen erinnern an Menschen, deren Spuren sich in den Vernichtungslagern verloren haben. Es sind weniger Erinnerungen als Grabsteine, Grabsteine auf Papier, Grabsteine für Menschen, denen selbst ein Grab verweigert wurde. Solche "Widmungen" unterscheiden sich von vielen anderen durch ein wesentliches Merkmal. Ihnen fehlt jede Eitelkeit, jedes Kokettieren.
04/08 Bernhard Kathan

| Zum Ausstellungsprojekt |
Eine puristische, konzeptionelle Arbeit, in der 35 Widmungen in serieller Rahmung und Hängung zu sehen sind. In einem Abstand von mehreren Metern hebt sich für den Betrachter bestenfalls jeweils ein mehr oder weniger vergilbtes Blatt ab. Er muss näher treten, um die einzelnen Buchstaben zu erkennen. Aus ihrem Kontext gelöst erfahren all diese Widmungen durch ihre Nachbarschaften eine neue Lesart. Von wem die einzelne Widmung stammt, ist unerheblich. Für Literaturwissenschaftler mag von Interesse sein, dass Franz Kafka Ein Landarzt. Kleine Erzählungen seinem Vater gewidmet hat. Meinem Vater, diese Widmung findet sich in vielen Büchern. Würde man den Autor, die Autorin nennen, würden die einzelnen Blätter wieder aus ihrem Zusammenhang gelöst, stellte sich stets die Frage nach dem betreffenden Buch. Zudem erklären sich manche Widmungen von selbst. Das Projekt kann übernommen werden, im besten Fall sind klar strukturierte Räume mit großen Wandflächen vorhanden. Inhaltlich lässt sich das Projekt in diese oder jene Richtung spielen.