An den Außenflächen sind Drahtreifen zu sehen, von denen behauptet wird, sie
seien von einem Toten geformt, an die Tür gehängt oder an einer anderen
auffallenden Stelle hinterlegt worden. In der bäuerlichen Kultur hat sich
die Vorstellung von einem diesseitigen Fortleben nach dem Tod bis heute
erhalten. Dabei werden all diese Wiedergänger als bedrohlich wahrgenommen.
Mögen sie auch verlorengegangene Dinge hinterlegen, um Helfer handelt es
sich nicht. Sie bewegen sich in einer anderen Zeit, sind energetisch und
physikalisch anders organisiert. Sie erzeugen Geräusche und hinterlassen
Spuren, ohne sichtbar zu sein. Und teilen sie sich mit, dann hat dies meist
Tod und Unglück zur Folge. Die kleinen Bauern hatten ein schwieriges
Verhältnis zu den Verstorbenen. Sie verdankten ihnen zwar nahezu alles,
mussten aber ständig ihre Wiederkehr fürchten.
Erstmals in der Geschichte der Menschheit leben wir in einer Gesellschaft,
in der zwar nicht der Tod, aber die Toten ihre Bedrohung verloren haben.
Dies verdankt sich nicht nur den Entwicklungen der modernen biotechnischen
Medizin, entscheidender ist, dass einst notwendige familiale Bindungen und
Verpflichtungen an Bedeutung eingebüßt haben. Aber auch die moderne
Gesellschaft kennt Vorstellungen von einem diesseitigen Weiterleben nach dem
Tod. Im Innenraum unterhält sich eine illustre Tischgesellschaft über
moderne Wiedergänger, über ein diesseitiges Weiterleben nach dem Tod. Zu
Gast sind: Alexander Kluge, Waleri Brjussow, Peter Lorenz, Herbert W.
Franke, Paul Mantegazza, Cyrano de Bergerac, Franz Werfel, Max Haushofer,
Ludwig Wittgenstein, Maurice Renard. Sie haben die Möglichkeit, den Platz
all dieser Gäste einzunehmen, sich durch Geschichten zu lesen zwischen einem
einfachen, aber doch üppigen Gedeck.
Objekttexte:
HEMD Der Geliebte ist gestorben. Wie noch länger seine Gegenwart spüren?
Fotos oder vor langer Zeit geschriebene Briefe eignen sich nicht. Sie
verweisen auf Vergangenes. Der Weg führt zum Kleiderschrank. In den Hemden,
die er getragen, mag er noch gegenwärtig sein. Die Geliebte drückt ihr
Gesicht in das Tuch, reibt sich am Stoff, als würde sie sich an die Haut des
Geliebten schmiegen. Als Gachmuret im Kampf fällt, zerreißt Herzeloyde ihr
Hemd. Sie will sein Hemd tragen, das zerfetzte und blutbespritzte, so als
wollte sie die Schläge und Wunden, die er empfing, auf eigener Haut spüren,
Vergangenes in die Gegenwart ziehen. Gerüche verflüchtigen rasch,
Erinnerungen und Bilder verblassen, und schon liegt die Geliebte in den
Armen eines anderen. Nicht so Herzeloyde. Im Kind, das sie in ihrem Schoß
trägt, wird Gachmuret fortleben. Was aber, schlägt das Kind aus der Art?
MESSER Ein Philosoph, alt und des Lebens überdrüssig, lädt seine Freunde zu
einem üppigen Mahl. Während des Essens erklärt er, warum er genug vom Leben
habe. Stimmen seine Freunde ihm zu, so nennt er jenen, die ihm am nächsten
stehen, Ort, Tag und Stunde. Bevor sie ihn aufsuchen, reinigen sie sich,
fasten. Dann treffen sie sich vor dem Bett des Philosophen, der einen nach
dem andern umarmt. Und während er den zärtlich küsst, den er am liebsten
hat, stößt er sich einen Dolch ins Herz. Nun trinken die Freunde so lange
vom Blut des Toten bis sie gesättigt sind. Und haben sie sich Schlafen
gelegt, führt man jedem von ihnen ein sechzehn- bis siebzehnjähriges Mädchen
zu, und so lange sie sich vom Fleisch des Toten ernähren, geben sie sich den
Freuden des Körpers hin, in der Hoffnung, ein Kind werde aus dieser
Vereinigung hervorgehen. Um sicher zu sein, dass es ihr Freund ist, der da
wieder auflebt, essen sie das Fleisch roh. Sokrates, der angesichts seines
Todes die um ihn weinenden Freunde beruhigt, trifft sich mit Christus beim
letzten Abendmahl. Was aber, hat einer keine Freunde, kein Messer, sich
selbst zu töten, was, fehlt es an hübschen Mädchen, was, verschmähen die
Freunde warmes Blut und rohes Fleisch!
GEWEBEPROBE Wie für Pflanzen, Insekten, Säugetiere, Zahnräder, Autos und
Traktoren, Nägel, Waschmittel oder Düngestoffe lassen sich auch für
Wiedergänger Arten und Familien nennen. Da finden sich solche, die nach
ihrem Tod aktiv sind, deren Aktivität aber rasch abnimmt. Neben
Einzelgängern finden sich Horden, manche sind an Orte oder jahreszeitliche
Rhythmen gebunden. Bei all diesen Arten handelt es sich um Auslaufmodelle.
Es wird kein Nachtvolk mehr geben, welches sich nachts vor Fenstern drängt,
auf Dächern lärmt, Balken knarren oder Türen schlagen lässt. Die
Wiedergänger der Zukunft haben sich die Dinosaurier und das Mammut zum
Vorbild genommen. Kältekammern sind nötig, um so lange konserviert zu sein,
bis es der technische Fortschritt erlaubt, wieder zu neuem Leben erweckt zu
werden. Vielleicht wird es die Biotechnologie in der Zukunft ermöglichen,
Tote selbst aus dem Speichel, den ein Liebender beim Zukleben eines Briefes
an seine Geliebte verschwendete, zu rekonstruieren. Aber was für ein
Erwachen würde das sein! Wo bleibt die Geliebte? Gäbe es sie, würden sich
die beiden wiedererkennen? Angesichts diesbezüglicher Hoffnungen von
Wladimir Majakowski (er nahm sich am 14. April 1930 das Leben) ruft Waleri
Brjussow aus: "Erweckt mich nicht!"
HAND Angehörige trösten sich über den Tod des Kindes, Partners, Bruders oder
Schwester damit hinweg, dass zumindest sein oder ihr Herz, die Niere oder
Lunge überlebe, dass das verpflanzte Organ jemand ein zweites Leben schenke.
Nach einem schweren Motorradunfall in ein Krankenhaus eingeliefert, wurde
Hans P. für hirntot erklärt. Neben mehreren inneren Organen wurde auch eine
seiner Hände (mit großen Teilen des Unterarmes) transplantiert. Den Ring,
den er trug, ging im Krankenhaus verloren. Hans P.s Frau Sieglinde
beanspruchte ein Besuchsrecht. Ihr Mann lebe in seiner Hand fort. Es seien
seine Zellen. Wäre es nicht so, dann bedürfte es keiner Immunsuppressiva.
Sie erhält keine Auskunft über den Empfänger des Organs. Sieglinde schafft
es nach langen Recherchen, den Empfänger ausfindig zu machen. Die Begegnung
mit der Hand erweist sich als ernüchternd. Die einst beweglichen Finger sind
ungelenk, verfärbt, am Ringfinger steckt ein anderer Ring.
RING Wird der Körper des Menschen nach dem Tod in seine Bestandteile
zerlegt, so lassen sich etwa sieben große Nägel herstellen, 98 Kubikmeter
Leucht- und Wasserstoffgas, 20 Kaffeelöffel Salz, fünfzig Stück
Würfelzucker, 42 Liter Wasser. Mit dem Fett eines Menschen ließe sich ein
großer Saal fünf Stunden lang beleuchten. Ginge es nach A., dann wäre Brahms
zu hören. Die Siderofilen wollen nach ihrem Tod weder begraben, noch
verbrannt werden. Sie lassen ihren Körper in seine Bestandteile zerlegen.
Ihre Aufmerksamkeit gilt vor allem dem Eisen, aus dem sie für ihre Freunde
Ringe, Medaillen oder Gegenstände des täglichen Gebrauchs anfertigen lassen.
Zahngold dient der Oberflächenpolitur. Sich bereits zu Lebzeiten siderofilen
Neigungen hinzugeben, birgt Risiken. Wer aus dem Eisen seines Blutes einen
Ring für die Geliebte herstellen lässt, kann an Erschöpfung sterben. Und
womöglich verschmäht die Geliebte den Ring, wäre ihr doch eine Pendeluhr
lieber.
WOLFSMILCHPRÄPARAT Der Gartenliebhaber möchte in seinem Garten bestattet
sein, ob begraben, verbrannt und als Asche verstreut, ist von
untergeordneter Bedeutung. So oder so gehen Kohlenstoff und Wasserstoff als
Kohlensäure und Wasserdampf in die Atmosphäre über. Es bleiben salpeter-
bzw. schwefelsaure Salze. Ob Pfingstrose, Salbei oder Wolfsmilch, die
Pflanzen des Gartens werden sich davon nähren. Den Kohlenstoff entnehmen sie
der Luft. Sie produzieren fotosynthetisch Stärke, Eiweiß und Fett, und
werden so wiederum zur Nahrung von Mensch und Tier. Jedes Lebewesen ist so
als Gelenk des Ganzen zu sehen. Aber, von Jahrhundert zu Jahrhundert
vermehren sich jene Atome, die schon Bestandteile menschlicher Körper waren.
Ein immer dichter, immer lebendiger werdender Strom von Menschheitsatomen.
Keiner, der unter Menschen lebt, kann der Macht dieses Stroms entrinnen.
Jeder schwimmt in seinen Wellen und wird in ihm selber zur Welle. Wir
ernähren uns von den Geschlechtern, die vor uns lebten und werden wieder
Nahrung für die Nachwelt. Was aber, haben alle Atome ihre Jungfräulichkeit
verloren. Den Garten wird dies wenig kümmern, ebenso die Pflanzen, die in
ihm wachsen.
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